Keine andere Nachricht hat uns Cervélo-Afficionados letztes Jahr wohl mehr zum Grübeln gebracht als das am 23.12. auf der Website veröffentlichte, knappe Statement, dass Cervélo „in finanziellen Angelegenheiten“ mit der niederländischen PON Group zusammen arbeiten werde und es ein exklusives Kaufrecht seitens PON gäbe, sollte Cervélo zum Verkauf stehen.
Nur wenige Stunden später schießen Tweets und Forenbeiträge aus dem Boden, wie Pilze nach einem seichten Sommergewitter. Der Tenor reicht vom „Ende der Marke“ bis „enorme Chancen“.
Für mich steht diese Entwicklung als vorerst letzter Abschnitt einiger höchst interessanter Begebenheiten rund um Cervélo.
Da ist zum einen die Einführung des S5 kurz vor der Tour de France, die mir (und einigen anderen auch) höchst seltsam vorkam. Warum? Das S5 ist das erste Bike aus der Produktpalette, bei dem Cervélo eine horizontale Preispolitik betreibt. Bis dahin konnte sich der Kunde – je nach Anspruch und (vor allem) Budget die Produktleiter nach oben hin arbeiten: S1 für den Einsteiger, S2 für den Performanceorientierten und das S3 als Highend-Produkt.
Für das S5 allerdings sieht es anders aus: Cervélo bietet innerhalb des S5 wiederum 3 Rahmenarten an, die sich in „Carbonlayup“ und Gewicht unterscheiden – nicht aber in der Aero-Performance. Das Einstiegsmodell geht bei 2.900 € los, die VWD-Highend-Variante endet bei 5.300 €. Fürs Rahmen-Kit wohlgemerkt.
Das erinnert irgendwie an die Markenpolitik von Specialized, die mit ihren S-Works-Modellen eine Premium-Range aufgemacht haben und nun beim „Venge“ mit der Zusammenarbeit mit McLaren eine – sehr zum Ärger der S-Works-Kunden – „Ultra-Premium“-Range aufgemacht haben. Was ist S-Works dann noch wert, wenn es McLaren gibt? Oder anders gefragt: Was soll die „Team“-Variante beim S5 (sehr viel teurer als das Basismodell), wenn die noch teurere VWD-Premiumvariante nur 60 Gramm leichter ist?
Das kam sehr vielen komisch vor, wie man z.B. im Cervélo-eigenen Forum nachlesen kann. Zumal das S3 aus dem Programm genommen wurde. Mittlerweile kann ich mich persönlich mit der S5-Politik anfreunden, finde aber trotzdem, dass Cervélo mit diesem Schritt sein eigenes Premium-Image aufweicht. Allerdings kenne ich die Unternehmenszahlen nicht und nehme an, dass sich die Jungs nach unten hin einfach breiter aufstellen mussten.
Der zweite Vorgang war die Verlautbarung Mitte 2011, dass einer der beiden Gründer von Cervélo – Gerard Vroomen – seinen Sitz in der Geschäftsführung aufgegeben hat, aber „dem Unternehmen“ erhalten bleiben würde.
Warum das komisch ist?
Die Marke Cervélo lebt vom Image von Vroomen und White, die in den Neunzigern from Scratch die ersten Serien-Carbonrahmen hergestellt, quasi die Aero-Rahmen erfunden und damit die ganze Rennrad-Branche revolutioniert haben.
Gerard Vroomen - Bild von seinem Blog
Cervélo galt und gilt als Premium-Hightech-Marke – aufgebaut rund um das von Vroomen und White geleitete Ingenieurs-Team, das die Rennräder entwickelt. Cervélo war schon immer eine technikgetriebene Marke. Design, bunte Farben und saisonale Trends waren und sind immer allenthalben zweitrangig, wenn überhaupt.
„Mir ist das Aussehen eines Rennrades egal“, habe ich einmal in einem Interview von Gerard Vroomen gelesen, „solange das Rennrad die besten Leistungen bringt.“ Was dann auch das sehr kontrovers diskutierte Design des S5 erklärt.
Ohne Vroomen als maßgeblich Beteiligter und White, der laut Pressemeldung nur noch „für 2 Jahre“ eine geschäftsführende Position innehaben wird: Wo steuert Cervélo dann hin? Und wer steuert Cervélo?
Brian Dillman und Antoine Ballan haben offiziell die Geschicke übernommen. Das LinkedIn-Profil von Dillman weist ihn als einen erfahrenen CEO der Sportbranche. Wilson, Power-Plate sind nur zwei bekannte Namen seiner Vita. In einem Interview mit ihm lese ich, dass er sich auf seine neue Aufgabe riesig freue und auch weiterhin Cervélo als den Hersteller der weltbesten Rennräder führen will.
Aber Cervélo ohne White und Vroomen – ist das noch Cervélo? Oder werden wir unsere R3, R5, R2, S2, Soloist und meinetwegen auch die S5 als die „echten“ Cervélos in Ehren halten, weil es nach Vroomen+White nurmehr Marketinghülsen sind, die wir kaufen?
Die Zeit wird es zeigen: Die Ingenieure und Designer bei Cervélo sind ja die Alten und bei Bianchi sitzen ja auch nicht mehr die Erfinder von vor 125 Jahren …
Als eher schwierig fand ich den dritten komischen Act, den die Firma veranstaltet, als nämlich pünktlich zum Weihnachtsgeschäft die „Buy two – get 2.000 $ off“-Aktion gestartet wurde.
Böse Stimmen unkten, dass es der Premium-Marke dann aber ganz schön schlecht gehen müsse, wenn man sich hier nun auf eine solche, eher plumpe Verkaufsfördermaßnahme herablasse. Und ich muss gestehen, ich habe auch meine Stirn gerunzelt: War es doch auch bisher immer Teil des Cervélo-Nimbus, souverän zu den – zugegeben sehr hohen – Preisen zu stehen.
Ihr wollt Qualität? Ihr wollt das Beste vom Besten? Okay. Aber das hat halt seinen Preis.
Tja. Und nun steht also der Verkauf an die niederländische PON-Holding bevor. Wer ist PON? Die Gruppe ist bereits 1895 gegründet worden und hat heutzutage das Hauptstandbein im Autohandel. PON ist einer der größten Importeure für den niederländischen Markt.
Zur Holding selbst zählen nicht weniger als 135 Einzelunternehmen – fast alle aus der Automobil-Branche und dem Autohandel. Und – und da wirds interessant – eben auch die Derby Cycle AG, für die aktuell ein Übernahmeangebot der PON existiert.
Derby ist der größte Fahrradhersteller Deutschlands und vereint Marken wie Kalkhoff, Univega und aus der Rennrad-Branche durchaus groß zu bezeichnende Namen wie Raleigh und vor allem Focus.
Insofern macht es Sinn, wenn sich PON die Marke Cervélo sozusagen als Kronjuwel einer breiten Palette an Radmarken hinzufügt. Ähnlich eines VW-Konzerns, zu dem ja auch Bugatti zählt.
Die Frage, auf die natürlich momentan keiner eine Antwort weiß, ist ja eigentlich die: Was beabsichtigt PON? Wird man aus den Niederlanden in Herstellungs- und Designprozesse eingreifen? Wird Cervélo als Premiumhersteller ausgebaut? Gefördert? Oder wird alles beim alten bleiben, nur die finanzielle Basis ist durch eine Partnerschaft/Eigentümerschaft mit/durch PON sicherer?
Es bleibt spannend.
Ich hoffe, dass sich Cervélo seinen Charme, seine Exklusivität, seine Linie, seinen technischen Ansatz und all das erhalten kann, was die beiden Gründer Vroomen und White aufgebaut haben. Weil – ohne Cervélo wüsste ich ehrlich gesagt nicht, mit welcher Marke ich mich auch nur annähernd so gut identifizieren könnte.
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