Heiko und ich sind schon gegen 12 Uhr mittags in Bochum, Flow und Jan werden per Zug separat ankommen. Also, was tun? Cadelgucken! Cool!
Er fährt eine zugegeben gewöhnungsbedürftige Disziplin - das Derny-Rennen. Die Steher-Variante aus den Lattenovalen kenne ich schon, diese hier beim Kriterium auf einer kleinen, keine 3 Kilometer langen Runde kannte ich noch nicht.
Aber ich finde es spannend, den Held der Berge, den bärbeißigen Australier, der letztes Jahr so grandios scheiterte und in diesem Jahr so souverän siegte, in echt zu sehen. Gestern noch Galibier auf Eurosport - heute Derny in Bochum. Mit ihm fahren der amtierende Deutsche Meister Robert Wagner, Jungs wie Grischa Niermann oder einige Katusha-Profis die kurzen Runden.
Bochum. Pott.
"Pott-hässlich!", entfährt es Heiko, als wir ankommen. Unser Hotel versprüht den Charme eines DDR-Kreiswehrersatzamtes, die Umgebung hier auf dem Südring komplettiert das Bild. Eher geschockt entdecken wir vorsichtig die Gegend: Alles ziemlich herunter gekommen. Grau. Deprimierend.
"Gelsenkirchen ist schlimmer!", wird man mir später sagen. Wo bleibt der Aufbau West?
Während des Samstagabends trudeln dann noch Jan und Flow ein, wir holen uns die Startnummern und lassen es uns bei den (ich lasse sie mal unkommentiert) kostenlosen Nudeln der Pastaparty und leckeren belgischen Pommes gutgehen.
Eine Liveband spielt die Hits der Siebziger. Volksfeeststimmung mit Radsport. Sie haben hier eine Riesenparty aufgezogen und langsam gewinne ich die Leute, die Stimmung, das alles hier lieb: Bochum Sparkassen.Giro - das ist keine elitäre Sportveranstaltung, das ist ein Fest für die ganze Familie.
Angenehm.
Es ist früh an diesem Sonntag, als wir um 7:30 Uhr zum Start rollen. Ich habe wirklich wundervoll geschlafen - die beiden Saunagänge im Hotel und das anschließende Schwimmen im Pool des Hotel Ostmeier haben ihren Wirkung nicht verfehlt.
Recht kalt ist es und ich bin froh, doch noch das Unterhemd einpackt zu haben. Wir frösteln uns mit eintausend anderen Startern durch das noch leere Bochum.
Uns stehen 100 Kilometer bevor. Ein Stadtkurs mit 4 Runden á 25 Kilometer. Mein erstes Kriterium. Gestern wollten wir uns die Strecke eigentlich noch ansehen, da sie aber nicht abgesperrt oder gekennzeichnet war (und es nieselig-kühl war), hatten wir diesen Plan verworfen.
Und so stehe ich mit etwa 1.000 anderen Startern, die auf die 100er Strecke gehen, im einzigen Startblock und versuche, mich an das Profil zu erinnern: Zwei oder drei Rampen gibt es wohl. Ansonsten nehme ich an, dass es ein schnelles Rennen wird.
Im Startblock stehen wir dicht gedrängt: Eine Folge davon, dass es nur diesen einen Block gibt. Alle wollen nach vorn - so auch wir - und so stehen wir bald mit nur 5 cm Freiheit rund um unsere Rennräder.
Viele Fahrer aus dem Pott. Und anders als sonst - sehr viele sehr junge Fahrer. Ein starkes Starterfeld!
Wir scherzen und schnattern - und doch, ich halte mich etwas raus aus dem Männertalk und versuche, mir eine Rennstrategie zurecht zu legen. Wie stolz war ich nach dem Rennen in Göttingen, als ich es geschafft hatte, Heiko zu schlagen, den starken Heiko. Ob ich das noch einmal schaffen kann?
Auch Jan hält sich etwas im Hintergrund, ich merke ihm seine Nervosität an: Es ist sein erstes Rennen 2011 und obwohl er rennradbegeistert ist, mit mir die Tour de France verfolgt hat und keinm Tag vergeht, an dem wir uns nicht über Rennräder unterhalten würden, kam er in diesem Jahr kaum zum Fahren.
Ich ahne Schlimmes.
Und sowieso: Es fehlt Swantje! Nach ihrem schweren Trainingsunfall fällt sie für unser Team die gesamte Saison aus. Swantje war immer der Garant für hohe Punktzahlen. Punkte, die uns in der Gesamtwertung des German Cycling Cup immerhin auf Platz 34 (von 340) gebracht haben.
Heute fehlt sie.
Auch menschlich.
Die Stimmung steigt. Nervös zuppeln viele noch ein letztes Mal ihre Trikots zurecht, stellen ihre Bremsen ein, justieren die Helmschnallen. Ich drücke mir das erste Gel in den Mund: Das eine einsame Brötchen heute beim Frühstück wird nicht reichen, das weiß ich jetzt schon.
Dann geht es wieder sehr schnell.
Die Uhr tickt runter, der Sparkassen-Sprecher feuert uns an. Bei "Ich möchte ein Eisbär sein" - passend zu 11 Grad Außentemperatur - schickt er das Feld dann pünktlich um 8 auf die Strecke.
Die erste Runde geht los!
Und wie es losgeht! Vorne stürmen sie davon, wir, so an Position 50 gestartet, müssen wie alle anderen von Anfang an mächtig reintreten, um Schritt zu halten. Normalerweise sorgt die erste Kurve dann durch einen Zieharmonika-Effekt dafür, dass das Feld wieder kompakter fährt - aber in Bochum ist das anders.
Nach einer etwa 400 Meter langen Geraden schießen wir in die erste 90-Grad-Kurve, es geht leicht bergan, wie Gejagte treten wir rein, dann wieder nach 500 Metern 90 Grad nach rechts, eng ist es, neben mir 5 Fahrer zu beiden Seiten, ich habe kaum 10 cm Platz für Kurskorrekturen.
Dann geht es etwas bergab, leicht links - schlechter Fahrbahnbelag! Kann kaum ausweichen, die Lungen brennen - Heiko hinter mir. Ja sage mal, spinnen die hier?
Nach einer etwa 400 Meter langen Geraden schießen wir in die erste 90-Grad-Kurve, es geht leicht bergan, wie Gejagte treten wir rein, dann wieder nach 500 Metern 90 Grad nach rechts, eng ist es, neben mir 5 Fahrer zu beiden Seiten, ich habe kaum 10 cm Platz für Kurskorrekturen.
Dann geht es etwas bergab, leicht links - schlechter Fahrbahnbelag! Kann kaum ausweichen, die Lungen brennen - Heiko hinter mir. Ja sage mal, spinnen die hier?
Wir erreichen die Gegengerade zu Start/Ziel und weiter geht es leicht bergauf - und noch immer beschleunigt das Feld. Um die 50 km/h haben wir drauf, ich komme mit dem Schalten kaum hinterher. Nach etwa 2.000 Metern, außer Puste!, eine harte Rechtskurve, vorne treten sie rein wie die Irren, das Peloton zieht sich wie eine Perlenschnur auseinander. Ich gehe aus dem Sattel, muss kämpfen, mich ranbeißen, noch 20 Meter, treten, treten! Dann Windschatten, etwas verschnaufen - drehe mich um: Ah, Heiko noch da.
Keine drei Fahrer hinter uns mussten sie abreißen lassen. Wir sind also in der Spitzengruppe.
Es folgt, natürlich bei Highspeed und noch immer im engen, kurvigen Innenstadtbereich, eine etwa 50 Meter lange, sehr harte Pflastersteinpassage. Ich erschrecke derart, dass ich zunächst glaube, beide Reifen wären unter gleichzeitigem Gabelbruch geplatzt.
Neben mir taucht plötzlich in Cross-Stellung Flow auf. Er springt über einige Huckel, verliert seine Wasserflasche. Ebenso wie einige neben, vor und hinter uns. Alter Schwede! Ich mache drei Kreuze, als das Pflasterstück vorbei ist.
Ich beende meine erste Runde nach 37 Minuten mit 38,6 km/h Durchschnitt. Bin fertig, am Ende. Wahnsinn - so schnell und so hart!
Als Cadel am Abend die Runden hinter dem Derny dreht, ahne ich natürlich noch nichts von den Strapazen, die das Rennen hier in Bochum für mich bereit hält. Ausgelassen trinke ich drei Bier und freue mich auf den Renntag.
Immerhin mühen sich die Damen bei ihrem Kriterium noch ab, ebenso, wie anschließend die Herren. U23, whatever - ich bin sowieso am meisten über Cadel Evans begeistert. Nicht, dass ich wie ein Teenie ausflippen würde - vielmehr ist es so, als sähe ich in ihm einen Bruder, einen Leidensgenossen. Immerhin habe auch ich vor ein paar Wochen erst Tourmalet & Co bezwungen.
Ich stecke mitten in Runde zwei - noch immer halte ich mich in der Spitzengruppe, die aber wiederum in zwei kleinere Gruppen zu je 30 Fahrern zerbrochen ist. Ganz vorn muss Flow mitfahren, Heiko und ich mühen uns dahinter ab.
Als wir wieder nach der Gegengeraden auf das harte Bergabstück einbiegen, komme ich gar nicht mit dem Trinken hinterher: Hastig ziehe ich zwei große Schlucke aus meiner Flasche, länger als zwei, drei Kurbelumdrehungen kann man hier nicht aussetzen. Bei diesem Tempo verliert man sofort einige Positionen.
Auf der Universitätsstraße geht es mit mindestens 4 % Gefälle bergab, das Feld kommt nahe an die 70 km/h heran. Ein Wahnsinn war das in der ersten Runde: Für die meisten kommt diese Highspeed-Passage ebenso überraschend, wie die Pflastersteine vorhin. Mit 200, 300 Leuten dicht an dicht bei 70 bergab rasen, das hatte etwas sehr Beängstigendes.
Jetzt, auf der zweiten Runde, ist es nicht minder scary, zumal wir an einem vorbeirauschen, der rechts einen Abflug in die Büsche gemacht hat. Nun sitzt er blutend da und wartet auf Hilfe.
Konzentrieren, Jungs, konzentrieren! Bei diesem Tempo in einen Massensturz zu kommen kann böse, böse enden!
Als wir wieder nach der Gegengeraden auf das harte Bergabstück einbiegen, komme ich gar nicht mit dem Trinken hinterher: Hastig ziehe ich zwei große Schlucke aus meiner Flasche, länger als zwei, drei Kurbelumdrehungen kann man hier nicht aussetzen. Bei diesem Tempo verliert man sofort einige Positionen.
Auf der Universitätsstraße geht es mit mindestens 4 % Gefälle bergab, das Feld kommt nahe an die 70 km/h heran. Ein Wahnsinn war das in der ersten Runde: Für die meisten kommt diese Highspeed-Passage ebenso überraschend, wie die Pflastersteine vorhin. Mit 200, 300 Leuten dicht an dicht bei 70 bergab rasen, das hatte etwas sehr Beängstigendes.
Jetzt, auf der zweiten Runde, ist es nicht minder scary, zumal wir an einem vorbeirauschen, der rechts einen Abflug in die Büsche gemacht hat. Nun sitzt er blutend da und wartet auf Hilfe.
Konzentrieren, Jungs, konzentrieren! Bei diesem Tempo in einen Massensturz zu kommen kann böse, böse enden!
Wir bremsen uns abenteuerlich herunter, schlängeln uns auf fantastisch schlechten, immer enger werdenden Straßen durch bewaldetes Gebiet. Unser 30-Mann-Feld hat es nun sehr weit auseinander gerissen, es geht in hastiger Folge mal links, mal rechts über mehrere Wellen hinweg.
Auch Heiko verliert nun eine Wasserflasche - ich schaue lieber zweimal, wenn ich getrunken habe, ob die Flaschen noch sicheren Halt haben.
Dann knicken wir irgendwann rechts ab und stecken in einer Wand. Hart werden wir auf unter 15 km/h herunter gebremst, viele bleiben auf dem großen Blatt und treten sich die schätzungsweise 10 % hinauf. Ich entscheide mich, die 1.000 Meter lange Rampe auf dem kleinen Blatt viel ruhiger anzugehen.
Nach der Rampe - ich bin etwas zurück gefallen, aber noch immer ganz gut positioniert - geht es leicht bergab und dann, dann muss ich grinsen: Die zweite, die wirkliche Rampe liegt vor uns!
Auch Heiko verliert nun eine Wasserflasche - ich schaue lieber zweimal, wenn ich getrunken habe, ob die Flaschen noch sicheren Halt haben.
Dann knicken wir irgendwann rechts ab und stecken in einer Wand. Hart werden wir auf unter 15 km/h herunter gebremst, viele bleiben auf dem großen Blatt und treten sich die schätzungsweise 10 % hinauf. Ich entscheide mich, die 1.000 Meter lange Rampe auf dem kleinen Blatt viel ruhiger anzugehen.
Nach der Rampe - ich bin etwas zurück gefallen, aber noch immer ganz gut positioniert - geht es leicht bergab und dann, dann muss ich grinsen: Die zweite, die wirkliche Rampe liegt vor uns!
Spätestens jetzt, hier auf dem 1.500 Meter langen Stück, der Surkenstraße, müssen auch die Großblättrigen aus dem Sattel und aufs größte Ritze: Es sollte hier 12, 13 % haben. Die Strecke ist schnurgerade und eingezäunt, viele Zuschauer haben sich eingefunden und hier haben sie sogar eine Bühne aufgebaut.
Ein DJ legt treibende Beats auf, ein Moderator feuert die Fahrer an und pickt sich den einen oder anderen heraus.
Nun macht sich mein Abwarten bezahlt, denn ich kann mit wesentlich mehr Puste als viele der anderen Fahrer in die Steigung gehen. Als ich oben ankomme, habe ich fast alle derer, die mich anfangs überholt hatten, wieder ein.
Saugeiles Profil!, muss ich in Gedanken jubeln und beglückwünsche die Streckenplaner für den Einbau dieser Rampen!
Nun geht es auf die letzten Kilometer bis Start/Ziel. Leider muss ich hier abreißen lassen - meine Gruppe nutzt die folgenden Abfahrten, um wieder mächtig Tempo zu machen. Einige Minuten kann ich mich noch am Ende halten, dann, keine 2.000 Meter vor dem Zielstrich, lasse ich los. Zugegeben: Diese Gruppe fährt mir zu schnell!
Runde zwei beende ich nach 38 Minuten mit nur noch 37,6 km/h Schnitt.
Am Vorabend beschauen wir uns noch die Teamwagen der Profis. HTC Highroad ist ebenso vor Ort wie Skil-Shimano und einige Pro-Continental- und Continental-Teams. Wunderbare Konstruktionen innen wie außen. Uns beeindrucken die cleveren Detaillösungen der Versorgungsfahrzeuge, die praktischen Halterungen und Schnellspanner für Ersatzräder und -teile.
Dabei kann unser Team SunClass schon froh sein, dass uns der Sponsor einen Vito für An- und Abreise zur Verfügung stellt. Aber man wird ja nochmal träumen dürfen ...
Dabei kann unser Team SunClass schon froh sein, dass uns der Sponsor einen Vito für An- und Abreise zur Verfügung stellt. Aber man wird ja nochmal träumen dürfen ...
Den originalen Bus des längst verblichenen Teams Milram dürfen wir nach kleinem Schnack mit den beiden Busfahrern sogar von innen besichtigen. Hier also haben die Jungs rund um Erik Zabel und Allessandro Petacchi gesessen, als es zur Vuelta, zur Tour de France und unzähligen anderen Rennen ging.
Hier atmet jedes Polster Radsportgeschichte. Hier mag Michael Holzcer die Strategien verkündet haben (ach nee, der war ja bei Gerolsteiner ...). Hier mögen sich bei einigen der Jungs verbotene Dinge abgespielt haben.
Unsere Augen leuchten trotzdem.
Zurück im Rennen. Mittlerweile hat mich eine Verfolgergruppe aufgelesen, ich fahre an einer Position weit im Mittelfeld mit. Noch immer ist das Tempo sehr hoch - in den Spitzen sind wir genauso schnell wie noch in der mörderischen ersten Runde, nur auf den flachen Verbindungsstücken zwischen ihnen ist das Tempo etwas angenehmer.
Ich fühle mich gut heute, keine Frage. Bin super im Training - nach meiner Tour de France sowieso. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass hier sehr viel mehr der anderen Teilnehmer um sehr vieles mehr stärker sind, als ich es bin.
Ich fühle mich gut heute, keine Frage. Bin super im Training - nach meiner Tour de France sowieso. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass hier sehr viel mehr der anderen Teilnehmer um sehr vieles mehr stärker sind, als ich es bin.
Immer wieder kommen Rennfahrer von hinten an mir vorbei, es ist weitaus härter als sonst, seine Position zu verteidigen. Die Zwischensprints nach Kurvendurchfahrten haben nichts von ihrer Bissigkeit verloren und vor allem das lange, superschnelle Bergabstück auf der Universitätsstraße wird so hart gefahren wie eh und je.
Ich suche mir ein Mädel in einer weißen Kombination mit "Westpoint"-Aufdruck: Sie fährt einen ähnlichen Stil wie ich und scheint ebenso drauf zu sein wie ich. Mit ihr schmiede ich in Gedanken eine Allianz - bleibe neben, vor oder hinter ihr (ob der schönen Aussicht lieber dahinter:-) und versuche so, einen konstanten Stiefel zu fahren.
Was nicht möglich ist.
Als wir das dritte mal die Rampe hinauf fahren, kommt die Erkenntnis: Hier, auf diesem Streckenprofil gibt es keinen Rhythmus. Sie haben die Teilstücke so geplant, dass hier jeder Aspekt des Rennradfahrens gefordert ist: Schnelles, wendiges Durchfahren enger Kurven mit harten Beschleunigungen, lange Geradeausstücke (mal mit Steigung und mal mit Gefälle), kurze, sehr ekelige Rampen und Wellen gepaart mit engen, schlechten Straßen und viel Richtungskorrekturen und schließlich die extraharten Rampen, die einem den Saft aus den Waden ziehen, nur um danach fast 10 Kilometer nur bergab auf fast gerader Strecke in Highspeed zum Ziel zu führen.
Der Giro in Bochum ist das anspruchsvollste Rennen bisher.
Die Strecke ist hammerhart, fordert alles.
Die mitunter sehr schlechte Asphaltqualität tut ihr Übriges.
Rund 3 beende ich nach 41 Minuten mit nur noch 34,6 km/h Durchschnitt.
Als ich mit Heiko am Vortag die Stadt erkunden will, bin ich eher enttäuscht: Da bin ich als Berliner in Hamburg doch anderes gewohnt. Anscheinend muss im Zweiten Weltkrieg hier alles weggebombt worden sein, anders kann ich mir die teilweise an Verfall grenzenden, schlimmen 50erjahre-Bauten und die "Designerstücke" in mancher Baulücke nicht erklären.
Allerdings: Den Pott hätte ich mir auch anders vorgestellt. Industrieller halt. Keine Schornsteine. Kein Krupp. Keine Bergwerke. Nur dieser eine Förderturm von Toto & Harry beim Bergbaumuseum.
Allerdings: Den Pott hätte ich mir auch anders vorgestellt. Industrieller halt. Keine Schornsteine. Kein Krupp. Keine Bergwerke. Nur dieser eine Förderturm von Toto & Harry beim Bergbaumuseum.
Dafür treffen wir Günter Pfitzmann persönlich. Beim dritten Bier und den besten Songs von Wolle Petry, die eine Live-Band am Rande des Derny-Rennens schmettert, freuen wir uns über jeden Prominenten, den wir treffen.
(Gott hab ihn selig)
(Gott hab ihn selig)
Á propos "selig" - das bin ich, nachdem ich auf der vierten Runde oben angekommen geschafft habe, was ich mir Kilometer vorher vorgenommen hatte. Denn ich weiß die ganze Zeit über, dass ich hier heute keine Spitzenzeit fahren werde. Nachdem ich auch die zweite große Gruppe habe ziehen lassen müssen und auch die dritte Gruppe beginnt, mich langsam nach hinten hin durchzureichen, schmiede ich einen Plan: Wenigstens am Berg möchte ich sie alle stehen lassen!
Und so beiße ich und kämpfe ich, verteidige im kurvigen Stadtkurs meine Position, kämpfe mich immer wieder nach vorn, um dann auf den Highspeed-Stücken (ich brauche echt ein größeres Blatt vorne!) wieder Positionen zu verlieren. Im Waldstück zur ersten Rampe bin ich an Position 4, wie immer, überholen mich Einige, nur um dann am zweiten Berg, am Berg, der zählt, von mir überholt zu werden.
Süßer Sieg!
Ich beiße mich nach oben, mobilisiere alle Kräfte, meine Waden krampfen, aber mir egal, der Jubel der Leute und das harte Schnaufen des Typen neben mir treiben mich voran: Oben angekommen habe ich dann tatsächlich (wenn auch hauchdünn) meine Gruppe hinter mir gelassen.
Ich biege um die Kurve, es geht bergab, ich gehe in Untenlenkerposition, aber beteilige mich nicht an der wie immer nach einer Biegung einsetzenden Beschleunigungsorgie. So ziehen die meisten Fahrer an mir vorbei, ich lasse rollen.
Wobei ich "nur so rollen" auch schon 46 km/h drauf habe - die Jungs da vorn aber, die haben die letzten 9 Kilometer und damit ihren ganz persönlichen Sieg vor Augen. Ich lasse sie ziehen.
Am Ende hänge ich mich an einen, der in Tria-Haltung an mir vorbei zieht. Von ihm lasse ich mich bis 200 Meter vor die Ziellinie ziehen, dann, ganz nach klassischer Puncheur-Art, gehe ich aus seinem Windschatten, sprinte (unter heftigen Wadenkrämpfen) los und kann mit drei Radlängen Vorsprung über die Ziellinie fahren.
Fertig und glücklich lasse ich ausrollen - hinten steht auch schon Jan.
Jan?!?
Etwas deprimiert: "Sorry, Lars, ich habe nur 3 Runden geschafft."
Mmh. Die Mannschaftswertung ist hin. Aber egal, was nicht geht, geht nicht, denke ich mir. Lieber so, als sich was Ernsthaftes antun.
"Wann warst Du hier?", frage ich ihn.
"Gerade rein, kurz vor Dir.", antwortet er. Ach, wirklich? Dann habe ich ihn also quasi überrundet? Bin in der selben Zeit wie er 25 Kilometer mehr gefahren? Faszinierend - dann sind meine Beine heute also doch nicht so schlecht?
Die vierte Runde beende ich 15 Sekunden schneller als die dritte. Insgesamt benötige ich für die 100 Kilometer 2:39 Stunden.
Auch Flow gesellt sich schnell zu uns. Er ist 4 Minuten vor mir reingekommen, an Platz 179, wie sich später heraus stellt. "Nicht übel!", gratuliere ich ihm, wohl wissend, dass dieser Kurs mit den vielen Rhythmuswechseln auch nicht gerade nach Flows Geschmack gewesen sein muss.
Nur: Wo ist Heiko?
Der gesellt sich einige Minuten nach uns zum Team. Fertig sieht er aus. Und noch deprimierter, als Jan.
"Scheiße - gestürzt!", ist alles, was er sagt. Obwohl seine Klamotten wie durch ein Wunder heil geblieben sind, zeugen die Hautabschürfungen, die er uns später im Hotel zeigt, von der schwere des Unfalls. Sein Garmin beweist es dann: Beim Tempo 36 hat es ihn zu Boden gerissen. Vor ihm habe ein Typ abrupt gebremst und drei andere - und eben auch Heiko - den Sturz beschert.
Der Idiot ist weiter gefahren. Hat nicht mal angehalten.
Heiko humpelt und ächzt. Das Rad hat leichte Beschädigungen. Schalten geht in bestimmte Gänge gar nicht mehr. Schultern, linker Arm und Hüfte schmerzen. Dass er unter diesen Umständen das Rennen noch zu Ende gefahren ist, rechnen wir ihm hoch an. Platz 344 von 512 - immerhin!
Und so posen wir für das Siegerfoto, das heute keines ist. Oder bilden wir uns das nur ein?
Kann es nicht auch sein, dass ich mit meinen 2:34 Stunden ganz zufrieden sein darf? Immerhin ist der Erstplatzierte mit 2:19 Stunden "nur" 15 Minuten schneller gewesen, als ich ... Und darf ich nicht auch mit einem Schnitt von 36,4 km/h bei 800 Höhenmetern zufrieden sein?
Immerhin war es mit nur 11 Grad auch sehr kühl - der Grund für meine Krämpfe.
Ich denke schon. Mich wurmt, dass für die Gesamtwertung nichts rausgesprungen ist, aber das ist zu verkraften. Ich darf zufrieden sein und je näher ich dem Ruhepuls komme, desto mehr macht sich auch ein gutes Gefühl breit: Diesen harten, sehr harten Kurs ohne Blessuren gemeistert zu haben und noch dazu meine ganz persönliche Bergwertung zu gewinnen, das ist doch was! Und mal ehrlich: 36 km/h Schnitt ist super - da habe ich schon ganz andere Ergebnisse eingefahren.
Hunger habe ich ...
Mein bester Kindergartenfreund Danny, der mich bis zum Abitur begleitet hat, kommt noch zur Ziellinie. Eine besondere Freude, denn Danny habe ich seit 5, 6, 7 Jahren nicht gesehen. Leider können wir nichts mehr zusammen unternehmen, da die Jungs nach Hause wollen und so muss ich mich wohl oder übel nach einem kleinen 20-Minuten-Schnack von ihm verabschieden.
Wir holen das nach!
Im Hotel angekommen springe ich gleich in den Pool. Wir duschen heiß. Wir speisen noch heißer und 4 Stunden später sitze ich bei meiner Süßen auf dem Sofa und kann ihr berichten von dem, was heute passiert ist: Nicht mehr und nicht weniger als das bisher härteste Rennen im GCC-Kalender.
Hier geht es zum Garmin-Track
Wir holen das nach!
Im Hotel angekommen springe ich gleich in den Pool. Wir duschen heiß. Wir speisen noch heißer und 4 Stunden später sitze ich bei meiner Süßen auf dem Sofa und kann ihr berichten von dem, was heute passiert ist: Nicht mehr und nicht weniger als das bisher härteste Rennen im GCC-Kalender.
Hier geht es zum Garmin-Track
Wieder mal ein schöner Bericht - genauso war's. Und so richtig zufrieden war ich auch erst nach Abstand und näherer Schlußbetrachtung. Inzwischen bin ich froh, dass ich die Teamwertung sichern konnte.
AntwortenLöschenFür mich war es das erste Rennen mit ein paar Höhenmetern und ich kam 4x an der steilen Rampe an meine Grenzen. Kaum über die Kuppe gekommen: "Geil!" :)
Gruß
Thorsten
hi thorsten, danke fürs kompliment!
AntwortenLöschenhoffentlich sieht man sich mal, sind ja noch einige rennen offen!
grüße,
L
Habe noch nach Euch Ausschau gehalten, bin aber im zweiten Block gestartet. Vielleicht klappt es ja bei den Cyclassics oder dem Münsterland Giro. Ansonsten habe ich noch einen Triathlon oder die Bremen-Challenge auf dem Plan. Im Teamdress sind wir ja nicht zu übersehen :)
AntwortenLöschenGute Fahrt!
Hallo mein lieber Lars,
AntwortenLöschenwar echt nett Dich mal wieder zu sehen, wenn auch zu kurz. Aber wie gesagt, dass holen wir nach.
LG nach HH
Danny
Wie jeder Deiner Berichte sehr packend und spannend zu lesen. Dein Stil hebt sich wirklich aus dem anderer Bike-Blogs heraus. Einziger Kritikpunkt: Holzcer war nie bei Milram... ;-)
AntwortenLöschenmoinsen, und danke für den hinweis. habs ausgebessert.
AntwortenLöschenliebe grüße,
L
Hey Lars,
AntwortenLöschenbin übers Tour-Forum auf deinen Blog gestoßen.
Da standen wir in Bochum am Start ganz eng zusammen! :)
Wäre es möglich das Bild in OE-Format zu bekommen?
Bin der mit dem gelb-rot-weißem Trikot, "Gala-Tech" auf den Schultern.
Gutes Ergebnis und interessanter Bericht!
Grüße aus der Eifel
Thorsten
moin thorsten,
AntwortenLöschenklar kannste das pic haben.
poste einfach deine email-addy.
grüße & danke fürs lesen,
L
Hey,
AntwortenLöschenhier meine Mail: thorsten.eifel(a)web(.)de
Danke schonmal und weiter Kette rechts!
VG
Thorsten
Hallo Thorsten,
AntwortenLöschenerst einmal ein grosses Kompliment.
Deine Berichte sind immer wieder sehr interessant und spannend geschrieben.
Besonders die Berichte eurer Frankreich Tour
spitze. Am ersten Tag (Cime de la Bonette)habe ich mit euch gelitten.
Fahre selbst Rennrad, komme aus Bochum und habe in den letzten drei Jahren dort auch immer teilgenommen.Diese Jahr wegen der Ankunft von Zwillingen war es leider nicht möglich
Auch wenn es nicht so aussieht, die zweite Steigung an der Surkenstrasse nach der kleinen erholenden Abfahrt ist in Wirklichkeit nur ca 500 m lang.
Viele Grüße
Holger
Hi Holger,
AntwortenLöschenDanke für Deinen netten Comment - vorweg: Ich heiße eigentlich Lars. :-) Thorsten hat hier nur auch einen Comment hinterlassen.
Danke für die Info über die Steigungen: Da kann man mal sehen, welches Schnippchen einem die Einbildung schlägt, wenn man nur ausgepowert genug ist.
Vieleicht sieht man sich mal im nächsten Jahr in Bochum?
Danke auch fürs Lesen des Tour de France-Blogs. Es sind noch 8 Etappen, die ich schreiben muss - genug zu tun :o)
LIebe Grüße an die Zwillinge ...
Lars
Sorry, natürlich Lars!!!
AntwortenLöschenHatte den Namen ja nun oft genug gelesen.
Das S5 in der Team Edition (Schwarz) finde ich übrigens auch brettgeil.
Leider ist auch der Preis ein echter Hammer.
3600 € nur für das Rahmen/Gabelset.
Fahre selbst im Moment ein Simplon Pavo
und habe 4500 € komplett mit Dura Ace
und Fulcrum Racing Zero bezahlt . Nur mal als Vergleich
Gruß Holger