Ziel der Begierde: Die Finisher-Plakette. Noch geiler: Eine mit dem ersten Platz.
Und doch: Jedes Jahr starten erstaunlich viele Deutsche beim längsten Radrennen der Welt. Denn neben den - für mich persönlich unfassbar und unerklärbar harten - Solo-Startern können auch Teams beim RAAM starten. Wie 2014. Ein norddeutsches Team. Ein Besonders noch dazu. Im Juni wird es wieder Hamburger zum Start nach Oceanside, California verschlagen. Ich konnte drei der vier zu einem Interview treffen.
Vier Frauen wollen durch Amerika - auf dem Rennrad.
Anika Schmidt, Genia Schäferhoff und Kati Schlieter treffe ich in einer Bar in St. Georg. Die Vierte im Bunde kommt aus Braunschweig. Sie formen das Team "German Frauleins" - das erste deutsche Vierer-Frauenteam in der Geschichte des RAAM.
"Wir sind ganz normale Frauen. Stehen mitten im Berufsleben. Sind irgendwie ein normaler Querschnitt.", sagt Kati, als sie das Team vorstellt. Eine OP-Krankenschwester, eine Ingenieurin und zwei Bänkerinnen. Voll berufstätig - der Radsport, wie für so viele von uns, eine Leidenschaft. Und doch: "Das Interessante an uns ist nicht unbedingt der Fakt, dass unser Team nur aus Frauen besteht", sagt Anika, "sondern eher, dass wir keine Profis sind, die das alle Jahre machen. Wir haben Renn-Erfahrung und betreiben diesen Sport schon lange. Das RAAM aber ist das Ultimo, das höchste Ziel. Und alles neben dem Beruf."
Drei der vier "German Frauleins": Kati, Genia und Anika.
3.000 Meilen - das sind 4.800 Kilometer - müssen die Vier in unter 9 Tagen meistern. Dazu gibt es 52.000 Höhenmeter, die erklettert werden wollen. Eine schwer vorstellbare Strecke.
Ein komplettes Land.
Ein ganzer Kontinent.
Warum das RAAM?
Ich frage die drei, warum es unbedingt die Teilnahme am härtesten und längsten Radsport-Event, das auch für Amateure offen ist, sein muss. "Ich liebe die Langstrecke", sagt Genia, die Bauingenieurin, "und ich freue mich besonders auf die unendlich langen Highway-Passagen. Für mich ist das RAAM das höchste dessen, was ich mir auf dem Rennrad vorstellen kann. Zudem: Mich reizt besonders, in einem reinen Frauenteam zu starten."
Auch Anika ist hoch motiviert: "Ich hatte mich ja eher selbst ins Team hineinkatapultiert. Als ich mitbekam, dass Kati wieder eine RAAM-Mannschaft zusammenstellt, wollte ich unbedingt dabei sein. Für mich hat das RAAM absoluten Expeditionscharakter, es ist ein großes Abenteuer. Als OP-Leiterin bin ich perfekte Teamarbeit gewöhnt: Mich reizt, dies nun auch in einem Radrennen erleben zu können."
Motiviert die Truppe: Das Trikot vom RAAM 2011.
Kati, die schon 2011 einmal in einem Mixed-4er-Team als einzige Frau gestartet war, formuliert es so: "Nachdem wir 2011 die 4er-Wertung sogar gewonnen hatten, stand für mich irgendwie von Anfang an fest, dass ich das noch einmal machen möchte - dann aber nur mit Teamkolleginnen. Meine Motivation? Ganz kurz? Das RAAM ist einfach geil!"
"Ich freue mich ganz besonders auf die Nachtfahrten. Und darauf, die Rockies zu durchqueren.", sagt Genia. Und diese Vorfreude kann ich nur allzu gut verstehen: Durch die Rockies wollte ich auch schon einmal unbedingt mit dem Rad.
Bei Anika ist es eher das Naturerlebnis, die verschiedenen Kulissen, die die USA bei einer Querung bieten, die sie am meisten reizt: "Und natürlich alles, was die logistische Herausforderung für alle von uns bei diesem Rennen angeht."
Bei Anika ist es eher das Naturerlebnis, die verschiedenen Kulissen, die die USA bei einer Querung bieten, die sie am meisten reizt: "Und natürlich alles, was die logistische Herausforderung für alle von uns bei diesem Rennen angeht."
Richtig: Da haben sie Einiges vor sich.
"Das Sportliche ist eigentlich gar nicht die Herausforderung."
Kati hat sich vorgenommen, bei ihrer zweiten Teilnahme etwas bewusster und intensiver zu fahren: "Es gibt Abschnitte des RAAM 2011, an die habe ich keinerlei Erinnerung mehr. Ich habe den Mississippi zum Beispiel total verschlafen. Die Wüste haben wir in der Nacht durchquert: Keine Erinnerung mehr. Das möchte ich in diesem Jahr nachholen."
Das Route-Book 2011: Hunderte Abbiegungen Punkt für Punkt abhaken ...
Die schieren Zahlen und Rahmendaten des RAAM sind Ehrfurcht gebietend, dennoch überrascht, dass die drei Damen, was die körperlichen Leistungen, die das Rennen von ihnen abverlangen wird, gelassen bleiben: "Die körperlichen Leistungen sind immens, klar. Aber sie sind machbar - immerhin fahren wir seit vielen Jahren Rennrad und nehmen an Radrennen teil.", erläutert Kati, "Das wirklich Krasse beim RAAM aber ist der Schlafmangel, der alle - Racer und Begleitcrew - enorm fordert. Dies, gepaart mit dem Anspruch, sich von Anfang an seine Kräfte schlau einzuteilen, sind die wirklichen Herausforderungen dieses Rennens."
Sie berichtet weiter, dass zudem die ganze Logistik und vor allem die Navigation zu den neuralgischen Punkten des Rennens gehören: "Kein Team, das sich noch nicht verfahren hätte." RAAM, das heißt vor allem, jederzeit hellwach zu bleiben - hunderte Abbiegungen müssen punktgenau getroffen werden. Egal, wie müde man sei.
Training für das RAAM: Nicht so megahart, wie man vermuten würde.
Wie trainiert man für das RAAM? Das Plus, das man leisten muss, um das gewohnt (hohe) Rennrad-Pensum auf RAAM-Training hochzuschrauben, ist dann doch erstaunlich gering. "Wir werden vom Personal Trainer Ralf Boie gecoached. Er hat neben einer kompletten Leistungsdiagnostik und der Ermittlung individueller Stärken und Schwächen einen maßgeschneiderten, tagesgenauen Trainingsplan erstellt, an den wir uns halten."
Was mich wundert: Die vier müssen besonders viele Kraft-Einheiten, Rumpf-Stabi, Spinning und immer wieder Kraft-Einheiten für Oberkörper, Nacken- und Rumpfmuskulatur absolvieren. Gar nicht so viel mehr auf dem Rad sitzen. "Radfahren gehört natürlich auch dazu", sagt Genia, "Aber diese Einheiten sind nicht so übermäßig lang oder hart, wie man vielleicht vermuten würde."
Genia & Anika: "Der Trainingsschwerpunkt liegt eher auf dr Kraft, nicht unbedingt auf dem Rad."
Kati meint, dass sie neben Spinning oder, wenn es das Wetter zulässt, auch Rennradeinheiten draußen, viel Zeit auf der Powerplate verbringt: Zwei mal in der Woche geht es ins Studio. Im Winter zurzeit sowieso, aber das wirkliche Kurbeln sei eher selten gesät. "Das Training ist für mich eine große Motivation - zu sehen, wie ich meinen Plan Tag für Tag abarbeite, dabei zu merken, wie sich Effekte einstellen und es am Ende alles funktioniert, ist eine sehr große Hilfe und steigert immer mehr meine Vorfreude auf das RAAM", meint Genia, die als Ausdauerspezialistin der drei Damen mit rund 10.000 Kilometer Jahresleistung allein auf dem Rennrad (plus Crosser und MTB) anscheinend die "dicksten" Beine hat.
Anika, die sich ebenfalls streng an den Trainingsplan hält, der allein 2 intensive Kraft-Einheiten pro Woche vorsieht, schätzt den Trainingsstand 4 Monate vor Start auch positiv ein: "Wir liegen alle sehr gut im Plan. Zwar können wir - da alle voll berufstätig - nicht oft zusammen trainieren, aber wir besprechen und sehen doch, dass vor allem im Kraft- oder Muskelbereich bei uns allen erstaunliche Fortschritte gemacht werden. Das gibt auch mentale Power." Dennoch war das Training eine Umstellung für Anika, die vorher nie abseits des Rennrades trainiert hatte.
Kati beim Race Across America 2011.
Wo Genia und Kati eher die Ausdauer-Freaks sind, Anika als Allrounderin der Gruppe gilt und Kerstin - die es leider nicht zum Interview geschafft hatte - eher als Bergziege.
Da stellt sich die Frage nach der Teamstrategie.
4er-Team beim RAAM - welche Taktik bei Turns und Wechselstrategie verfolgt Ihr?
Trotz der offenkundigen Stärken oder Vorlieben der Vier, haben sie keine besonderen Aufgaben für das Rennen verteilt: Dazu wäre die Strecke zu lang, als dass man nur den Bergspezialisten die Berge und nur den Ausdauer-Crack die Langstrecken fahren lassen könnte.
Die "German Frauleins" reisen als 11-köpfiges Team an. "Wir haben zwei Teamfahrzeuge - einen Caravan als "Basis" und das Pace-Car, bemannt von 7 Begleitern.", beginnt Kati zu erklären. "Im Wohnmobil haben wir stetig 3 Personen - den Fahrer, einen Physiotherapeuten und eine Frau, die den Laden schmeißt, für Ordnung sorgt, Essen und Trinken bereit hält." Das Wohnmobil dient dann als Basis und Ruheort für die Teams.
Die Pace-Car-Crew wird stetig - zusammen mit den Radrennfahrerinnen - ausgewechselt. "Wir fahren als 2 mal 2er Teams", erklärt Anika: "Zwei Radfahrerinnen haben immer die gleichen 2 Pace-Car-Fahrer. Gefahren wird im Eineinhalbstunden-Takt, innerhalb dessen wir Fahrerinnen uns abwechseln - nach rund 9 Stunden wechseln wir dann die Pace-Teams aus, haben dann also alle 9 Stunden lang frei, während das andere Team fährt."
Team-RAAM - das ist Wechselstress alle paar Stunden. Tag & Nacht.
Bei ihrer ersten Teilnahme 2011 sah das noch anders aus: "Damals hatten wir zwar auch 2 Racer-Teams, allerdings drei Teamwagen und eine 10 Mann starke Begleiter-Crew.", erzählt Kati. "Das war nicht nur finanziell sehr viel teurer, sondern auch logistisch ein Alptraum."
Zwischen Tag- und Nacht-Turns wollen sie ebenfalls keinen Unterschied machen - 4.800 Kilometer in Eineinhalbstundenhäppchen unterteilt. "Vor dem Radfahren habe ich Respekt, aber die wahre Herausforderung sind die Müdigkeit, das Zusammenleben und Funktionieren müssen auf so engem Raum über so lange Zeit und natürlich der Druck, unter dem wir alle stehen", sagt Genia.
Und doch: Es ist eben auch dieses Team, das sie auffangen wird, das sie beruhigt, meinen die Drei.
Nichts ist wie das RAAM - und jedes RAAM ist anders.
Man kann es leuchten sehen in Katis Augen, wenn die RAAM-Erfahrene in ihren Erinnerungen stöbert: Die Menschen, die abseits der Strecke stehen, applaudieren, lokale Radiosender, die spontan Interviews wollen, die Sheriffs, die aus dem Blaulichtstreifenwagen heraus fragen, was man denn dort Verrücktes treibe: "Die Leute beim RAAM sind freundlich, aufgeschlossen, hilfsbereit - eben so, wie man sich die USA immer als nettes, faszinierendes Land vorgestellt und gewünscht hat."
Das Erleben von beeindruckender Natur - Rocky Mountains, Monument Valley, Ohio-River, die Plains, die Highways - all das lässt eine Vorfreude in den drei Damen hochkochen, die einen direkt neidisch macht. Es ist eben mehr, als ein Radrennen - es ist die Expedition, die Anika angesprochen hat, das Abenteuer, auf das sich Genia am meisten freut.
Das Land der schnurgeraden Highways - hier das Monument Valley, RAAM 2011.
"Wir hatten 2011 die perfekten Bedingungen", sagt Kati: "Kaum Gegenwind, keinen Regen, keine übermäßige Hitze und kaum Kälte. Unsere Zielzeit von 6 Tagen und 4 Stunden war nicht nur der Sieg in unserer Kategorie, sondern eben auch großes Glück." Das Wetter spielt bei einem so langen Event eine maßgebliche Rolle. Das haben die Vier schon bei ihrer Generalprobe bei "Rad am Ring 2013" gemerkt: Die Regenschlacht in der Eifel hatte mich selbst zur Rennaufgabe gezwungen - einige Boxen weiter hatte sich Anika noch einige Stunden nach meiner eigenen Abreise durch die Wolkenbrüche gekämpft, bevor das Team sich auch auf eine Unterbrechung geeinigt hatte. So sehen Teamwork und das Übernehmen von Verantwortung füreinander aus.
"Wir haben uns kein konkretes Ziel, was irgendwelche Zeiten oder so angeht, gesetzt", sagt Kati deshalb bestimmt: "Wir wollen ankommen. Und das möglichst schnell, logisch. Aber in welcher Zeit, das ist erst einmal von so vielen Faktoren abhängig, dass man das kaum planen kann."
Anika nickt und zwinkert mir zu: "Naja. Da ist noch ein anderes, reines Damenteam als 4er gemeldet. Die wollen wir schon schlagen ..."
Herausforderung RAAM - Herausforderung Sponsorensuche.
Ich selbst kann ein Lied davon singen, weil ich weiß, dass Radrennsport ab einem bestimmten Niveau einfach Unsummen an Geld verschlingt. Unser Team SunClass Solarmodule kann sich seit vier Saisons glücklich schätzen, einen engagierten Sponsor zu haben. Wie sieht es denn bei den Frauleins aus?
"Die Finanzierung einer RAAM-Teilnahme und das Stemmen der Gesamtkosten von rund 40.000 Euro ist die zentrale Herausforderung, größte Hürde und für die meisten auch der Grund dafür, dass sie niemals am RAAM teilnehmen werden.", sagt Kati.
Das Ringen, um die Füllung der Sponsorenflächen.
Die German Frauleins finanzieren ihr RAAM-Abenteuer teilweise privat, teilweise mit der Hilfe von Unternehmen. "Jedes Teammitglied zahlt einen gewissen Betrag in die Teamkasse", erklärt Kati. "Wir haben dafür extra eine GbR gegründet, bei diesen Summen und den Unwägbarkeiten muss alles rechtlich sicher geregelt sein." So kommen privat 20.000 Euro zusammen. Die Radfahrerinnen zahlen etwas mehr, aber auch die Begleitcrew beteiligt sich am Budget.
Den Rest müssen Sponsoren stemmen.
"Wir freuen uns, dass wir mit dem WTM Ingenieurbüro, der LHI Fondsverwaltung, die uns schon 2011 unterstützt haben, der Audi BKK und Sachsponsoren wie dem Personal Trainer Ralf Boie, Magnic-Lights, Holmes Place oder Sigma schon einen wirklich tollen Sponsoren-Background haben, ohne deren Unterstützung unsere Teilnahme unmöglich wäre.", erklärt Anika.
Dennoch fehlen noch rund 10.000 Euro, um mit einem sicheren Budget in Amerika starten zu können. "Wir haben eine Aktion am Laufen, bei der wir jede der 55 offiziellen Timestations des RAAM für 200 Euro verkaufen - dort angekommen werden wir spezielle Fotos für die Sponsoren machen und ihnen zur Verfügung stellen." Ein Charity-Projekt für das Kinderkrankenhaus Altona ist zudem ebenfalls in Arbeit - so wird das Sponsoring des Teams gleichzeitig zu einer guten Tat für die kleinen Patienten des Krankenhauses.
"Wir sind vier voll berufstätige Frauen". Und die haben Radsport im Blut.
Wenn da draußen noch Sponsoren sind, die eine Bühne suchen - auf der Facebook-Seite der German Frauleins, oder auf der Website, kann man mit den Damen in Kontakt treten.
Bald ist es soweit: In 4 Monaten steigt das Race Across America.
Wie bereitet Ihr Euch in der heißen Phase vor dem RAAM vor? Ich frage die drei Frauen, weil mich interessiert, wie die letzten Monate und Wochen vor dem Rennen gestaltet sind.
"Die heiße Phase geht für uns jetzt im Februar los", sagt Genia. "Wir werden intensiver trainieren - dann auch verstärkt auf dem Rennrad - werden ein Trainingslager auf Mallorca besuchen, den Spreewald-Marathon und vielleicht die Mecklenburger Seenrunde als "Generalprobe" fahren und uns so intensiv in der Schlussphase des Trainings auf das Rennen vorbereiten."
Anika: "Männer tun sich gern mal eine Extraportion auf. Wir
sind da kontrollierter. Kaputtfahren? No Way!"
Anika, die es eher kälter mag, freut sich vor allem darauf, als Teil eines Teams verantwortungsvoll für das Team agieren zu können, sich aber auch "mal vom Team auffangen zu lassen." Kati und Genia, die sich eher nach den heißen Abschnitten des RAAM sehnen, fokussieren sich auf das Alleinfahren, die Einsamkeit, die Unmittelbarkeit der Natur und darauf, ihre eigenen, persönlichen Grenzen zu verschieben.
"Viele Teammitglieder werden nach dem RAAM noch eine Woche in den USA bleiben, Washington oder New York besuchen", sagt Kati. "Ich werde nach Ankunft noch ein paar Tage in Washington dranhängen und richtig ausspannen, bis ich dann wieder zu Hause in Hamburg die Zeit nehmen werde, das RAAM richtig zünftig Revue passieren zu lassen."
Und das dann - versprochen - auch bei einem Interview mit mir. Wenn unsere German Frauleins es dem amerikanischen Damenteam so richtig gezeigt haben.
Ich wünsche Euch Vieren alles Gute, eine vor allem sichere Teilnahme ohne Probleme am RAAM 2014 und eine glückliche, möglichst schnelle Ankunft in Annapolis!
Danke für das Interview.
Danke für das Interview.