Es ist das erste große Langstrecken-Training, wir nennen es "Mini-RAAM", gewesen. Es war aufregend, spannend, sehr spaßig und doch schwer, wie erwartet, bei allen Schwierigkeiten und Hürden, die wir nicht überspringen konnten, doch ein Erfolg. Und das möchte ich Euch hier heute etwas ausführlicher berichten. Den offiziellen Bericht dieses Tages könnt Ihr übrigens auf unserer
SunClass-Radsport Website nachlesen, einfach diesem Link folgen.
Freitag, 21:00 Uhr - Nur ein Rennrad steht am Start.
Alles beginnt mit einem Anruf von Heiko zwei Tage bevor es los geht: Verschnupft, rau und leise kratzt eine dunkle Stimme im Telefon: "Lars, ich melde mich krank ... grippaler Infekt. Und das Wochenende kannste auch vergessen ... tut mir leid!" Oh man, denke ich. Das fängt ja gut an ...
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Sichtlich geknickt steige ich am Freitag um 21:00 Uhr zu Kerstin und Sonja in den Van: Ohne Heiko also. Das ist genau das, was ich gerade nicht will. Alles guckt nun wieder nur auf mich! Ich fühle mich unwohl.
Wir ziehen es durch - Sonja und ich am Van.
Aber es hilft natürlich nichts. Vergeblich hatten wir nach Lösungen gesucht, das Event vielleicht doch noch verschoben zu bekommen. Kerstin und Sonja spielen für St. Pauli Handball - nächstes Wochenende ist wieder ein Liga-Spiel. Verschieben geht also nicht.
Und so fahren wir durch die dunkle Stadt nach Harburg in den Süden, stellen uns bei Metro auf den leeren Parkplatz und machen uns bereit: 0 Uhr sollte das Training losgehen, ich werde 23:15 Uhr etwas früher auf die Strecke gehen.
Wie genau laufen unsere Trainings ab?
Ich hatte es beim meinem
letzten Blog-Post schon kurz erläutert. Einige Leser baten mich, unseren Trainingsansatz mit den Langstrecken-Events noch einmal genauer zu erläutern, was ich hiermit gern tue. Generell ist es unser Ansatz,
dass wir Fahrer nur gemeinsam mit unserer Crew zu einem gut funktionierenden Team zusammenwachsen können. Eben weil das RAAM so speziell und so anders ist, als alles bisherig geleistete.
Es sind (noch) 7 Grad Celsius. Tiefstwert diese Nacht: 1 Grad.
Und genau deshalb haben wir 10 Events definiert, bei denen wir auf bis zu 3.200 Non-Stop-Kilometern das Fahren im "RAAM-Modus" trainieren werden.
Was ist dieser "RAAM-Modus"?
Es ist im Grunde genommen nichts anderes als die Simulation des Race Across America. Heiko und ich wechseln uns genau nach den selben Schemata ab, an die wir uns später in den USA halten wollen. Da wir darin natürlich auch gänzlich unerfahren sind,
testen wir verschiedene Wechselmuster aus. So auch bei diesem ersten Training.
Vor jedem Training erarbeiten wir in einem
Briefing die Aufgaben, oder Thesen, die wir testen wollen. Bestätigen wir eine These, wird die gemachte Erfahrung fest in unsere spätere Renn-Strategie integriert. Wird eine These widerlegt, suchen wir nach einer neuen für das nächste Training.
Erst einmal an die Dunkelheit gewöhnen: Noch mit Straßenbeleuchtung in Harburg.
In diesem ersten Event gab es drei Aufgaben/Thesen, die wir uns vorgenommen hatten - neben der generellen Aufgabe auszutesten, ob und wie wir mit Crew, Racern und all dem Gepäck im Van zurecht kommen.
Als
Aufgabe 1 galt es zu ermitteln, ob es möglich/sinnvoll ist, in
90-min-Turns zu fahren. Generell gehen wir nämlich davon aus, (das wäre dann die erste These) dass es sinnvoller ist, sich tagsüber in kurzen Abständen abzuwechseln, um dann nachts (
Aufgabe 2) einen
sehr langen Turn zu fahren, der vom jeweilig im Off befindlichen Racer zur Regeneration genutzt werden sollte.
Und so gibt der Wechselplan beginnend ab Start 2 x 6 kurze 90-min-Turns vor, deren Ende um 19 Uhr erreicht sein würde.
Lichtspiele am riesigen Rangierbahnhof Maschen - Hamburg: Tschüs!
Dann würde der erste Racer - in diesem Fall ich selbst - einen 5-h-Turn fahren, während Heiko sich lange und ausgiebig erholen könnte. Danach hatten wir jeweils 2 x 90-min-Turns geplant, bevor dann wiederum Heiko von 6 bis 11 Uhr seinen Fünfer gefahren wäre.
Nach letztlich weiteren 2 x 3 90-min-Turns hätten wir jeweils 11 kurze und einen langen Turn gefahren, wären dabei jeder etwas mehr als 500 km gefahren und würden gegen 14 Uhr nach rund 1.050 Kilometern in Geesthacht, östlich von Hamburg, unser erstes Training beendet haben.
Das war der Plan für unser erstes Training.
Unsere beiden Fahrerinnen - das wäre
Aufgabe 3 - hatten zu testen,
ob 6-h-Turns am Steuer für diese Distanz ausreichend sind, hatten die Onboard-Navigation (Tablet-App, die den Garmin-Track mit abfahren kann) zu testen und erste Protokolle (dazu später mehr) mitzuführen.
Soweit der Plan.
Erste Kilometer in der Dunkelheit.
Ich gehe auf meinen ersten Turn und bin erst einmal eine Weile damit beschäftigt, mich auf dem Rennrad wieder zu finden. Eine lange Wintersaison außerhalb des Rennrad-Sattels und zudem eine noch nicht ganz ausgestandene Erkältung lassen Muskeln und Knochen nur langsam in Schwung kommen. Die Feuchtigkeit der Luft und mit ihr die Kälte kriechen mir langsam durch die Nähte der Klamotten auf die zitternde Haut.
Dunkel, kalt. Ich muss mich erst an den Spaß gewöhnen.
Direkt hinter mir - wann immer wir allein auf den kleinen Land- und Nebenstraßen sind, im Licht der Fernlicht-Scheinwerfer - das Tuckern des Vans mit meinen beiden Crew-Damen. Ich fahre mit einem Funkgerät im Ohr: Kerstin und Sonja habe ich gebeten, mir
alle 30 Minuten eine Durchsage zu machen und mich sonst vor falschen Abbiegungen und ähnlichem zu schützen.
"30 Minuten sind rum", kommt auch prompt die erste Meldung. Ich erschrecke: Was? So schnell?!
Wow, die Zeit fliegt, merke ich. Und merke auch, dass ich mich plötzlich wieder an das Fahren gewöhnt habe. Vor mir leuchtet meine IxionIQ von Bumm die unmittelbar vor dem Rennrad liegenden Meter aus, daneben, durch die Autoscheinwerfer fast taghell, die bisweilen gespenstisch illuminierten Straßentunnels, die sich aus den Alleebäumen ergeben.
"60 Minuten sind rum." Potzblitz! Das geht ja ab hier ... gefühlt nur wenige Augenblicke später das erlösende: "90 Minuten sind rum, Lars!".
Immer direkt hinter mir: Der Van.
Als ich meinen zweiten Turn fahre, ist es draußen stockdunkel. Sobald wir auf größeren Straßen fahren, wechseln die beiden Mädels im Van immer zwischen Fern- und Abblendlicht. Was ich interessant finde: Vom Abblendlicht habe ich sogar mehr, da mich ja eher interessiert, was 100 Meter vor mir passiert und nicht, was sich in 2 km Abstand so tummelt.
Wunderschöne Einblicke: Ich sehe massig Fledermäuse flattern und wild ihren Kurs ändern. Schnakend kommen mit in nur 5 Metern Höhe mitten über der Straße und noch unter der Baumgrenze fliegend vier Gänse entgegen. Unmittelbar vor uns überquert eine Horde Rehe so nahe die Straße, dass, wenn ich meine Hände ausgestreckt hätte, ich sie noch hätte streicheln können. Hasen grüßen, ein Fuchs blitzt in der Peripherie auf, weiter weg kreischt ein Greifvogel.
Es macht richtig Spaß, nachts zu fahren.
Sicher ist es noch dazu: Sobald Autoscheinwerfer uns entgegen kommen oder uns überholen wollen, schaltet der Van die Warnblinker an: Sofort bremsen die Autos ab, sogar Entgegenkommer fahren sehr behutsam und langsam an uns vorbei. Die ganze Zeit über kann ich mich so - sogar auf dicht befahrenen Bundesstraßen (die wir allerdings versuchen zu meiden) sehr sicher fühlen.
90 Minuten On - 90 Minuten Off. Erfahrungen.
Ich beende um 7 Uhr morgens einen weiteren 90er-Turn. Froh darüber, endlich wieder im warmen Bus zu sein, lade ich das Rennrad in den Van und lasse mich hinten auf die Sitzbank plumpsen. Ich habe bis jetzt viereinhalb Stunden im Sattel meines Cervélo gesessen.
Sieht einsamer aus, als es tatsächlich ist.
Was mich im Rückblick überrascht ist die Tatsache,
wie schnell ein solcher Turn immer vorüber geht. Ich habe das Gefühl, dass - kaum sitze ich einigermaßen eingewöhnt auf dem Rennrad - schon die erste halbe Stunde vorbei ist. Die nächste halbe Stunde fliegt auch nur so, die letzten dreißig Minuten sind dann nur noch ein Klacks.
Insofern kann ich begeistert den beiden Damen im Bus attestieren, dass
unsere erste These, dass nämlich die 90-min-Turns die perfekten Zeiträume für optimales Rennradfahren sind,
als bestätigt gelten kann. Es ist genau die Zeitspanne, die es mir ermöglich, mit wenig Ermüdung das Rennrad zu bewegen. Wenn ich absteige und in den Van steige, fühle ich mich eher erfrischt, denn abgeschmackt. Das macht Mut.
Zurück im Team-Bus: "Sleep fast!"
Allerdings hat die ganze Sache einen Haken: Genauso schnell, wie die 90 Minuten für den Racer vorbei gehen,
fliegen sie natürlich auch für denjenigen vorbei, der gerade Pause hat. Zwar gewöhne ich mir immer das selbe Ritual an, wenn ich in den Bus springe, um meine Wurschtelzeiten zu mini- und die Regenerationszeiten zu maximieren, bin aber trotzdem immer wieder aufs Neue "geschockt", wenn vorn der Wecker läutet und mir signalisiert: "In 15 Minuten musst Du draußen lostreten!"
Ich denke dennoch, dass wir die kurzen 90-min-Turns später beim RAAM sehr gut werden einsetzen können, um möglichst ressourcenschonend voran zu kommen. Allerdings lerne ich auch, das eine sehr hohe Disziplin - auch von der Crew - notwendig sein wid, um keine wertvollen Minuten zu verlieren, wenn es um die Regeneration geht.
Warnblink und - beim nächsten Training - ein Schild warnt den übrigen Verkehr.
Es fängt gegen 5 Uhr langsam an zu dämmern. Ich bin auf meinem dritten Turn und mittlerweile spüre ich einen - nicht sehr starken aber durchaus nervigen - steten Gegenwind. Da ich allerdings mit nur 25, 26 km/h fahre ist es aber alles erträglich.
Seit meinem ersten Turn allerdings kehrt der Schnupfen, den ich halbwegs auskuriert glaubte, wieder verstärkt zurück. Die Nase setzt ständig zu, ich bin die ganze Zeit am Ausschnauben. Das gibt dann dermaßen große Nebel-Rotz-Fontainen, verstärkt im Scheinwerferlicht des Van, dass irgendwann Kerstin über Funk meint: "Da muss ich ja bald mal die Scheibenwischer anmachen!"
Noch lächle ich darüber.
Der Tag bricht an: Rennradfahren in den Sonnenaufgang. Unbezahlbar.
Und so nähere ich mich um 7 Uhr meiner dritten Auswechslung und freue mich über die bisherigen Erfahrungen: Die 90-min-Turns waren genau die richtige Wahl!
Race Across America - ist eine Speed von 25 km/h zu halten?
Vorweg die Antwort: Jaein. Natürlich kommt es auf das Gelände an. Zunächst unsere These/Aufgabe: Im Briefing für dieses Training formuliere ich es so - "Testen, ob ein Netto-Schnitt von 25 km/h möglich ist." Netto (also die tatsächliche Zeit in Bewegung) deshalb, weil wir erst in einem der nächsten Steps eine Optimierung des Brutto-Schnitts sehen.
Also ist für mich die Aufgabe klar: Sitze ich auf meinem Cervélo, versuche ich möglichst die 25/26 auf dem Tacho zu halten.
25er Schnitt halten - einfacher gesagt, als getan.
Das ist natürlich nur dann einfach, wenn es möglichst gleichförmig, ohne Kurven oder Haltepunkte geradeaus geht. Da unsere Strecke zum allergrößten Teil auf Landstraßen, teilweise auf fiesen Forstwegen (Split und Kopfstein) und damit auch oft und viel um 90-Grad-Kurven geht, habe ich natürlich viel Brems- und Beschleunigungsarbeit zu verrichten. Mit Geradeausstücken bin ich nur selten gesegnet, kann kaum einmal mehr als 10 Minuten gleichförmig treten. Für das nächste Training sehe ich hier Optimierungsbedarf: Wir können ruhig mehr B-Straßen fahren, um eine gleichförmigere Tretfrequenz zu generieren.
Interessant finde ich, dass ich es mental eher anstrengend finde, stetig "zu langsam" treten zu müssen. Das ist ein Effekt, den man nicht unterschätzen sollte. Von meinen Rennen bin ich es natürlich gewohnt, die harten Antritte des Pelotons mitgehen zu müssen/wollen und auch, möglichst schnell unterwegs zu sein. Sich jetzt willentlich zu bremsen, ist eine Sache, die ich erst lernen muss.
Doch warum 25 km/h?
Jedes Training braucht ein Ziel. Unseres: Der 25er Schnitt.
Sich einfach nur aufs Rennrad zu setzen und ziel- und sinnlos durch die Gegend zu kurbeln, ohne zu wissen, warum und wofür, ist kein Training. Das ist Schwachsinn. Deshalb haben wir uns mit dem RAAM sehr genau beschäftigt. Unter anderem können wir so
aus den Finisher-Zeiten der letzten Jahre die Durchschnitts-Speed errechnen.
Und die liegt für den ersten Platz bei 26,8 km/h, für den dritten Platz bei 24,5 km/h und - jahres-unabhängig natürlich - für ein Finish innerhalb der vorgegebenen 9 Tage Maximaldauer bei 22,2 km/h. Das sind für uns natürlich dann genau die Vorgaben, um unser Training auszurichten, immer wieder neu zu bewerten und an den passenden Schräubchen zu drehen.
Flach und halbwegs gleichförmig: 25 km/h sind so kein Ding.
Bei der Ermittlung unserer Werte hilft uns neben dem Garmin Edge auch
ein eigene Protokoll-System, das wir entwickelt haben, um nicht nur die nominellen Werte wie Distanz, Höhenmeter und Speed zu erfassen,
sondern auch subjektive Werte zu erfassen: Wie
fit fühle ich mich von Turn zu Turn? Wie
müde fühle ich mich und wie ist es um meine
Motivation bestellt?
Ich werde am Ende dieses Trainings zwar nur 5 Turns gefahren sein, so viel sei verraten, aber dennoch ganz interessante Daten gesammelt haben.
So kann ich bei den ersten beiden Turns mit 26,3 und 24,9 km/h noch das angepeilte Ziel vom 25er-Schnitt erreichen. Logisch: Sobald es in den Harz geht (und die Strecke hat abseits der großen B-Straßen natürlich die eine oder andere wirklich happig steile oder elend lange Rampe in petto), sinkt der Schnitt. Richtig geil wird es dann auf den 13% steilen Schotterwegen und Forststraßen ...
Höhenprofil und Daten meiner 5 Turns.
Kann ich bei den ersten Ausläufern und Wellen des Mittelgebirges noch mit 23,9 bzw. 23,6 km/h wenigstens halbwegs die Speed über der 20 halten, ist dies bei den krassen Bergen im Hochharz nicht mehr möglich: Der fünfte und letzte Turn mit schlägt 19,2 km/h leidlich langsam zu Buche.
Was sagt uns das? Zunächst einmal wenig: Heikos Zahlen fehlen und auch meine Werte sind - erkältungsbedingt, frühe Saison, niedriger Trainingsstand - eher nur ein "Ausblick", denn handfest. Nichts desto Trotz bin ich mit dem Gesamtschnitt von 23,6 km/h sehr zufrieden: Eine gute Basis, um darauf aufzubauen und mithin angenehm innerhalb der 22er-Grenze.
Im Team-Van: Erste Lehren und Erfahrungen.
Der Van - und später auch der Caravan - wird beim Race Across America
unser Zuhause sein. Wenn es hart auf hart kommt, für sogar 9 Tage. Umso wichtiger ist es für uns, während der Trainings heraus zu finden, was die beste Art und Weise ist, sich im und mit dem Bus zu arrangieren.
Nach erledigtem Turn wartet das kuschelige Auto: Ein Traum.
Hierzu können wir auf im Vorfeld unsere Erfahrungen zurück greifen, die wir bei zwei Teilnahmen am
24-Stunden-Rennen "Rad am Ring" gemacht haben: Dort waren wir auch in einem Caravan unterwegs. Und deshalb konnte ich rückblickend unsere Crew schon ein mal vorwarnen, denn nach nur 24 Stunden Einsatz an der Nordschleife sah es im Caravan aus, als sei gerade die Armee durchgekommen ...
Ordnung, Sauberkeit - wissen, an welchen Platz welches Teil kommt und die Disziplin, Dinge auch immer wieder dahin zurück zu räumen, woher man sie genommen hatte, das wird die unbedingte Voraussetzung sein, wenn wir mit 11 Mann in den Staaten über maximal 9 Tage auf kleinstem Raum zusammen leben wollen. Ohne uns die Köpfe einzuschlagen, uns zu Tode zu suchen nach "der einen Socke, die mir noch fehlt" und ohne in Dreckwäsche und Müll zu ersticken.
Allerdings habe ich am Wochenende ganz andere "Probleme".
Sehr eng, unbequem. Hier müssen wir optimieren!
Knolle, Kerstins Hund, will patrout nicht seinen Lieblingsplatz - zumal mit so guter Aussicht auf allerlei Wildgetier abseits der Strecke - mit mir teilen. Aber auch wenn ich es schaffe, den dann störrischen Hund auf sein Liegekissen unten zu verschieben, habe ich kaum Platz: So genial es auch ist, mit Kerstins Camper-VW zu reisen (vor allem für unsere Teamkasse), so eng ist es auch.
Die Pantry nimmt Breite weg. Und so kann ich mich nur zusammengekrümmt wie ein Embryo halbwegs hinlegen. Entspannen, langmachen - Fehlanzeige. Das ist natürlich fatal, denn durch die unnatürlich verzerrten Haltungen verkrümme ich noch mehr. So ist Entspannung nicht möglich und mit der Zeit werden die unvermeidlichen Nackenschmerzen, die beim Rennradfahren immer eintreten, nur noch schlimmer.
Da Heiko nicht mitkommt, haben wir auch auf die Montage eines Fahrradhalters außen am Van verzichtet. Ein weiterer Fehler, denn so muss ich das Cervélo innen im Bus transportieren, was wiederum nicht nur Platz wegnimmt, sondern auch verhindert, dass wir meine Bank umklappen und zu einer großen Liegewiese umfunktionieren können.
All das wird und muss sich beim nächsten Training ändern.
Erholt in den nächsten Turn: So ist der Plan.
Wenn ich einen Turn beende kann ich dennoch ein
schnelles, immer gleiches Programm abspulen: Reinkommen, Rad weg, Garmin, Funke und Licht zum Laden geben, Klamotten bis auf Unterhemd und Hose ausziehen - Hosenträger der Bibs runter - dicke Wollsocken und Sweater an.
Und dann schnell in den Schlafsack geschlüpft.
Schnell eine Stulle und eine Banane gegessen.
Das alles geht in weniger als 15 Minuten.
Dann lege ich mich (irgendwie) hin und schließe die Augen: Ich will nun
möglichst 60 Minuten Ruhe bekommen. Sicher, an Schlaf ist nicht zu denken. Das Auto wackelt, Musik ist an, vorn unterhalten sie sich, verfahren sich, stellen Fragen, diskutieren.
Es ist so unbequem, dass ich nicht entspannen kann - aber wenigstens komme ich runter.
Dann klingelt der Wecker: 15 Minuten Zeit, mich anzuziehen, das Rennrad klar zu machen, neues Getränk mixen und auf die Strecke.
Ich denke rückblickend, dass die
90 Minuten Off wohl ausreichend sein werden, um sich vom Turn zu erholen. Wenn wir es schaffen, unser Wechselprogramm - auch zusammen mit der Crew - so zu perfektionieren, wie ich oben beschrieben habe, können wir die Essens- und An/Umkleidezeiten weiter reduzieren.
Schaffen wir es dann noch, die wirkliche Ruhezeit (unterstützt durch eine echte, gestrecke Liegemöglichkeit, Schlafbrille und Ohropax) auf 60 Minuten zu halten, bin ich sehr guter Dinge.
Verpflegung beim RAAM - Essen und Trinken bei hoher Ausdauerbelastung.
Es ist natürlich eine Wissenschaft für sich. Nicht nur, dass wir beim RAAM sicherstellen müssen, dass wir aus kalorischer Sicht den Energiebedarf des Körpers decken, uns mit wichtigen Mineral- und Vitalstoffen versorgen und dabei nicht übermäßig den Verdauungsapparat belasten, wir wollen zudem auch noch, dass es schmeckt.
9 Tage das selbe Essen?
9 Tage Gel-Tütchen und pappsüßes Iso-Zeugs?
Muss nicht sein.
Ich starte dennoch in das erste Training mit einem sehr einfachen Speiseplan. Stullen & Bananen.
In Ruhe Essen & Entspannen. Auch beim RAAM?
Mein
täglicher Energiebedarf (auch "Grundumsatz" genannt) liegt bei 1.600 bis 1.800 kCal - je nachdem, welcher Berechnungsmethodik man Glauben schenken möchte. Für eine Stunde Rennradfahren im GA-Bereich (denn das ist der Bereich, in dem ich mein Rennrad auf 25 km/h bewege) verbrauche ich (ink. Grundumsatz) rund 2.800 KCal. (Auch hier: Je nachdem, welcher Berechnungsmethodik man Glauben schenken möchte).
Und hierauf muss meine Ernährung abgestimmt sein, denn primär muss ich durch sie die verbrauchte Energie ja wieder auffüllen. Meine Vollkornstullen enthalten pro Brothälfte inkl. Belag 250 KCal. Ich müsste also nach jedem Turn 4 Stullenhälften, und eine Banane essen, wollte ich auf meine Kalorienanzahl kommen. Natürlich ist diese Berechnungsmethode extrem ungenau - schon allein, weil die Ausgangswerte nicht stimmen und der Kalorienverbrauch sowie Leistungseinsatz je nach Streckenbeschaffenheit variieren. Aber grob sollte es hinkommen. Woran ich das merke?
Mir hat nicht ein einziges mal der Magen geknurrt und ich hatte die ganze Zeit über keinerlei Ernährungsmangel gefühlt.
Veränderte Strecke = Veränderter Anspruch auch an die Nahrungsaufnahme.
Sicher ist mein "Ernährungskonzept" mit den Stullen alles andere als praxistauglich. Schon gar nicht über 9 Tage. In den nächsten Events - etwa ab dem dritten oder vierten, wenn wir eingespielt sind, was die Wechselstrategie angeht - werden wir uns dann verstärkt der Ernährung widdem. Genaue Kalorien-Pläne werden in einen abwechslungsreichen und schmackhaften Speisenplan umgewandelt. Dass wir uns hierfür professionellen Rat holen, ist selbstverständlich.
Bereits zum nächsten Event aber wird es einen etwas schmackhafteren variableren Plan geben, ergänzt um eine warme Komponente (wichtig nachts!), um Kaffee (ohne Worte) und natürlich einen "Schmackofatz", einen Motivator nach oder vor den Turns.
Unsere Crew beim RAAM - erste Eindrücke und Erfahrungen.
"Ich hätte nicht gedacht, dass es so hart sein würde!", meint Kerstin kurz nachdem wir wieder zurück in Hamburg sind. Auch Sonja stimmt zu, meint jedoch auch: "Es macht viel emhr Spaß, als gedacht. Es ist so viel zu tun, so viel zu bedenken. Ich habe jetzt noch viel mehr Bock auf die USA!" Mission erfüllt - zumindest von diesem Standpunkt aus.
Großes Danke an Kerstin & Sonja: Tolle erste Crew!
Die beiden haben am eigenen Leib erfahren, was es heißt, ein Auto extrem langsam zu lenken, die volle Verantwortung für die Navigation zu übernehmen, immer ein wachsames Auge auf den Zeitplan zu haben, Mädchen für alles zu sein und ganz nebenbei auch noch auf sich selbst zu achten. Es hat geschlaucht, klar, aber die Beiden bestätigen mit ihren Aussagen all die Ideen die wir hatten, um auf das System des gemeinsamen Trainings zu kommen.
Beide haben die ganze Zeit über eine dermßen gute Laune, dass bei mir schnell all der Groll darüber verfliegt, dass ich allein bin. Via Funk schnacken sie sogar öfter mit mir, feuern mich an, machen ab und zu Witze und wissen aber auch, wann es Zeit ist, ernst zu werden.
Nach 13 Stunden im Harz. Langsam müde. Alle.
Es ist der Harz nach 13 Stunden Fahrt, der uns allen vor Augen führt, was das RAAM wirklich bedeuten wird: Schlafmangel und manchmal Starre ob der Dinge, die da vor uns liegen. "Schaut Euch die Scheiße an", sage ich ein mal über Funk und deute auf die massiven Berge, die da drohen: "Da müssen wir gleich durch!".
Kerstin und Sonja gönnen sich keinen Schlaf. Zwar sehe ich beide abwechselnd auf den Beifahrersitzen unter einer Decke verschwinden, aber schlafen werden beide ebenso wie ich keine einzige Minute. Kerstin arbeitet ebenso wie ich in einer Agentur. Sonja ist Krankenschwester - wir starten in dieses Training direkt von einer 5-tägigen Arbeitswoche. Also entsprechend müde.
Das ist gewollt, simuliert es doch eine gewisse "Anfangsschwäche".
Hat auch seinen Spaß gehabt: Team-Hund Knolle.
Nach jedem Training gibt es ein
De-Briefing, das wir zusammen ausarbeiten. Hier wird beurteilt, ob und wie die im Briefing formulierten Aufgaben erfüllt worden sind, welche und warum es nicht wurden und was beim nächsten Training anders werden soll.
Diese De-Briefings
werden dann dem gesamten Team zur Verfügung gestellt, sodass auch diejenigen Teammitglieder, die nicht mitkommen konnten, immer auf dem neues Stand sind. So lernen wir alle voneinander.
Von Kerstin und Sonja erhalte ich wertvolle Hinweise, die wir bereits beim nächsten Training berücksichtigen werden: So werden wir unsere On-Board-Navigation überarbeiten. Heiko hatte uns dazu eine App auf ein Tablet gespielt, die den GPSies-Track ebenso wie das Garmin beim Racer abfahren kann. Mit mäßigem Erfolg. Ernährung, Pausenmanagement, Bus-Aufteilung, Ernährung und Sicherheitsaspekte werden wir verbessern.
"Auf jeden Fall muss der Beifahrer auch jede Minute zum Schlafen nutzen!", sagt Kerstin, die, als wir in Hamburg ankommen, todmüde umfällt. Was wäre nur passiert, wenn ich weitergefahren wäre?
Es geht zu Ende.
Es ist gegen 13:45 Uhr, ich kämpfe mich den Sonnenberg hinauf, nachdem ich die erste Hälfte auf einem steilen Schotterweg abseits der B-Straße nehmen musste, freue ich mich jetzt über Asphalt.
Ich weiß es schon: Nach diesem Turn ist Schluss.
Es ist sehr heiß geworden. Meine kalten Füße sind zu Schweißfüßen geworden, die laufende, kalte Nase kitzelt stetig, sie brennt - seit 14 Stunden schneuze ich sie ohne Unterlass. Jetzt erst bemerke ich den metallischen Geschmack im Mund. Und schaue auf meine weiße Hose, an der ich mir den Rotz immer abwische: Blut. Ich schnaube mir seit heute Morgen blut aus der Nase.
Hinzu kommt seit ein, zwei Stunden ein drückender Kopfschmerz und jetzt, mitten im Anstieg, fängt die Lunge an zu schmerzen. Ich versuche noch einige Kilometer lang, durch verlangsamtes Tempo, weniger Kraft auf dem Pedal und der Aufnahme von viel Flüssigkeit die Effekte unter Kontrolle zu bringen - vergebens.
Irgendwann entscheide ich mich dann für meine Gesundheit: Auch wenn es heute "nur" ein Training ist - eine Lungenentzündung riskiere ich hier auf keinen Fall!
Immer gut gelaunt: So muss das sein!
Oben auf dem Berg warten sie, feuern mich an. Kerstin ruft "Respekt!" und treibt mich an. Na, die Abfahrt, die gönne ich mir noch!, denke ich mir: Immerhin habe ich hart dafür gearbeitet. Wie besoffen stürze ich mich ins Downhill, fliege von Kurve zu Kurve, genieße es richtig, wieder im Untenlenker jenseits der 50 km/h zu fahren, Ideallinie, Wegducken unter dem Wind - der VW kommt nicht hinterher.
Den Spaß gönne ich mir noch - vielleicht kann ich so noch ein paar km/h vom lausigen Bergaufschnitt ausmerzen. Aber dann ist auch Schluss. Aus. Ich überlege noch, ob ich nicht wenigstens die nun anstehende 90-min-Pause abwarten soll. Aber was soll da schon passieren? Eine Wunderheilung von einer eineinhalbwöchigen Erkältung? Unwahrscheinlich.
Wir kehren um. Es ist 14:15 Uhr. Ich habe 36% der Strecke geschafft. Immerhin.
Learnings und Aufgaben für das nächste RAAM-Training.
Niedergeschlagen, aber nicht
geschlagen bin ich. Erste Gedanken zischen mir durch den Kopf: Was lief gut? Was können wir besser machen? Ich fasse zusammen: Ich konnte ab 23:15 Uhr Freitag 5 Turns á 90 Minuten fahren. Bei einem Gesamtschnitt von 23,6 km/h, davon in den Flachstücken um die 25 km/h sehe ich das als Erfolg an. Aber wie gesagt: 5 von 12 Turns.
Immerhin: Wir sind fast zum südlichen Wendepunkt gekommen.
Was
nicht gegangen wäre,
das sind die langen 5h-Turns. Ich rede viel im Bus mit den Damen darüber, hatte mir auch während der Nacht schon Gedanken gemacht. Dieser Turn wäre viel zu lang gewesen. Fünf Stunden - das ist sonst eine große Cyclassics-Runde, ein Dreiländergiro, eben, ein
komplettes Rennen. Undenkbar, nach 4 kurzen Turns diese Zeitspanne noch abdecken zu wollen. Noch undenkbarer, dies mit einem 25er-Schnitt tun zu wollen.
Später werden wir uns überlegen, wie wir doch noch etwas längere Turns einbauen können, um dem anderen Teammitglied
pro Renntag wenigstens eine möglichst lange Erholungspause gönnen zu können. Momentan spielen wir mit dem Gedanken, nachts abwechselns 3 Stunden und dann noch einmal 2 Stunden zu fahren. Also den Tag mit 12 Stunden als 90-min-Turns und 10 Stunden als 3+2h-Turns zu absolvieren. Dies herauszuarbeiten wird die ganz
große Aufgabe für das zweite Training sein.
15 Stunden individuelle Wertung: Sieht alles gut aus.
Zuhause beschaue ich mir die Protokolle und übertrage die Daten in ein Koordinatensystem. Jedes mal, wenn ich von einem Turn in den Bus gekommen bin, hat die Crew neben Kilometern, Zeit und Speed noch subjektive Daten von mir erfasst: Auf einer Schulnotenskala, wobei 6 natürlich für sehr schlecht, 1 für exzellent steht) musste ich einschätzen, wie körperlich fit, wie müde und wie motiviert ich mich fühle.
Interessant: Alle Werte sind im guten Bereich. Mit Sonnenaufgang steigen diese sogar - was anzunehmen war. Erst ganz gegen Ende sinkt meine Motivation aufgrund der Erkältung auf 6. Körperlich fühle ich mich zu diesem Zeitpunkt noch super.
Dass die selbe Kurve meiner Betreuer, die diese Daten auch für sich selbst erheben sollen, stetig im Bereich 1 und 2 ist, gibt mir sehr viel Hoffnung und Mut für das nächste Training.
Anfang Mai dann - auf nach Wien!
Das nächste Training. Es wird Anfang Mai stattfinden. Den April haben wir uns - mit Rücksicht vor allem auf das Wetter - trainingsfrei gehalten. Wobei "frei" natürlich nicht stimmt: Ich selbst werde die 4 Wochen im April vorrangig für verstärktes Core-Training und viele Rollen-Einheiten nutzen. So erhoffe ich mir eine sehr viel bessere konditionelle Ausgangslage für das nächste Training.
Und dieses wird es in sich haben: Dann mit 2 Fahrzeugen, darunter einem Carabus, werden wir mit 4 Betreuern (und den Filmjungs) eine 1.700 Kilometer lange Fahrt über 4 Tage unternehmen. Es wird nach Wien und zurück gehen.
Ob ich dann den Kampf um die Rückbank mit Knolle wieder gewinne? Und ob wir endlich unsere neuen Rennräder am Start haben werden? Natürlich halten wir Euch auf dem Laufenden ...
Hier geht es zu den Garmin-Daten des ersten RAAM-Trainings.