14. März 2011

Do Carbon-Frames dream of Electric Shifting?

Die Shimano Dura Ace Di2 war bisher die Creme. Die Krone der Gruppen. Das Juwel der Velo-Schöpfung.

Nun ist sie da, die Ultegra Di2. Campagnolo legt mit dem Electronic Power Shift endlich eine eigene chipgesteuerte Schaltung vor und mit dem Launch der neuen Tria- und Zeitfahrwunderwaffe Cervélo P5 meldet sich die deutsche Firma Magura mit einem hydraulischen Bremssystem eindrucksvoll am Rennradmarkt an.

VKF durch Innovation.

Marketing-Strategen und Produktmanager reiben sich die Hände - ist mit der Ultegra Di2 doch nun endlich das Highend-Produkt auch im Massmarket angekommen. Storck lässt sich nicht lumpen und zaubert sogleich das ausschließlich für elektrisches Schalten konzipierte Scentron aus dem Regal. Andere Hersteller sind nicht minder schnell.

Schon wird nach der "Alles muss leichter werden!"- und der "Alles muss aerodynamischer werden"-Welle die "Elektronische Revolution" des Rennradsports ausgerufen: Tour-Magazin, Roadbike und all die anderen Sprachorgane der Industrie stimmen unisono in den Marketingkanon von unverwechselbarem Schaltkomfort und nie dagewesener Präzision zu nun auch für Jedermann erschwinglichem Preis ein.

Okay, dass die elektrischen Schaltungen mehr wiegen und bis zu 1.000 € mehr kosten als ihre Counterparts kann man den nach Innovationen lechzenden Kunden vielleicht noch verargumentieren - dass man für die Differenz zum Elektrobudget aber vielleicht schonmal ein richtig gutes Laufrad bekommt, das gleich mal richtig Tuningpotenzial bietet, wird gern unterschlagen.

Klar ist jetzt schon: Die Di2 wird (wenn es das nicht schon längst ist) ein Statusmerkmal werden. So, wie die Leute heute im Startblock des Jedermannrennens Schaltgruppe, Radschuhfabrikat und Laufradsatz checken, wird demnächst noch der E-Poser hinzukommen. Ich freue mich schon.

Ich für mich frage mich indes: Ist das denn noch mein Rennrad?

Computergenau Schalten ... auf den Spuren Miguel Indurains?

Beginne ich mal so: Warum fahre ich Rennrad? Nun, zu einem sehr großen Teil vor allem auch deshalb, weil ich, sollte ich es in meinen Urlauben mal auf die legendären Asphaltabschnitte der Vergangenheit schaffen, mich mit Miguel Indurain, mit Lance Armstrong, mit Ulle und all den großen alten Helden messen kann.

Sicher - Miguel hatte kein Carbonrahmen unter dem Hintern. Punkt für die Moderne.

Aber er hatte eben auch keinen Chip und keinen kleinen E-Motor, der ihm das Schalten abgenommen hat. Und deswegen kann ich, stürmte ich mit aller Macht die Alpe d´Huez hinauf, auch halbwegs nachempfinden, was er empfunden hat. Kann die gleichen Krämpfe in meinen Schenkeln erfahren, wie Pantani oder Ullrich bei ihren Rekord- oder Leidensritten.


Die computergesteuerte, immer präzise, immer richtige, sich selbst justierende, nie Fehler machende Elektroschaltung wirkt da - in meinen Augen - irgendwie fehl am Platze. Oder mal ehrlich: Wenn im Radsport nie wieder Schaltfehler passieren werden, nie wieder ein Andy Schleck am Berg von Contador wegen nachlässigem Hebelbedienens seine Siegchancen davonfahren sieht - ist das noch der Sport, für den ich mich begeistern kann?

Clean? Fehlerfrei? Digital?

Irgendwie habe ich meine Probleme damit.

Flucht aus dem Alltag in eine einfachere Welt

Das Rennrad selbst, und wem sage ich das?, übt eine überwältigende Faszination auf mich aus: Das Antriebsprinzip, die Konstruktionsmerkmale des Diamantrahmens, ein Lenker, zwei Räder, zwei Pedale: Das wars.

Unverändert seit über 120 Jahren. Stiege Anquetil auf ein Cervélo S5 - er würde sofort zurechtkommen. Ist das nicht faszinierend? Setz mal den Carraciola in einen Red Bull-Formel 1-Wagen ...

Eines der ältesten Forbewegungsmittel der Moderne - durch Weiterentwicklung (vor allem auch der Werkstoffe) zu einem Wunder der Mechanik gereift, mit dem Leistungen möglich sind, die einen einfach nur immer wieder staunen lassen.

Mechanik - das ist das Zauberwort.

Mein Rennrad ist doch in meinem computerisierten, Chip-durchdrungenen, WLAN-verseuchten, Handysmartphone-QR-Code-wimmelnd-bimmelnden Start Trek-Alltag der einzige Fluchtpunkt, die einzig verbliebene Bastion ohne supraleitenden Hightech-Schnickschnack (okay ... abgesehen vom Garmin Edge ...).

Das Rennrad ist faszinierende Mechanik. Hightech zwar, ja, das stimmt: Modernste Materialien schlummern im Cervélo-Rahmen. CNC-gefräste Präzisionsteile in meiner Dura Ace.
Gewichtsoptimierte Profi-Anbauteile und windkanalgetestete organische Helmformen - aber am Ende trete ich dann doch in ein eben durch und durch mechanisches ... Rennrad.

Ich könnte es auseinander bauen und wieder zusammen setzen.

Es ist wie beim Golf 2 - Motorhaube auf und du siehst ... ein Auto von innen.
Golf 4 - Motorhaube auf und du siehst einen verplombten Plastikdeckel, an den der Mechaniker ... oh, sorry, der Mechatroniker ... heutzutage ja auch nur noch ein Kabel stöpseln kann, in der Hoffnung, dass der Motor ihm sagt, was kaputt ist.

Das alles kann man superfaszinierend finden. Und ich fende es auch erstaunlich. Aber ich liebe meine mechanische Dura Ace. Ja, ich muss sie nachstellen. Ja, ich muss etwas Kraft im Fingerchen haben, um zu schalten.

Aber dafür lebt sie. Und leidet mit mir. Sie ächzt und knarzt - analog zu meiner geschundenen Lunge nach 120 Rennkilometern im Regen. Die Di2 wird nicht ächzen. Nichtmal Nullen und Einsen kotzen. Der Di2 ist der Sport egal. Sie kann immer. Überall. Wenn der Akku voll ist.


Dafür lässt mein gutes altes Rennrad mich aufatmen, wenn ich die 100% WLAN-Abdeckung des Stadtgebietes verlasse und im Grün der Hamburger Elbdeiche trainiere - ohne, dass ich die digitalen Impulse unter mir spazieren fahre.

Wo führt das denn noch hin?

Fast komme ich mir vor wie mancher Großvater, der die Welt seiner Enkel komplett nicht mehr durchdringen kann, zwischen all dem Getwitter und Gesimse, den Friends und Followern, diesem neumodischen Kram.

Mittlerweile machen Polar und Sigma den - noch immer in Genauigkeit unangefochtenen - Powermess-Systemen von SRM bezahlbare Konkurrenz, mein Garmin Edge zeichnet meine Herz- und Trittfrequenzen auf, anhand derer ich mein Training zentimeter- und minutengenau optimieren kann.

Wo bringt uns die Technik noch hin?

Kommuniziert in 2 Jahren die Di3 dann mit dem Edge 1000 - und gibt mir anhand von Leistung, Geschwindigkeit und Trittfrequenz die optimalen Schaltzeitpunkte und Gänge vor?

Wird die Di 4 am Cervélo S7 dann automatisch schalten?

HighTech tut Not

Und doch: Wie geil ist denn bitte das P5?!? Da grübeln wir Fans der kanadischen Hightech-Marke noch vor 4 Wochen, ob der (vielleicht) anstehende Verkauf an die niederländische PON-Holding unseren Fahradgott zerstören könnte - und schon bringen die Jungs um Vroomen und White mit dem P5 ein Zeitfahr- und Tria-Rad auf den Markt, das einem nur so das Wasser im Munde zerläuft.


Windschnittig, schnell schon im Stehen. Kein grobes Schlachtschiff wie das Speed Concept von Trek, nicht so zusammengestückelt wirkend, wie die TM01 von BMC. Wahrlich, eine Schönheit. (Obwohl ich mit dem Farbschema noch so meine Probleme habe ...)

Und ich merke: Technik tut Not!

Hier, an diesem Teil, ergibt alles plötzlich Sinn: Die elektronische Schaltung. Die - POOOW! - hydraulischen Bremsen von Magura. Diese ganze Technik.
Warum?

Triathlon!


Zwar gab es schon in den Zwanzigerjahren triathlonähnliche Wettkämpfe, aber erst die Fitnesswelle der kalifornischen Körpergurus verhilft dem Triathlon wie wir ihn kennen in den Siebzigerjahren zu dem, was er heute ist: Eine moderne, eine sehr junge - eine extreme Sportart in jeder Hinsicht.

An einem Tria-Rad, das an keine UCI-Regeln (von denen man halten kann, was man will - aber eines machen sie: Den Straßenradsport in seiner ursprünglichen Essenz erhalten und für halbwegs gleiche Ausgangsbasen sorgen) gebunden ist, müssen ja fast schon Hightech-Teile stattfinden!

Diese modernen, futuristischen Superfrauen und -männer in ihren Suits, mit ihren haifischschuppenbedampften Neoprenanzügen und den windkanaloptimierten Stealth-Helmen ... an ihnen, wie sie ihre im Vergleich zum Straßenradsport noch junge Sportart ausüben, stehen diese Teile klasse.

Aber ehrlich: Wenn im Jahre 2044 wieder, wie in jedem März, die Primavera gestartet wird, wenn sie im Frühlingsregen des Jahres 2051 auf den historischen Pavés zwischen Roubaix und Neo-Paris in die Pedale treten und mich mir per HoloSport alles in 3D - ach was sage ich, 4D! - direkt ins Stammhirn übertragen lassen werde: Ich hoffe, es wird noch der selbe, packende, mitreißende mechanische Sport sein, den ich heute so leidenschaftlich liebe.

Von mir aus kann dann auch ein Marsianer gewinnen. Aber das bitte auf einem Cervélo S100.




Was sagt Ihr zur "Elektro-Revolution"?

7 Kommentare:

  1. "Mechanik - das ist das Zauberwort."
    Die Herstellungsverfahren für die RR werden immer feiner und jedes Jahrzehnt hat seine eigenen Kunstwerke hervorgebracht. Ich tue mich auch sehr schwer mit elektronischen Gruppen am Bike. Und dass nicht nur im Amateurbereich, sehe das alles sehr kritisch. Schon heute stehe ich (wie Du) vor den Rennen wortlos da und schaue mir die Poser an. Ok, wer hat, der hat, aber.. ach lassen wir das ;)
    Du beschreibst das sehr schön, es wird ein neuer Markt geschaffen und ich wette, das Geschäft wird blühen. Hoffentlich nicht so gut, dass in 20 Jahren kein Schwein eine alte mechanische Schaltung mehr warten kann...

    Gruß
    Thorsten

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  2. Moin Larsi,

    Ich bin da etwas hin und her gerissen. Bist du schon mal ein Rad mit Dura Ace Di2 gefahren? Der Schaltkomfort ist schon der Hammer. Auf der anderen Seite trifft es dein Golf-Vergleich ziemlich gut. Ich mag auch das mechanische am Rennrad, bei allem High-Tech. Die Materialien ändern sich, das Prinzip nicht. Ich hab mir sohar wieder einen stinknormalen Radcomputer an den Vorbau geschraubt.

    Viele Grüße

    Lars

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  3. Schöner, ausführlicher Blogpost. Der verlangt normalerweise nach einer ähnlich ausführlichen, durchdachten Antwort. Aber bevor ich gar nix schreibe... ;-)

    Zunächst mal musste ich etwas schmunzeln, als du von "posen" schriebst. Ja, wir Rennradfahrer sind schon ein komisches (aber auch nettes :)) Völkchen. Frei nach dem Motto: jeder, der schneller fährt als ich, ist gedopt und jeder, der langsamer ist, hat nix drauf scheint mir hier doch ein wenig der kritisch objektive Blick auf sich selbst zu fehlen. Ein voll mit schöner Cervelo-Kluft ausgestatteter Radler auf einem nicht ganz so preiswerten Cervelo R4 samt Dura-Ace Vollausstattung... Könnten andere Leute genausso als Poser abtun. Ob da eine elektronische Schaltung ausschlaggebend ist? Glaube kaum. Fällt ja von weitem gesehen auch kaum auf. Posingtechnisch effektiver sind da doch eher schöne hohe Zipp- oder Lightweight Aero-Felgen.

    Zur elektronischen Schaltung an sich. Es ist schon eine gewisse Zäsur, ja. Was schleppen wir alles an elektronischer Hightech mit uns rum, während wir fahren. Vom GPS-Computer über Smartphone bis hin zur Digitalkamera... Aber das alles ist Zubehör, nicht integraler Funktionsbestandteil des Rades. Andererseits: es ist nach wie vor dasselbe Prinzip, ich schalte bewusst und selbst, ich trete vor allem noch selbst - ich habe nur eine super und gleichbleibende Funktion (sofern man den Testberichten und meinem kurzen Test auf einem Ladenbike glauben darf). Auch die heutigen Rahmen aus modernstem Carbon etc. Das ist auch weit von dem entfernt, was man vielleicht früher mal in der Dorfschmiede reparieren konnte. Im Gegenteil: Ein verkehrter Sturz, ein richtiger Kratzer, und der ganze Rahmen ist teurer Sondermüll. Hält uns das von der Faszination Rennrad fahren ab? Nein, bzw. sie ist auch Teil davon.

    Für mich ist ein Rennrad mit elektronischer Schaltung immer noch ein vollwertiges Rennrad, welches die lebendige Tradition dieses großen Sports verkörpert und auf dem ich mich (ja, UCI und Diamantrahmen sei Dank) trotz integrierter Schalt/Bremshebel, Carbon, GPS am Lenker und vielleicht MP3-Player im Ohr je nach Stimmung gerne auch im Gedenken an Fausto Coppi und Co die Alpen oder meine Hausstrecke fahren kann.

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    1. hi thorsten,

      danke fuer dein comment.

      nur nebenbei:koennte ich ein R4 fahren,waere ich der held, denn das gibts gar nicht... :-)

      aber ich weiss,was du meinst.

      LG and keep reading, keep commenting.

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  4. Hey Cervelover,

    das hier war auch mal ein gesprächsthema wärend eine trittrunde...

    ich denke das al den elektronischen schnick-schnack aufs rad das `natürlichen radfahren` in wege steht...
    deine eigene entsheidungen die man gefühlsmäsig macht werden gleich durch allerlei sachen registriert und angezeigt...al die info über Herz-,Trittfrequenz,Watts,geschwindikeit,steigung usw das kann doch sehr hilfreich sein beim sorgfältich geplantes trainung aber/oder es längt wahnsinnig ab (man sieht die natur nicht mehr, änderungen im (sonnen)licht über das landschaft, den luft die man riecht usw)

    darum sieht man denke ich den radwelt sich aufteilen in 2 richtungen;
    fixie und ultra-supersonic-aero-carbon räder

    was hällst du von den schlaue marketing beim, jeden 3-4jahr, ein extra gang dazu? ...ich glaube das man in der zeit von 8 oder 9speed schon ein 11speed machen konnten nur, man verdient mehr wenn man es langsam ausschmiert über jahren so das wir jeden 3-4jahr ein komplet neue schaltgruppe kaufen mussen!

    sportiven gruss, Bjorn

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  5. hi björn,

    natürlich muss sich die fahrradbranche alle paar jahre neu erfinden: wir leben im kapitalismus und wachstum und konsom ist das ziel. auch bei den fahrradherstellern.

    vor zwei, drei jahren war "leichtbau" das thema. alle räder wurden unheimlich leicht und man hat versucht uns einzureden, dass weniger gewicht mehr speed bedeutet.

    dann kam "aero" - und jetzt redet man uns ein, dass ein bisschen mehr gewicht ok ist, weil aero wirklich schnell macht.

    und wer weiß, was nächstes jahr kommt?

    ist halt so.

    man muss halt schauen, welchen trend man wie weit mitgehen will. sicher waren die räder vor 4 jahren keine schlechten räder - sicher aber sind sie heute besser: leichter, steifer, mehr aero, mehr STW ... whatever.

    genauso mit den schaltgruppen. grundsätzlich finde ich 11-fach okay. aber sicher: irgendwo hört der spaß auf.

    und: die kunden müssen ja nicht alle 3, 4 jahre alles neu kaufen. es fahren noch genug alte campa-schaltungen durch die lande, da mache ich mir keine sorgen ...

    liebe grüße,
    L

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  6. Gerade beim Triathlon wird es mit dem Hightech zum Teil aber auch arg übertrieben. Wenn auf kürzen Strecken auf >5000EUR Maschinen, Aerohelm und und und noch nicht einmal ein 30iger Schnitt erreicht wird, da fragt man sich wofür das ganze Material.

    Fehlendes Training kann nun mal nicht durch besseres Material ersetzt werden. :)

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