28. März 2011

S3 - Quo vadis, Cervélo?

Dass Cervélo als Mutter aller Aero-Rennräder gilt, ist unbestritten. Noch immer werden der Soloist und das SLC-Carbon als die Urväter jenes Trends verehrt, der 2010 alle einschlägigen Magazine füllt - und mehr oder weniger jeden Hersteller zu einer eigenen Interpretation inspiriert hat.

Doch ungeschlagen steht seit jeher das Cervélo S3 da.

Steht es denn wirklich?

Felt AR4, Merida, selbst Centurion, eine Marke, um die es lange Zeit sehr ruhig war, bringen einen Aero-Renner heraus. Das neue Top-Modell der Traditionsschmiede Bianchi, das schicke Oltre, weist Aero-Prinzipien auf und auch unser aller Hassliebe - Canyon - bringt mit dem Aeroad CF ein viel beachtetes Aero-Bike raus, für das sogar Erik Zabel seine Hand ins Feuer legt.
Doch was taugen sie? Die Tour und auch die Roadbike testen die Aero-Renner, und das mit teilweise ernüchternden Ergebnissen. Dass die Steifigkeitswerte des Felt-Bikes dann doch so schlecht sind, hätte ich nicht gedacht, und dass das Canyon selbst bei der doch sonst so Canyon-freundlichen Tour eher gemischt bei weg kommt, überrascht.
Performance, Sinn und Unsinn hin und her - die Teile sind einfach nur geil anzusehen. Der Habenwollen-Faktor überwiegt die logische Einsicht, dass der wenige Einfluss, den die Aerodynamik eines Rennrades auf das Gesamtsystem hat, gerade im Hobbybereich absolut zu vernachlässigen ist.
Und dann trifft mich Mitte 2010 der Schlag - ein neues Rennrad schreit mich förmlich aus der Masse des Aero-Einheitsbreis an: das F01 von Scott.

Sogenannte "Kamm-Profile" erlauben den Ingenieuren angeblich eine noch steifere Konstruktion als beim Kult-Rahmen Addict RC bei nur rund 900 Gramm Rahmengewicht. Bei der Tour de France können die Profis von HTC-Columbia den Rahmen testen.
Mark Cavendish ist wohl so lala begeistert.

Aber sauschick sieht es trotzdem aus!

Anscheinend hat Scott eine Serienproduktion schon angefeuert - ich bin gespannt, wenn die Rahmen Mitte 2012 in den Handel für uns Normalos kommen.

Ende des letzten Monats dann der finale Knall, dar vorerst grandiose Höhepunkt im Marketing-Stakkato rund um die Luft-Renner: Das Venge von Specialized.
In Zusammenarbeit mit dem englischen Kult-Tuner McLaren hat S-Works das normale Venge noch einmal hochtunen lassen - leichter, steifer und noch schneller sollte es werden.
Die Hochglanzfotos in den Magazinen wecken Bedürfnisse - und mal ehrlich, nach ein, zwei Tagen raufstarren finde ich auch das extrem geslopte Oberrohr des Venge ansehnlich. Zwar ist es etwas schwerer als das F01, sieht aber einfach nur fett aus.

Beschleunigt natürlich von einer absolut preisverdächtigen Social-Media Kampagne und natürlich dem BANG!-Sieg bei Mailand-San Remo durch Matt Goss. Und mal ehrlich: Ich habe lange kein so geiles Bike mehr gesehen, wie das Venge (in der McLaren-Version). Eine Kreuzung aus Sith-Infiltrator, F-22 Raptor und einem Reptil aus der Zukunft. Geil.

Und dann lese ich auf der Website auch noch über meinen Traum: Das Cervélo S3.

Immerhin, ein Kotau - denn es wird als Referenz für das Venge genutzt. Angeblich sind Systemgewicht, Steifigkeit und Aero-Vorteil des Venge dem S3 überlegen. Auch das AR4 von Felt ist aufgeführt - meilenweit abgeschlagen. Okay, das wussten wir, aber dass der Neue mein Liebesobjekt dermaßen abhängt ...
Da blutet einem Cervelover natürlich das Herz.

Also, wohin nun im neuen Jahr, Cervélo?

Und da sieht es sogar ganz interessant aus, denn immerhin haben die Kanadier mit dem neuen Tretlagerstandard BBRight einen höchst interessanten Ansatz gefunden, innovativ und selektiv die auftretenden Kräfte im Tretlagerbereich in das Rahmensystem abzuleiten - die Steifigkeit zu erhöhen - und dabei dann doch wieder Gewicht einzusparen.
Für das R5ca entwickelt, findet diese Technik 2011 bereits im R5 und dem neuen R3 Anwendung.

Also, was spricht dagegen, BBRight auch der S-Serie angedeihen zu lassen? Nicht, richtig! Na, dann macht das mal, Jungs.

Zudem müsste die Rennrad-Schmiede sich noch um den Lenkkopf kümmern. Angeblich liegt die nämlich mit runden 60 Nm recht weit unter dem 70er-Wert, der allgemein als Standard gefordert ist. Wenn man sich da mal den dicken Lenkkopf des Venge ansieht ...

Unser aller Radsport-Held Jens Voigt hat bei der Übergabe des ersten Rahmens von S-Works jedenfalls nur begeisternde Worte gefunden. Okay, da war auch eine Kamera dabei ...

Aber, stellen wir unser Lichtlein mal nicht unter den Scheffel. Denn, bei allen Tests und Texten der Redakteure (denen sicherlich gewisse Anzeigenkunden und deren Interessen im Nacken sitzen), darf man nicht vergessen - ein muskelbepacktes Sprintertier wie Thor Hushovd ist immerhin auf dem S3 die Mörderanstiege der Tour de France hinauf geschossen und hat einige Sprints gegen die Weltelite - und nicht zuletzt die Weltmeisterschaft gewonnen.
So schlecht kann das S3 ja nun auch nicht sein. Und siehe da, kaum schaut man mal über den Tellerrand der deutschen Rennrad-Journallie hinaus, sehen die Urteile der Fachpresse auch schon anders aus. Da gilt bei den CyclingNews und dem CyclingWeekly das S3 als Testsieger und absoluter Kauftipp für 2010. Oder es wird gar als "Design-Kult" angepriesen. Recht haben sie!

Komisch. Bei unserer deutschen Ausgabe der Tour wird das S3 totgeschwiegen und ein lausig ausgestattetes S2 gegen die aktuellen Top-Modelle antreten gelassen. Und dann ist die einzige Kritik, die ihnen einfällt, das "schwache Laufrad". Na, okay, wer scheiß Laufräder montiert ... selbst Schuld, oder wer kauft denn bitte allen Ernstes Kompletträder? Sowas macht doch keiner?!?

Aber, wer weiß - nicht wahr Mr. Vroomen, Herr White? Überrascht uns, gebt uns ein S3evo oder gar ein S4, das uns mitreißt, das uns begeistert. Eines, das neue Standards setzt. Eines, das keine ausgefeilte Promi-Leak-Kampagne á la Cav braucht, eines, dass keine überteuren Hochglanz-Anzeigen in allen Magazinen der Welt, das keine hochgezüchtete, mehrsprachige Monster-Flashwebsite braucht.

Eines, das nicht mehr und nicht weniger als das neue Soloist wird. Eines, das zum neuen Standard, zur selbstverständlichen Referenz wird.

Ein Rad, hinter das man kein Ausrufezeichen machen muss.
Kein: Specialized Venge!
Sondern ein Cervélo S3.
Punkt.

Ein S3, das mich davon abhält, mir am Ende doch dass Venge zu kaufen.
Und mich vom Cervelover zum Spezi werden lässt.
Oder gar zum F01-Scotty.

Ich baue auf Euch!



Welche Rennräder oder Trends findet Ihr mitreißend, richtungsweisend oder einfach nur rattenscharf? .

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