Wie beschreibt man Hass-Liebe? Vielleicht zu einer Frau, in die man über alles verschossen ist, von der man sich sofort trennen möchte, die man am liebsten auf der Stelle heiraten will? Schwierig, oder?
Wie drehe ich das jetzt nun mit Worten, diesen Alpentraum zu beschreiben? Diese Reise, die ich am liebsten nie angetreten hätte?
Oder so: Wie kann ich Euch nahe bringen, dass ich diese Odyssee am liebsten noch ein mal machen würde? Sofort? Nee, nie wieder. Oder: Am besten gleich sofort.
Ich versuche es mal ...
5 Gründe, den Endura Alpentraum (nicht) zu fahren.
Im Laufe dieses Berichtes liefere ich Euch fünf Gründe, warum Ihr den Endura Alpentraum (auf keinen Fall) fahren solltet. Er ist einfach so ambivalent, so verrückt, so geil, so "geht-gar-nicht!", dass es schwer sein wird, die richtigen Worte zu finden.
Alles - natürlich - aus meiner, kleinen, Perspektive. Die nur Eine ist. Eine von 480 Blickwinkeln. Wie immer wird es hier wahrscheinlich auch 480 Geschichten geben. Wie gesagt, dies ist meine.
Typisch bayerisch: Maibaum, Trachten, Weißbier. Auch beim Alpentraum.
Ich komme 2 Tage vor Start des Rennens aus Hamburg mit dem Mietwagen in Sonthofen an. Noch war ganz gutes Wetter, als ich aufgebrochen war, kaum erreiche ich das Allgäu, zieht es sich zu und schüttet wie aus Kübeln. Ich werde bei den 15 Metern, die ich vom Auto unter das schützende Vordach meines Hotels brauche, sofort komplett durchnässt. Es ist kalt - 15 Grad - und den ganzen nächsten Tag nur schwummrig. Dunkel. Nicht sehr erhebend.
Kaum komme ich allerdings zur Anmeldung, reißt es über dem Maibaum auf. Kein Sonnen-Overkill, aber wenigstens trocken und etwas Blau am Himmel. So soll´s bleiben!
Die Anmeldung: Klein aber fein.
Die Anmeldung verläuft ohne Probleme. Es ist noch recht früh, als ich ankomme, sie bauen noch die Messestände auf, wobei man hier nichts Großes erwarten sollte: Außer dem Endura- und dem Roadbike-Stand (die Hauptsponsoren und Veranstalter) gibt es hier nur noch einen Imbiss.
Ich treffe Ingo mit seiner Frau. Ingo ist auch für die 252 Kilometer lange Strecke angemeldet. Später wird noch Sebastian dazu stoßen.
Wenn die Musi spuit: Abends beim Briefing.
Wieder im Hotel angekommen, lege ich mich noch eine Weile ins Bett: Die 10 Stunden Vollgas auf der A7 stecken mir noch in den Knochen, außerdem will ich ausgeruht sein. Um 18 Uhr beginnen Pastaparty und Briefing - hier bin ich dann mit Sebastian verabredet - zwei Bekannte also schon.
Sehr gut!
Wirklich gemütlich: Pasta & Volksmusik.
Das Briefing ist super. Drei Jungs spielen urige Volksmusik-Mucke, da schmecken die Spirelli (drei Soßen!) doch gleich doppelt so gut. Sie lassen sich beim Briefing Zeit, stellen die ortsansässigen Handballerinnern vor (leider nicht im Handballerinnen-Dress), zwei Ski-Profis, die mitten in den Olympiavorbereitungen stecken, Mario Kummer, der morgen mitfahren wird, und ein paar andere Größen vor. Die beiden Hauptsponsoren bekommen natürlich viel Zeit, sich, ihre Idee und ihre Produkte zu promoten.
Dann gibt es Streckeninfos.
Die Startgasse am Vorabend: Ruhe vor dem (Schnee)sturm.
Und hier auch gleich der
Grund 1, den Endura Alpentraum (niemals) zu fahren: "Ja, also heute hatten wir 5 cm Neuschnee auf dem Hahntennjoch", sagt der Rennleiter. "Aber wir denken, der wird bis morgen abgetaut sein ..."
Das Rennen findet extrem spät in der Saison statt. Und morgen geht es eben nicht nur über das 1.900 Meter hohe Hahntennjoch, sondern noch viel höher, über einen der höchsten Pässe Europas, den Stelvio: Was, wenn da oben Schnee liegt? Was, wenn die Straßen eiskalt, nass ... gar gefroren sind?
"Die Wettervorhersage ist ganz gut: Es wird vielleicht sogar trocken bleiben."
Na Mensch, bitte! Sicher, wir alle wissen, sie wollen hier dem Ötztaler Konkurrenz machen. Aber bei unter 10 Grad weite 252 Kilometer lang durch Regen und womöglich Schnee fahren ... die Strecke wäre im Hochsommer schon Wahnsinn genug.
Das Wetter und die Unberechenbarkeit zu dieser späten Jahreszeit machen den Alpentraum zu einem Vabanquespiel.
Noch bin ich allerdings guter Dinge.
Meine Klamottensammlung. Es war zu wenig.
Wieder im Hotel lege ich mir die Klamotten bereit. Ich checke fast stündlich die Wetterprognosen. Und die sehen tatsächlich nicht wirklich berauschend aus. Ich rechne auf den Pässen mit 4 bis 5 Grad, das würde in den Abfahrten wirklich empfindliche Kälte bedeuten.
Ich rechne mit Regen, als packe ich Regenklamotten ein. Doppelte, das heißt kurze und lange, Handschuhe, eine warme Kappe für den Kopf, Beinlinge. Zwei Hosen - bei dieser Entfernung - sowieso, das hat sich bewährt.
Was ich nicht mitnehme, denn ab der Pillerhöhe - "... da sind wir dann ja fast schon in Italien, da ist es immer schön ..." - soll es eher trocken und warm werden, sind warme Überschuhe (ein Fehler!) und neben den beiden langen Unterhemden, die ich anziehe, lasse ich das kurze da.
Angst? Freude? Anspannung? Von allem etwas ...
Die Nacht ist lang, da ich gegen 20 Uhr schon im Bett bin. Morgens sehr früh zum Start. Das Auto dürfen wir auf dem Gelände der nahen Bundeswehrkaserne parken. Ich habe im Zielort Sulden ein Hotelzimmer gemietet und für 65 € den Busrücktransport gebucht. Morgen werde ich hier das Auto wieder abholen.
Beim Frühstück (das man bezahlen muss) treffe ich wieder Sebastian, der seinen Startplatz gewonnen hat. Es ist ungewöhnlich still in der Markthalle. Alle ruhen in sich, es wird kaum laut gesprochen, nicht der übliche Pre-Start-Schenkelklopfhumor. Ich selbst mache mir Mut: "Ach, komm, du bist super trainiert. Hast eine krasse Saison und die
Haute Route hinter dir. Das wird schon!"
Irgend einer neben mir schaut von seinem Android auf und seufzt. Ich höre nur ein Wort. "Regen."
Aufi gehts: Der Start zum Alpentram.
Kurz vor 7 Uhr stehe ich am Start. Ein dichtes, kleines, nettes Feld haben wir da. Vorn fast die gesamte Redaktion des Roadbike-Magazins, einige Ex-Profis, einige Profisportler aus anderen Sportarten. Ein tolles Feld. 480 Mann, darunter ein paar Damen.
"Noch eine Minute!", ruft der Motivator. Wir klicken ein. Machen uns klar.
10 Sekunden vor dem Start fängt es an zu regnen.
Im Startblock: In 20 Sekunden regnet es.
Es geht in gemächlichem Tempo aus Sonthofen raus. Es dämmert gerade, Licht aber brauchen wir keines. Sofort geht es leicht bergauf, was wir allerdings kaum spüren, da das Peloton von den Polizeimotorrädern und einem Presse-Auto, aus dem fotografiert und gefilmt wird, bei rund 25 km/h gehalten wird.
Sebastian, neben dem ich gestartet bin, ist irgendwo im Gedränge hinter mir. Ich sehe ihn nicht. Werde ihn das ganze Rennen über nicht mehr sehen. Ingo habe ich heute Morgen noch gar nicht getroffen.
Erst direkt am Anstieg zum ersten Berg, dem Oberjoch, geben sie das Rennen frei.
Oberjoch und Gaichtpass: Tempo, Tempo!
Es wird beim Oberjoch schnell schnell - obwohl wir wegen der Steigung natürlich langsamer werden. Das Feld beginnt sich wieder auseinander zu ziehen, ich kann allerdings super mithalten, fühle ich mich doch recht gut. Wir überholen eine Menge Starter (wobei ich mir schon überlege, ob es nicht klüger wäre, etwas sutsche zu machen? Naja, erst mal mitgehen ...) werden natürlich auch von viel Schnelleren überholt.
Das Oberjoch ist Deutschlands zweithöchster Pass - mit 10 Kilometern Länge und nicht einmal 1.200 Metern Höhe allerdings nicht gerade Furcht einflößend. Und doch: Ich ballere die 5 bis 9 Prozent mit 17 bis 20 km/h hoch, gebe in den langen, etwas flacheren Stücken richtig Gas und auch das 17%-Stückchen kann mich nicht bremsen.
Nützen wird es mir wenig.
Das Höhenprofil "meines" Alpentraums - wenn ich gewusst hätte ...
Mein Alpentraum, das wird eine verkürzte Strecke werden. Ich werde den Stelvio via Umbrail auslassen. Werde keine 252 Kilometer schaffen. Werde nicht die unfassbaren 6.070 Höhenmeter in den Beinen haben. Werde nicht "das halbe RATA" fahren, wie ich es noch am Vorabend ganz euphorisch via Twitter angekündigt habe.
Oberjoch - nur 400 Höhenmeter sind zu überbrücken - wird den Grundstein dafür legen. Ich bin bereits vollkommen durchnässt, die Finger eiskalt gefroren, außer Atem. Zwar reiße ich mich zusammen, viel und regelmäßig zu trinken, werfe auch immer gut Gel und Essen ein, aber es wird nicht reichen.
Auf dem seichten Anstieg zum Gaichtpass eine Stimme neben mir: "Lars! Du machst aber auch nur die krassen Sachen, was?" Sie grinst mich an: Es ist Christina Rausch.
Sie hat das RATA gefinished. Sie hat die Einzelwertung des Chaos-Rad-am-Ring 2013 vor einer Woche gewonnen. Sie ist Hamburgerin, immer gut drauf.
Und sie fährt diese harten Teile immer zu Ende.
Wir treten eine Weile neben einander her. Dass ich sie in der Abfahrt vom Gaichtpass abhängen kann, gaukelt mir selbst Stärke vor, die ich heute nicht haben werde.
Auf das Hahntennjoch: Alter Schwede ist das steil!
Richtig hart wird es dann im Hahntennjoch. Vorher noch die Abfahrt vom Gaichtpass ins wunderschöne Lechtal, durch selbiges durch. Ich merke es kaum, so schnell fahren wir. Nun also Hahntennjoch.
Der Schnee, von dem sie erzählt hatten, ist tatsächlich abgetaut, okay. Die Straße ist frei. Dennoch: Seit fast 2 Stunden fahren wir im Dauerregen. Sicher nicht mit den Wolkenbrüchen vom RAR oder dem, was beim Ötztaler herunter kam zu vergleichen, aber hey - Regen. Nass.
Ich bin bis auf die Knochen durchnässt. In meinen Radschuhen (Scheiße! Warum habe ich die Oberschuhe nicht mit?!?) steht eiskaltes Wasser. Die Fingerkuppen spüre ich kaum noch. Wahnsinn, irgendwie schon bekloppt, wer bei einem solchen Wetter durch die Hochalpen fahren will!
Kurz vor dem Gipfel: Bis hier her - nass, kalt. Steil, vor allem.
Das Hahntennjoch - öfter mal als Abzweigschild beim Autofahren gesehen - kenne ich nicht. Es soll "ganz schön krass" sein, hatten sie gestern gesagt, aber nach Izoard, Bonette & Co, die ich in den Beinen habe, kann da doch nix Schlimmes kommen, oder?
Pustekuchen. Wie beschreibe ich das nur? Also: Das Hahntennjoch ist ... ein scheißkrasser Mist-Hammer!
Ja nicht unterschätzen! Das Hahntennjoch ist ein Profi-Killer.
Auf 14 Kilometern Länger ist es nur unten und im letzten Drittel ein Mal kurz etwas "flacher", wobei flach in diesem Sinne 4, 5 Prozent sind.
Ansonsten traue ich meinen Augen kaum, nur widerwillig willigen meine Muskeln ein, diese schrägen Ebenen zu treten: Immer, wenn ich auf das Garmin blicke, stehen da zweistellige Prozente. Ich hatte mich im Voraus zwar mit der Strecke beschäftigt, aber eben nicht mit den "kleinen" Bergen, wie Hahntennjoch und Piller Höhe. Hätte ich mal lieber ...
Ich spucke heißen Rotz, es ächzen die Kurbeln, Mitfahrer beginnen mich zu überholen. Ab Kilometer 6 bis 10 - viertausend nicht enden wollende, elend lange Meter! - wird es nicht flacher als 11 Prozent. Unfassbar!
So einen Kackberg habe ich noch nie erlebt, und ich bin schon einige gefahren!
Mir steht der Mund offen - vor Anstrengung und Erstaunen.
Ein wirklich toller, schwerer Anstieg.
Nebelfetzen hängen mir ständig vor dem Mund. Sie bleiben nur langsam hinter mir zurück. In der Mitte irgendwo halte ich kurz an und drücke mir ein zweites Gel in den Rachen. Ist hier etwa das Garmin kaputt oder was? Was ist denn das für ein Berg hier? Kein Wunder, dass hier so "super" zu fahren ist - kein Verkehr - denn hier kommen doch keine Autos, zumindest nicht die schweren, hoch.
Ich benötige 1:06 Stunde um das Hahntennjoch zu erklimmen. Als ich die Passhöhe überfahre - der Regen ist in fisseligen Nebel-Niesel übergegangen - kann ich nicht mehr grinsen. Das war die Hölle hier!
Die Abfahrt vom Hahntennjoch: In der Sturzfalle.
Der Ausblick wäre genial. Die Rundumsicht könnte man genießen. Man hätte hier stolz ein Foto machen können. Ich mache nichts von alledem. Ich ziehe mir die Weste über (im Anstieg wird es dann doch recht heiß) - allein die Minute Stillstand zum Anziehen reicht, um mich vor Kälte schlottern zu lassen - und mache mich bereit für die Abfahrt.
Der Winter ist in den Alpen schon da. Arschkalt! Brrr.
Bergab vom Hahntennjoch wäre auch auf trockenen Straßen nicht wirklich ein Genuss gewesen. Extrem steile Rampen - wie bei der Auffahrt - bedeuten, dass man eh schon nur auf der Bremse steht. Ich blicke fast kopfüber in 13%-Abfahrten, komme kaum über 60 km/h und bremse mich so vorsichtig in die engen Kurven, wie ich nur kann.
Es ist spiegelglatt. Ich habe Spritzwasser auf der Brille. Kein angenehmes Fahren. "Vorsicht: Längsfräsung", auch das noch: Was im Winter wohl ganz toll für die Autofahrer ist, im Regen einfach nur schlimm - die gefräste Straße wird rauh, kaum mehr Auflagefläche für die 23 mm-Pneus, dazu die glatt gefräste Oberfläche. Es fährt sich wie auf Schmierseife.
Auch schön: Nach wenigen Minuten ist mir so kalt, dass ich sofort schlottern muss, am Lenker wackle, eher wie eine Schnecke die Abfahrt hinunter schleiche.
Also, Spaß macht das nicht.
Dann komme ich am ersten Gestürzten vorbei. Ein Auto steht mit Warnblink da, ein Motorrad-Polizist regelt, dass wir ja langsam und sicher vorbei kommen.
Die steile Abfahrt vom Hahntennjoch - kreuzgefährlich bei Nässe!
Ich fahre, als ob ich rohe Eier unter meinen Laufrädern hätte. Und das geht auch nur unter größter Kraftanstrengung. Alles tut weh, x-fach multipliziert durch die Kälte. Auf nasser Haut, durch nasse Stoffe - egal, wie viele Lagen das sein mögen - es ist einfach nur Scheiße.
Dann der zweite Sturz, zwei Notarztwagen, sie haben einen in einer Fixierliege, Halskrause, Goldfolie knistert, Rennrad-Stücke im Straßengraben - eine Serpentine weiter unten fliegt über mir der Rettungsheli ein. Später im Ziel erzählen sie, der Mann hätte sich den Oberschenkel gebrochen. Freiflug ins Unfallklinikum Innsbruck. Gute Besserung!
Den dritten Sturz der Abfahrt sehe ich auf einem geraden Stück. Den Vierten wieder unten kurz vor Ende der Abfahrt. Das wäre dann auch schon
Grund 2, den Alpentraum (auf keinen Fall) zu fahren: Die Abfahrten (auch die folgende von der Piller Höhe) sind extrem steil. Bei Nässe - und das kann im September ja eher passieren, als dass es schön trocken bleibt - sind die Dinger einfach nur mörderisch.
Flachstück. Flach-Stück? Mord-Stück!
Zunächst haben sie in Imst eine Verpflegung aufgebaut. Ich halte an (es hat aufgehört zu regnen, juchuuu!), habe sofort Krämpfe beim Laufen, und reiße den süßen Kita-Kindern, die hier heißen Tee servieren, 5 Becher dampfenden Tee aus den kleinen Händchen, labe mich an 3 Bananen, stopfe mir 2 Wurstsemmeln rein und gleich noch ein Gel hinterher.
Lust auf Smalltalk habe ich kaum. Die Starter wirken hier alle
gefroren. Sehen zu, dass sie schnell weiter kommen.
Warm kurbeln.
War das Lechtal nach dem Gaichtpass - trotz durchschnittlicher Steigung von 2 bis 3 % noch recht gut zu fahren, merke ich, was eine der Hauptschwierigkeiten des Alpentraums sein wird. sofort: Die Flachstücke.
Letzte Kurve, vorsichtig! Dann kurz Pause.
Naja, Flach-Stück wäre Bedeutungsvermummung. Nennen wir sie "Verbindungsstücke" zwischen den Anstiegen.
Ab Imst also nun Eines mit 25 Kilometer. Es wird über mir tatsächlich etwas freundlicher. Die Straße unter mir trocknet ab. Wärmer wird es auch ein paar Grad. Dafür fahren wir zunächst auf der Fernverkehrsstraße. Dann auf einer Landstraße. Wellen. Kurze Anstiege, kleine Abfahrten. Und immer 2-3 Prozent Steigung auf dem Tacho. Ach, Gegenwind. Na, dann haben wir ja alles komplett.
Ich hänge mich kurz vor Zams an zwei Mitfahrer, lasse aber schnell ab. Von hinten holen mich 10 Mann ein - eine bessere Gruppe.
Diese "Flachstücke" sind der Tod. Suggerieren Ebene - und verleiten dabei nur zum Treten, zum Gasgeben, zum Ballern. Zuhause montiere ich mal die drei großen "Flachstücke", die ich im Alpentraum gefahren bin, aneinander:
Tödlich: Die Zwischenstücke des Alpentraum.
Insgesamt summiert sich diese Strecke der Zwischenstücke auf fast 75 Kilometer - wohlgemerkt: nicht flach, sondern stetig steigend, immer so bei 1 bis 4 Prozent, kleine fiese Rampen drin, kaum zeit zur Erholung.
75 Kilometer - 300 bis 400 Höhenmeter werden allein dabei überbrückt.
Grund 3, den Alpentraum (niemals) zu fahren: Diese Zwischenstücke bieten keinerlei Zeit zur Erholung. Sie verleiten zum Powern, ziehen richtig Körner und töten leise. Wenn schon die steilen, schwer zu fahrenden Abfahrten der Berge nicht Erholung bieten, die Zwischenstücke tun es in keinem Fall!
Ab Zams bis Landeck geben sie richtig Gas. Ich keuche. Aber beiße und bleibe dran. Ich halte mich im Windschatten. Kurz hinter Landeck biegen wir ab: Ein paar Kilometer noch sehr wellig, dann in Zoll rechts weg.
Piller Höhe. "Hey, schon der dritte Berg!", freue ich mich. Noch im Sprechen bleibt mir die Freude im Halse stecken.
Über die Pillerhöhe - alles, nur kein Pillepalle!
Die Piller Höhe - noch nie was von gehört? Richtig, ich auch nicht. Ist im Tal, wo es zum Kauner-Gletscher abgeht. Aber sonst? Keine Ahnung. Piller Höhe. Puller. Pillepalle?
Im Höhenprofil des Alpentraums, das sie uns gegeben haben, erscheinen angesichts des riesenhaften Stelvio eh alle anderen Berge eher als harmlose Wellen, deshalb habe ich mir da anfangs auch keinen Kopf gemacht.
Hätte ich mal.
Da lobe ich mir doch diese Abfahrten - auch wenn sie kalt sind. Alles besser als Piller Höhe!
Es geht zunächst auf der offiziellen Dorfstraße den Berg hinauf. Sofort und ohne Vorwarnung wird es steil. Und ich meine
richtig steil. Kaum sind wir im Anstieg, prangen da stetig eine 10, 11 bis 13 auf meinem Gradientenanzeiger herum. Ich kann es gar nicht fassen: Schon wieder so ein Marterberg?
Die ersten 3 Kilometer gehen richtig rein, einige Serpentinen, ich kann schon gar nicht mehr vom Lenker aufschauen, geschweige denn die Landschaft besehen. Verkrampft umkralle ich die Steuerhörnchen, es quitscht mein durchnässtes Sitzpolster, das kräftig auf dem Sattel schnarrt. Elend lange braucht eine Kurbelumdrehung. Es ist zum verzweifeln - wirklich nicht mal etwas flacher?
"Schau Dir die Scheiße an ...", um es mit Ete zu sagen ...
Richtig scheiße wird es dann aber im Ort selbst - wie auch immer der heißt - so ab Kilometer 4. Da nämlich biegen wir von der normalen Passtraße rechts ab und auf einen Landwirtschaftsweg.
Und nun Helm ab zum Gebet!
An mir vorbei strampeln zwei, drei Teilnehmer - wieselflink mit Kompaktkurbel unterwegs - ich selbst scheine zu stehen. Weniger als 13 % bekomme ich jetzt nicht mehr auf meinem Display zu sehen.
Grund 4, also wirklich (auf keinen Fall) am Alpentraum teilzunehmen: Ohne Kompaktkurbel und - ach komm, am besten 32er Ritzel - braucht man hier nicht anzutreten.
Ich fasse es nicht. Sie haben hier 5 Waseberge an einander gesetzt.
Selbst das tödliche Endstück des Tourmalet ist nicht so steil, wie das hier!
Wie Kaugummi zieht es sich. Und umso schneller zieht es mir die Kraft aus den Fasern. Komme ich hier überhaupt vorwärts? Oder reicht meine lächerliche Kraft gerade einmal, um die Erddrehung zu kompensieren? Alter Verwalter!
"Ah, da oben, das Auto - es fährt über einen Huckel, verschwindet - da muss es also flacher werden!", denke ich mir und beiße mich an diese unerreichbar fern wirkende Grenze. Da - da muss es doch flacher werden!
Als ich sie endlich - wie in Zeitlupe - erreiche, diese magische Grenze überfahre - endlich - endlich da! Ich fasse es nicht! Noch 10 Meter bis ins Glück, ja ... ja!
Oh.
Flacher?
Keine 13 % mehr?
Ja!
Geil!
Ah. Jetzt mit 10 % weiter.
Na, Danke!
Später in der Abfahrt ...
Das Steilstück hält mehr als sagenhafte 3 Kilometer an - immer um die 12, 13 %, dann erst etwas flacher bei 10 bis 11. Episch. Trifft es.
Von hinten ruft dann Einer: "Ha, der Lars!", ich drehe mich um, kenne ihn nicht. "So heißt nämlich mein Sohn!", meint er, klopft mir auf die Schulter und gleicht seine Geschwindigkeit an.
Ich weiß nicht mehr, wie mein Kollege heißt, aber ich werde den Rest des Anstieges - immerhin noch weitere 4 Kilometer bei 8 bis 10 Prozent - mit ihm Schnacken. Über seinen Sohn, Kinder im Allgemeinen, einfach allem - ist mir recht. Nur nicht an diesen scheiß Anstieg denken!
Dann zieht ein Auto vorbei: "Hey, Lars!" Nanu, was ist denn heute los? Ich schaue rein - es ist Daniel, der Roadbike-Redakteur, der mich auf die Idee brachte, hier heute zu starten. "Wir sehen uns oben!", ruft er mir zu und gibt Gas.
... ist es noch immer nass und sehr rutschig ...
Als ich die Passhöhe erreiche, bin ich einfach nur durch. Sprechen geht nicht mehr. Kauen? Fehlanzeige. Ich stopfe mir Brötchen, Wurst, Orangenviertel, Bananen und Nüsse einfach ungekaut rein. Ich trinke wieder heißen Tee - schlotterig kalt ist mir zwar nicht mehr und ich leide auch nicht mehr unter Krämpfen, aber ich fühle nur noch
Leere in meinen Beinen.
Da stehe ich.
Held der Landstraße.
119 Kilometer geschafft.
Noch nicht ein mal die Hälfte!
"Hi Lars! Na wie gehts?", ruft Daniel. Ich muss furchtbar aussehen, deswegen legt er gleich nach: "Sorry, dass Du da reingeraten bist." Er grinst. Ich versuche es auch.
Langsam quillt es in mir hoch: Das wird hier heute ...
nichts mit Ankommen.
No Buddy? No Motivation!
Die Abfahrt von der Piller Höhe kann ich auch nicht genießen. Zu fertig bin ich. Matsch in der Birne. Es zieht wieder kalt durch die nassen Klamotten, bei jeder Kurbelumdrehung manscht es nass in meinen Schuhen. Ekelhaftes Gefühl.
Leere im Hirn, kurzatmig, einfach nur ausgebrannt - ich lasse fast die ganze Zeit rollen.
Noch immer ist es nass auf dem Asphalt. In einer der Kurven sitzt ein Sportograf. Ich versuche, gute Miene zum krassen Spiel zu machen. Ich grinse ihn an. Er schaut, dann "Wooooohooo!" und ich höre es unmittelbar hinter mir: Sturz!
... knallt einer genau hinter mir auf die Straße. Der Sportograf hats nicht abgelichtet.
Der Typ verbremst sich auf nassem Untergrund und knallt hin. Ich erschrecke derart, dass ich fast ins Schleudern gerade, im Affekt ausklicke, mich umblicke, meinen Hals verdrehe und mir die Schulter verkrampfe. Nichts passiert - der Andere steht wieder auf.
Mir schießt es ab jetzt bei jeder Kopfbewegung in den Nacken. Na hossa!
Was folgen sind 30 Kilometer "Zwischenstück", die ich anfangs alleine, dann in einer etwa 15 Mann starken Gruppe fahre. Ich tanke im Windschatten Energie, die Jungs und Mädels fahren auch vollkommen okay, übertreiben es nicht, pushen nur ab und zu, lassen auch mal rollen. Ich gewinne neues Selbstvertrauen. Einige Kilometer kann ich mich sogar an die Spitze setzen und die Gruppe führen. Es macht wieder Spaß.
Kurz.
Denn vor dem Anstieg über die Norbertshöhe nach Nauders kommt eine kleine, längere Welle, die unsere Gruppe zerschießt. Vorn fahren 5 weg, hinten bleiben 5 achteraus - und ich mit 2 allein in der Mitte.
So gehen wir in die Norbertshöhe. Die kenne ich schon vom
Dreiländergiro 2012 und denke mir nur: Endlich mal ein angenehmer Anstieg! Schnell fahren meine beiden Mitstreiter weg. Die Anderen überholen mich - ich bin allein.
Trostlos wie mancher Ausblick: Die Psyche finisht beim Alpentraum, nicht der Schenkel.
Der Anstieg ist nicht hart. Auch nicht steil. Nicht lang. Nur - er zieht mich runter. Einziger Lichtblick ist die nahe Verpflegungsstation in Nauders - spätestens seit meinem Einsatz beim
Race Across the Alps im Juni dieses Jahres ein mir sehr vertrauter und lieb gewonnener Ort.
Ich fühle mich schlecht.
Allein. Irgendwie.
Als ich endlich Nauders erreiche merke ich, dass ich eigentlich super in der Zeit liege. Es ist erst 14 Uhr - also noch massig Zeit bis zur Cutoff-Zeit am Fuße des Umbrail. Und doch, irgend etwas zieht mich runter.
Wieder labe ich mich am Essen. Aber Freude kommt recht keine auf. Ein detailliertes Höhenprofil vom Umbrail, das sie aufgehangen haben, motiviert da auch nicht gerade wirklich.
Nach etwa 15 Minuten trifft Jens Vögele, Chefredakteur der Roadbike, ein. Er sieht fast noch schlimmer aus als ich. Als er in meiner Nähe ist, spreche ich ihn an: "Na, Jens? Bereust Du es schon?" Er so: "Ja ...", sein Blick geht ins Leere. Ich hatte Jens am Oberjoch, dem ersten Anstieg, überholt. 15 Minuten Vorsprung - das finde ich ganz okay.
Als ich weiter fahre, kann ich keine rechte Lust empfinden.
Mir fehlt jemand. Ich merke, dass ich kein Einzelkämpfer bin. Ich brauche einen Vertrauten, einen Freund, einen
Buddy, mit dem ich solche Sachen machen kann. Der muss nicht immer bei mir sein, allein - zu
wissen, dass er da ist, würde mir viel Kraft geben. So aber trete ich mit schierer Unlust den Rest des Reschenpasses unter mir weg, gehe in die Abfahrt.
Grund 5, hier (nicht) am Alpentraum teilzunehmen: Ich habe keinen Buddy. Keinen, an dem ich mich messen, mich reiben, mich motivieren kann.
Trugbild in Gomagoi.
Und in dieser Abfahrt vom Reschen fälle ich dann auch die Entscheidung: Kein Umbrail mehr! Auch wenn ich eigentlich sehr gut in der Zeit liege, so gesehen locker finishen könnte: Jetzt hier noch das "Zwischenstück" zum Umbail-Pass fahren (ein mal rund um den Stelvio), dann 1.400 Höhenmeter und +20 Kilometer auf das Stilfser Joch ... wie nass und wie kalt wird es jetzt auf 2.800 Metern Höhe? - und dann noch die Abfahrt (in der Dunkelheit?) - nur um dann noch einmal 10 Kilometer bis Sulden im Anstieg zu stecken?
Nee, Leute. Nicht mit mir. Nicht heute.
Ich bin
leer.
So biege ich in Laatsch links ab, wo ich rechts müsste. Und fühle mich nicht ein mal schlecht dabei. Via Prat dann einfach einen Teil des Stelvio-Anstieges. Dann den Rest nach Sulden. Denke ich mir so. Und dann bin ich
bald da.
Ich werde mich täuschen.
Das letzte Stück nach Sulden: Steil, steil, steil!
Eine Weile fahre ich einen Radweg, dann Schotter, dann Prat. Und dann stecke ich im Stelvio. Es wird warm, ja sogar heiß - wow, wirklich: Kaum in Italien scheint die Sonne! Ich halte kurz dort an, wo ich im Juni beim RATA von meinem S5 aufs R3 gewechselt bin - und bedauere, warum ich dieses Rennrad nicht heute dabei habe. Ich sitze da, esse meine letzte Banane und ein letztes Gel - und denke, dass ich das ja hier alles gleich im Sack habe.
Ich ahne noch nicht, dass ich nun bis Sulden noch 1:45 Stunde benötigen werde und für 20 Kilometer in einem wieder scheiße steilen Stück hängen bleibe.
Bis Gomagoi kein Problem - 7, 8 %, das kennen wir, das können wir, das mögen wir. Stelvio, den mag ich. In Gomagoi die letzte Labestation. Sie gucken verwundert - gerade kommen hier ersten 25 % der
echten Finisher vorbei, die Umbrail und Stelvio geschafft haben. "Wow, los!", ruft mir ein Mädel zu. Ich halte an. Trinke Tee. Bin im Arsch. Und erkläre ihr, dass ich abkürze.
"Egal! Trotzdem Hammerleistung, aufi gehts!", motiviert sie mich. "6 Kilometer bergan - dann rollst Du ins Ziel!", feuert sie mich ohne rot zu werden mit einer Lüge an, als ich wieder los fahre.
Diesen Anblick muss man sich hart verdienen!
Bevor ich den wunderbaren Blick auf den Ortler - dem höchsten Berg Südtirols - halbwegs genießen kann, verfluche ich noch tausendfach die Streckenplaner dieses Alpentraums. Was sind denn das für Anstiege? Hinauf nach Sulden 7 Kilometer lang stetig über 10 %, gerne mal Rampen mit 15, 16 Tacken. Von wegen "6 Kilometer bergauf, dann rollen" ...
Ich kämpfe. Ächze auf dem letzten Loch. Fühle meine rechte Patella. Die hängt so loose im Beinling rum, nimmt nicht mehr am Bewegungsablauf des Beins teil.
Bin einfach nur nass (Schweiß oder Regen?), aufgedunsene Haut, die Füße brennen, Salz in den Augen verkrustet, die Brille verschmiert - heißer Atem, ich kann keinen Meter mehr.
Und kämpfe mich doch Meter um Meter nach oben. Großes Mimimi.
Schöner wird es nicht, auch wenn es mit 8, 9 Prozent etwas flacher wird. Sulden Endanstieg - Hammer! "Nein!", beschließe ich, "hier wäre ich niemals hoch gekommen, selbst wenn ich Umbrail vielleicht noch geschafft hätte ..." - Und heute weiß ich: Auch hier wäre ich wahrscheinlich hochgekommen. Genauso, wie ich den Umbrail geschafft hätte. Oder nicht? Oder doch?
Verwirrt.
Irgendwo auf der Strecke muss mein Hirn aus dem Helm gefallen sein.
Total Destruction - ich bin im Ziel.
Als ich nach fast exakt 10 Stunden Netto-Fahrtzeit über die Ziellinie komme, bin ich so im Arsch, dass ich keinerlei Regung zeige. Ich knipse das Garmin aus. Und bin froh, nicht einfach vom Rennrad zu fallen.
Im Ziel. So schlimm war es lange nicht mehr!
Dass sie den Zielbereich am
höchsten Punkt des Ortes, außerhalb selbigen aufgebaut haben - geschenkt! Dass ich nicht glaube, dass die Organisatoren die Strecke, die sie uns hier aufgetischt haben, jemals selbst mit dem Rennrad abgefahren sind - auch das ist okay irgendwie. Warum ein so später Termin gewählt wurde, mag viele Gründe haben. Hey, Schwamm drüber.
So vieles an diesem Alpentraum wirkt unfertig. Oder eher
übertrieben.
Muss man wirklich fast 6.100 Höhenmeter treten können? 252 Kilometer durch die Hochalpen? Ja sicher, das RATA hat mehr als doppelt so viel Steigung - das ist aber auch ein Event für Ultrasportler.
Ist der Alpentraum noch Jedermann?
Von den 479 gemeldeten Startern, die in Sonthofen heute Morgen auf die Reise gegangen sind, werden nur 293 als Finisher gewertet. Das ist eine DNF-Quote von fast 40 Prozent! Und selbst von den 60 Prozent, die es offiziell ins Ziel schaffen, erreichen etliche nur das Ziel, weil der Veranstalter das Zeitlimit am Ende aussetzt. Noch bis neun Uhr abends sehe ich vom Hotel aus die armen Schweine (Helden!) durch die Dunkelheit kurbeln.
Diesen Zielbogen werden längst nicht alle sehen.
Jens Vögele wird nach 13:45 Stunden als Finisher in den Listen gewertet - er wird rund um 21 Uhr in Sulden eintreffen. Es wird schon stockdunkel sein.
Sebastian wird schon sehr früh, nämlich oben auf der Piller Höhe aus dem Rennen genommen. Ein Platten hatte ihn Zeit gekostet, das Cutoff besorgte dann den Rest. Besenwagen nach nicht einmal 150 km. Er ist sehr enttäuscht.
Aber Ingo wird das Ziel erreichen. Er wird sich über Umbrail und Stelvio gekämpft haben in der Dunkelheit nach Sulden schleppen. Hut ab Ingo - Hammer! Nach 13:38 Stunden trifft er in Sulden ein, einfach Klasse!
Christina Rausch, die ich am Gaichtpass verloren haben, finished nach 11:18 Stunden auf dem zweiten Rang der Damenwertung. Einen herzlichen Glückwunsch, Christina. Superleistung!
Ist der Alpentraum noch Jedermann?
(M)eine Bilanz - Endura Alpentraum. Nie wieder!
Ich überlege lang hin und her. Was war das hier gerade? Was habe ich hier geleistet? Was nicht? Woran lag es? Die lange Saison, mangelnde Vorbereitung, Regen & Kälte? Von allem etwas, würde ich sagen.
"Heiko, wenn Du dabei gewesen wärst, ich hätte gesagt - komm, wir fahren den Stelvio!" - erzähle ich meinem Teamkollegen, als er mich fragt, wie es war. Ja, wenn ich alleine bin, gehe ich eher auf safe. Wenn ich einen Wingman habe, eher auf Angriff. Wie war das mit dem Buddy?
Noch in der heißen Badewanne, die ich mir in meinem Hotel in Sulden einlasse, kommen mir Zweifel: Hätte ich es nicht doch noch schaffen können?
Viel haben - aber noch viel Soll.
Sicher, die Renndistanz, die ich heute gefahren bin, ist mit 223 Kilometern beachtlich, auch die 4.600 Höhenmeter können sich sehen lassen. Und mir fehlen nur 11 Prozent zur Volldistanz. 30 Kilometer - die hätte ich sicher noch geschafft!
Aber die Höhenmeter. Fast ein Viertel der Steigleistung habe ich heute nicht erbringen können. Ganze 1.400 fehlen mir - 24 % nicht geschafft? Hammer!
Ich ziehe den Hut vor allen, die - egal ob innerhalb oder außerhalb des Limits - diese Tortur überlebt haben! Einfach unglaublich, was der Alpentraum an Kraft, Ausdauer, Können und vor allem Psyche verlangt. Ich war heute zu schwach. Keine Frage.
Ich stehe am nächsten Morgen auf meinem Balkon, die Knie schmerzen, ich genieße den Ausblick und denke noch immer nach.
Nochmal das Ganze?
Am nächsten Morgen: Alles nur ein böser Traum?
Beim Frühstück sitze zwischen zwei Finishern. Beide echte Finisher. Ich schäme mich nicht, mein Scheitern zuzugeben. Angesichts des Zustands meiner beiden Nachbarn ist ein Teil in mir sogar froh darüber: Die Herren sehen
sehr schlecht aus.
"Das war definitiv härter als Ötztaler!", sagt der Eine.
Der Andere: "Das war definitiv härter als
alles andere!"
Immer wieder nagt in mir dieser Gedanke: "Warum hast Du nicht einfach weiter gemacht?" Und dann das Offensichtliche: Noch über Umbrail, diesen Riesenzacken plus diese Scheiße ab Gomagoi? Never!
Das Graue ist die echte Strecke. Hätte ich das gepackt? Nein? Ja?
Wirklich? Never? Ich bin mir unsicher. Und immer unsicherer, je mehr ich mit den Mitfahrern, die mit mir im Bus sitzen, rede. Nein, gestern hätte ich das nicht gepackt, bin ich mir plötzlich sicher. Wenige Minuten später zweifle ich daran schon wieder. Warum hab ich es nicht einfach versucht? Besenwagen - so schlimm ist das nun auch nicht, oder?
Heimreise nach Deutschland - Endura Alpentraum 2014? Klar bin ich dabei!
Am nächsten Morgen steigen wir früh in zwei Reisebusse. Unsere Rennräder sind gestern Nacht noch in einem LKW - jedes in einen eigenen Pappkarton gehüllt - auf die Reise gegangen. Wir verabschieden uns von Sulden, toller Ort, der Bus gibt Gas.
Abschied aus Sulden.
Die Abfahrt nach Gomagoi, im Bus, zeigt mir erst, wie steil das hier wirklich war. Beängstigend!
Drei, vier Stunden dauert die Reise, bis wir wieder in Sonthofen stehen. Weitere 10 Stunden später rolle ich in Hamburg ein.
Mir schmerzt noch immer alles.
Das Finisher-Trikot und die Medaille habe ich nur widerstrebend in Empfang genommen.
Ich bin stolz auf meine Leistung, aber einen Alpentraum bin ich nicht gefahren. Dieser Alpentraum war krass, fast wahnsinnig, dieses absurd harte Rennen so spät im Jahr zu fahren, nur bergauf, im Regen, bei Kälte, über die steilsten Anstiege, die man sich denken kann. Vollkommen verrückt, einem eh schon harten Ötztaler diese Konkurrenz zu machen, einfach hirnrissig, vollkommen gaga. Eine Wahnsinnsherausforderung. Absolut unnötig - und deshalb so gut.
Und ich? Ich bin
auf jeden verdammten Fall 2014 wieder dabei!
Hier gibts meine Garmin-Daten vom Endura Alpentraum 2013.