Vor 2 Wochen ist es soweit, für mein
Team SunClass Solarmodule kann ich den Rennkalender für die nächste Rennrad-Saison verkünden. Lange haben wir zusammen gesessen und überlegt. Nun steht ein Rennkalender, der sich sehen lassen kann. Und mit ihm der Saison-Höhepunkt.
Road to RATA - so sollen die kommenden Posts heißen
Denn SunClass steht vor allem für spannende Stories von ungewöhnlichen Rennen, nicht aber für die x-te Teilnahme an immer wieder den gleichen Rennen. Deshalb suchen wir auch so lange nach einem Motto, einem neuen Konzept - einer neuen Idee für das kommende Rennrad-Jahr.
Von London-Edinburgh-London zum Race Across the Alps
Schon als ich die erste Version des Rennkalenders präsentiere, halten mich alle für komplett verrückt. Mein Plan: Wir fahren nur Langstreckenrennen und fahren sie so, dass mit jedem Event mehr und mehr Leistung abverlangt wird um dann am Ende mit dem Knaller LEL - London-Edinburgh-London - die Saison zu beschließen.
1.400 Kilometer am Stück? Außer Flow meldet sich dafür niemand.
LEL? Wäre krass geworden. Und genial.
"Was lief gut in 2012?", fragte ich mich und schrieb all die tollen Dinge auf, die wir erlebten. Wir haben alle auf unsere Weise unsere Grenzen verschoben. Heiko hatte es so ausgedrückt: "Dass ich mal das Stilfser Joch bezwinge, hätte ich nie gedacht." Richtig! Wir haben Alpen, Dolomiten und die Pyrenäen jeder für sich ein Stückchen nivelliert.
Also warum diese Grenze nicht noch weiter pushen?
Ich wage einen zweiten Anlauf und präsentiere dem Team einen neuen Rennkalender. Weniger europäisch, mehr auf die Berge, mehr auf die Alpen ausgerichtet. Ein "Italo-Kalender", wenn man so will.
"Race Across the Alps?", fragen sie alle. Und sind begeistert. Und irgendwie auch nicht. Teilnehmen will außer mir zwar wieder nur Flow, aber alle anderen sind zumindest mit den "Trainingsrennen" im Rahmen des italienischen Prestigio-Cups einverstanden. Die Saison ist geboren.
Das RATA aber ist das "härteste Eintagesrennen der Welt" und laut Aussage des Veranstalters "nur etwas für wirkliche Ultrasport-Profis". Ein Ultrasportler bin ich beiweitem nicht. Schon gar kein Profi. Aber wohl einer, der Herausforderungen annehmen und konzentriert, zielgerichtet und sehr hart trainieren kann.
Das Theorem des Scheiterns: Eine neue Herangehensweise
Für mich beginnt die Vorbereitung auf das Race Across the Alps schon im Oktober. Ich treffe mich mit Florian bei ein, zwei, drei kalten Beck´s und wir starten ein lockeres Brainstorming. Denn die zentrale Frage - und mithin der häufigste Einwand all der ganz Schlauen da draußen, die immer gute Tipps parat haben - ist doch diese: "Wann gebe ich auf?".
Wir notieren wild, was uns in den Sinn kommt.
Wichtige Stoffsammlung als erster Schritt: Was macht mich scheitern?
Ich schreibe mit dem Marker viele Stichworte auf, wir diskutieren sie, mal mehr, mal weniger. Wir erzählen uns Anekdoten, wir streichen auch Worte. Am Ende habe ich ein DIN A2-Blatt voller Schlagwörter.
Mit unterschiedlichen Farben fassen wir diese nun zu Gruppen zusammen. So finden sich Poschmerzen, Nackenschmerzen, Handgelenk-Schmerzen, Kopfschmerzen, Magenschmerzen und all die anderen "Wehwehchen" zu der einen Gruppe zusammen, Zeitdruck, Gehetzt sein, Verfolgungswahn oder auch Übermotivation in eine Gruppe "Psychologisches".
Am Ende kann ich diese recht einfach in fünf Gruppen bündeln. Der erste Schritt ist getan. "Rennrad & Eqipment", "Ernährung, Drinks & Nutrition", "Gesundheit", "Psyche" und als Bonusgruppe "Support-Team".
Im Zentrum der Überlegung: Schmerzen & Leid.
Wenn wir uns mit den Dingen befassen, die uns ein Rennen von der Intensität des RATA abbrechen lassen könnten, dann steht sicher die Gruppe "Gesundheit", in der sich alle Keywords rund um das Thema Schmerz und Leid wiederfinden, für uns am höchsten.
Schmerzen stehen im Zentrum aller Überlegungen.
Ich male jeden der einzelnen Abbruchgründe in die Mitte zweier Kreise. Zum Beispiel stehen "Knie-, Handgelenk- und Nackenschmerzen" dort.
In den ersten, näheren Kreis schreibe ich nun jedes mal, was ich im Vorfeld des Events tun könnte, um den Eintritt dieses Abbruchgrunds zu verhinden. So steht bei den drei genannten Schmerzen dort unter anderem "Rennrad genau einstellen" oder "dick gepolsterte Handschuhe kaufen" oder auch "Core-Übungen zum Ausbau der Nackenmuskulatur".
Die Handschuhe markiere ich gleich mal: "Packliste" schreibe ich in Rot hin. Am Ende werde ich viele neue Produkte auf einem Bestellzettel zu stehen haben. Bike24 & Co werden sich freuen ...
Es kann aber auch etwas für das Training sein: So werde ich in dem ein oder anderen Langstreckentest, der über die 540 Kilometer des RATA gehen wird, nicht nur Equipment wie optimale Beleuchtung oder eben jene neuen Handschuhe testen, sondern auch neue Energy-Drinks oder Nahrungsergänzungsmittel. Vielleicht teste ich die Wirkung von Koffeintabletten - wer weiß?
Ernährung - der zweite Riesenberg Arbeit.
In dem zweiten Kreis schreibe ich nun die Stufen, die während des Race Across the Alps - anzunehmenderweise - eintreten könnten, um zum Abbruch zu führen. Denn natürlich sind beispielsweise ebenjene Nackenschmerzen selten sofort so krass, dass man abbrechen müsste.
"Was sind die ersten Anzeichen?" und "Wie kann ich/mein Support-Team diese erkennen und gegensteuern?" Vielleicht erkenne ich hier Mechanismen und kann daraus Anweisungen für mein Team generieren, dass mir hilft, Abbruchgründe zu erkennen und zu "behandeln"?
Diese Eskalationsstufen, die ich am Ende recherchiert habe, sollen mich maximal auf alle möglichen Facetten vorbereiten, die rund um das jeweilige Thema, den jeweiligen Abbruchgrund, auftreten könnten.
Lessons learned: Was 2012 mich gelehrt hat.
"Das schaffst Du nie!"
Ach Kinder. Wie oft habe ich diesen Satz schon gehört - und das weit, weit vor meinem Entschluss, mich beim Race Across the Alps anzumelden! Abgesehen davon, dass man Menschen in ihrem Bestreben, Großes (auch wenn es nur für sie selbst "groß" scheint) unterstützen sollte: Warum müssen manche so offensiv missgünstig sein?
Ich höre das so oft, dass ich nur milde grinsen muss. Die Durchquerung der Rocky Mountains, die 24 Stunden auf der Nordschleife, der Ötztaler Radmarathon ... so oft haben Leute versucht, mir Dinge auszureden, von denen sie selbst vielleicht gar nichts verstehen. Und wenn ja, verstehen sie mich vielleicht nicht. Die Liste ist lang und sicher kennt Ihr das aus Eurem Bekanntenkreis zur Genüge.
Ohne die Härte des RATA herunterzuspielen - und ich bin mir durchaus bewusst, dass dieses Event ein Grenzgang im allerwahrsten Sinne des Wortes ist - aber was macht mich so sicher, das Geld unseres Sponsors in gerade dieses Rennen zu stecken?
Aus dem "Scheitern" wird ein Plan der systematischen Prävention.
Es sprechen
im Gegenteil einige sehr gute Gründe für ein Finish beim RATA.
Zunächst, und das ist nun wirklich alles andere als ein leerer Spruch: Man wächst mit seinen Aufgaben. Es ist wirklich so! Als ich 2010 dem Team den Rennkalender für 2011 vorstelle - damals fahren wir den German Cycling Cup und zum ersten mal die 24 Stunden "Rad am Ring" - halten mich alle für bescheuert.
"Zu viele Rennen!" heißt es - "Fast alle 4 Wochen ein Rennen!", klagen sie und: "Immer die längste Strecke!". Und am Ende? Am Ende steht Ines beim 3 Etappen-Rennen RiderMan auf dem 3ten Gesamtrang der Damen, am Ende belegt unser Team den 23ten Gesamtrang aller Teams und das obwohl wir mit nur 5 anstatt 7 Rennen gewertet werden! Das hätte keiner für möglich gehalten ...
Die Pro-Gründe zeigen auf, warum es klappen muss. Kann. Soll.
2012 schüttelt Heiko nur den Kopf. "Was willst Du fahren?", fragt er mich und zweifelt an meiner Zurechnungsfähigkeit: "Die Leggendaria mit über 4.000 Höhenmetern? Das Eröffnungsrennen mit 190 Kilometern? Bist du
wahnsinnig? Und dann alle 2 Wochen
so ein Rennen?!?"
Am Ende finishen wir bei jedem Rennen. Keiner gibt auf. Wir fahren in den Alpen, in den Pyrenäen. Wir fahren sogar die 24 Stunden durch. Hätte im Januar auch keiner gedacht ...
Herausforderungen? Ja klar! Häng´ die Latte ruhig hoch.
Bei meinem Training werde ich präziser, spezifischer. Ich fahre meine Wasebergrunden, bis mir die Waden glühen, reite so oft 1.000 hm, ein mal sogar 2.000 hm am 16% steilen Sträßchen in Blankenese runter. Ich
konzentriere mich und mache keine Spirenzchen, ich habe ein Ziel. Und kann den Ötztaler ohne Probleme finishen. Ein durch und durch perfektes Rennen. Nur eine Woche später das RAR - immerhin knapp 6.700 Höhenmeter.
Was mir die Zuversicht für das RATA gibt? Meine bisherigen Erfolge. Meine Leistungen, die mich bis hier her gebracht haben.
Und - jedes - einzelne - Eurer - "Das schaffst Du nie!".
(Ein) Schlüssel zum Erfolg: Der Team-Support.
Sicher, es wäre vermessen, nur von sich selbst auszugehen. Denn ich bin davon überzeugt, dass mindestens 50 % des Finisher-Erfolgs beim RATA auf eine gute Support-Crew zurück gehen werden.
Und tatsächlich: Viele meiner Keywords, viele Dinge, viele Aufgaben und damit sehr viel Verantwortung für meine Performance beim Race Across the Alps ... viele der Linien, die ich von den Abbruchgründen und den "Lösungen" ziehe, enden beim Support-Team.
Alles ist mit allem verwoben - Kausalketten mit einem Anfang. Und einem Ende.
Schön zu wissen, dass sich Angela und Benji, die uns schon beim 24-Stunden-Rennen auf Nordschleife und Nürburgring 2012 so toll supportet haben, spontan und begeistert bereit erklärt haben, uns beim RATA zu begleiten.
Und ebenfalls toll zu wissen, dass Ines und Robert, zwei Teammitglieder unserer Equipe SunClass Solarmodule und selbst aktive Radrennfahrer (Ines als B-Lizenzlerin) das Team aufstocken. So werden sowohl Flow als auch ich je einen Supporter mit Boxenerfahrung als auch einen gestandenen Rennradler in der Crew wissen: Beste Voraussetzungen, um den Schwierigkeiten gewachsen zu sein.
Equipment bereithalten, Abbruchgründe frühzeitig erkennen und einschreiten, für stetige Nutrition und Getränke sorgen, den Fahrer auf dem Laufenden halten - all das sind Aufgaben, die unsere 2-Mann-Crew ebenso lange hellwach und auf den Beinen halten muss, wie die Aufgabe, 14.000 Höhenmeter und 540 Kilometer in 24 (bzw. 32) Stunden zu fahren, uns selbst.
Ob wir das schaffen? Mit so einem Support sind wir diesem Ziel sicher wieder einen Schritt näher.
Formeln, Thesen und Ergebnisse: Vorschau auf Teil 2.
Die Brainstorm- und Cluster-Charts füllen eine Wand. Jedes mal, wenn ich auf sie schaue, kommen mir neue Facetten und neue Ideen. Jedes mal schreibe ich klein diese dazu - ich vervollständige so mit der Zeit immer mehr
mein Wissen über das Scheitern. Ein super Methode, finde ich, die mich zuversichtlich stimmt, mich optimal vorzubereiten.
Die Charts werde ich in einigen Wochen in eine "To buy-Liste", eine "Equipment-Packliste", eine "Einkaufsliste Essen & Trinken" + "Essensplan", eine "RATA-Apotheke" in ein "Support-Briefing" und einen "Trainingsplan" überführen. Dies wird die Essenz sein.
Weil ich so Lust habe, zeichne ich noch ein Chart.
Der nächste Step: Die Strecke des Race Across the Alps.
Es ist das RATA-Höhenprofil. Ich markiere alle Steigungen auf Stilfser Joch, Mortirolo, Flüela- und Co, notiere Länge und Höhenmeter und berechne -
schnell mal im Kopf - auf Basis meiner bisherigen Steigleistungen, wie lange ich wohl brauchen werde.
"39 Stunden 30 Minuten" stehen da am Ende. Uff.
Das wäre ein DNF.
Na, denke ich mir: Das berechne ich dann mal demnächst
sauber und ordentlich. Und das wäre dann auch der zweite Schritt in meiner Road to RATA: Wie will ich mir mein Rennen gestalten?
Das erfahrt Ihr im nächsten Beitrag.
Fürs erste aber bin ich mit meiner Abbruch-Analyse sehr zufrieden. Natürlich bin ich mir bewusst, dass ich nicht alles einkalkulieren oder voraus sehen kann. Aber eben Vieles.
Und so generiere ich am Ende neben dem Wissen, mein Equipment anzupassen, speziell zu trainieren oder meinen Support zu briefen vor allem Sicherheit für mich selbst, für meine Psyche, mich so tief und gut wie es ging mit allen möglichen und unmöglichen Gründen für ein Scheitern befasst zu haben. Und das wird mir enorm Sicherheit geben.