Es gibt Tage, da bist du ein Held. Du stehst auf, schaust nach draußen, schaust nach dir selbst im Spiegel des Badezimmers und du weißt: Heute, heute ist mein Tag! Irgendwie hast du es im Gefühl, du merkst es, wenn du dir deine Beine beschaust, wenn du an deinen Armen fühlst. Es ist klar. Es steht fest.
Samstag war so ein Tag. Mir war klar, dass es großartig werden würde, als ich 7:10 Uhr im leeren Hamburg vor meiner Haustür posiere, um das Startfoto zu machen.
80 Kilometer zum Geburtstag meiner Süßen liegen an. Nicht viel, früher, auf dem Liegerad, war das meine Mittagsdistanz, 80 Kilometer, Himmel, die ist man locker eingerollt. 150, 160, manchmal 180 Kilometer am Tag keine Seltenheit.
Aber mit meinem Rennrad - alles so neu und ungewohnt - da taste ich mich erstmal langsam an die großen Distanzen heran, denke ich mir.
Ich trete rein, breche auf. Die Strecke ist einfach: Am Airport vorbei geht es auf die B 432 und dann immer geradeaus bis Bad Segeberg. Da muss ich beim Möbelgiganten kräftig links abbiegen und nochmals 30 Kilometer treten, um in Plön in die Arme einer schönen Frau zu fahren.
Klingt gut. Machen wir.
Das Wetter ist herrlich - Heldenwetter. Die Straße wiederum begrüßt mich ab Norderstedt zunächst im jämmerlichsten Zustand seit Gedenken - der Winter hat hier richtig hart zugeschlagen. Ich kann den Schlaglöchern, Dehnungsfugen und Canyons, die sich da im Belag gebildet haben, nur mit halsbrecherischsten Manövern ausweichen. Hier hat Herr Ramsauer noch eine Menge zu tun.
Da ich meinen Bike Computer noch nicht installiert habe, weiß ich nicht, wie schnell ich bin. Aber es fühlt sich verdammt schnell an. Im Rhythmus stampfen meine frisch rasierten Schenkel auf und ab. Unter mir fliegt der Asphalt - der, sobald ich kommunale Bereiche verlassen habe - immer besser wird und die Sonne knallt auf mich herab, als gäbe es kein morgen.
Ich trete rein wie beim Einzelzeitfahren - der Mund weit geöffnet, alle 10 Minuten trinke ich meine Apfelschorle, die ich mir zwei großen Löffeln Isostar gepimpt habe und wechsle stetig meine Griff- und Sitzposition, um nicht zu ermüden. Es klappt hervorragend.
Irgendwo hinter Norderstedt erblicke ich einen Rennradler am Horizont.
"Ruhig, Brauner, ruhig!", rede ich mir ein, denn alles in mir schreit ANGRIFF!
Ich ziehe nur unmerklich mein Tempo an. Irgendwann, am Berg, habe ich ihn dann. Ich ziehe sanft aber stetig an ihm vorbei, nicke ihm zu, Steigung, runterschalten, reintreten, Scheitelpunkt, hochschalten, Aero-Position und ab geht die Luzie.
Ich drehe mich kurz um - weg ist er.
Mein erster "Abschuss".
Irgendwann - es ist noch verdammt früh - erreiche ich Bad Segeberg. Hier wird es Zeit für eine kleine Power-Riegel-Pause und so lehne ich mein Cervélo an einen Crushed-Ice-Automaten und erfrische mich selbst am Isostar-Gebräu.
Da trudelt 10 Minuten später der Rennradler vom Berge ein. Er guckt hoch, sieht und grüßt mich. Er lächelt, scheint glücklich zu sein. Ich gehe auf ihn zu, da merke ich, dass er zum älteren Semester gehört.
"Meine Fresse hast Du nen Zahn drauf!", schnauft er mir ins Abnehmen seines Helmes entgegen, "Was hast´n für nen Schnitt?"
"Kein Ahnung", sage ich. Mein Bike-Computer ist noch nicht montiert.
"Na, so wie Du da abgezogen bist, sicher 35 oder so.", sagt er, wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht und setzt seinen Rucksack ab. Danke fürs Lob, denke ich mir.
Er erzählt mir, dass er nach Timmendorfer Strand unterwegs ist. Von Hamburg aus ein Ritt von knapp 100 Kilometern. Das mache er an jedem Wochenende, wenns schön sei, sagt er mir. Und nennt fast beiläufig sein Alter.
Der mann ist Siebzig.
Wow! Da muss ich staunen. Und nachfragen. 70 Jahre, kann das sein? Klaro, gibt er mir zu verstehen. Er hält sich halt fit und deutet auf seinen Renner. Ein, wie ich erst jetzt bemerke, Vollcarbonrenner aus dem Hause Porsche. Stolz prangt das Wappen am Steuerrohr.
Was für ein Typ, denke ich mir. Mit 70 mal eben nach Timmendorfer Strand gurken. Hut ab!
Später stellt sich heraus, dass er Pilot war und meinen Vater kennt. Zufälle gibts, die gibts gar nicht. Wir verabschieden uns, wünschen uns gute Reise und ich nehme die letzten 30 Kilometer in Angriff. Nach etwas mehr als einer Stunde erreiche ich das Elternhaus meiner Herzdame. Der Empfang ist, wie es sich für einen Helden gehört: Herzlich und warm.
Die Geburtstagsfeier ebenfalls. Aber ich halte mich zurück. 4 Bier und ein paar Erdbeer-Limes müssen reichen. Tun sie auch.
Immerhin muss ich noch am Sonntag zurück.
Und da ist Regen angesagt.
Regen? Als ich 17 Uhr meine Sidi-Schuhe ins Pedal einklicke, fängt es gerade an. Zunächst noch zaghaft, Ortsausgang Plön aber haut mir dann Petrus die Liter nur so um die Ohren. Keine fünf Minuten später fahre ich durch wütende Gischt, tropfe triefend und die Nässe kriecht durch jede Lücke. Regen? Wolckenbruch wohl eher.
Ich trete rein. Was solls, sage ich mir, nun hilft es nix, nun muss ich hier durch. Ich denke an Fabian Cancellara, an Contador und die Schlecks. Ich denke an all die Titanen der Landstraßen, an die Ritter des Asphalts. Regen, das kann, das darf kein Hindernis sein!
Schneller, immer schneller werde ich.
Wasser schwappt in meinen Schuhen. Rund um mich herum wird es dunkel. Düster. Ich allein auf überflutetem Asphalt. Blitze zucken über den Himmel. Geblendet von hellsten Farben durchschneiden meine dünnen Reifen den Regen. Wieder zuckt es hell von Wolke zu Wolke. Um mich herum tobt das Gewitter. Titanenwetter.
Gibt es Aquaplaning bei Rennrädern?
Irgendwo vor Bad Segeberg mache ich eine Pause, als es allzu stark vom Himmel pladdert - ich kann nichts mehr sehen. So verspeise ich zwei Powerbar-Riegel, lutsche ein Gel und trinke mir einen halben Liter Orangensaftschorle von Schwiegermama rein. Gestärkt aber zitternd steige ich vollkommen nass auf meine vollkommen nasse Maschine. Raus auf die Straße. Rein in den Regen. Mitten drin im sonntäglichen Weltuntergangsverkehr.
Auto um Auto überholt mich. Konzentration auf die Spur, Koordination der Schaltvorgänge. Ich muss wachsam sein - in den Pfützen kann ich Schlaglöcher oder Gullydeckel nur sehr schwer erkennen.
Da packe ich meinen Zeitfahrerstolz aus. Kralle mich in die Schaltgriffe meines FSA-Lenkers und trete rein - die 50 Kilometer reiße ich jetzt runter wie nix.
Hinten vibriert und klingelt mein Handy. Aber nicht jetzt Leute, nicht jetzt, ich habe eine Mission.
So spule ich die Umdrehungen runter.
Kurbele die Kilometer durch.
Fliege nur so über die Hügel.
Bügele die triefende Landschaft flach.
Schneide durch Pfützen.
Was kümmert mich der Liter Wasser, der da kalt und ätzend in jedem Schuh schwabbt?
Was mache ich mir aus der schlammigen Gischt, die mir ein Kilo Sand pro Kilometer in die Poritze spült?
Wasser rinnt wie ein Wasserfall meinen Helm hinab.
Sehen kann ich längst schon nichts mehr.
Mein Rücken schmerzt. Meine Ellenbogen kann ich kaum mehr beugen. Mein Hintern aber ist erstaunlich fit. Treten, treten, bete ich die alte Litanei, und trete mich in Regentrance.
Noch 30 Kilometer.
Dann fliegt Norderstedt wie im Traum vorbei.
Dann der Airport.
Es ist 20 Uhr, als ich mich nach 3 Stunden Reisezeit ausklinke und meine Haustür aufschließe.
Der Titan dampft, als er 5 Minuten später unter dem heißen Strahl der Siegerdusche steht. Was für ein Gewaltritt! Aber wie geil war das denn bitte? Mehr, mehr davon!
Gefahren: 2 x 80 Kilometer in jeweils 3 Stunden Brutto
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Dein Bericht kann einem ganz schön Lust auf Rennradfahren machen. Ja, das hat was. Mit fast nichts auf dem Leib trotzt man allen Widrigkeiten. Kein Licht, keine Schutzbleche, einfache Seitenzugbremsen, hart, unbequem, unvernünftig. Trotzdem Fahrspass pur und hohes Suchtpotential.
AntwortenLöschenJa, dann mal auf zur ersten RTF!
Grüße, Norbert
cool
AntwortenLöschenHi Larsi,
AntwortenLöschenwenn du das lesen kannst, dann funktioniert deine Kommentarfunktion.