5. Juli 2015

Faszination Zeitfahrrad: Meine Erfahrungen vom ersten Mal auf einem TT-Bike.

Es gibt wenige Momente, die mich nach nunmehr fast 5 Jahren ununterbrochenem Radsport und nach 8 Jahren, die ich intensiv Rad fahre, wirklich so richtig und restlos begeistern. Sprachlos machen. Ich meine, wirklich so grenzenlos begeistern, wie ich es damals war, als ich mir 2008 mein erstes Rad zulege, die paar Kilometer nach Hause fahre und so durchweg fasziniert bin, dass ich meinen Blogbeitrag beginne mit: „Ich bin noch nie auf einem Pferd geritten, aber so muss sich das anfühlen, wenn man absitzt nach einem Höllenritt, froh ist, den jungen Mustang überlebt zu haben …“. 


Meine erste Testrunde - 65 intensive Kilometer.

Oder wie damals, 2011, als ich nach meiner ersten Runde auf der Nordschleife bei Rad am Ring an der 100 km/h-Grenze kratze und mir das Adrenalin literweise aus den Ohren gelaufen kommt. So ähnlich freudig vibrierend, glücklich und aufgekratzt, so fühle ich mich heute. Ich kehre gerade zurück von 65 Kilometern auf einem neuen Rad. Einem besonderen Rad: Ich bin zum ersten Mal ein Zeitfahrrad gefahren. Wahnsinn!



Der Cervélo P3 – das sind die Unterschiede zu einem Rennrad.


Mich faszinieren diese Speedmaschinen schon sehr lange. Wenn ich es noch zwischen Job und Familienstress an das TV-Gerät zu Radsport-Übertragungen schaffe, dann ist es meist ein Zeitfahren oder das Teamzeitfahren, für das ich mir Zeit nehme. 




Nicht allzu extrem eingestellt - dennoch verblüffend anderes Fahrgefühl.

Zeitfahrräder sind für mich die Spitze der Rad-Evolution, kompromisslose Geschwindigkeitsproduzenten. Mit meinem Interview mit Marc-Alex Raissis zu dessen Cervélo P3 beginne ich, diese Faszination mehr an mich heran zu lassen, sie auszuleben.


Umso schöner, dass mir Cervélo vor einer Woche ein nagelneues P3 der 2015er-Range für einige Wochen zum Testen überlasst. Einige Tage steht das Hochglanz geputzte Gefährt erst einmal nur bei mir im Wohnzimmer, Abend für Abend schleiche ich um den Rahmen, zücke immer wieder meinen Drehmomentschlüssel und versuche, das Rad auf meine Körpergeometrie anzupassen. Was mir sofort auffällt: Das P3 ist im Vergleich zu meinem S5 – dem Aero-Rennrad aus dem Hause Cervélo – nicht wirklich „schlanker“ gebaut. Das lese ich nämlich seit Jahren, dass TT-Bikes angeblich weniger steif gebaut wären (sie müssten ja nur geradeaus fahren, nicht dieselben Belastungen wie etwa ein Rennrad in einem harten Anstieg aushalten). Beim P3 trifft das nicht zu – im Gegenteil: Ich finde das Sitzrohr sogar massiver gebaut, beim Tretlager und den Kettenstreben erkenne ich keine Unterschiede, das Steuerrohr ist sogar noch dicker ausgeprägt. Trotzdem eine schlanke, eine wunderschöne Linie.

Anfangs hadere ich mit mir – ich liebe den Seattube-Cutout an meinem S5. Eine Reminiszenz auch an das alte P3, diese Linie, welche das Laufrad aufnimmt. Beim neuen P3 gibt es diese Linie nicht mehr. Ich hadere mit mir, irgendwie verstehe ich den neuen Rahmen nicht, möchte vielleicht auch nicht wahrhaben, dass in dem neuen P3 mehr vom großen High Tech-Bruder P5 steckt, als vom Übervater der TT-Bikes P3. Ich schlafe eine Nacht drüber. Am nächsten Morgen verstehe ich es. Kann die Schönheit und die Dynamik des neuen P3 würdigen, lese das neue Dekor, ganz bescheiden, Schwarz auf Anthrazit, weiße Basis. Einfach. Und doch irgendwie raffiniert.



Zeitfahren ist etwas ganz Eigenes. Und macht süchtig!

Immer wieder messe ich nach. Dass ein Zeitfahrrad einen längeren Radstand als ein Rennrad hat, ist mir bekannt. Logisch: So wird schon durch die Geometrie des Rahmens allein eine gestrecktere Sitzposition des Fahrers provoziert und damit mehr Aerodynamik erreicht. Aber dass sich die Werte so stark unterscheiden hätte ich nicht gedacht: Das Tretlager sitzt beim P3 fast 5 Zentimeter weiter hinter der Vorderachse als beim S5. Von Gabel bis zum hinteren Ausfallende ist der 56er-Rahmen des P3 noch immer fast 3 Zentimeter länger als mein 58er Rennrad. Und was nur 5 mm bei der Position auf einem Rennrad ausmachen weiß ich spätestens seit meinem Bike-Fitting.


Ich habe noch nie auf einem Zeitfahrrad gesessen und schon die eine oder andere Horrorgeschichte zum Thema Rückenschmerzen gehört, also stelle ich mir das P3 nicht allzu exzessiv ein: Vorderachse bis Steuersatz-Schraube bei 57 cm (7 cm weniger als beim S5), Sitzrohrlänge Tretlager bis Oberkante Sattel 81 cm (79 beim S5). Die Sattelüberhöhung von 14 cm (dann 1 cm mehr als bei meinem S5) reicht mir für den Moment vollkommen aus, um schon einen dramatisch spürbaren Unterschied in der Sitzposition im Vergleich zum Rennrad herzustellen.


Dann geht es das erste mal raus. Die ersten Kilometer. Nicht viel, nur 15.000 Meter, die leere Elbchaussee ein paar Mal hoch und runter geballert, am Morgen vor dem Halbmarathon. Die Straßen kaum befahren, guter Asphalt, kein Verkehr. Perfekt für erste Runden mit zittrigen Füßen auf diesem Stealth Fighter, diesem Speed Eater.



Forderung nach Vortrieb: Das Fahrverhalten eines Zeitfahrrads.


15 Kilometer, die schon ganz gut ausreichen. Am Ende fasziniert und Baff. Kurzum: Ich könnte brüllen! Könnte die ganze Zeit schreien und jauchzen, so sehr macht mich dieses Fahrgefühl an. Es macht mich richtig fuchsig! Immer, wenn ich den Scheitelpunkt meiner kleinen Teststrecke erreiche, abbremsen muss um umzukehren, bedauere ich, die Speed aus dem Bike nehmen zu müssen. Es ist wahr: Diese Zeitfahrräder sind nur für Geschwindigkeit gemacht.

Langsam? Können die nicht.

Ich spüre schon nach den ersten 5 Metern wie grundverschieden Zeitfahrrad und Rennrad sind. Sofort erschließt sich mir die Auswirkung von langem Radstand und nach hinten versetztem Tretlager: Rollt man langsam und bei niedrigen Geschwindigkeiten bis rund 20 km/h, fährt sich das P3 irgendwie ungewohnt. Schwammig, könnte man meinen. Man hat das Gefühl, dass es eher behäbig auf Kurvenbefehle reagiert, anstatt um die Ecke möchte es geradeaus, nach vorn fahren. Es will halt Speed.


Mühelos die 50 km/h erreichen - und halten. Dank Aeroposition kaum ein Problem.

Hat man die dann drauf, ändert sich das Bild abrupt: Agil, freudig, geradezu spritzig reagiert das Bike. Mühelos lässt es sich bis 50 km/h peitschen, fast fühle ich mich wie ein Hamster, der vor lauter Enthusiasmus das Laufrad zu sehr beschleunigt hat und nun Angst haben muss, vom sich überschlagendem Käfig selbst mitgerissen zu werden. Stoisch schießt das P3 geradeaus. Dieser Geradeauslauf ist beeindruckend. Kurven nimmt es bereitwilliger wenn km/h in dem Rahmen stecken, aber noch immer muss ich es scheinbar um die Ecken zwingen. Mich beeindruckt diese Erkenntnis. Welchen Unterschied doch wenige Zentimeter Verschiebung in dem ach-so-alten Diamantrahmen bringen können.


Man kann nicht aufhören zu treten. Ich finde nie die Speed, bei der ich einen letzten Gang hochschalte und mir denke „Jetzt reicht es, hier bleibe ich.“ Das Zeitfahrrad will immer mehr. Extrem nach vorn gebeugt, tief über dem Asphalt, die Nase direkt im Wind, jede Bodenfalte sofort in Schulter und Kopf fortpflanzend kann ich nicht aufhören, immer weiter hochzuschalten. Brennend schaufle ich heiße Luft in die Lungen, schon schießt heißes Schwitzwasser aus allen Poren. Wenige Kilometer sind es, bis erste Seitenstechen mich endlich bremsen. Droge, dieses P3. Droge!



Der 3T Auro-Zeitfahrlenker: Cockpit mit nur zwei Optionen.


Der Zeitfahrlenker ist in seiner Konsequenz und Kompromisslosigkeit dem Gesamtkonzept des Zeitfahrrads angepasst. Er lässt nur zwei Optionen zu: Beschleunigen/Abbremsen oder eben ... Speed. Keine Möglichkeit zur Erholung, keine Entspannung, kein Genuss, kein rollen lassen. Hier kannst du entweder anfahren und Gas geben und abbremsen – oder dich in Zeitfahrhaltung begeben und die Speed halten. Ein Lenker, dessen Griffpunkte so manifest, so eingeengt sind, dass ich anfangs fast pikiert bin, als ich merke, dass auch dieses Bauteil des P3 logischerweise dem Metakonzept von hoher Geschwindigkeit, wem Weglassen allen Ballasts und damit der kompromisslosen Jagd nach Sekunden untergeordnet ist.





Nur in der extremen Unten-Position erträglich: Die kompromisslose Zeitfahrhaltung.

In der Außen-Griffposition lassen die Hörnchen meinen Händen vorn und hinten kaum Platz. Nur mit einer Lage Lenkerband umwickelt, polstert hier nichts – das dünne Gewebe dient nur dazu, dass ich vom Carbon nicht abrutsche. Puristische Speedfreaks werden wohl auch diese Lage entfernen. Die Länge des Griffes ist gerade so bemessen, dass meine Hände passen. Daumen und Zeigefinger direkt an den Schaltknöpfen der Di2. Mehr gibt es hier nicht. Du kannst dich festhalten und beschleunigen, hochschalten, beschleunigen, hochschalten, beschleunigen. Keine weiteren Optionen. Keine Obenlenkerpositionen. Beschleunige und dann sofort wegducken vor dem Wind, in Zeitfahrposition. „Hände weg von mir!“, scheint der Lenker zu brüllen. „Gib Gas, Dödel, trödel nicht!“


Liege ich dann mit meinen Unterarmen auf, umfasse die Griffe weit vorn, ducke mich weg und hänge fast eingeklemmt zwischen Sattel, Armauflagen und Tretlager, ist es wieder der Hamster im Rad, der mir in den Sinn kommt. Hier ist wahrlich nichts bequem. Eine optimale Position um Watt zu erzeugen – Genuss geht anders. Der Lenker fühlt sich gut an. Auch in Zeitfahrposition erreiche ich bequem und nur unter Krümmung meiner Fingerkuppen die Schaltknöpfe der Di2, kann jederzeit – soll jederzeit – weiter hochschalten, noch schneller werden. Die Häuser der Elbchaussee fliegen an mir vorbei, verschmelzen zu einer Kulisse aus horizontalen Streifen.


So flitze ich dahin. Unter mir wirbeln die Pedale. Einigen Bodenwellen und Schlaglöchern kann ich dann doch überraschend wenig ausweichen, andere, größere Kursänderungen muss ich fast genau im Voraus planen – ich frage mich, ob das meine mangelnde Erfahrung auf diesem Rad ist oder ob Zeitfahrräder an sich aufgrund des grundverschiedenen Fahrverhaltens immer nach mehr Arbeit in den Kurven verlangen?



Schalten mit der Di2: Auch auf dem Zeitfahrrad ein Traum.


Ich fahre die elektronische Schaltung von Shimano schon länger an meinem S5. Deshalb begeistert mich das präzise, kaum zeitverzögerte und schnelle Schaltverhalten nicht mehr ganz so, wie damals auf den ersten Kilometern. Ich frage mich, worin noch die Steigerung dieser tollen Ultegra Di2 zur Dura Ace-Variante bestehen soll? Hinten knallen die Gänge nur so rein, dass ich mich fast an die wundervolle Knackigkeit der SRAM Red erinnert fühle, unvergessen die brachiale Brutalität mit der ich damals an meinem ersten S5 die Ritzel wechseln konnte. Auf dem P3 fühle ich mich stark hieran erinnert. Vorn surrt es nur kurz, schon liegt das große Blatt auf, trete ich dickere Gänge weg nach dem Beschleunigen. Es ist eine wahre Freude!




Unten am Tretlager erkennt man sie, die Di2-Batterie.
Das hätte Cervélo wesentlich besser lösen können/müssen.

Was mich jedoch stört: Die Batterie. Schon am ersten Tag, wenige Minuten nachdem mich das Paket von Cervélo erreicht, direkt nach dem Auspacken, fällt es mir auf: What the ...?! Ein wunderschöner Rahmen, tolle Proportionen, schwarzer Puma. Perfekte Linien, bestes Design. Und dann das: Der Di2-Akku einfach vorn an das Tretlager geklebt. Da kämpfen sie um Millimeter, konstruieren in wahrscheinlich 200 teuren Windtunnelstunden an NASA-Computern einen kleinen, fast nicht erkennbaren Cutout in den Rahmen um ein paar Millimeter des Vorderrades in das Carbon zu integrieren – und knallen dann doch gleichzeitig, sonderbar lieblos und hastig, den eckigen Akku direkt vorne ans Tretlager? Direkt in den Wind? Abgesehen davon, dass das wirklich richtig scheiße aussieht – warum nur? Warum nicht wenigstens unter eine der Kettenstreben wie bei meinem S5? Warum könnt Ihr das – bei einem 5.500 € teuren Rad – nicht irgendwo in den Rahmen einbauen?
Mir unbegreiflich.

Und doch. Vielleicht ist es wie in jeder Beziehung: Man muss Kompromisse schließen. Ich versuche, über diese einzige, dafür wirklich unschöne Stelle am P3 hinweg zu sehen. Nicht darauf zu achten. Es funktioniert leidlich. Ich frage mich, ob und wann sie diese letzte Unzulänglichkeit, diesen einen Makel am ansonsten faszinierend perfekten Rahmen beseitigen werden.



In Zeitfahrposition: So schme(l/r)zen die Kilometer.


Freitagmorgen. Ich habe mir einen Tag Urlaub für das P3 genommen. Wir - Heiko und ich - fahren in Geesthacht los, es ist kurz nach 6 Uhr. Vor uns der angeblich wärmste Tag des Jahres. Wir wollen diesen nutzen, um 150, 180 bis vielleicht 200 Kilometer zu machen. "Bis Dömitz könnten wir, dann wieder zurück", hatten wir uns am Vorabend ausgemacht. Dass uns ein Starkregen (samt amtlicher Unwetterwarnung) dann ausbremsen wird und die Fahrt nach etwas weniger als 70 Kilometer beendet, ist mir am Abend dann doch ganz recht: Das Cervélo hat mich ganz schön fertig gemacht. Und Heiko gleich mit.



Gleichmäßig hohe Kadenz = Kilometerfressen!

Ich finde es von Anfang an schwierig, mein (anscheinend hohes) Tempo einzuschätzen. Das Garmin habe ich in der Eile des Morgens zu Hause vergessen, trete also nach Gefühl. Wir sind noch nicht in Hamburg raus, da brüllt Heiko von hinten: "Also bei dem Tempo schaffe ich nicht mal 100 Kilometer, Lars!", etwas pikiert. Whoops, denke ich, zwinge mich, langsamer zu machen. Es sind wieder nur wenige Kilometer, dass sich Heiko ein zweites Mal beschwert. Mir fällt auf: Anscheinend ist die Aero-Position wirklich so überlegen, dass ich es mühelos schaffe, den Schnitt im oberen 30er-Bereich zu halten. Oder täusche ich mich?


Sobald die Straße halbwegs gerade wird und der Verkehr auf den kleinen Landstraßen nachlässt, kann ich mich dem Rad hingeben. Ich kann rollen lassen, einen dicken Ganz treten und es richtig genießen. Die Kilometer schmelzen und erst als mein Magen knurrt - gefühlte 15 Minuten nachdem wir die Elbe bei Geesthacht überquert haben - macht Heiko mich darauf aufmerksam, dass wir schon 30 Kilometer im Sack hätten. "Wow!", mache ich, "die gehen ja richtig weg!?"


Tatsächlich habe ich den Eindruck, auf diesem Bike sehr viel schneller zu sein, als auf meinem Rennrad. Oder täuscht das, ist das nur die Überwältigung, diese temporäre Faszination? Habe ich mich schon zu sehr an mein S5 gewöhnt, dass mich diese Rakete so wegbeamt? Mag sein. Ändert aber nichts an den Litern Adrenalin, die ich wie eine Schleppe hinter mir herziehen muss.


Man kann die Zeit vergessen. Auf diesem Zeitfahrrad.

Dennoch hat das Ganze auch seine Schattenseiten. Sicher: Das Bike ist weit davon entfernt, richtig auf meine Körpergeometrie gefittet zu sein und auch richtig, mein Körper wiederum (vor allem Schulter-Nacken-Core) ist weit davon entfernt, einem Bike wie diesem gerecht zu werden, aber ich spüre es bei unserer ersten Pause beim Frühstück ganz deutlich: Die Oberarme schmerzen wie Hölle! Nacken, Beine - geht alles. Aber es sind die Oberarme, die mich beim absteigen fast umbringen. Zittrig esse ich ein Mettbrötchen. Wow. Einfach nur wow.


Nichts für den Stadtverkehr: Sicherheit auf einem TT-Bike.


Ich bin froh, als wir aus Hamburg und später Geesthacht raus sind. Denn ich merke sofort, dass das Zeitfahrrad auch in einem weiteren Aspekt absolut kompromisslos ist: Der Sicherheit.


Kann ich in Obenlenkerhaltung gerade noch so einen halben Schulterblick hinbekommen, wird dieser in Zeitfahrposition unmöglich. Wenn das Bike für ein richtiges Zeitfahren eingestellt und auch in Obenlenkerposition mein Oberkörper halbwegs waagerecht auf dem Horizont liegt, wird der Schulterblick komplett unmöglich werden: Nichts für den Stadtverkehr!



Hindernis! Aufrichten - umgreifen - bremsen. Das Zeitfahrrad
ist aus Sichtsaspekten im "normalen" Verkehr mit mehr Risiko behaftet.

Hinzu kommt natürlich, dass ich vorn an den Steuerhörnchen in Zeitfahrposition nur schalten, nicht aber bremsen kann. Ich versuche einige Minuten lang hinter Heiko zu fahren - unmöglich. Allein das Umgreifen von Zeitfahrposition, aufrichten und Bremse ziehen dauert deutlich länger, als beim Rennrad, wo alles immer in Griffnähe ist. In kurzem Abstand hinter einem Vordermann herfahren - hier verstehe ich, welch absolute Meisterleistung ein Profi-Teamzeitfahren sein muss! - ist für den Stadtverkehr und im Training mit Sportskollegen aus meiner Sicht grenzwertig. 

Hinzu kommt die Kopfhaltung, die beim Zeitfahren eher zur Straße unmittelbar vor dem Rad führt, als voraus. Gerade als es länger dauert muss ich immer wieder den Kopf nach unten sinken lassen - was meine Sicht auf wenige Meter Asphalt vor dem Vorderrad beschränkt. Auch hier: So kann man auf keinen Fall durch Stadt fahren - ein parkendes Auto, eine sich öffnende Tür oder auch nur ein Schlagloch im letzten Moment zu spät zu sehen, hat man auf einem TT-Bike keine Chance, noch zu bremsen oder effektiv auszuweichen.



Sicherheít sollte Vorrang haben - das TT-Bike gehört auf ruhige Straßen und in den Wettkampf.


Es ist halt ein Sportgerät. Ein Sportgerät. Sicher, man kann sich so fitten lassen, dass man mit einem solchen Rad auch lange Strecken meistert - einige Teilnehmer beim RAAM setzen auf TT-Bikes oder TT-Aufsätze. Und sicher, eine Iron Man-Bikedistanz ist mit 190 Kilometern auch nicht gerade ein Pappenstiel. Aber mein Eindruck vom Zeitfahrrad ist, was ich anfangs auch vermutet hatte: Es ist ein extremes Sportgerät für eine extreme und extrem begrenzte Anwendung: Zeitfahren auf halbwegs flachen, kurvenarmen und verzögerungsfreien Strecken. Und diese am liebsten abgesperrt. So macht das TT-Bike Fun, und das aber richtig! Ohne stetig auf Sicherheit bedacht sein zu müssen, keine Augen für Schulterblicke und Gegenverkehr verschwenden zu müssen einfach nur Gas geben, den Dialog mit sich selbst, seinen Möglichkeiten, seinen Grenzen zu führen. Das kann das TT-Bike wie kein anderes aus der Rennrad-Familie. Dafür ist es geschaffen und dafür sollte es genutzt werden.


Mehr! Länger! Zeitfahren macht süchtig.


Wir kommen in den Regen. Werden sofort durchnässt. Schwarze Wand vor uns - über uns öffnen sich die Wolkentore. In diesem Sinne ganz gut für meinen Test, so kann ich das Bike noch im Regen erfahren. Sicher: Es wird nass. Sehr nass. Aber nicht nasser als auf einem normalen Rennrad. Allerdings ungleich gefährlicher: Zwar verzögern die Bremsen am P3 ganz ordentlich, aber dies nur solange es trocken bleibt. Als wir zwei mal aus Vollgas (wir dachten, wir schaffen es vor dem Gröbsten heim) abbremsen um Unterschlupf zu suchen, erschrecke ich, wie lange die Bremsbacken brauchen, um das Rad spürbar zu verzögern: Wäre dies eine Gefahrensituation mit Verkehr ... Crash garantiert.

Als der Regen vorbei ist geben wir die letzten 11 Kilometer den Deich entlang so richtig Gas. Die ganz Zeit in Zeitfahrposition und: Gib ihm! Es macht so süchtig, es ist so genial! Ich zittere, als ich zu Hause ankomme, das Bike parke und erst beim dritten Versuch an der Haustür das Schlüsselloch treffe. Mir tropft schwarzes Spritzwasser von der Nase, das Gesicht dreckig, zwischen den Zähnen mahlt Straßenschmutz. Es war der Hammer!



Ich habe jeden einzelnen Kilometer genossen. Danke an Cervélo.

Bei den Gesprächen mit Cervélo fällt mir auf, dass sie ihre Räder nie als Dinge benennen. Keiner benutzt dort ein „das“ im Zusammenhang mit den Produkten, immer ist die Rede von dem S5. Es ist der P5. Oder: „Du bekommst einen P3 in 56, weil Du ja sonst 58 fährst“.

Ein Cervélo ist also eine Person. Ein Mann.

Der P3 also.

Und so putze ich den P3 nach meiner Testfahrt, putze ihn richtig heraus. Mache ihn klar zur Rückgabe und sehne mir das nächste Mal herbei. Das nächste mal auf diesem Zeitfahrrad wieder süchtig machende Kilometer fressen zu können. Mich jagen zu lassen. Mich zu quälen. Ich als Pilot. 

Und doch irgendwie nur Nebenrolle. Neben.


Dem P3.







Was ganz anderes, aber auch richtig geil:




MORTIROLO 15.-17. Mai - BERICHT
MONT VENTOUX 29.-31. Mai - BERICHT 
ZILLERTALER HÖHENSTRASSE 10.-12. Juli 
COL DU GALIBIER 7.-9. August JETZT BUCHEN - 350 €
COL DE LA BONETTE 21.-23. August JETZT BUCHEN - 350 €

Bei Fragen, zur Anmeldung oder unverbindlichen Reservierung eines Startplatzes nutze bitte das Kontaktformular hier im Blog.

8 Kommentare:

  1. Hi Lars, so ein Teil würde ich auch gerne mal fahren - sieht schon interessant und schnell aus.... aber ehrlich, nur in den Vierlanden am Deich von Hamburg bris zum Kreisel Geesthacht zu fahren ... dafür wäre mir der Preis dann doch etwas hoch. Solange man keine Rennen fährt, ist das Einsatzgebiet für diese Dinger wohl eher zu gering.

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    1. moin andreas.
      danke für deinen comment.
      jo, da haste recht: son tt-bike lohnt sich nur, wenn man ernsthaft triathlon oder viel zeitfahren betreibt.
      dennoch: fun pur!
      grüße & ride safe
      L

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    2. moin andreas.
      danke für deinen comment.
      jo, da haste recht: son tt-bike lohnt sich nur, wenn man ernsthaft triathlon oder viel zeitfahren betreibt.
      dennoch: fun pur!
      grüße & ride safe
      L

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    3. moin andreas.
      danke für deinen comment.
      jo, da haste recht: son tt-bike lohnt sich nur, wenn man ernsthaft triathlon oder viel zeitfahren betreibt.
      dennoch: fun pur!
      grüße & ride safe
      L

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  2. Der Akku am Tretlager ist tatsächlich ein No Go. Würde das Bike so nicht kaufen. Sieht einfach "billig" aus.
    Bei der ersten Generation der DI2 war es vielleicht ok aber auch da schon extrem hässlich. Mittlerweile packt doch jeder Hersteller den Akku in die Sattelstütze, was doch eine super unauffällige Lösung ist.

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    1. d´accord - kann aber sein, dass ich eine erste (vor-)serienversion gefahren bin und das bei den späteren modellen anders gelöst wird. das ist bei meinem S5 nämlich der fall - batterie unter der linken kettenstrebe, bei allen neuen S5 im tretlager.

      grüße,
      L

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  3. Moin Lars,
    ich lese Deine Berichte und den Blog wirklich gerne. Hier bin ich das erste Mal auf die Mecklenburger Seenrunde aufmerksam geworden. Auch sonst mag ich Deine Schreibe.

    Aber in diesem Bericht hast Du Dich wohl einmal vertan: "Mühelos lässt es sich bis 50 km/h peitschen,"

    Ich fahre selber ein Cannondale Slice und kann vieles nachvollziehen, was Du über Speed schreibst. Aber ich kenne niemanden, der ein Zeitfahrrad in der Ebene mühelos auf 50 km/h bringt. 40 km/h, das mag angehen. Der Stundenweltrekord von Wiggins liegt bei ca. 54km. Das letzte Mannschaftszeitfahren bei der Tour ging mit ca. 52 km/h durch. Der Sieger auf der Olympischen Distanz im Triathlon in Hamburg am letzten Wochenende ist in einer Stunde durch, also 40er Schnitt.

    Vielleicht bist Du ja so auf den Geschmack gekommen, dass Du den P3 behalten kannst. Dann könnte man sich nächstes Jahr mal beim Ollaner Einzelzeitfahren sehen. Wäre bestimmt eine Gaudi.

    Besten Gruß,
    Harald

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    1. moin harald,

      danke für deinen kommentar.

      also, im ernst: ich konnte im vergleich zum rennrad das P3 wirklich müheloser auf 50 km/h bringen - da steht ja nicht, wie lange ich das durchgehalten habe :)

      nee, das TT-bike ist mir zu speziell und mein sportlicher einsatz durch job- und familien-restriktionen zu random, als dass sich eine solche anschaffung für mich lohnen würde. leider. aber wer weiß, was noch kommt.

      LG L

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