11. Juli 2011

Alpe d´Seevetal - mehr Höhe geht nicht?

Lange Rede - kurzer Sinn: Am Sonntag gab es wieder eine RTF zu bestreiten. Dieses Mal vom TV Meckelfeld ganz im Süden Hamburgs organisiert: Die Alpe d´Seevetal.

Das Motto ist ebenso attraktiv wie spannend: "Mehr Höhe geht nicht!" verkünden Sie lauthals in ihrem Logo. Ich bin gespannt.

Pünktlich kurz vor 8 Uhr - dass das Aufstehen eine Qual ist, muss ich nicht extra betonen - finden sich Jan und ich in beschaulichen Meckelfeld ein. Da stehen sie schon und klönen, an die 1.000 Rennradler mögen es schon sein, die sich hier heute eingefunden haben.

Wir akkreditieren uns, heften uns die Startnummern an und rollen gemütlich zum Start: Jan möchte heute 87 Kilometer fahren, ich nehme mir die 158 vor. Die Radmarathon-Strecke mit 201 Kilometer muss es dann doch nicht sein ...

Wieder einmal wundert mich das dann doch recht hohe Durchschnittsalter der Teilnehmer: Auffällig viele Grauhaarige - fit und durchtrainiert - finden sich im Startbereich am Rande eines Fußballfeldes ein.

Natürlich ist auch Waffenschau angesagt: Die neuesten Mavic Cosmic Carbon SLR-Systemlaufräder bei dem einen, ein niegelnagelneues Scott Addict RC und einige andere Highlights der verbundwerkstoffverarbeitenden Industrie rollen an die Startlinie.

Um 9 geben sie die Strecke frei - immer rund 30 Fahrer verlassen den Startbereich. Da sie bei mir alle recht langsam dahinrollen, gebe ich etwas Gas und kann schon nach den ersten Kurven einen komfortablen Vorsprung heraus fahren.

Dass ich diesen allein nicht werde halten können, ist mir klar - als ich aber vor mir die ersten Rennradler des vorhergehenden Startblockes anfange zu überholen, rechne ich mir berechtigte Chancen aus, den schnellen Kern vielleicht doch noch zu erreichen.

Was ich nicht schaffe: Etwa 5 der schnellsten meines Blockes holen mich ein. Dankbar ob des 38er-Schnittes integriere ich mich ins Gruppetto.

Als ich mit Führen dran bin, kann ich unsere Gruppe konstant bei 40 km/h halten. Stolz trete ich gegen den Wind an und bolze in Untenlenkerhaltung durch die Heide: Noch 150 Kilometer vor mir, aber ich gebe Vollgas. Egal!

"Reeechts!", brüllen sie hinter mir.
Ich aber schieße geradeaus. Als ich endlich abbremse und umdrehen kann (Schild übersehen), rollt schon das Peloton um die Kurve.

Mühsam arbeite ich mich von hinten das Feld nach vorn. Komme an Jan vorbei, der es ruhig im Mittelfeld angehen lässt.

"Na? Verfahren?", ruft er etwas schelmisch.
Ich nicke nur, beschleunige wieder und bin einige Minuten später wieder in der Führungsgruppe.

Als ich das nächste mal führe, brüllen sie "Liiinks!" und ich schieße wieder geradeaus. Verdammt, bin ich bescheuert?!?

Nach einigen Minuten kann ich mich wieder bei der Führungsgruppe einordnen, halte mich aber erstmal zurück. Allerdings: mir juckt es in den Beinen! Heute scheint einer guter Tag zu sein.
Ist es Übermut oder bin ich nach meiner Tour de France tatsächlich so fit?

Ich mache mir jetzt erst einmal keinen Kopf um Kilometer und Kondition und hänge mich an eine Gruppe St. Paulianer, die mit enormem Geschwindigkeitsüberschuss an unserem Feld vorbei ziehen.

RG St. Pauli und RG Uni sind bekannt für extrem hohes Tempo und hartes Fahren. Aber auch für Radbeherrschung und Disziplin. Heute fahre ich mal mit, denke ich mir und reihe mich ein ins Camouflage der Altonaer.

Es geht ab Meckelfeld stringent nach Süden. Angeblich haben sie hier alle Steigungen eingebaut, die das flache Norddeutschland so zu bieten hat und so reiten wir eine Welle nach der anderen ab. Harte Anstiege oder fiese Rampen sind das nicht - heute sammeln wir die Höhenmeter durchs Auf und Ab, nicht durch Berge, das ist mir klar.

Mitten im Pauli-Pulk fährt ein Herr auf einem alten Stahlross. Sein antiquierter Kopfschutz macht mich neugierig. Ich fahre neben ihn und frage: "Von wann ist denn dein ... Helm?"

"Ach", macht er und winkt lächelnd ab: "Das weiß ich gar nicht. Ich weiß nur noch, dass ich ihn 1978 mal zur Überholung hatte."

Stramme Waden und ein Wetter gegerbtes Gesicht sprechen für ihn - dieser Herr hier hat bestimmt noch die Epoche Merckx und Anquetil mitbekommen ... Chapeau! Er fährt den hohen Schnitt locker mit.

Irgendwann nach der ersten Verpflegung fahre ich wieder allein auf die Strecke: St. Pauli scheint auf Teamkollegen zu warten und da ich heute gute Beine habe, gehe ich halt solo on track.

Schnell sammle ich einen weiteren Stahlveteranen ein, zu erst gehen wir als 2er-Team in den Wind, nach einigen Kilometern sammeln wir einen mid-40er ein, der die Helmpflicht ignoriert, keine Startnummer hat und trotzdem die RTF mitnutzt. Was ihn auszeichnet: Waden, die so dick sind, wie ich.

Führt der ältere Herr, fahren wir mit 31 km/h.
Führe ich, bringen wir es auf immerhin 34 km/h.
Wenn der weiße Megamann vorn ist, fahren wir 40.

Wir bleiben zu dritt. Ob im Wind oder mit Rückenwind. Ob im Wald oder durch die schöne Heide bei Lüneburg - erst die einzige ernstzunehmende Rampe, ich schätze, sie hat 9 Prozent, kann unser Grupetto aus einander reißen.

Bis zur nächsten Verpflegung fahre ich mit dem weißen Megamann zusammen. Als er nach nur 1 Minute Wasserauffüllen weiterfährt, muss ich mir wieder neue Kameraden suchen.


Die ich auch finde: In Form meiner "alten" St. Pauli-Kollegen, mit denen ich den dritten und schließlich auch den vierten Abschnitt bis zur letzten Verpflegungsstation fahre. Das Tempo ist, da wir eine größere Gruppe sind, zunächst im angenehmen Bereich. Selten mehr als 33 km/h kurbeln wir durch den Wind.

Irgendwann bin ich dann nach einer Straßenquerung mit 5 Fahrern allein. Eine tolle Gruppe, denn so können wir in 2er-Reihe neben einander an drei Positionen fahren. Das Kreiseln funktioniert wie am Schnürchen und so bleibe auch ich mit einem sehr sympathischen mid-50er 3, 4 mal vorn im Wind, bis wir wieder von der großen Gruppe, angeführt von den bolzenden Paulianern, nach einer knappen Stunde eingeholt werden.

Schlagartig wird das Tempo verschärft: Die Gruppe wird aus einander gerissen und nur etwa 15 Mann können den Tarnjägern vorn folgen. Ich mit ihnen, denn mir fängt mein noch von der Tour de France arg lädierter Hintern wieder an zu schmerzen. Ich denke mir: "Lieber ein schnelles Ende als noch 2 Stunden herum kurbeln".

Was schade ist, denn sie haben die Strecke durch wirklich sehr feine Landschaften gelegt: Tiefe Wälder, sumpfige Heide, Felder in vollem Korn, dichte Maisfelder und saftig-frische Weidewiesen.

Irgendwann nach 4:20 Stunden komme ich mit den Jungs wieder nach Meckelfeld hereingebolzt. Nicht, ohne dass mir noch einer von denen an einer roten Ampel in mein vorderes Laufrad kippt: Erst bolzen und dann nicht aus den Pedalen kommen?

Achso, Ihr seid mit den Cleats verschweißt?!

Eine tolle RTF war das - schnell am Anfang, lazy in der Mitte und hammerhart am Ende. Was den Speed angeht.

"Mehr Höhe geht nicht!" - übertrieben.
983 Höhenmeter stehen auf meinem Garmin. Das ist ein bisschen mehr als die Hälfte von
Alpe d´Huez.

Da geht noch was!



Gefahren: 157 km in 4 h 34 min mit 983 Höhenmetern



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4 Kommentare:

  1. Danke für den Bericht! Aber 3 kleine Anmerkungen:
    1. "Gruppetto" - ich weiß, du liebst das Wort, fast noch mehr als "Gradient", aber das Gruppetto sind die Jungs ganz am Ende, die selber ganz am Ende sind. Wenn du da vorne weg stürmst, bist du so weit weg vom Gruppetto, wie's nur geht ... Dein Gruppetto ist ein gekapertes Auto eines alten Ehepaars!
    2. St. Pauli ist nicht Altona.
    3. Bei RTF in HH und S-H gibt es keine Helmpflicht.
    Harald

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  2. hi harald,

    1. das mit dem gruppetto wusste ich echt nicht nicht. wieder was gelernt. :-) dachte bisher immer, dass jede kleine gruppe - ob nun vor oder hinter dem peloton - gruppetto genannt wird. naja. beim nächsten post.

    2. natürlich ist st. pauli nicht altona. aber diese kleine spitze darf mir gegönnt sein. ich glaube, bei all dem kommerz, ist st. pauli selbst nicht mehr st. pauli. aber hast recht, dann hätte ich sie lieber noch provokativer "eppendorfer" nennen sollen ...

    3. auch das wusste ich nicht. aber ich bin eh ein großer befürworter der schützenden sturzschale.

    liebe grüße, L

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  3. Moin!
    Schöner Artikel. Die RTF war wirklich super und Deine Wahrnehmung von uns gefällt mir auch! :-)

    Den älteren Herren habe ich auch bemerkt. Super! Vor allem war der recht zügig unterwegs. Respekt.

    Altona geht grad noch durch, Eppendorf wäre hingegen tatsächlich Grund zum Protest gewesen. ;-)

    Der, der da umgekippt ist kam tatsächlich nicht aus dem Pedal weil Dreck mit drin war. Wer den Schaden hat,... ;-)

    Also bis zum nächsten Mal!

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  4. hi patrick,

    merci bien für dein comment. ich fand die RTF auch klasse. und freue mich immer (vor allem bei GCC-rennen außerhalb HHs) wenn ich die camou-paulianer sehe :-)

    vielleicht sieht man sich mal?

    gruß & ride safe,
    L

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