Ein bisschen Gewissensbisse habe ich schon, das muss ich zugeben. Denn ich hatte Angela mit den Worten "Morgen - 10:00 Uhr - Lust auf eine kleine Rennrad-Runde?" per SMS eingeladen. Dass es sich zu einem wadenmuskelmordenden Brachialritt entwickeln würde, hatte ich verschwiegen.
Nun, zu meiner Verteidigung: Den Waseberg hatte ich ehrlich nicht auf dem Plan.
Und so treffen wir uns in aller Frühe - immerhin ist Samstag, und sich an einem Tage, an dem man sonst ausschlafen würde, zu einem Quäldichein zu treffen, kostet zehnmal mehr Überwindung, als das Aufstehen am Montag um 6:30 Uhr.
Angela sieht dann auch wenig begeistert aus, schaut etwas unfrisch drein, als wir uns Palmaille treffen.
Locker geht es zunächst auf der noch leeren Blankeneser Chaussee Richtung Wedel aus der Stadt, wir sind verabredet, eine Runde am Deich entlang zu fahren - ich rechne ihr leichte 50 Kilometer vor. Sie misstraut mir.
Zurecht.
Denn nachdem wir an der Shell-Tanke angekommen sind, entscheide ich mich (in guter Erinnerung an die Cyclassics) nicht weiter geradeaus sondern nach links zu fahren: Der Kösterberg, der sollte doch wenigstens drin sein!
Sie schnauft, murrt und macht große Augen - aber sie beißt sich durch.
Oben angekommen halten wir an. Atmen durch. Und dann kommt mir die Idee: Waseberg, ich will den Waseberg!
Oft gesucht, nie gefunden und schon so viele Horrorgeschichten gehört: Nun will ich es selbst einmal wissen. Angela schweigt.
Wir fragen einen Postboten, wo es denn zur härtesten Steigung Hamburgs gehen würde. Der grinst nur und meint: "Unten am Ufer lang, nächste links hoch ... wollt Ihr Euch etwa ein bisschen quälen?"
"Jawoll!", rufe ich freudig.
Angelas Gesicht gerät ins Schwanken.
Und dann, wir biegen um die Ecke, ich kann gerade noch so in den Berggang schalten, stehen wir vor einer Wand. Und wenn ich Wand schreibe, dann meine ich Wand.
Klar, 15 % Steigung - das ist so eine abstrakte Zahl. Klingt nach "sehr wenig". Klingt nach "es ist noch viel Platz bis zur 100." Wie gesagt - klingt nur so. In Wahrheit ist alles viel schlimmer.
Vor uns geht es senkrecht nach oben. Eine gerade Rampe. 600 Meter lang. Klingt auch wieder nicht viel. Meter - noch nicht mal "Kilo" davor. 600 Meter. Klacks.
Bis ich dann in den Pedalen stehe und alles gebe. Hinter mir höre ich, wie Angela ausklickt. Und ich spucke schon Lungenbläschen - habe noch nicht mal die ersten Meter geschafft. Alter Schwede, denke ich mir, und das hier machen die Profis VIER MAL HINTEREINANDER?!?
Irgendwann stellt das Gehirn seinen Dienst ein. Alles Blut, aller Sauerstoff, alle ATP-Moleküle - auf in die Beine, gebt Stoff: Anhalten, Ausklinken - und gar wieder einklinken um weiterzufahren: Fehlanzeige. Hier musst du hoch - oder laufen.
Irgendwann bin ich dann oben. Eine Ewigkeit. Zwei, drei Tage später, so fühlt es sich zumindest an. Durch meine drei Schichten Trikots hindurch kann man mein Herz klopfen sehen - naja, Klopfen. Eher ein Springen. Ein hektisches Wummern. 200er Puls. So ist das also.
Ich atme. Es rasseln die Bronchien. Weiß hängt heißer Atem vor meinem Gesicht.
Ich blicke nach unten. Auf dem Foto, so denke ich mir, wird man es nicht erkennen können, aber ich zücke zittrig mein Handy und lichte ab, was sich da unter mir auftut: Ein brutal-schwarzer Schlauch, ein dunkler Abgrund, feucht und rutschig. Weit weg noch erkenne ich Angela und ich frage mich, ob sie mit den rutschigen Cleats es nicht zu Fuß viel schwerer hat, als gleich hochzukurbeln.
Kaum zu fassen: Das also ist der Waseberg. Hölle des Nordens. Hut ab! Alles tut weh.
"Scheiß die Wand an!", rufe ich ins feuchte Dickicht.
Ein kleines Mädchen schaut nur kurz von ihrem Handy hoch. Dann tippt sie weiter ihre SMS.
Über verblichene "JAN"-Grafittis, die einst den gefallenen Radsporthelden anfeuerten, diese Rampe noch schneller hinaufzuschießen, schiebt sie ein paar Minuten später fassungslos ihr Rennrad und schüttelt den Kopf. Wortlos ringt sie nach selbigen und will mir sagen: Wahnsinn, was die Jung hier leisten!
Und ich erinnere mich zurück an eine meiner Etappen in Italien - wo ich 22%ige Rampen gefahren bin. Nur komisch, fällt mir ein, so fies wie dieser Berg hier waren die nicht.
Oder ist es am Ende so, wie Mama früher immer gesagt hatte: "Wenn Du heiratest, ist alles vergessen." Nunja, verheiratet bin ich zwar nicht, aber es scheint wirklich, dass selbst der härteste Schmerz schnell schon an Intensität verliert.
Wie auch beim Waseberg.
Denn nur 500 Meter später, als wir wieder gen Hamburg aufbrechen, kommt mir die Idee, für die ich auf einmal Feuer und Flamme bin: Mein eher eintöniges Training (raus durch den Hafen und 60 Kilometer bis zur Fähre Hoopte und wieder zurück) durch eine neue Strecke zu ergänzen: Raus zum Kösterberg und ... sagen wir mal ... zwei mal über den Waseberg.
Na - auf diese große Waseberg-Runde bin ich jetzt schon gespannt!
Kleine Waseberg-Runde - gefahren: 36,73 km | 1:19 h | 27,7 avg | 200 Puls
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