14. März 2011

Unterm Mikroskop bei Veloskop.

Dass die Sitzhaltung mehr als wichtig für die Performance auf dem Rennrad ist, ist kein Geheimnis. Dass eine tiefere, gestrecktere Sitzposition die Aerodynamik schlagartig verbessert, weiß jeder. Wie sehr ein perfekt eingestelltes Rennrad auch zum Wohlbefinden des Fahrers beiträgt, merkt spätestens nach den ersten Knieschmerzen einer Ausfahrt.


Nur: Wie die perfekte Sitzposition finden? Ich selbst fummle an meiner Sattelüberhöhung herum, seit dem ich mein Cervélo R3 gekauft habe. Stelle die Pedalplatten mal so und mal so ein, kämpfe um Millimeter. Probiere aus. Durchaus mit Erfolg.

Sicher: Das Rad fühlt sich toll an. Ich habe keine Probleme. Aber - würde das ein Profi auch bestätigen?

Um das herauszufinden mache ich einen Termin bei Veloskop in Elmshorn. Martin, der Inhaber, hat nicht nur einen besonders guten Ruf in und um Hamburg, sondern gab mir bei einem ersten Besuch in seinem Laden, als er einer Freundin mit seiner ruhigen, bestimmten und kompetenten Art mit perfekt abgestimmten Schuheinlagen die Fußschmerzen genommen hat, gleich ein gutes Gefühl: Hier bin ich gut aufgehoben!

Martin nimmt sich mehr als 3 Stunden Zeit für mich. Das muss er auch, denn ich werde nach dem aufwändigen SICI-Verfahren von Ben Serotta beraten.

Zunächst fülle ich einen detaillierten Fragebogen aus: Wie groß bin ich, wieviel wiege ich, wie sind meine Lebensumstände, wie viel und wie hart trainiere ich ...? Fragen über Fragen. Während ich den Bogen ausfülle, misst Martin mein Cervélo aus und überträgt die Daten auf das hypermoderne Ergometer.

Ich darf Platz nehmen und - klar, es sind ja auch die Einstellungen meines eigenen Rades - fühle mich gleich zu Hause. Martin klebt an Sprung-, Knie- und Hüftgelenke Kontrastpunkte, schaltet Licht und Kamera ein - ich kann mich mit etwa 2 Sekunden Zeitversetzung auf dem riesigen Flatscreen vor mir fahren sehen.

Während ich mit gemütlichen 50 Watt trete, stellt mir Martin weitere Fragen: Welche (Knochen-)Brüche hatte ich in meinem Leben? Welche Trainingsziele habe ich? Wo sehe ich meine Stärken oder Schwächen?


Ohne es zu wissen, sieht Martin auf seinem Kontrollpult noch ganz andere Zahlen: Zum Beispiel kann er für jedes der Pedale unabhängig sehen, wie viel Leistung ich in welcher Pedalstellung einbringe. So kann er analysieren, wie "rund" mein Tritt ist.

Dabei beobachtet er sehr genau - aus vielen Sichtwinkeln - wie ich trete: Bewegt sich mein Becken? Wie ist meine Wirbelsäule ausgerichtet? Meine Beinarbeit, Stellung der Füße auf dem Pedal und vieles mehr.

Langsam rinnt mir der Schweiß.
Bei ihm füllen unzählige Zahlen die Fragebögen.

Er erhöht den Widerstand: Zeitweilig muss ich 300 Watt treten - er will sehen, wie ich unter Belastung aussehe.


"Ich sehe schon was ..." sagt er und grinst. Mehr verrät er erstmal nicht.

Irgendwann muss ich absteigen. etwas außer Puste - immerhin bin ich gerade vorhin die 35 Kilometer hierher nach Elmshorn mit dem Rad gesprintet - gebe ich ihm meinen rechten Schuh. Er verstellt meine Cleats etwas.

Dann lege ich mich auf eine Liege - chiropraktisch testet er die Dehnfähigkeit meiner Beine bis zum Anschlag. Dann einige Übungen im Stehen: Er will sich meine Wirbelsäule näher ansehen.

Dann legt er verschiedene Winkelmaße virtuell auf die Aufzeichnungen von mir beim Treten und erklärt mir jeden seiner Schritte: Ben Serotta, legendärer Rahmenbauer aus den USA und maßgeblicher Erfinder dieser Mess-Art, hat bestimmte Winkelbereiche für jedes der am Vortrieb beteiligten Gelenke vermessen, sodass Martin diese Idealwerte mit meinen vergleichen kann: So kann er über Optimierungen von Sattelhöhe, Lenkerüberhöhung, Lenkerabstand usw. diese Winkel beeinflussen und im Sinne einer Optimierung verändern.

Nach knapp 3 Stunden ist es soweit: Martin stellt das Ergometer nach und nach auf diese neuen Werte ein.

"Und?", fragt er, als ich wieder lostreten soll.


"Wow! Ich fühle mich Spitze", rufe ich aus.

Es ist verblüffend! Diese neuen Einstellungen fühlen sich gleich besser an: Ich sitze nun sehr viel höher (fast 4 cm muss mein Sattel nach oben), die Verstellung meiner rechten Pedalplatte lässt mich runder treten. Ich sitze gestreckter, aber entspannter - fühle gleich, wie ich freier atmen kann und dadurch mehr Luft bekomme.

Es ist ein Unterschied, der sich sofort auf den ersten Metern auf meinem Cervélo nach der Vermessung nachvollziehen lässt. Es ist spürbar besser geworden. Vertrauter. Angenehmer irgendwie und natürlicher.

Martin grinst zufrieden - er kennt diesen Effekt bei seinen Kunden wohl zur Genüge.

Er sendet mir ein PDF mit den individuellen Maßen meines Traumrenners. Die mehr als 100 Euro sind ein Kapital, dass ich jederzeit wieder für diese äußerst hilfreiche und überaus interessante Erfahrung investieren würde. Und bei Martin macht es obendrein noch richtig Spaß, denn die Schnacks zwischendurch über Rennräder & Co sind erfrischend und hyperinteressant.

Ich kann es nur jedem raten: Sich so einmessen und das Rad danach abstimmen zu lassen, kann Welten bedeuten, wie man sich auf seinem Rennrad fühlt.

Und wie man auf ihm performed.



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4 Kommentare:

  1. cool, klingt gut. da muss ich auch nochmal hin.

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  2. Wie teuer war der Spaß nun ganz genau? Das scheint durchaus Sinn zu machen, weshalb ich das auch sehr gerne machen würde.

    MfG Frank

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  3. Habe kürzlich (April 2012) bei Martin angerufen - er verlangt 200 Euro für "den Spass".

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  4. hi jo.
    ja, billig ist das nicht. aber für knapp drei stunden fundierte videoanalyse, eine exakte rennradeinmessung und "dein" perfektes rennrad fand ich die investition absolut lohnenswert. fahre mit den werten jetzt mehr als ein jahr. perfekt.
    by the way: das bg fit-system von spezialized ist auch nicht billiger.
    muss aber jeder selber wissen, für was er sein geld ausgibt, klar.
    grüße,
    lars

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