29. Oktober 2013

Regen, Spritzwasser & Co: Im Test die Sigma Rennrad-Beleuchtung Smilux und Cuberider 2.

Die Herbstsaison wird zwar ohne mich stattfinden - meine beiden Rennräder sind frisch geputzt und geschmiert an der Wand, harren des Frühlings 2014 und werden nun nicht mehr bewegt. Für viele von Euch aber ist die Rennrad-Zeit noch nicht zu Ende. Oder es beginnt jetzt die Cross-Saison.

Wohl dem, der eine gute Beleuchtung an Cross- oder Rennrad fährt.

Härtetest beim Zeitfahren Hamburg-Berlin


Ich möchte Euch hier meine Erfahrungen mit Vorder- und Rücklicht des Herstellers Sigma mitteilen. Zumal ich meine Beleuchtungswahl beim diesjährigen Zeitfahren Hamburg-Berlin einem "Test" unterzogen habe, den man mal gut als Härteprüfung durchgehen lassen kann.


Mein Cervélo S5 nach dem Ritt - Cross? Nee, normale Härte.

Start des Rennens ist 6:30 Uhr. Es ist dunkel - die Lampen müssen für 2 bis 3 Stunden Licht geben. Wir werden erst mit Dämmerung in Berlin einreiten - auch hier werden wir die Lampen wieder einschalten müssen.

Zudem: Es wird 3 bis 4 Stunden regnen. Richtig regnen. Dazu Spritzwasser von den Vordermännern ohne Ende. Eine Härteprüfung. Sagte ich ja schon. (Wer mag - hier geht es zum Rennbericht HHB)

Der Cuberider 2 am Aero-Rennrad - tricky Befestigung


Fangen wir mit dem Positiven dieses Berichtes an: Das Rücklicht. Der "Cuberider 2" hat mich die Fahrt über nicht enttäuscht. Oder sagen wir, 200 der 270 Kilometer macht er eine gute Arbeit. Doch zunächst stellt sich mir zu Hause die Frage: Wie befestige ich das Teil an meinem Aero-Rad? Tricky ...


5 starke LEDs - der Cuberider 2 macht gutes Rücklicht.

Der Cuberider ist für runde Rohrquerschnitte ausgelegt, eine Plastik-Schelle wird mit einem starken Gummizug gesichert. Wie gesagt - bei "normalen" Rennrädern mit runden Querschnitten. Eine Befestigung an Sattel, Sattelstütze (beim S5 extrem breites Flügelprofil) und an den Sitzstreben ist für mein Aero-Rennrad nicht möglich. Die Flügelprofile verhindern an halbwegs jeder sinnvollen Stelle eine Befestigung.

Erst, als ich auf die Idee komme, das Rücklicht nach unten leuchten zu lassen, schnaggelt es: Siehe da, es hält! Es funktioniert.


Das Rücklicht hat eigentlich gute Dienste geleistet ...

So leuchtet nachher im Dunkeln mein Rücklicht nach hinten und unten - die starken LEDs spiegeln sich dann stark auf dem nassen Asphalt wider, eine tolle Licht-Aura ensteht an meinem Heck. Kaum zu übersehen.

Was mich stört am Cuberider: Es gibt nur On oder Off. Kein Blinken, keine Effekte (die auf Dauer den Stromverbrauch aus den zwei LR03 Batterien senken könnten) ist anwählbar.

Enttäsuchung, als ich am Olympiastadion nach 11 Stunden Fahrt durch die Wasserhölle ankomme: Anscheinend scheint Spritzwasser ins Innere der Leuchte gekommen zu sein. Ich kann sie nicht mehr ausschalten.

Am nächsten Morgen im Zug auf der Rückfahrt: Was leuchtet da im Rucksack? Die Lampe. Ausschalten auch jetzt nicht möglich.
Heute, 3 Wochen nach HHB, ist die Leuchte mehr als komplett durchgetrocknet. Als ich diesen Blog schreibe, schalte ich die Cuberider ein, um das Foto zu machen. Auch jetzt kann ich sie nicht mehr ausschalten.

Ich werde mich wohl nach einer neuen, wirklich wasserdichten Leuchte umsehen müssen.

Kein Smile auch für die Sigma Smilux 


Ebenso, nur enttäuschender das Ergebnis der Smilux. Meinem Vorderlicht. Die Smilux von Sigma erzielt nicht die besten Leuchtwerte, aber auch nicht die schlechtesten. Sie ist nicht die hochwertigste Leuchte, aber auch nicht gerade ein Billig-Schnäppchen. Gutes, handfestes Mittelfeld, dachte ich, als ich mich damals zum Kauf entscheide.


Die Smilux von Sigma: Preislich oberes  Mittelfeld. Gute Ausleuchtung.

Sie leuchtet ausreichend hell, wie ich finde und bereits 2012 teste ich diese Leuchten am Cervélo R3 bei einigen Nachtfahrten. Nichts auszusetzen, erst mal.

Klar, kein Vergleich zur Schmidt Edelux, die ich 2009 an meinem Liegerad fahre, und auch sicher keine Leuchtleistung wie die der Lichtkanonen einiger meiner Mitfahrer. Aber: Ich sehe auch in schwärzester Dunkelheit alles, fühle mich sicher mit der Lampe.

Dann setzt der Regen ein ...


Mir hat es trotzdem Spaß gemacht. Allerdings Tod für die Smilux.

Wir fahren im wahrsten Sinne des Wortes durch die Scheiße. Von unten spritzt es literweise den nassen Kuhdung in Gesichter, Klamotten, Rennräder und natürlich auch an die Leuchtmittel der Teilnehmer. Als es dämmert sehen wir die Bescherung: Wir sehen nicht nur kacke aus, wir riechen auch so.

Von oben regnet es die ersten Stunden, sehr dichte, schwere Tropfen. Die Leuchten müssen Einiges aushalten. Zu viel Wasser für die Smilux, wie ich später feststellen muss.

Clevere Befestigung der Smilux 


Bevor ich feststelle, dass die Lampe irreparabel beschädigt ist, freue ich mich abends vor der Abfahrt über das clevere Befestigungssystem der Smilux.


Schnell und einfach zu befestigen - die Sigma Smilux.

Eine Schelle, die um jeden Lenker passt, lässt sich leicht und ohne Geschraube, Gespanne oder anderes Geraffel einfach angesetzt und fest geklickt wird: Genial! Das war das Kaufargument für die Smilux. Mich nervt schon der unschöne Aufsatz für das Garmin-Navi, da brauche ich nicht noch eine Aufnahme mehr für die Beleuchtung.

Einfach, sauber, schnell. Tolles Ding!

Allerdings: Hier mache ich wohl den Fehler. Denn ich befestige die Smilux um 180 Grad gedreht unter dem Lenker. Einfach, weil meine Kabelführung nur diese Position zulässt.


Undicht? Akkulade-Buchse und Akku-Aufnahme an der Smilux.

So kann wohl das Regenwasser durch die Öffnungen (die oberflächlich bombendicht scheinen) für das Ladekabel (oben) und die Aufnahme der vier LR6-Akkus kriechen.

Schon abends, als ich ankomme, kann ich die Leuchte nicht mehr anschalten. Auch jetzt, 3 Wochen nach HHB ist die Lampe unbrauchbar.

Tja. Schade. 59,99 € kostet das Set aktuell bei Google Shopping. Ich glaube, ich habe damals bei Karstadt sports ein Sonderangebot mit 39,90 € gehabt.

Abgesehen von der 180 Grad gedrehten Montage, die meine Schuld ist, finde ich Lampen, die keine Feuchtigkeit oder Regen abkönnen - und die man ja in der regenreichen Herbstzeit benötigt - eher ein Fail. Schade, Sigma. An sich schöne Produkte.


Welche Lampen fahrt Ihr und habt Ihr auch Probleme mit Wasser (gehabt)? Ich freue mich über Eure Comments.

23. Oktober 2013

Meine Rennrad-Saison 2013: Von Gran Fondos, Erfolgen und DNFs

Tja, mit dem Zeitfahren Hamburg-Berlin endet letzte Woche meine Rennrad-Saison 2013 und wie immer ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Was lief gut, was nicht so gut? Und vor allem: Was kann ich lernen für das nächste Jahr?

Meine Rennrad-Saisonziele: Vom Plan in die Praxis


Anfang dieses Jahres - vor allem getrieben durch unser Radsport-Team SunClass Solarmodule und den wahnsinnig attraktiven Rennkalender - setze ich mir große Ziele. Die Saison ist in zwei Hälften aufgeteilt: Zunächst das erste halbe Jahr, die "ernste" Saison mit dem Höhepunkt beim Race Across the Alps (RATA) im Juni. Dann die zweite, die "spaßige" Saisonhälfte.

Länger, weiter, höher: 2013 massiv mehr Renndistanz absolviert.

Zwar werde ich einige meiner Ziele nicht erreichen, aber in der Rückschau und vor allem im Vergleich mit 2012 stelle ich fest, dass die Rennen, die ich gefahren bin, im Schnitt 10 Kilometer länger sind, als noch im letzten Jahr - insgesamt 70% mehr Rennanteil. 


Klettern war "in" 2013: Hier beim Gran Fondo Dieco Colli

Ich zähle die Haute Route, das Etappenrennen von Genf nach Nizza, als 7 einzelne "Events" und komme so auf 18 Events (obwohl mit 11 Rennen nur ein Rennen mehr als 2012). Alles in allem fahre ich in diesem Jahr pro Event 164 Kilometer mit jeweils 2.609 Höhenmetern.

Pro Event.

Insofern bin ich recht stolz: Ziel erfüllt.

Die Saison 2013 auf dem Rennrad: Höher - aber weniger.


Interessant aber die Auswertung der gesamt gefahren Kilometerdistanzen. Komme ich schon 2012 mit 8.700 Kilometern Jahresleistung nicht einmal annähernd an meinen besten Wert heran - 9.200 km in 2009 - so fahre ich in diesem Jahr alles in allem dann sogar noch einmal 1.600 Kilometer weniger, als im Vorjahr.


2013 fahre ich über 1.600 km weniger als 2012

Irgendwie aber auch logisch: Wir hatten uns bei der Saisonplanung auf die Kletterleistung konzentriert, nicht auf die Distanzleistung. Allerdings, es zählt auch mit in die Negativbilanz, dass ich bereits beim ersten Rennen der Saison, dem Gran Fondo La Sagrantino, einen Rückschlag hinnehmen muss. Wir fahren nämlich nur 95 der avisierten 150 Kilometer.

Auch die Ronde van Vlaanderen finishe ich "nur" nach 150 Kilometern (okay, bei -4 Grad und belgischem Horror-Pflaster eine Distanz, die mich sogar noch überrascht hat) und auch das RATA (dazu später mehr) und der Alpentraum werden nicht auf der kompletten Distanz gefahren.



Hammerhart - bei der Flandernrundfahrt. Hölle!

All in all "fehlen" mir also runde 500-600 Kilometer zu dem, was ich eigentlich vor hatte.

Allerdings wären das auch mit diesen Distanzen keine 10.000 Kilometer geworden ... und wieder frage ich mich, wie es einige Leute schaffen, 10.000 Kilometer und mehr im Jahr abzuspulen. Wahnsinn!

Radrennen als Training, funktioniert das?


Unsere Idee war, die ersten 4 Rennen der Saison - allesamt namhafte Gran Fondos der italienischen Prestigio-Serie - aus Aufbaurennen zu nutzen. Gesteigerte Distanzen, vor allem aber immer mehr zu erkletternde Höhenmeter, sollten uns auf den absoluten Saisonhöhepunkt vorbereiten.

Am Ende schlägt sich das natürlich in der Statistik nieder, vor allem, wenn man diese Zahlen mit 2012 vergleicht:



Der Renn-Anteil ist 2013 um einiges höher

Ich fahre 2013 keine einzige RTF, wobei Hamburg eine Vielzahl an wunderbaren Veranstaltungen dieser Art zu bieten hätte, dafür erhöht sich der Anteil der Rennen an der Gesamtleistung von 18% in 2012 mit 1.550 Kilometern auf ganze 37% und 2.600 Kilometer.

Sicher, mit nur 4.500 Kilometern sind die erbrachten Trainingsdistanzen mehr als 2.200 Kilometer niedriger, als noch 2012. Das liegt aber daran, dass ich mich in dieser Saison fast ausschließlich auf das Höhenmeter-Training konzentriert habe. Meine Waseberg-Einheiten unter dem Motto "1K a Day", also 1.000 Höhenmeter pro Tag, konntet Ihr auf Garmin-Connect mitverfolgen.


2013 wesentlich mehr Kletterleistung: In Training wie im Rennen.

Mir noch in lebhafter Erinnerung - mein "Waseberg Sufferfest", das mir nach 6 Stunden auf der 16%igen Waseberg-Rampe immerhin 3.600 Höhenmeter eingebracht hat. Und einen Drehwurm ...



Bis der Drehwurm kommt: 800m bei 16% am Waseberg Hamburg.

Insgesamt fahre ich so mehr als 10.000 Höhenmeter in den Trainings und in den Rennen mehr, als 2012. Aber wie gesagt, eigentlich war da ja noch mehr geplant ...

Verkorkster Frühling = verkorkste Saison?


Der Frühling - darf man das so nennen? - 2013 war seit dem ich halbwegs ernsthaft Rad fahre, also seit 2008, das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Schnee, Regen, Nässe und Kälte bis in den April hinein. Meine erste wirklich ernsthafte Trainingseinheit war denn dann auch der Gran Fondo La Sagrantino. Wenig Zeit, wenig Kilometer - verlängerter Winter.

Viele Radfahrer hat 2013 eine eher bescheidene Saison beschert. Ich bin da keine Ausnahme.



Paarflug im Team: SunClass Cycling gibt 2013 wieder Gas.

Dabei hatten wir alles auf diese eine Karte gesetzt: Das RATA.

Das RATA - Race Across the Alps - als "anerkannt härtestes Eintagesrennen der Welt" - war unser Saisonhöhepunkt. Natürlich war uns klar, dass wir die geforderten 540 Kilometer und 14.500 Höhenmeter dieser Mörderstrecke nicht wirklich würden schaffen können - nicht umsonst gehen dort nur 50, 60 der namhaftesten Ultrasportler an den Start.

Und dann wir ...


Wäre doch drin gewesen: RATA bis zum roten Punkt finishen.

Schon gar nicht hätten wir das im Zeitlimit von maximal 32 Stunden geschafft. Aber ich hatte ein Ziel - wie in der Grafik angedeutet - und wollte doch wenigstens bis über den Bernina-Pass und irgendwann nach der Abfahrt mein DNF haben.

Das war mein Ziel.

Extreme Schmerzen in beiden Knien zwangen mich allerdings nach enttäuschenden 3 Pässen und 170 Kilometern zur Rennaufgabe. Noch 3 weitere Pässe - Mortirolo, Aprica und Bernina - hatte ich mir vorgenommen.


Beim Race Across the Alps - im Gavia-Pass.

Und dennoch: Auch heute bin ich mir noch sicher, dass ich mein Ziel unter "normalen" Umständen auch geschafft hätte. Wenn man in der Grafik die Steigerungen anschaut (in diesem Fall die Distanzen - funktioniert mit den Höhenmetern aber genauso) dann kommt man zu dem Schluss, dass die Steigerung vom letzten Aufbaurennen, dem fantastischen Gran Fondo Mailand-Sanremo, zum "halben" RATA mehr als machbar gewesen wäre.

Schade, dass es so kam, wie es kam. Hier geht es zum Rennbericht des Race Across the Alps 2013.

P.S. - Wir haben wieder eine Rennrad-Doku gedreht. Und zwar beim RATA. Die wird (sagen wir mal so) etwa im Juni/Juli 2014 fertig sein. Die erste Doku: "Punchline - 24 Stunden Rad am Ring" über unserer Einsatz auf der Nordschleife 2011/12 gibts als geile DVD hier: www.punchline-movie.de - gleich bestellen!

Tja, war nun der verkorkste Frühling Schuld? Wer weiß ...

"Unglaublich harte Saison" - wirklich?


Einer meiner geneigten Leser dieser Blogs twitterte mir einmal, dass ich auch so schon eine "unglaublich harte Saison" hätte. Stimmt das denn wirklich? Ich vergleiche 2011, meine erste echte Radrenn-Saison im German Cycling Cup, mit 2012 und dem aktuellen Rennkalender:

Erstaunlich usgewogen im Vergleich: Die erste Jahreshälfte ähnelt 2011/12

Bis auf die Haute Raute, die nun wirklich - zum Glück als Substitut für das verpatzte RATA - herausragt, wirken die Rennen vor allem der ersten Saisonhälfte eher alles andere als "überaus hart". Ausgewogen, würde ich sagen.

Was die Distanzen angeht ...

Höhenmeter ohne Ende? 


Naja, lassen wir mal die Kirche im Dorf: Ernüchtert stelle ich fest, dass die Rennen der Saison 2013 mitnichten "härter" waren, als 2012. Im Gegenteil, da haben wir vor allem in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres wesentlich mehr Gas gegeben:


Die Höhenmeter 2013 kommen von Haute Route & Training

Das Mega-Plus von 50% an Höhenmetern erklettere ich zumindest nicht mit den Rennen, sondern in meinen Trainingssessions. Und natürlich mit der Haute Route.

Aber wie gesagt: Geplant war das ja mal anders ... 

Ziel erreicht? Die Lehren für 2014


Für 2014 stecken meine Planungen noch in den Kinderschuhen. Was ich jetzt schon sicher sagen kann, ist meine Teilnahme am Endura Alpentraum 2014, dieses Hammer-Rennen will ich unbedingt finishen!

Aus 2013 ziehe ich die Lehre, dass unser Ansatz, ein forciertes Höhenmetertraining kombiniert mit sich in der Intensität steigendernden Aufbaurennen an sich funktioniert - wir jedoch viel zu wenig Zeit und damit viel zu wenig Training hatten, um wirklich gut vorbereitet für einen Hammer wie das RATA zu sein. Dass es funktioniert, zeigt mein - für mich - sehr gutes Abschneiden bei der Haute Route Alps.


Geiles Rennen. Geile Performance: Haute Route Alps 2013.

Für 2014 freuen wir uns, dass unser Sponsor SunClass Solarmodule trotz der sehr schwierigen wirtschaftlichen Situation auf dem Solarmarkt auch weiterhin in unser Radsport-Team investieren wird. Was genau da kommen wird, ist noch ein wenig geheim - ich kann aber versichern, dass 2014 und 2015 extrem werden. Und das in jeder Beziehung: Extrem spannend, extrem mitreißend, extrem Rennrad.

Nun aber freue ich mich, dass diese harte Saison wieder ein mal ohne Sturz, ja selbst, ohne Panne, geschafft ist. Ich gönne mir nun bis Mitte November eine kleine Auszeit, ehe das Lauftraining beginnt. Wie es schon eine schöne Tradition ist, wird auch 2014 wieder mit einem Marathon beginnen. Diesmal habe ich mir die ewige Stadt - Rom - ausgesucht.

Euch eine tolle Off-Season und einen ruhigen, schönen Winter.

Ein großes Danke an Euch, die Ihr wieder so fleißig meinen Blog gelesen habt, meine Beiträge mit Euren Kommentaren belebt und so auch mir neue Perspektiven eröffnet. Der Cervelover-Blog knackt 2013 die Viertelmillion-Marke, unglaublich. Danke!

Eine tolle Zeit Euch - ride safe.





18. Oktober 2013

Rad am Ring 2013 - wie die "Grüne Hölle" zur "Wasserhölle" wird

"Rad am Ring" ist ein Muss für Rennrad-Begeisterte in Deutschland. Warum? Weil es die geilste Strecke ist, die man hier fahren kann: Sicher (keine Autos!), breit (Formel 1-Strecke!), bester Asphalt (Formel 1-Strecke!) und berauschend (Formel 1-Strecke!).

Klar, dass ich 2013 auch am Start bin - wenn auch, im Rückblick - mit eher gemischten Gefühlen.

Enttäuschung am Nürburgring


Viel ist geschrieben worden im Vorfeld, schmutzige Kampagnen gefahren, Newsletter-Krieg und banges Warten, kaum dass RAR 2012 vorbei ist, ob es 2013 überhaupt eine Ausgabe geben würde. Nürburgring GmbH ist pleite, eine komische, zwielichtige Firma geht mit einer eigenen Website an den Start, kassiert schon Startgebühren für 2013 ... Rechtsstreit. Ein guter Start sieht anders aus ...


Nanu? Wo ist die Messe? Die gute Laune? Party?

Umso schöner die Nachricht, dass auch weiterhin der RV Herschbroich federführend bei der Ausrichtung ist. 2011 und 2012 erlebe ich hier auf der Nordschleife die genialsten Renneinsätze, die ich in Deutschland je gefahren bin, das soll - auch organisatorisch - gern so bleiben.

Tja. Und dann stehe ich im leeren Ring-Boulevard, muss mich in einer der F1-Boxen zur Startnummernausgabe drängeln, schaue in eher verdrießte, genervte Gesichter der Helfer und merke an meiner Box (die selbe wie 2012), dass es wesentlich weniger Toiletten gibt. Die Stimmung ist ... nicht so geil. Mmh.


Am Morgen des Starts: Irgendwie kommt nicht das rechte Feeling in mir auf.

Dazu passt das Wetter. Am Ankunftstag vorher leichter Niesel, für den Renntag ist Regen ab 17 Uhr vorher gesagt, dann für die Nacht "Starkregen mit orkanartigen Böen". Na hossa!

Ich schlafe überraschend gut, friere mich am nächsten Morgen zum Frühstück. Neben mir in der Box die Gute Laune am Start - das Team von Hebro Chemie. "Hey, von Euch habe ich noch immer die Waschpaste, die Ihr uns letztes Jahr geschenkt habt! Super Zeug!", rufe ich hinüber. Sie freuen sich.

Ich besuche die Box von Ines, die mit einer Freundin im Zweierteam starten wird. Ines hat 2012 bei uns im SunClass-Team mit Swantje zusammen eine tolle Platzierung herausgefahren - ob sie das Ergebnis heute und morgen verbessern können wird?

Unterwegs in der "Grünen Hölle" der Nordschleife - hier bin ich Wildsau, hier darf ich´s sein ...


Ich treffe kurz vor dem Start noch Georg, der mit zwei Zweierteams und Betreuung im Caravan angereist ist. Es wird seine erste Teilnahme werden - und mithin gleich mal bei einer der krassesten Ausgaben von Rad am Ring, seit dem ich an dem Rennen teilnehme.

Dann geht es auch schon los - Gottseidank bei gutem Wetter.


Ob ich mit dem Cervélo S5 die 100 km/h knacke?

Wie immer ist die erste Runde noch sehr voll, laufen lassen und ausfahren ist kaum angesagt, dafür sehr aufmerksames Steuern gefordert. Ich habe mir für heute nicht viel vorgenommen: Als Einzelstarter will ich fahren, was ich kann. Etwas reißen oder Bestzeiten aufstellen, das ist nicht mein Ziel.

Was ich allerdings schaffen will - endlich ein mal und unbedingt! - dass ist das Knacken dieser verfluchten 100 km/h-Grenze. Das habe ich in 2 Teilnahmen und bisher 18 Runden Nordschleife noch nicht geschafft.

Deshalb auch heute auf dem windschnittigen Cervélo S5 - und gib ihm!

Einzel als Einzelfahrer 


Viel vorgenommen habe ich mir heute auch deshalb nichts, weil ich keinen Betreuer am Start habe. Leider sind meine beiden angefragten Jungs abgesprungen. Einzelfahrer, okay, dass kann ich mir vorstellen, aber dann auch in der Box alle Jobs übernehmen? Schwierig.

Und: Box? Box kann man das nicht nennen, was ich mir da aufgebaut habe ...


Box oder Flüchtlingscamp? Schwer zu unterscheiden ...

Mein altes Abi-Iglu-Zelt, das ich man gerade so halbwegs stabil im betonharten Boden verankert bekommen habe, flattert im Wind. Daneben, behelfsmäßig, die Plane meines Pavillons, für dessen Aufbau kein Platz mehr war, wenigstens als eine Art Stoff-Carport an dem Hänger meines Nachbarteams befestigt - keine professionelle Box.

Angesichts des anstehenden Wetters wird mir allerdings Angst und Bange: Im Regen fahren ist auf der Nordschleife schon krass genug. Dann aber, völlig durchnässt, an meiner Flatterbox anzukommen, im Auto in den Klamotten rumgrabbeln, um mich dann im klammen Zelt umzuziehen, um dann wieder im Auto nach Essen zu kramen, mich da dann selbst zu versorgen ... das wird anzunehmenderweise alles andere als "Pause". Das wird eher Scheiße.


Noch in kurz/kurz. Es rollt super.

Höchstleistung als Einzelfahrer und Betreuer in einer Person? Und das noch bei Regen? Unwahrscheinlich.

"Ich bringe mich hier heute sicher nicht um!", beschließe ich und sage das auch dem Christian, der mich für seinen Podcast Velohome interviewed. "Ich werde die Strecke genießen, so lange es geht, ich werde versuchen, vielleicht die 100er-Marke zu knacken - und sobald es nasty wird, gehe ich auf Nummer Sicher."

Tja. Und so kommt es dann auch.

Regen? Monsun!


Ich kann drei Runden non-stop im Trockenen fahren. Immerhin drei Runden.
Dann geht es los. Über die Eifel zieht eine schwarze Regenwand auf, es beginnen, erste Tropfen zu fallen. "Pünktlich!", denke ich mir, freue mich, denn ich bin gerade Start/Ziel, parke gezielt das Rennrad unter dem Poncho, steige ab, als die Hölle los bricht.


10 Stunden Wolkenbruch auf der Autobahn.

Es beginnt herunter zu schütten. So schnell bin ich noch nie umgezogen gewesen. Das Zelt eingerollt und verstaut, schnell das Rennrad zerlegt und ab in den Kofferraum, dazu über die Strecke gespiked und den Transponder abgegeben - noch einen Teller Bolognese gegessen und ab auf die Strecke. (Der Vorteil der Box direkt am Ziel: Man kommt ohne Probleme auch während der Veranstaltung vom Hofe ...)

Okay. Man mag sich streiten, ob es das teure Startgeld, die teure Anreise, den teuren Mietwagen wert war, für 2:50 Stunden, 75 Kilometer und daher nicht einmal die Jedermann-Renndistanz zu fahren. Zudem fahre ich mit "nur" 95,6 km/h Spitze auch nicht über die 100 km/h.

Naja. Dafür mal wieder ein paar nette Gesichter gesehen. Und ehrlich: Ich habe bei RAR niemandem (vor allem nicht mir) etwas zu beweisen und muss mich unter diesen Umständen auch nicht unnötigen Risiken aussetzen.

Ich freue mich, dass Ines und ihre Teamkameradin (obschon in der Regennacht noch deren Zelt absäuft und dann beim Versetzen wegfliegt) den ersten Platz der Zweierwertungen erringen. Hut ab, Ines! Gut gemacht!

RAR 2014?

Eher wohl nicht - ich fand die Atmosphäre in diesem Jahr leider nicht annähernd so schön und mitreißend, wie die Jahre davor. Ich wünsche deshalb der Veranstaltung, dass sie an das Niveau der letzten Jahre anknüpfen kann. Mit nur einem Klo für 50 Boxen ... Leute, das war echt nix!

Rad am Ring - als es perfekt war


Wenn Ihr eine tolle Rennrad-Dokumentation über "Rad am Ring" auf DVD sehen wollt, die diese Veranstaltung bei Sonne und Hitze dokumentiert, dazu über eine Stunde eine komplette Runde Nordschleife aus Onboard-Perspektive mit Audio-Kommentar und wertvollen Tipps zur Strecke - dann ist "Punchline - 24 Stunden Grüne Hölle" genau das Richtige für Euch.

Die DVD könnt Ihr hier für 11,99 € bestellen - einfach auf den Banner klicken:




Hier gibt es meine bescheidenen Garmin-Daten von RAR 2013.

Danke Joas Kotzsch für die beiden Fotos.


15. Oktober 2013

Zeitfahren Hamburg-Berlin (HHB) 2013 - Mein Bericht vom Rennen. "Und der Regen wird sie zu Herden zusammentreiben ..."

Dass das Zeitfahren Hamburg-Berlin ein Klassiker ist, das muss man einem Hamburger oder Berliner Radsportler nicht extra sagen. Dass es mit seinen knapp 275 Kilometern der perfekte - weil mit einem lauten Knall endende - Saisonabschluss ist, muss ich auch nicht noch erwähnen. Wenn der Audax Club Schleswig Holstein unter der Leitung von Burkhard Sielaff zu HHB ruft, dann ist Berlin in Hamburg zu Besuch - und später bleiben die Hamburger meist noch eine Nacht in Berlin. 

Hat was. Ich liebe HHB. Vor allem, weil ich es noch nie richtig offiziell geschafft habe.

Glück muss man haben - Hamburg-Berlin unter dem Regenband


2010 starte ich, vollkommen nichtsahnend, überdrehe, fliege nach peinlichen 110 Kilometern raus. Ich versuche es "privat" noch ein mal, steige dann aber in Friesack (noch 90 km to go) aus. 2011 starte ich wieder, mich erwischt es nach 210 Kilometern. Dann versuche ich es privat noch ein mal, schaffe es, aber eben nicht offiziell. 2012 setze ich wegen Krankheit aus.

2013 soll es nun klappen. Alles steht auf Go. 


Petrus macht Witze: Das Hamburg-Berlin-Regenband

Die Ausgangssituation ist ... naja, nennen wir es: spannend. Ganz Deutschland ist laut Vorhersage regenfrei. Außer eben ein schmales, vielleicht 50 km breites Band, das an der Luftmassengrenze fast unverrückbar steht, zieht sich von der Nordsee, über die holländische Grenze nach Hamburg und dann immer schon haargenau auf dem Hamburg-Berlin Track entlang.

Den ganzen Tag "leichten Regen", das versprechen die Vorhersagetools.

Dazu ein mäßig starker, zuweilen böiger Ostwind. Auch das eher ungewöhnlich. Die vorherrschende Windrichtung bei HHB ist eigentlich Nordwest-Wind, also Rückenwind. Heute soll es uns also schön ins Gesicht blasen. Den Regen frontal rein.

Petrus macht Witze.

"Na, wenigstens bleibt es halbwegs angenehm, was die Temperaturen angeht", sagt einer beim Frühstück in Altengamme. 10 bis 13 Grad. Ja, das hatten wir schon mal 13 Grad kälter ...


Die Startnummernausgabe - noch nur Niesel.

Der Wecker klingelt meine 3 Schlafgäste - Georg, Lars und Mario, den "Doktor" - um 3:20 Uhr aus dem Bett. Ich habe schrecklich geschlafen. Ach, seien wir ehrlich, ich habe gar nicht geschlafen. Einen Kaffee und eine Banane würge ich mir rein, dafür dusche ich lange und sehr heiß, ehe uns 4:20 Uhr das Taxi einsammelt. 80 Euro und 45 Minuten später kommen wir in Altengamme an. Es fängt gerade an zu nieseln. Ab ins Fährhaus und frühstücken!

Die ersten Kilometer - Tempo machen


Ich starte 6:29 Uhr, naja, eigentlich 6:32, weil ich noch mein Vorderrad aufpumpen muss. Auch jetzt nieselt es nur sehr leicht, kein Ding, also habe ich meine Regenjacke noch in der Trikottasche hinten. Just, als ich einklinke, fängt es stärker an zu regnen. Ich fahre trotzdem los.


Zeitfahren Hamburg-Berlin: Auf geht´s!

Dass ich heute finishen werde, darin besteht für mich eigentlich zu keiner Zeit Zweifel. Ich habe eine lange, starke Saison hinter mir. Dass ich Mailand-Sanremo mit einer - für mich - super Zeit geschafft habe, also immerhin 300 Kilometer mit einem ausgewachsenen Pass und Cipressa & Co gibt mir Selbstvertrauen.

Die Frage ist nur wie ich es heute schaffe. "Ich werde immer so 26, 27 km/h fahren.", kündige ich meine Strategie an. Das ist eine gute Speed, wenn der Wind nicht allzu stark wehen sollte, ist das gut durchzuhalten. Meine ich.

Die ersten Kilometer gehen gut. Bis zur Geesthachter Brücke fahre ich im Dunkeln alleine, überhole 5, 6 Fahrer - sammle 2, 3 Fahrer hinter mir ein. Dann im Geschlängel durchs Marschland Richtung Artlenburg, sitze ich an der Spitze und ziehe 4, 5 Mitfahrer. Speed: 27 bis 30 km/h.

Es regnet stärker. Noch aber bin ich warm, ich fühle mich super. Brücke bei Artlenburg, rüber. Dann rauscht an mir ein Zug vorbei. Aufspringen? Soll ich? Ja?

Ich springe auf, reihe mich ganz hinten ein. "Lars! Moin!", ruft einer. Ich erkenne ihn noch nicht. Später werde ich.

Ich bin beim Eisenschweinkader Berlin gelandet. Es wird augenblicklich schnell.


Es regnet immer stärker.

Bis Hittbergen treten sie richtig rein: Immer so um die 35 km/h fahren wir. Als wir durch ein verschlafenes Dorf mit einem Speed-Gerät kommen, blinkt es, als wir vorbeirauschen, ein Smily erscheint: "Sie fahren 38 km/h" steht da. Ich schüttle den Kopf.

Von oben beginnt es nun, zu schütten.

Selbst Lutschen kann wehtun: Warpflug-Praktikum beim Eisenschweinkader Berlin


Und wie es schüttet. Die Wolken öffnen sich und es pladdert nur so herunter. Die Gischt meiner Vordermänner spritzt mir unablässig ins Gesicht, egal, wo ich meine Linie suche, ich habe ständig das sandige Spritzwasser meiner Vordermänner im Mund. Schon sind die Hosen (ich trage zwei und zwei lagen Beinlinge) komplett durchnässt, die Brust ebenfalls, Arme sowieso. Kalt wird es. Langsam läuft es auch in die Schuhe.

Als es langsam dämmert - so hinter Alt Garge - wird es immer unangenehmer. Noch immer habe ich meine Regenjacke nicht ausgepackt.


Durchnässt im Wolkenbruch hinter Hitzacker.

Die Eisenschweine kümmert das nicht. Sie ziehen den Zug durch die Landschaft, dass mir nur der Mund offen stehen bleibt. Perfekt ergänzen sie sich, fahren gleichmäßig - schnell - ihre Turns, wechseln sich ab. Gefahrenstellen und Kurven werden vorbildlich angezeigt, ab und zu Witze gemacht. Ich bin außer Atem, kann aber ganz gut mithalten. Dennoch: Wie lange kann ich das hier mitmachen?

Jetzt erkenne ich auch einen meiner Mitfahrer: Es ist Janibal. Sympathisch, immer gut drauf, schnackt er manchmal mit mir, gibt im Team gern mal den einen oder anderen motivierenden Spruch.

An der Führungsarbeit beteiligen kann ich mich jedoch nicht: Der Wind weht so stark von vorn, dass, wenn er durchs Kurvenfahren mal von der Seite kommt, ich große Mühe habe, gegen den Seitenwind selbst anzufahren, um am Zug dran zu bleiben - 34 km/h vorne im Wind? Halte ich keine Minute aus!

Dann geht die Scheiße erst richtig los ...

Kuhflecken - mal anders


Hinter Hitzacker geht es keine 14 Kilometer auf Wirtschaftswegen zur Dömitzer Brücke. Die Ernte wird eingefahren. Kuhmist - anscheinend - von A nach B gebracht. Wir kurven die engen Sträßchen entlang. Auf ihnen hat der Regen das, was von den Traktoren und Anhängern herunter gefallen ist, als dichte, braune Schlammsuppe auf den Asphalt verteilt: Die Straße ist voller Scheiße.


Kuhscheiße. Wohlfühlen geht anders.

Als wir in Dömitz ankommen - ich konnte vor Hitzacker noch meine weiße Regenjacke anziehen - sehen wir aus, als kämen wir direkt aus den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs irgendwo bei Verdun, oder hätten eine Zeitreise nach Stalingrad unternommen: Ich bin voller Kuhkacke, sehe aus, als wäre ich kopfüber in einem Misthaufen gelandent, hätte mich wie ein räudiger Hund noch darin gewälzt.

Den Geschmack des "Sand" in meinem Mund will ich nicht näher analysieren, spüle ihn sogleich mit heißem Kaffee weg. Meine Trinkflaschen - über und über mit Kuhmist besprenkelt - putze ich sauber.

"Ihr seid die erste Gruppe!", sagt Andrea Ollmann, die wieder bei der Streckencrew dabei ist und mit ihrer sympathischen Art die Rennrad-Argonauten anfeuert. Erste Gruppe? Alter! Warpflug mit dem Eisenschweinkader - Hammerleistung! Es ist 9:30 Uhr.


Ein Hoch auf Janibal! Hammertyp!


Hier kann ich endlich auch ein paar Worte mit Janibal wechseln, den es nicht minder schlimm mit der Kacke getroffen hat. 

Ich bin froh, hier zu sein - so früh, so gut in der Zeit zu liegen - und doch weiß ich, dass dies eher das Verdienst der 10 Eisenschweine ist, weniger mein eigenes. Ja, bei den Jungs mitzuhalten, kostet enorm Energie (und ich bin mir nicht ein mal sicher, ob ich genug davon habe, um bis Berlin lutschen zu können), andererseits ist es eben Windschattenfahren. Nicht wirklich im Sinne eines Einzelzeitfahr-Events.

Ich beschließe, die Gruppe irgendwann zu verlassen. Nur zu lutschen, das ist mir unangenehm. Wenn ich den Jungs nichts zurück geben kann, dann möchte ich mich aber auch nicht die ganze Zeit ziehen lassen.

Durch das Death Valley Brandenburgs, Tiefpunkt & Schimmer am Horizont: Mein Zeitfahren Hamburg-Berlin 2013


Ich hänge ab Dömitz noch für 90 Kilometer im Eisenschwein-Zug. Das Tempo bleibt hoch. Ich lasse mich testhalber doch mal nach vorne durchreichen, will auch mal mit ziehen. Wir fahren Zweierreihe, mein "Partner" ist auf einem gefühlten 61er Stahlrad unterwegs, seine Schenkel so dick wie ich komplett. 32 km/h fahren sie im Schnitt gerade. Als wir vorne sind, hänge ich mich rein. Laktat schießt mir in die Beine - sofort - als ich nach 2 Minuten mit den Worten "Sorry, aber ich bin total im Arsch" rausgehe, fährt der Zug nur noch 26 km/h.

Es hat keinen Sinn.

"Lass mal, der gewinnt sonst Rennen und so ...", sagt Janibal und grinst. 

Das war mein Zeitfahren: Speed in der Distanz.

Kurz hinter Havelberg verlasse ich den Zug - ich muss sowieso so nötig pinkeln, dass ich es bis zur nächsten Pause, die sie in Rhinow machen wollen, eh nicht mehr ausgehalten hätte.

Bis hier her bin ich die ersten 25 km von HHB alleine gefahren, dann knappe 150 Kilometer bei den Eisenschweinen. Nun habe ich noch 100 Kilometer allein vor mir. Und ich beschließe, die auch allein zu fahren. Halb/halb HHB als echter Einzelstarter sozusagen.

Noch immer bin ich klitschenass, obschon es seit Wittenberge nicht mehr regnet. Der starke Wind, der natürlich extrem bremst, kühlt zudem die bis auf die Haut durchnässten Klamotten auf breiter Front herunter. Anhalten - und sofort schlottere ich. Ich muss also treten!

In Rhinow komme ich nach der elend langen Alleestraße, die noch dazu den schlechtesten Bremsasphalt der Welt hat, beim Supermarkt zu Pause 2 an, treffe hier auf die Eisenschweine. Janibal winkt mir freundlich zu, aber ich lasse sie alleine abfahren, während ich lecker süß gefüllte Berliner, ein Malzbier und zwei Wurstbrötchen in mich hinein stopfe.

Als ich losfahre, treffe ich noch Carsten, meinen Haute Route-Spezi. Der ist auch schön im Arsch.

Ab Rhinow geht es dann bis Nauen ganz okay voran. Ab Nauen Richtung Falkensee wird es waldig, also kein so starker Windeinfluss mehr. Zudem die letzten 55 Kilometer. Ich bekomme meine zweite Luft. Kann schneller treten.

Dann von hinten eine 5 Mann-Gruppe: "Hey, häng Dich rein!", fordern sie mich auf. Was ich auch tue. 20 Kilometer, wieder etwas flotter.

Es beginnt zu dämmern, als wir in Berlin einreiten, dann, wenig später durch die Stadt gekurvt, am Korber-Sportzentrum des Olympiastadions ankommen. Ich habe es geschafft! Alter Verwalter ...


Einfahrt zum Sportforum. Endlich da!

Als wir ankommen, beginnt wieder, Regen einzusetzen. Au Backe, denke ich mir: Jetzt noch irgendwo bei Nauen oder noch weiter hinten stecken, und 2, 3 Stunden wieder im Regen fahren. Dazu wird es dunkler ... nein, das muss nicht sein.

Endlich offizieller Finisher beim Zeitfahren Hamburg-Berlin!


Als ich ankomme, wartet Olli auf mich, bei dem ich die Nacht verbringen darf. Ich bedanke mich artig bei den 5 Jungs und Mädels meiner Endgruppe, gebe meine Startnummer am Orga-Tisch bekannt und schiebe schlotternd mein Rennrad unters Dach.

Unfassbar. HHB. Endlich, beim 3ten Versuch, geschafft!


Finish. Fertig. Wo sind die Duschen?

Drinnen gibt es heißes Gulasch. Das Bier bekomme ich nur zu einem Viertel leer. Zwei Tische weiter sitzen die Eisenschweine. Die sind 16:48 Uhr angekommen - 9:50 Stunden für 275 Kilometer. Wahnsinn. Ich winke rüber, bedanke mich auch bei Ihnen noch ein mal für die 150 Kilometer Praktikum.

Meine Zielzeit ist 17:27 Uhr. Knapp unter 11 Stunden geblieben. Hammerzeit, für mich. Ich bin froh und glücklich, als ich ächzend unter die unfassbar wohlig heiße Dusche springe und mich gefühlte 2 Stunden weich koche. Die ganze Kacke abwasche. Die Kälte aus den verhärteten Muskelfasern vertreibe. Den aufgeweichten und wund gescheuerten Hintern eincreme.

Burkhard schreibt auf der Audax-Website: "Das 13 mal war schon eher eine herausfordernde Variante von Hamburg-Berlin." Ja, so könnte man das auch sagen ...


Nein, HHB ist kein Cross-Rennen. Eigentlich.

Mein Cervélo sieht aus, als habe es an einem Cross-Rennen irgendwo im Schlamm Flanderns teilgenommen. Ich traue mich schon gar nicht mehr, die Kurbel zu bewegen, so sehr knirscht es in der Kette, den Kranz erkenne ich unter einer Schicht Scheiße mit Sand kaum noch.

Es wird 2 Stunden dauern, bis das Rennrad wieder glänzt und geputzt ist. Die Kette werde ich aber wohl trotzdem entsorgen können.

Den Abend verbringen Andreas, ein Liegeradfahrer aus dem Münsterländischen, und ich bei Olliver in Schöneberg. Ins Restaurant, wo wir unsere HHB-Leistung eigentlich mit einem leckeren Pastaberg und einem Weizen begießen wollen, schaffe ich es jedoch nicht mehr. Ich falle augenblicklich auf die Luftmatratze und schlafe ein. Meine Beine, restless legs, kurbeln weiter. Mein Hintern, der scheuert sich im Traum noch einige Stunden mehr auf, unter mir drehen sich Laufräder, bollern mir schwere Regentropfen in den Helm, spüre ich klirrekalt die Böen durch nasse Klamotten zischen, krampfen geschwollene Zehen im wassergetränkten Schuh, fällt weiße Haut von aufgedunsenen Füßen ...


Nächster Morgen. Goldener Herbst als Belohnung.

Am nächsten Morgen - es geht zurück nach Hamburg - kann ich zwar kaum laufen, so sehr schmerzen Knie und Nacken, aber ich muss lachen. Was mit einem Witz von Petrus begonnen hatte (das Regenband), endet heute mit einem strahleblauen Himmel, fast kompletter Windstille und einem goldenen, sonnigen Herbstsonntagmorgen, dass man Stafette und Ölfarbe rausholen möchte.

Ich genieße die Landschaft, die der Regionalexpress vor meinem Fenster da abspult: HHB reverse. So lächle ich in mich hinein, lehne meinen Kopf gegen das Zugfenster und genieße die Fahrt. 2014 wieder? Na logo!



Hier gibts die Garmin-Statistiken des Zeitfahren Hamburg-Berlin 2013.

DANKE noch ein mal an den Eisenschweinkader Berlin und alle 10 Jungs, die mich mit gezogen haben! DANKE auch an meine "Endgruppe", an Julia, Du Tier :), und Euch andere, die Ihr mich durch Berlin gelotst habt.

Burkhard Sielaff und Andrea Ollmann für Eure tollen Fotos, ich konnte diesmal keine Machen. Smartphone mit Kuhscheiße im Prozessor muss ja auch nicht sein ... 

9. Oktober 2013

"Bis zur Hölle - und noch weiter ..." - Endura Alpentraum, mein Renn-Bericht. Und warum man dieses Rennen (auf keinen Fall) fahren muss.

Wie beschreibt man Hass-Liebe? Vielleicht zu einer Frau, in die man über alles verschossen ist, von der man sich sofort trennen möchte, die man am liebsten auf der Stelle heiraten will? Schwierig, oder?

Wie drehe ich das jetzt nun mit Worten, diesen Alpentraum zu beschreiben? Diese Reise, die ich am liebsten nie angetreten hätte?

Oder so: Wie kann ich Euch nahe bringen, dass ich diese Odyssee am liebsten noch ein mal machen würde? Sofort? Nee, nie wieder. Oder: Am besten gleich sofort.

Ich versuche es mal ...

5 Gründe, den Endura Alpentraum (nicht) zu fahren.


Im Laufe dieses Berichtes liefere ich Euch fünf Gründe, warum Ihr den Endura Alpentraum (auf keinen Fall) fahren solltet. Er ist einfach so ambivalent, so verrückt, so geil, so "geht-gar-nicht!", dass es schwer sein wird, die richtigen Worte zu finden.

Alles - natürlich - aus meiner, kleinen, Perspektive. Die nur Eine ist. Eine von 480 Blickwinkeln. Wie immer wird es hier wahrscheinlich auch 480 Geschichten geben. Wie gesagt, dies ist meine.


Typisch bayerisch: Maibaum, Trachten, Weißbier. Auch beim Alpentraum.

Ich komme 2 Tage vor Start des Rennens aus Hamburg mit dem Mietwagen in Sonthofen an. Noch war ganz gutes Wetter, als ich aufgebrochen war, kaum erreiche ich das Allgäu, zieht es sich zu und schüttet wie aus Kübeln. Ich werde bei den 15 Metern, die ich vom Auto unter das schützende Vordach meines Hotels brauche, sofort komplett durchnässt. Es ist kalt - 15 Grad - und den ganzen nächsten Tag nur schwummrig. Dunkel. Nicht sehr erhebend.

Kaum komme ich allerdings zur Anmeldung, reißt es über dem Maibaum auf. Kein Sonnen-Overkill, aber wenigstens trocken und etwas Blau am Himmel. So soll´s bleiben!


Die Anmeldung: Klein aber fein.

Die Anmeldung verläuft ohne Probleme. Es ist noch recht früh, als ich ankomme, sie bauen noch die Messestände auf, wobei man hier nichts Großes erwarten sollte: Außer dem Endura- und dem Roadbike-Stand (die Hauptsponsoren und Veranstalter) gibt es hier nur noch einen Imbiss.

Ich treffe Ingo mit seiner Frau. Ingo ist auch für die 252 Kilometer lange Strecke angemeldet. Später wird noch Sebastian dazu stoßen.

Wenn die Musi spuit: Abends beim Briefing.


Wieder im Hotel angekommen, lege ich mich noch eine Weile ins Bett: Die 10 Stunden Vollgas auf der A7 stecken mir noch in den Knochen, außerdem will ich ausgeruht sein. Um 18 Uhr beginnen Pastaparty und Briefing - hier bin ich dann mit Sebastian verabredet - zwei Bekannte also schon.

Sehr gut!


Wirklich gemütlich: Pasta & Volksmusik.

Das Briefing ist super. Drei Jungs spielen urige Volksmusik-Mucke, da schmecken die Spirelli (drei Soßen!) doch gleich doppelt so gut. Sie lassen sich beim Briefing Zeit, stellen die ortsansässigen Handballerinnern vor (leider nicht im Handballerinnen-Dress), zwei Ski-Profis, die mitten in den Olympiavorbereitungen stecken, Mario Kummer, der morgen mitfahren wird, und ein paar andere Größen vor. Die beiden Hauptsponsoren bekommen natürlich viel Zeit, sich, ihre Idee und ihre Produkte zu promoten.

Dann gibt es Streckeninfos.


Die Startgasse am Vorabend: Ruhe vor dem (Schnee)sturm.

Und hier auch gleich der Grund 1, den Endura Alpentraum (niemals) zu fahren: "Ja, also heute hatten wir 5 cm Neuschnee auf dem Hahntennjoch", sagt der Rennleiter. "Aber wir denken, der wird bis morgen abgetaut sein ..."

Das Rennen findet extrem spät in der Saison statt. Und morgen geht es eben nicht nur über das 1.900 Meter hohe Hahntennjoch, sondern noch viel höher, über einen der höchsten Pässe Europas, den Stelvio: Was, wenn da oben Schnee liegt? Was, wenn die Straßen eiskalt, nass ... gar gefroren sind?

"Die Wettervorhersage ist ganz gut: Es wird vielleicht sogar trocken bleiben."

Na Mensch, bitte! Sicher, wir alle wissen, sie wollen hier dem Ötztaler Konkurrenz machen. Aber bei unter 10 Grad weite 252 Kilometer lang durch Regen und womöglich Schnee fahren ... die Strecke wäre im Hochsommer schon Wahnsinn genug.

Das Wetter und die Unberechenbarkeit zu dieser späten Jahreszeit machen den Alpentraum zu einem Vabanquespiel.

Noch bin ich allerdings guter Dinge.


Meine Klamottensammlung. Es war zu wenig.

Wieder im Hotel lege ich mir die Klamotten bereit. Ich checke fast stündlich die Wetterprognosen. Und die sehen tatsächlich nicht wirklich berauschend aus. Ich rechne auf den Pässen mit 4 bis 5 Grad, das würde in den Abfahrten wirklich empfindliche Kälte bedeuten.

Ich rechne mit Regen, als packe ich Regenklamotten ein. Doppelte, das heißt kurze und lange, Handschuhe, eine warme Kappe für den Kopf, Beinlinge. Zwei Hosen - bei dieser Entfernung - sowieso, das hat sich bewährt.

Was ich nicht mitnehme, denn ab der Pillerhöhe - "... da sind wir dann ja fast schon in Italien, da ist es immer schön ..." - soll es eher trocken und warm werden, sind warme Überschuhe (ein Fehler!) und neben den beiden langen Unterhemden, die ich anziehe, lasse ich das kurze da.


Angst? Freude? Anspannung? Von allem etwas ...

Die Nacht ist lang, da ich gegen 20 Uhr schon im Bett bin. Morgens sehr früh zum Start. Das Auto dürfen wir auf dem Gelände der nahen Bundeswehrkaserne parken. Ich habe im Zielort Sulden ein Hotelzimmer gemietet und für 65 € den Busrücktransport gebucht. Morgen werde ich hier das Auto wieder abholen.

Beim Frühstück (das man bezahlen muss) treffe ich wieder Sebastian, der seinen Startplatz gewonnen hat. Es ist ungewöhnlich still in der Markthalle. Alle ruhen in sich, es wird kaum laut gesprochen, nicht der übliche Pre-Start-Schenkelklopfhumor. Ich selbst mache mir Mut: "Ach, komm, du bist super trainiert. Hast eine krasse Saison und die Haute Route hinter dir. Das wird schon!"

Irgend einer neben mir schaut von seinem Android auf und seufzt. Ich höre nur ein Wort. "Regen."

Aufi gehts: Der Start zum Alpentram.


Kurz vor 7 Uhr stehe ich am Start. Ein dichtes, kleines, nettes Feld haben wir da. Vorn fast die gesamte Redaktion des Roadbike-Magazins, einige Ex-Profis, einige Profisportler aus anderen Sportarten. Ein tolles Feld. 480 Mann, darunter ein paar Damen.

"Noch eine Minute!", ruft der Motivator. Wir klicken ein. Machen uns klar.

10 Sekunden vor dem Start fängt es an zu regnen.


Im Startblock: In 20 Sekunden regnet es.

Es geht in gemächlichem Tempo aus Sonthofen raus. Es dämmert gerade, Licht aber brauchen wir keines. Sofort geht es leicht bergauf, was wir allerdings kaum spüren, da das Peloton von den Polizeimotorrädern und einem Presse-Auto, aus dem fotografiert und gefilmt wird, bei rund 25 km/h gehalten wird.

Sebastian, neben dem ich gestartet bin, ist irgendwo im Gedränge hinter mir. Ich sehe ihn nicht. Werde ihn das ganze Rennen über nicht mehr sehen. Ingo habe ich heute Morgen noch gar nicht getroffen.

Erst direkt am Anstieg zum ersten Berg, dem Oberjoch, geben sie das Rennen frei.

Oberjoch und Gaichtpass: Tempo, Tempo!


Es wird beim Oberjoch schnell schnell - obwohl wir wegen der Steigung natürlich langsamer werden. Das Feld beginnt sich wieder auseinander zu ziehen, ich kann allerdings super mithalten, fühle ich mich doch recht gut. Wir überholen eine Menge Starter (wobei ich mir schon überlege, ob es nicht klüger wäre, etwas sutsche zu machen? Naja, erst mal mitgehen ...) werden natürlich auch von viel Schnelleren überholt.

Das Oberjoch ist Deutschlands zweithöchster Pass - mit 10 Kilometern Länge und nicht einmal 1.200 Metern Höhe allerdings nicht gerade Furcht einflößend. Und doch: Ich ballere die 5 bis 9 Prozent mit 17 bis 20 km/h hoch, gebe in den langen, etwas flacheren Stücken richtig Gas und auch das 17%-Stückchen kann mich nicht bremsen.

Nützen wird es mir wenig.


Das Höhenprofil "meines" Alpentraums - wenn ich gewusst hätte ...

Mein Alpentraum, das wird eine verkürzte Strecke werden. Ich werde den Stelvio via Umbrail auslassen. Werde keine 252 Kilometer schaffen. Werde nicht die unfassbaren 6.070 Höhenmeter in den Beinen haben. Werde nicht "das halbe RATA" fahren, wie ich es noch am Vorabend ganz euphorisch via Twitter angekündigt habe.

Oberjoch - nur 400 Höhenmeter sind zu überbrücken - wird den Grundstein dafür legen. Ich bin bereits vollkommen durchnässt, die Finger eiskalt gefroren, außer Atem. Zwar reiße ich mich zusammen, viel und regelmäßig zu trinken, werfe auch immer gut Gel und Essen ein, aber es wird nicht reichen.

Auf dem seichten Anstieg zum Gaichtpass eine Stimme neben mir: "Lars! Du machst aber auch nur die krassen Sachen, was?" Sie grinst mich an: Es ist Christina Rausch.
Sie hat das RATA gefinished. Sie hat die Einzelwertung des Chaos-Rad-am-Ring 2013 vor einer Woche gewonnen. Sie ist Hamburgerin, immer gut drauf.
Und sie fährt diese harten Teile immer zu Ende.

Wir treten eine Weile neben einander her. Dass ich sie in der Abfahrt vom Gaichtpass abhängen kann, gaukelt mir selbst Stärke vor, die ich heute nicht haben werde.

Auf das Hahntennjoch: Alter Schwede ist das steil!


Richtig hart wird es dann im Hahntennjoch. Vorher noch die Abfahrt vom Gaichtpass ins wunderschöne Lechtal, durch selbiges durch. Ich merke es kaum, so schnell fahren wir. Nun also Hahntennjoch.

Der Schnee, von dem sie erzählt hatten, ist tatsächlich abgetaut, okay. Die Straße ist frei. Dennoch: Seit fast 2 Stunden fahren wir im Dauerregen. Sicher nicht mit den Wolkenbrüchen vom RAR oder dem, was beim Ötztaler herunter kam zu vergleichen, aber hey - Regen. Nass.

Ich bin bis auf die Knochen durchnässt. In meinen Radschuhen (Scheiße! Warum habe ich die Oberschuhe nicht mit?!?) steht eiskaltes Wasser. Die Fingerkuppen spüre ich kaum noch. Wahnsinn, irgendwie schon bekloppt, wer bei einem solchen Wetter durch die Hochalpen fahren will!


Kurz vor dem Gipfel: Bis hier her - nass, kalt. Steil, vor allem.

Das Hahntennjoch - öfter mal als Abzweigschild beim Autofahren gesehen - kenne ich nicht. Es soll "ganz schön krass" sein, hatten sie gestern gesagt, aber nach Izoard, Bonette & Co, die ich in den Beinen habe, kann da doch nix Schlimmes kommen, oder?

Pustekuchen. Wie beschreibe ich das nur? Also: Das Hahntennjoch ist ... ein scheißkrasser Mist-Hammer!


Ja nicht unterschätzen! Das Hahntennjoch ist ein Profi-Killer.

Auf 14 Kilometern Länger ist es nur unten und im letzten Drittel ein Mal kurz etwas "flacher", wobei flach in diesem Sinne 4, 5 Prozent sind.

Ansonsten traue ich meinen Augen kaum, nur widerwillig willigen meine Muskeln ein, diese schrägen Ebenen zu treten: Immer, wenn ich auf das Garmin blicke, stehen da zweistellige Prozente. Ich hatte mich im Voraus zwar mit der Strecke beschäftigt, aber eben nicht mit den "kleinen" Bergen, wie Hahntennjoch und Piller Höhe. Hätte ich mal lieber ...

Ich spucke heißen Rotz, es ächzen die Kurbeln, Mitfahrer beginnen mich zu überholen. Ab Kilometer 6 bis 10 - viertausend nicht enden wollende, elend lange Meter! - wird es nicht flacher als 11 Prozent. Unfassbar!
So einen Kackberg habe ich noch nie erlebt, und ich bin schon einige gefahren!

Mir steht der Mund offen - vor Anstrengung und Erstaunen.


Ein wirklich toller, schwerer Anstieg.

Nebelfetzen hängen mir ständig vor dem Mund. Sie bleiben nur langsam hinter mir zurück. In der Mitte irgendwo halte ich kurz an und drücke mir ein zweites Gel in den Rachen. Ist hier etwa das Garmin kaputt oder was? Was ist denn das für ein Berg hier? Kein Wunder, dass hier so "super" zu fahren ist - kein Verkehr - denn hier kommen doch keine Autos, zumindest nicht die schweren, hoch.

Ich benötige 1:06 Stunde um das Hahntennjoch zu erklimmen. Als ich die Passhöhe überfahre - der Regen ist in fisseligen Nebel-Niesel übergegangen - kann ich nicht mehr grinsen. Das war die Hölle hier!

Die Abfahrt vom Hahntennjoch: In der Sturzfalle.


Der Ausblick wäre genial. Die Rundumsicht könnte man genießen. Man hätte hier stolz ein Foto machen können. Ich mache nichts von alledem. Ich ziehe mir die Weste über (im Anstieg wird es dann doch recht heiß) - allein die Minute Stillstand zum Anziehen reicht, um mich vor Kälte schlottern zu lassen - und mache mich bereit für die Abfahrt.


Der Winter ist in den Alpen schon da. Arschkalt! Brrr.

Bergab vom Hahntennjoch wäre auch auf trockenen Straßen nicht wirklich ein Genuss gewesen. Extrem steile Rampen - wie bei der Auffahrt - bedeuten, dass man eh schon nur auf der Bremse steht. Ich blicke fast kopfüber in 13%-Abfahrten, komme kaum über 60 km/h und bremse mich so vorsichtig in die engen Kurven, wie ich nur kann.

Es ist spiegelglatt. Ich habe Spritzwasser auf der Brille. Kein angenehmes Fahren. "Vorsicht: Längsfräsung", auch das noch: Was im Winter wohl ganz toll für die Autofahrer ist, im Regen einfach nur schlimm - die gefräste Straße wird rauh, kaum mehr Auflagefläche für die 23 mm-Pneus, dazu die glatt gefräste Oberfläche. Es fährt sich wie auf Schmierseife.

Auch schön: Nach wenigen Minuten ist mir so kalt, dass ich sofort schlottern muss, am Lenker wackle, eher wie eine Schnecke die Abfahrt hinunter schleiche.

Also, Spaß macht das nicht.

Dann komme ich am ersten Gestürzten vorbei. Ein Auto steht mit Warnblink da, ein Motorrad-Polizist regelt, dass wir ja langsam und sicher vorbei kommen.


Die steile Abfahrt vom Hahntennjoch - kreuzgefährlich bei Nässe!

Ich fahre, als ob ich rohe Eier unter meinen Laufrädern hätte. Und das geht auch nur unter größter Kraftanstrengung. Alles tut weh, x-fach multipliziert durch die Kälte. Auf nasser Haut, durch nasse Stoffe - egal, wie viele Lagen das sein mögen - es ist einfach nur Scheiße.

Dann der zweite Sturz, zwei Notarztwagen, sie haben einen in einer Fixierliege, Halskrause, Goldfolie knistert, Rennrad-Stücke im Straßengraben - eine Serpentine weiter unten fliegt über mir der Rettungsheli ein. Später im Ziel erzählen sie, der Mann hätte sich den Oberschenkel gebrochen. Freiflug ins Unfallklinikum Innsbruck. Gute Besserung!

Den dritten Sturz der Abfahrt sehe ich auf einem geraden Stück. Den Vierten wieder unten kurz vor Ende der Abfahrt. Das wäre dann auch schon Grund 2, den Alpentraum (auf keinen Fall) zu fahren: Die Abfahrten (auch die folgende von der Piller Höhe) sind extrem steil. Bei Nässe - und das kann im September ja eher passieren, als dass es schön trocken bleibt - sind die Dinger einfach nur mörderisch.

Flachstück. Flach-Stück? Mord-Stück!


Zunächst haben sie in Imst eine Verpflegung aufgebaut. Ich halte an (es hat aufgehört zu regnen, juchuuu!), habe sofort Krämpfe beim Laufen, und reiße den süßen Kita-Kindern, die hier heißen Tee servieren, 5 Becher dampfenden Tee aus den kleinen Händchen, labe mich an 3 Bananen, stopfe mir 2 Wurstsemmeln rein und gleich noch ein Gel hinterher.

Lust auf Smalltalk habe ich kaum. Die Starter wirken hier alle gefroren. Sehen zu, dass sie schnell weiter kommen. Warm kurbeln.

War das Lechtal nach dem Gaichtpass - trotz durchschnittlicher Steigung von 2 bis 3 % noch recht gut zu fahren, merke ich, was eine der Hauptschwierigkeiten des Alpentraums sein wird. sofort: Die Flachstücke.



Letzte Kurve, vorsichtig! Dann kurz Pause.

Naja, Flach-Stück wäre Bedeutungsvermummung. Nennen wir sie "Verbindungsstücke" zwischen den Anstiegen.

Ab Imst also nun Eines mit 25 Kilometer. Es wird über mir tatsächlich etwas freundlicher. Die Straße unter mir trocknet ab. Wärmer wird es auch ein paar Grad. Dafür fahren wir zunächst auf der Fernverkehrsstraße. Dann auf einer Landstraße. Wellen. Kurze Anstiege, kleine Abfahrten. Und immer 2-3 Prozent Steigung auf dem Tacho. Ach, Gegenwind. Na, dann haben wir ja alles komplett.

Ich hänge mich kurz vor Zams an zwei Mitfahrer, lasse aber schnell ab. Von hinten holen mich 10 Mann ein - eine bessere Gruppe.

Diese "Flachstücke" sind der Tod. Suggerieren Ebene - und verleiten dabei nur zum Treten, zum Gasgeben, zum Ballern. Zuhause montiere ich mal die drei großen "Flachstücke", die ich im Alpentraum gefahren bin, aneinander:


Tödlich: Die Zwischenstücke des Alpentraum.

Insgesamt summiert sich diese Strecke der Zwischenstücke auf fast 75 Kilometer - wohlgemerkt: nicht flach, sondern stetig steigend, immer so bei 1 bis 4 Prozent, kleine fiese Rampen drin, kaum zeit zur Erholung.

75 Kilometer - 300 bis 400 Höhenmeter werden allein dabei überbrückt. Grund 3, den Alpentraum (niemals) zu fahren: Diese Zwischenstücke bieten keinerlei Zeit zur Erholung. Sie verleiten zum Powern, ziehen richtig Körner und töten leise. Wenn schon die steilen, schwer zu fahrenden Abfahrten der Berge nicht Erholung bieten, die Zwischenstücke tun es in keinem Fall!

Ab Zams bis Landeck geben sie richtig Gas. Ich keuche. Aber beiße und bleibe dran. Ich halte mich im Windschatten. Kurz hinter Landeck biegen wir ab: Ein paar Kilometer noch sehr wellig, dann in Zoll rechts weg.

Piller Höhe. "Hey, schon der dritte Berg!", freue ich mich. Noch im Sprechen bleibt mir die Freude im Halse stecken.

Über die Pillerhöhe - alles, nur kein Pillepalle!


Die Piller Höhe - noch nie was von gehört? Richtig, ich auch nicht. Ist im Tal, wo es zum Kauner-Gletscher abgeht. Aber sonst? Keine Ahnung. Piller Höhe. Puller. Pillepalle?

Im Höhenprofil des Alpentraums, das sie uns gegeben haben, erscheinen angesichts des riesenhaften Stelvio eh alle anderen Berge eher als harmlose Wellen, deshalb habe ich mir da anfangs auch keinen Kopf gemacht.

Hätte ich mal.



Da lobe ich mir doch diese Abfahrten - auch wenn sie kalt sind. Alles besser als Piller Höhe!

Es geht zunächst auf der offiziellen Dorfstraße den Berg hinauf. Sofort und ohne Vorwarnung wird es steil. Und ich meine richtig steil. Kaum sind wir im Anstieg, prangen da stetig eine 10, 11 bis 13 auf meinem Gradientenanzeiger herum. Ich kann es gar nicht fassen: Schon wieder so ein Marterberg?

Die ersten 3 Kilometer gehen richtig rein, einige Serpentinen, ich kann schon gar nicht mehr vom Lenker aufschauen, geschweige denn die Landschaft besehen. Verkrampft umkralle ich die Steuerhörnchen, es quitscht mein durchnässtes Sitzpolster, das kräftig auf dem Sattel schnarrt. Elend lange braucht eine Kurbelumdrehung. Es ist zum verzweifeln - wirklich nicht mal etwas flacher?


"Schau Dir die Scheiße an ...", um es mit Ete zu sagen ...

Richtig scheiße wird es dann aber im Ort selbst - wie auch immer der heißt - so ab Kilometer 4. Da nämlich biegen wir von der normalen Passtraße rechts ab und auf einen Landwirtschaftsweg.

Und nun Helm ab zum Gebet!

An mir vorbei strampeln zwei, drei Teilnehmer - wieselflink mit Kompaktkurbel unterwegs - ich selbst scheine zu stehen. Weniger als 13 % bekomme ich jetzt nicht mehr auf meinem Display zu sehen. Grund 4, also wirklich (auf keinen Fall) am Alpentraum teilzunehmen: Ohne Kompaktkurbel und - ach komm, am besten 32er Ritzel - braucht man hier nicht anzutreten.

Ich fasse es nicht. Sie haben hier 5 Waseberge an einander gesetzt.

Selbst das tödliche Endstück des Tourmalet ist nicht so steil, wie das hier!

Wie Kaugummi zieht es sich. Und umso schneller zieht es mir die Kraft aus den Fasern. Komme ich hier überhaupt vorwärts? Oder reicht meine lächerliche Kraft gerade einmal, um die Erddrehung zu kompensieren? Alter Verwalter!

"Ah, da oben, das Auto - es fährt über einen Huckel, verschwindet - da muss es also flacher werden!", denke ich mir und beiße mich an diese unerreichbar fern wirkende Grenze. Da - da muss es doch flacher werden!

Als ich sie endlich - wie in Zeitlupe - erreiche, diese magische Grenze überfahre - endlich - endlich da! Ich fasse es nicht! Noch 10 Meter bis ins Glück, ja ... ja!

Oh.

Flacher?

Keine 13 % mehr?

Ja!

Geil!

Ah. Jetzt mit 10 % weiter.

Na, Danke!


Später in der Abfahrt ...

Das Steilstück hält mehr als sagenhafte 3 Kilometer an - immer um die 12, 13 %, dann erst etwas flacher bei 10 bis 11. Episch. Trifft es.

Von hinten ruft dann Einer: "Ha, der Lars!", ich drehe mich um, kenne ihn nicht. "So heißt nämlich mein Sohn!", meint er, klopft mir auf die Schulter und gleicht seine Geschwindigkeit an.

Ich weiß nicht mehr, wie mein Kollege heißt, aber ich werde den Rest des Anstieges - immerhin noch weitere 4 Kilometer bei 8 bis 10 Prozent - mit ihm Schnacken. Über seinen Sohn, Kinder im Allgemeinen, einfach allem - ist mir recht. Nur nicht an diesen scheiß Anstieg denken!

Dann zieht ein Auto vorbei: "Hey, Lars!" Nanu, was ist denn heute los? Ich schaue rein - es ist Daniel, der Roadbike-Redakteur, der mich auf die Idee brachte, hier heute zu starten. "Wir sehen uns oben!", ruft er mir zu und gibt Gas.


... ist es noch immer nass und sehr rutschig ...

Als ich die Passhöhe erreiche, bin ich einfach nur durch. Sprechen geht nicht mehr. Kauen? Fehlanzeige. Ich stopfe mir Brötchen, Wurst, Orangenviertel, Bananen und Nüsse einfach ungekaut rein. Ich trinke wieder heißen Tee - schlotterig kalt ist mir zwar nicht mehr und ich leide auch nicht mehr unter Krämpfen, aber ich fühle nur noch Leere in meinen Beinen.

Da stehe ich. Held der Landstraße.

119 Kilometer geschafft. Noch nicht ein mal die Hälfte!

"Hi Lars! Na wie gehts?", ruft Daniel. Ich muss furchtbar aussehen, deswegen legt er gleich nach: "Sorry, dass Du da reingeraten bist." Er grinst. Ich versuche es auch.

Langsam quillt es in mir hoch: Das wird hier heute ... nichts mit Ankommen.

No Buddy? No Motivation!


Die Abfahrt von der Piller Höhe kann ich auch nicht genießen. Zu fertig bin ich. Matsch in der Birne. Es zieht wieder kalt durch die nassen Klamotten, bei jeder Kurbelumdrehung manscht es nass in meinen Schuhen. Ekelhaftes Gefühl.

Leere im Hirn, kurzatmig, einfach nur ausgebrannt - ich lasse fast die ganze Zeit rollen.

Noch immer ist es nass auf dem Asphalt. In einer der Kurven sitzt ein Sportograf. Ich versuche, gute Miene zum krassen Spiel zu machen. Ich grinse ihn an. Er schaut, dann "Wooooohooo!" und ich höre es unmittelbar hinter mir: Sturz!


... knallt einer genau hinter mir auf die Straße. Der Sportograf hats nicht abgelichtet.

Der Typ verbremst sich auf nassem Untergrund und knallt hin. Ich erschrecke derart, dass ich fast ins Schleudern gerade, im Affekt ausklicke, mich umblicke, meinen Hals verdrehe und mir die Schulter verkrampfe. Nichts passiert - der Andere steht wieder auf.

Mir schießt es ab jetzt bei jeder Kopfbewegung in den Nacken. Na hossa!

Was folgen sind 30 Kilometer "Zwischenstück", die ich anfangs alleine, dann in einer etwa 15 Mann starken Gruppe fahre. Ich tanke im Windschatten Energie, die Jungs und Mädels fahren auch vollkommen okay, übertreiben es nicht, pushen nur ab und zu, lassen auch mal rollen. Ich gewinne neues Selbstvertrauen. Einige Kilometer kann ich mich sogar an die Spitze setzen und die Gruppe führen. Es macht wieder Spaß.

Kurz.

Denn vor dem Anstieg über die Norbertshöhe nach Nauders kommt eine kleine, längere Welle, die unsere Gruppe zerschießt. Vorn fahren 5 weg, hinten bleiben 5 achteraus - und ich mit 2 allein in der Mitte.

So gehen wir in die Norbertshöhe. Die kenne ich schon vom Dreiländergiro 2012 und denke mir nur: Endlich mal ein angenehmer Anstieg! Schnell fahren meine beiden Mitstreiter weg. Die Anderen überholen mich - ich bin allein.


Trostlos wie mancher Ausblick: Die Psyche finisht beim Alpentraum, nicht der Schenkel.

Der Anstieg ist nicht hart. Auch nicht steil. Nicht lang. Nur - er zieht mich runter. Einziger Lichtblick ist die nahe Verpflegungsstation in Nauders - spätestens seit meinem Einsatz beim Race Across the Alps im Juni dieses Jahres ein mir sehr vertrauter und lieb gewonnener Ort.

Ich fühle mich schlecht.

Allein. Irgendwie.

Als ich endlich Nauders erreiche merke ich, dass ich eigentlich super in der Zeit liege. Es ist erst 14 Uhr - also noch massig Zeit bis zur Cutoff-Zeit am Fuße des Umbrail. Und doch, irgend etwas zieht mich runter.

Wieder labe ich mich am Essen. Aber Freude kommt recht keine auf. Ein detailliertes Höhenprofil vom Umbrail, das sie aufgehangen haben, motiviert da auch nicht gerade wirklich.

Nach etwa 15 Minuten trifft Jens Vögele, Chefredakteur der Roadbike, ein. Er sieht fast noch schlimmer aus als ich. Als er in meiner Nähe ist, spreche ich ihn an: "Na, Jens? Bereust Du es schon?" Er so: "Ja ...", sein Blick geht ins Leere.  Ich hatte Jens am Oberjoch, dem ersten Anstieg, überholt. 15 Minuten Vorsprung - das finde ich ganz okay.

Als ich weiter fahre, kann ich keine rechte Lust empfinden. Mir fehlt jemand. Ich merke, dass ich kein Einzelkämpfer bin. Ich brauche einen Vertrauten, einen Freund, einen Buddy, mit dem ich solche Sachen machen kann. Der muss nicht immer bei mir sein, allein - zu wissen, dass er da ist, würde mir viel Kraft geben. So aber trete ich mit schierer Unlust den Rest des Reschenpasses unter mir weg, gehe in die Abfahrt. Grund 5, hier (nicht) am Alpentraum teilzunehmen: Ich habe keinen Buddy. Keinen, an dem ich mich messen, mich reiben, mich motivieren kann.

Trugbild in Gomagoi.


Und in dieser Abfahrt vom Reschen fälle ich dann auch die Entscheidung: Kein Umbrail mehr! Auch wenn ich eigentlich sehr gut in der Zeit liege, so gesehen locker finishen könnte: Jetzt hier noch das "Zwischenstück" zum Umbail-Pass fahren (ein mal rund um den Stelvio), dann 1.400 Höhenmeter und +20 Kilometer auf das Stilfser Joch ... wie nass und wie kalt wird es jetzt auf 2.800 Metern Höhe? - und dann noch die Abfahrt (in der Dunkelheit?) - nur um dann noch einmal 10 Kilometer bis Sulden im Anstieg zu stecken?

Nee, Leute. Nicht mit mir. Nicht heute.

Ich bin leer.

So biege ich in Laatsch links ab, wo ich rechts müsste. Und fühle mich nicht ein mal schlecht dabei. Via Prat dann einfach einen Teil des Stelvio-Anstieges. Dann den Rest nach Sulden. Denke ich mir so. Und dann bin ich bald da.

Ich werde mich täuschen.


Das letzte Stück nach Sulden: Steil, steil, steil!

Eine Weile fahre ich einen Radweg, dann Schotter, dann Prat. Und dann stecke ich im Stelvio. Es wird warm, ja sogar heiß - wow, wirklich: Kaum in Italien scheint die Sonne! Ich halte kurz dort an, wo ich im Juni beim RATA von meinem S5 aufs R3 gewechselt bin - und bedauere, warum ich dieses Rennrad nicht heute dabei habe. Ich sitze da, esse meine letzte Banane und ein letztes Gel - und denke, dass ich das ja hier alles gleich im Sack habe.

Ich ahne noch nicht, dass ich nun bis Sulden noch 1:45 Stunde benötigen werde und für 20 Kilometer in einem wieder scheiße steilen Stück hängen bleibe.

Bis Gomagoi kein Problem - 7, 8 %, das kennen wir, das können wir, das mögen wir. Stelvio, den mag ich. In Gomagoi die letzte Labestation. Sie gucken verwundert - gerade kommen hier ersten 25 % der echten Finisher vorbei, die Umbrail und Stelvio geschafft haben. "Wow, los!", ruft mir ein Mädel zu. Ich halte an. Trinke Tee. Bin im Arsch. Und erkläre ihr, dass ich abkürze.

"Egal! Trotzdem Hammerleistung, aufi gehts!", motiviert sie mich. "6 Kilometer bergan - dann rollst Du ins Ziel!", feuert sie mich ohne rot zu werden mit einer Lüge an, als ich wieder los fahre.


Diesen Anblick muss man sich hart verdienen!

Bevor ich den wunderbaren Blick auf den Ortler - dem höchsten Berg Südtirols - halbwegs genießen kann, verfluche ich noch tausendfach die Streckenplaner dieses Alpentraums. Was sind denn das für Anstiege? Hinauf nach Sulden 7 Kilometer lang stetig über 10 %, gerne mal Rampen mit 15, 16 Tacken. Von wegen "6 Kilometer bergauf, dann rollen" ...

Ich kämpfe. Ächze auf dem letzten Loch. Fühle meine rechte Patella. Die hängt so loose im Beinling rum, nimmt nicht mehr am Bewegungsablauf des Beins teil.

Bin einfach nur nass (Schweiß oder Regen?), aufgedunsene Haut, die Füße brennen, Salz in den Augen verkrustet, die Brille verschmiert - heißer Atem, ich kann keinen Meter mehr.
Und kämpfe mich doch Meter um Meter nach oben. Großes Mimimi.

Schöner wird es nicht, auch wenn es mit 8, 9 Prozent etwas flacher wird. Sulden Endanstieg - Hammer! "Nein!", beschließe ich, "hier wäre ich niemals hoch gekommen, selbst wenn ich Umbrail vielleicht noch geschafft hätte ..." - Und heute weiß ich: Auch hier wäre ich wahrscheinlich hochgekommen. Genauso, wie ich den Umbrail geschafft hätte. Oder nicht? Oder doch?

Verwirrt.

Irgendwo auf der Strecke muss mein Hirn aus dem Helm gefallen sein.

Total Destruction - ich bin im Ziel.


Als ich nach fast exakt 10 Stunden Netto-Fahrtzeit über die Ziellinie komme, bin ich so im Arsch, dass ich keinerlei Regung zeige. Ich knipse das Garmin aus. Und bin froh, nicht einfach vom Rennrad zu fallen.


Im Ziel. So schlimm war es lange nicht mehr!

Dass sie den Zielbereich am höchsten Punkt des Ortes, außerhalb selbigen aufgebaut haben - geschenkt! Dass ich nicht glaube, dass die Organisatoren die Strecke, die sie uns hier aufgetischt haben, jemals selbst mit dem Rennrad abgefahren sind - auch das ist okay irgendwie. Warum ein so später Termin gewählt wurde, mag viele Gründe haben. Hey, Schwamm drüber.

So vieles an diesem Alpentraum wirkt unfertig. Oder eher übertrieben. 
Muss man wirklich fast 6.100 Höhenmeter treten können? 252 Kilometer durch die Hochalpen? Ja sicher, das RATA hat mehr als doppelt so viel Steigung - das ist aber auch ein Event für Ultrasportler.

Ist der Alpentraum noch Jedermann?


Von den 479 gemeldeten Startern, die in Sonthofen heute Morgen auf die Reise gegangen sind, werden nur 293 als Finisher gewertet. Das ist eine DNF-Quote von fast 40 Prozent! Und selbst von den 60 Prozent, die es offiziell ins Ziel schaffen, erreichen etliche nur das Ziel, weil der Veranstalter das Zeitlimit am Ende aussetzt. Noch bis neun Uhr abends sehe ich vom Hotel aus die armen Schweine (Helden!) durch die Dunkelheit kurbeln.


Diesen Zielbogen werden längst nicht alle sehen. 

Jens Vögele wird nach 13:45 Stunden als Finisher in den Listen gewertet - er wird rund um 21 Uhr in Sulden eintreffen. Es wird schon stockdunkel sein.

Sebastian wird schon sehr früh, nämlich oben auf der Piller Höhe aus dem Rennen genommen. Ein Platten hatte ihn Zeit gekostet, das Cutoff besorgte dann den Rest. Besenwagen nach nicht einmal 150 km. Er ist sehr enttäuscht.

Aber Ingo wird das Ziel erreichen. Er wird sich über Umbrail und Stelvio gekämpft haben in der Dunkelheit nach Sulden schleppen. Hut ab Ingo - Hammer! Nach 13:38 Stunden trifft er in Sulden ein, einfach Klasse!

Christina Rausch, die ich am Gaichtpass verloren haben, finished nach 11:18 Stunden auf dem zweiten Rang der Damenwertung. Einen herzlichen Glückwunsch, Christina. Superleistung!

Ist der Alpentraum noch Jedermann?

(M)eine Bilanz - Endura Alpentraum. Nie wieder!


Ich überlege lang hin und her. Was war das hier gerade? Was habe ich hier geleistet? Was nicht? Woran lag es? Die lange Saison, mangelnde Vorbereitung, Regen & Kälte? Von allem etwas, würde ich sagen.

"Heiko, wenn Du dabei gewesen wärst, ich hätte gesagt - komm, wir fahren den Stelvio!" - erzähle ich meinem Teamkollegen, als er mich fragt, wie es war. Ja, wenn ich alleine bin, gehe ich eher auf safe. Wenn ich einen Wingman habe, eher auf Angriff. Wie war das mit dem Buddy?

Noch in der heißen Badewanne, die ich mir in meinem Hotel in Sulden einlasse, kommen mir Zweifel: Hätte ich es nicht doch noch schaffen können?


Viel haben - aber noch viel Soll.

Sicher, die Renndistanz, die ich heute gefahren bin, ist mit 223 Kilometern beachtlich, auch die 4.600 Höhenmeter können sich sehen lassen. Und mir fehlen nur 11 Prozent zur Volldistanz. 30 Kilometer - die hätte ich sicher noch geschafft!

Aber die Höhenmeter. Fast ein Viertel der Steigleistung habe ich heute nicht erbringen können. Ganze 1.400 fehlen mir - 24 % nicht geschafft? Hammer!

Ich ziehe den Hut vor allen, die - egal ob innerhalb oder außerhalb des Limits - diese Tortur überlebt haben! Einfach unglaublich, was der Alpentraum an Kraft, Ausdauer, Können und vor allem Psyche verlangt. Ich war heute zu schwach. Keine Frage.

Ich stehe am nächsten Morgen auf meinem Balkon, die Knie schmerzen, ich genieße den Ausblick und denke noch immer nach. Nochmal das Ganze?


Am nächsten Morgen: Alles nur ein böser Traum?

Beim Frühstück sitze zwischen zwei Finishern. Beide echte Finisher. Ich schäme mich nicht, mein Scheitern zuzugeben. Angesichts des Zustands meiner beiden Nachbarn ist ein Teil in mir sogar froh darüber: Die Herren sehen sehr schlecht aus.

"Das war definitiv härter als Ötztaler!", sagt der Eine.

Der Andere: "Das war definitiv härter als alles andere!"

Immer wieder nagt in mir dieser Gedanke: "Warum hast Du nicht einfach weiter gemacht?" Und dann das Offensichtliche: Noch über Umbrail, diesen Riesenzacken plus diese Scheiße ab Gomagoi? Never!


Das Graue ist die echte Strecke. Hätte ich das gepackt? Nein? Ja?

Wirklich? Never? Ich bin mir unsicher. Und immer unsicherer, je mehr ich mit den Mitfahrern, die mit mir im Bus sitzen, rede. Nein, gestern hätte ich das nicht gepackt, bin ich mir plötzlich sicher. Wenige Minuten später zweifle ich daran schon wieder. Warum hab ich es nicht einfach versucht? Besenwagen - so schlimm ist das nun auch nicht, oder?

Heimreise nach Deutschland - Endura Alpentraum 2014? Klar bin ich dabei!


Am nächsten Morgen steigen wir früh in zwei Reisebusse. Unsere Rennräder sind gestern Nacht noch in einem LKW - jedes in einen eigenen Pappkarton gehüllt - auf die Reise gegangen. Wir verabschieden uns von Sulden, toller Ort, der Bus gibt Gas.


Abschied aus Sulden.

Die Abfahrt nach Gomagoi, im Bus, zeigt mir erst, wie steil das hier wirklich war. Beängstigend!
Drei, vier Stunden dauert die Reise, bis wir wieder in Sonthofen stehen. Weitere 10 Stunden später rolle ich in Hamburg ein.

Mir schmerzt noch immer alles.

Das Finisher-Trikot und die Medaille habe ich nur widerstrebend in Empfang genommen.

Ich bin stolz auf meine Leistung, aber einen Alpentraum bin ich nicht gefahren. Dieser Alpentraum war krass, fast wahnsinnig, dieses absurd harte Rennen so spät im Jahr zu fahren, nur bergauf, im Regen, bei Kälte, über die steilsten Anstiege, die man sich denken kann. Vollkommen verrückt, einem eh schon harten Ötztaler diese Konkurrenz zu machen, einfach hirnrissig, vollkommen gaga. Eine Wahnsinnsherausforderung. Absolut unnötig - und deshalb so gut.

Und ich? Ich bin auf jeden verdammten Fall 2014 wieder dabei!





Hier gibts meine Garmin-Daten vom Endura Alpentraum 2013.