27. Mai 2012

Kammerflimmern am Bear Mountain - beim Gran Fondo New York 2012

Es ist mittlerweile mein dritter Trip die die Hauptstadt der Welt, wie sich New York gern nennt, und wieder einmal begrüßt mich diese außergewöhnliche Metropole mit blendendem Wetter. New York, das ist das Superlativ, ist der quirrlige Schmelztigel, Treffpunkt für Menschen aus aller Welt. New York, das ist für mich die tollste, die aufregendste, die geilste Stadt der Welt.

New York ist biiiiiiiiiig ...


Ich musste mir hier den 11. September 2001 ansehen, den schrecklichen Anschlag. Am Tag davor noch auf dem World Trade Center gewesen zu sein, verschärft den Blick auf dieses weltverändernde Ereignis.

2008 komme ich wieder und merke, wie dieser schlimme Tag die Stadt verändert hat: Schnelllebig und hektisch wie eh und je, aber die Leute schauen sich mehr in die Augen, grüßen sich, helfen sich, sind freundlicher irgendwie.

Der Big Apple bekam einen menschlichen Touch. Und 2012? Lächelnde, hilfsbereite New Yorker, die in ihrer Hast immer auch ein bisschen Smalltalk möglich machen. Wenn man das denn will.

Ever changing city ...

2012 mein dritter Trip. Und ich bin erstaunt: Es gibt Radwege, Fahrspuren nur für Radfahrer. Und Radfahrer - ohne Ende! Logisch, dass ich da gleich mein Cervélo klar mache, mich in Schale schmeiße und ein paar Tage vor Akkreditierung zum GFNY, dem Gran Fondo New York, die neuen Bike-Paths ausprobieren möchte.


Na, ganz so flächendeckend ist das Netz auch nicht: Ich verliere und verliebe mich im quirligen Verkehr der Mega-City. Hastig, bisweilen haarsträubend, aber niemals an das Chaos eines Roms oder Neapels heran reichend, kann ich im Verkehr der 7th Avenue mitschwimmen, reite den Broadway ab, fahre neben Yellow Cabs und stehe auf dem Times Square an der Ampel. Ein Traum wird wahr.

Manhattan-Rennrad-Training

Ich könnte die ganze Zeit über jauchzen und frohlocken - es ist einfach atemberaubend, sich in den Straßenschluchten mit dem Rennrad zu bewegen. Neben den legendären Fixie-Kurieren an den Ampeln zu stehen und sich durch die wartenden Taxischlangen zu winden. Ich habe Spaß wie lange nicht mehr, bin überwältigt und voller Adrenalin.


New York ist gut zu Radfahrern - nicht einmal werde ich geschnitten, keiner hupt oder drängelt. Es geht überraschend gesittet, überraschend still und überraschend sicher von statten. Ich fühle mich auf Anhieb wohl, New York, so scheint es, lässt auch dem Radfahrer genügend Luft zum Atmen - obschon diese in der ewigen Rush Hour Manhattans häufig recht dünn wird.


Ich erfülle mir an der Südspitze des Financial Districts den Traum, kurve an der Megabaustelle des neuen World Tade Centers herum und fahre schließlich, diese Erfahrung mit allen Sinnen genießend und mit allen Poren meines Körpers aufsaugend, über die Brooklyn Bridge, was mein Herz höher schlagen und mein Cervelo adeln lässt.

Knapp 40 Kilometer gönne ich mir Manhatten auf diesem kleinen Trainingstrip, fahre zwei Runden im überraschend hügeligen Central Park, reite die Westside der Stadt ab und kehre schließlich ins Hotel zurück: Rennradfahren in New York City ist kein Problem. Nur die Straßen, die haben es zuweilen in sich.

Auf der Bike Expo - die Anmeldung

Zwei Tage vor dem Start des Rennens begebe ich mich zur Penn-Station, wo die Einschreibung stattfindet.


Der Gran Fondo New York findet 2012 zum zweiten Mal statt. Im letzten Jahr schon hatte ich dieses außergewöhnliche Event mitmachen wollen, aber vor allem die finanzielle Lage und die dünne Urlaubsdecke verboten dies.

In diesem Jahr habe ich Glück und kann einen privaten Urlaub mit meiner Eigenschaft als Fahrer für die Equipe SunClass verbinden - der Solarmodul-Hersteller schickt meinen Kollegen Heiko und mich als Radrennfahrer zu diesem Rennen.


Sie geben sich Mühe, es so professionell wie möglich zu gestalten, und schaffen dies auch: Eine riesige Wand, bei der man sich wie bei den Profis auch einschreiben muss, steht am Eingang der Messe.

Amerika wäre nicht Amerika, wenn es nicht "big" wäre, und so ist der schnöde Starterbeutel, der in Deutschland - wenn man Glück hat - wie ein Turnbeutel daherkommt, hier gleich mal eine ausgewachsene Sporttasche im GFNY-Look.

Gefüllt ist diese dann auch mit Startnummer, Lenkernummer inkl. Rfid-Chip, Handgelenksband, dem offiziellen GFNY-Trikot von Giordana, Lärmelementen, einem buchartig dicken, aufwändig gedruckten Rider´s Guide, den obligatorischen Sponsorengaben wie Bike-Fluid, Gels, Pulver und Fußdesinfektion und einer Flasche kalifornischen Merlot mit Extra GFNY-Etikett.

Ich bin überwältigt.


So rückt der Tag des Starts immer näher, mein Hotelzimmer - durch das Rennrad eh schon eher eine Werkstatt denn eine Suite - dekoriere ich mehr und mehr im Granfondo New York-Grün um und am Vorabend verabrede ich mit Heiko eine Aufstehzeit von 4:15 Uhr in der Früh.

Der Morgen des Rennens.

Das ist aber auch echt früh, wann sie hier das Rennen starten! In Deutschland haste wenigstens bis 8 Uhr Zeit ... mir aber Recht, je eher wir loskommen, desto eher sind wir wieder da und können den Sieg genießen ...

Genießen muss ich nach einer traditionell schlaflosen Nacht dann erstmal mein Frühstück:


Mac´n´Cheese aus der Mikrowelle. Yummie. Leider kann das Hotel uns kein Frühstück um diese Uhrzeit servieren, offen hat hier auch noch nichts (nee, die USA sind dann doch nicht die "24-hour-Nation" wie wir immer denken!) und so quäle ich mir diese geschmacklosen Ekelpakete rein.

Was gäbe ich jetzt für ein deutsches Frühstücksbüffet mit Rührei, Kaffee, Vollkornschnitten und Salami?!?!

Kurz nach 5 stehen wir in der kühlen Morgendämmerung und warten auf das bestellte Taxi. Es ist unglaublich früh! "Schlafen!!!", schreien alle meine Sinne. Unvorstellbar, jetzt ein Rennen fahren zu wollen.


Das Taxi kommt denn dann auch pünktlich, aber irgendwie scheinen sie das Wort "Van" bei der Bestellung überhört zu haben und so parkt eine riesige Limousine vor der Hoteltür. Und trotzdem wir schweißgebadet (langsam wirds eng!) versuchen, die mittlerweile komplett zerlegten Rennräder irgendwie auf unseren Schoß zu nehmen oder im kinderzimmergroßen Kofferraum unterzubringen - es passt nicht!

Heikos Rennrad - zu dem später mehr - verwandelt das stoffbezogene Dach der Limo in ein impressionistisches Ölgemälde, ich selbst gebe entnervt auf und bitte den Fahrer, einen Van anzufordern, was der, sichtlich erbost über den Dispatcher, dann auch tut.

Die Zeit tickt: Der Gran Fondo New York startet von der George Washington Bridge aus, deren unteres Level extra für das Rennen gesperrt worden ist. Die Auffahrt zu dieser Mega-Brücke wird aber 6:15 Uhr gesperrt - wer bis dahin nicht da sein würde, müsste über die offziellen Radwege starten, käme aber nicht mehr über die Zeitnahme-Schleifen und würde so auch nicht gewertet werden können. Wir müssen also unbedingt pünktlich sein!

15 Minuten stehen wir in der Kälte, als ein riesiger Van mit einem Mini-Chinesen als Fahrer ankommt. Während Heiko die Rennräder an Bord schmeißt, bitte ich den Fahrer "as quick as possible" zur Brücke zu fahren: Der kleine Mann nickt erfreut und tritt dann auch beherzt aufs Gas, dass sich eine etwa viertelstündige Schussfahrt durch das erwachende Manhattan anschließt, die auch einem "Lethal Weapon"-Film gut zu Gesicht gestanden hätte.

Kurz - wir sind gut durchgeschüttelt aber pünktlich am Startort.


Die George Washington Bridge ist das nördliche Nadelör zwischen Manhattan und New Jersey. täglich rollen hier eine Drittelmillion Fahrzeuge drüber - heute morgen werden es erst einmal knapp 5.000 Rennräder sein.

Im Startblock.

Schon die Anfahrt, die wir nur im Schritttempo schaffen, weil es sich hier vor lauter Carbon-Boliden nur so staut, ist überwältigend. Die riesigen Stahlträger sind noch so fern, als wir uns die verschlungenen Auf- und Anfahrten zur Brücke hinschlängeln. Zusammen mit hunderten anderer Rennradfahrer schiebt sich dieser GFNY-Lindwurm in die Startzone. Mein Herz pocht wie bei einem ersten Date ...


Die Stimmung ist hervorragend. Wenn bei Rennen in Deutschland die Gespräche doch eher im Teamkreis stattfinden, so wird hier munter zwischen all den Radrennfahrern geschnattert: "Where are you from?", aha, ein Schwede, davor zwei Amis aus Kalifornien, dann vier Japaner, ein Norweger ... die ganze Welt geht hier an den Start. Laut Rider´s Guide sind es über 50 Nationen, die sich hier einfinden.

Und wie bei einer UN-Vollversammlung auch, ist das babylonische Geschnatter aufgeregter Rennradler eindrucksvoll und einschüchternd zugleich - so viele wollen hier in wenigen Minuten auf die Jagd nach Bestzeiten gehen? Oha ...


Irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen Heiko und ich die Brücke. Über 50 Meter über dem Hudson haben sie hier liebevoll und wieder sehr professionell eine schnöde Autostraße in eine super ausgestattete Startzone verwandelt: Bandenwerbung wie bei den Profis, treibende Beats und ein live-Moderator halten die Wartenden bei Laune, sehr gut beschilderte Startblöcke (wir stehen im zweiten ganz ganz ganz weit vorn) erleichtern das Einordnen. Alles sehr professionell.

Der Gran Fondo New York wird von dem deutschen Auswandererpärchen Lidia und Uli Fluhme organisiert - und die beiden müssen ihren Sport lieben, denn wie auch der üppige Starter(beutel möchte man kaum sagen) so ist auch der Startbereich liebevoll eingerichtet.


Langsam wachen wir auch auf und realisieren, was wir hier gleich vorhaben: Hinter uns, in weiter Ferne, glänzt sich die Sonne noch recht bescheiden an den Glasfassaden Manhattans empor, langsam wird es dann auch wärmer, und so ganz langsam merke ich bewusst, was für einen Traum ich mir hier gerade erfüllen kann: Ein Rennrad-Rennen in New York City, Leute, bitte - wie geil ist das denn?!?


Mein Cervélo macht sich gut vor dieser Kulisse, beschließe ich und checke noch einmal gewissenhaft den Sitz der Bremsbacken, Satteleinstellungen und Reifendruck. Der Moderator meint gerade, dass sich vorn einer gemeldet habe, dem eine Kurbel "abgefallen" sei - na, das ist ja ein richtig guter Start in den Rennmorgen!

Heiko ist mit seinem Leihrad (der ganze Flugtransport war ihm zu aufwändig) mehr als unzufrieden: Zwar sieht sein Alu-Trek ganz okay aus, aber die Klingel (!) und die schlimme Dreifachkurbel sehen einfach Scheiße aus! Zudem muss für ihn die Umstellung von Campa auf Shimano Tiagra wie Folter sein. Aber er wollte es ja so ...


Langsam füllt sich der Startbereich und wie angekündigt schließen sie 6:15 Uhr auch die Zufahrten. Wenig später werden die Trennungen zwischen den Blöcken weg genommen und das Feld zu einer kompakten Masse zusammen gezogen.



Das lange Warten wird bald ein Ende haben. Noch 45 Minuten müssen wir in der Kälte stehen, wobei die Gänsehaut nicht allein vom pfeifenden Bückenwind kommt.

... and the home of the brave.

Der Moderator hat vorn noch einige Rennradprominenz am Mikro, Lidia Fluhme gibt letzte Sicherheitsanweisungen und dann nehmen 5.000 Radrennfahrer ihre Helme ab, denn eine wunderbare schwarze Souldiva schmettert die amerikanische Hymne in den goldenen Morgen, dass es mir heiß den Rücken runterläuft und die letzte Morgenkälte vertreibt.


Pünktlich um sieben Uhr morgens an diesem wunderbaren 20. Mai startet nun der Countdown und als sie vorn die Strecke freigeben, klicken tausendfach die Schuhe in die Pedale und Heiko und ich klatschen ab: "Gutes Rennen, Digger!".

Jo - das wird es.
Wird es sicher!

Zu Bruce Springsteens "Born in the USA" (ja, welches Lied denn sonst?!?) geht es endlich los.


Dann endlich ist es soweit, vorn gehen Sirenen an und eine Motorradstaffel wie aus "CHiPs"
fährt mit viel Blaulicht-Tamtam voran, wir - langsam noch - hinterher. Endlich. Endlich. Endlich! Ich könnte laut "Yeehaw!" brüllen, so sehr freue ich mich.

Ach komm, ich machs einfach!
Etwa 250 Radrennfahrer brüllen mir nach.
Ich grinse Heiko breit an.


Als es über die Ziellinie geht haben wir eine etwa 110 Meilen lange - also knapp 179 Kilometer - Strecke vor uns, die uns nach Norden entlang des westlichen Hudson-Ufers aus New York hinausführen und in die "Berge" bringen wird. Immerhin 2.100 Höhenmeter stehen auf dem Programm und so bin ich guter Dinge, heute nicht nur ein aus Sicht der Rennkulisse interessantes Rennen bestreiten zu können, sondern auch, was die Wadenleistung angeht.

180 Kilometer in Renntempo an sich ist schon eine Ansage.
2.100 Höhenmeter ebenfalls. Es werden am Ende mehr als 2.500 Höhenmeter sein. Aber das weiß hier jetzt noch niemand.

Ich mache den Pistolero, als der Sportograf das erste Foto von uns schießt.


Noch fallen wir mit unseren SunClass-Outfits aus der Reihe.

Sponsor Giordana hat ein wunderschönes Trikot in die Tasche gepackt, dessen Tragen absolute Pflicht ist, das Nichttragen würde mit Disqualifikation geahndet werden. Eine recht harte Regel, denn auch wenn das Trikot richtig schön aussieht, ist es doch gerade für die gesponsorten Teams, wie SunClass Radsport eines ist, ein Schlag ins Gesicht: Unser Sponsor zahlt einen Haufen Geld um uns die Teilnahme zu ermöglichen, weil wir es ihm wiederum ermöglichen, sein Logo, seine Produktbotschaft auf unseren Trikots zu zeigen - und dann dürfen wir das nicht.

Auch wenn das Trikot angeblich von der Polizei als Sicherheitsauflage gefordert war, sollte sich der Veranstalter hier etwas einfallen lassen - denn das ist sehr sehr ärgerlich!


Aber das interessiert die ersten Meter nach dem Start kaum. Überraschend langsam, wie ich finde, zuckeln wir die Hudson-seitigen Zu- und Abfahrten von der Brücke entlang. Es geht merklich bergan, aber schneller als 32 km/h wird hier nicht gefahren.

So zieht sich das Feld langsam in die Länge, aber dass wir hier in einem beinharten Rennen sind, ist noch nicht zu spüren. Locker schnackt es sich links und rechts von uns daher, man hört mehr den Freilauf gemütlich surren, als Lungen scheppernd prusten.


Das mag an der Besonderheit der Zeitnahme dieses Gran Fondo New York liegen: Es werden nämlich zur Ermittlung der Gesamtzeit nur die Zeiten von vier Anstiegen addiert. Solange der Radrennfahrer also innerhalb der Karenz ankommt, kann er langsam zuckeln, wie er möchte.

Für das Peloton heißt das - tranquilo!

Für mich im übrigen die perfekte Ausgangslage: Ich beschließe, mich so viel wie möglich im Windschatten anderer aufzuhalten, an den vier Bergen richtig reinzuhauen und so zu versuchen, eine Spitzenzeit herauszuschlagen.

So, wie die hier aber entlang kriechen, scheint das die Taktik aller Teilnehmer zu sein ...


Als wir die Brücke hinter uns gelassen haben geht es sogleich auf eine kleine Straße, die sie ins Steilufer des Hudson gefräst haben. Und sogleich kündigt sich an, was das ganze Rennen über Programm sein wird: Nicht enden wollendes Auf und Ab.

Die Anfahrt in die Berge

Das Tempo zieht augenblicklich an, wahrscheinlich geben sie vorn nun richtig Gas. Für uns heißt das - mitschwimmen! Was gar nicht so einfach ist, denn kurz nachdem wir den Kreisel auf die "Scenic Road" hinter uns gelassen haben, wird der Straßenbelag so schlecht, dass man alle paar Meter kindsgroßen Schlaglöchern und Split ausweichen muss.


Ich muss mich höllisch konzentrieren, mir hier keinen Platten zu fahren oder mir nen Gabelbruch zuzuziehen - eigentlich immer wieder erstaunlich, mit welcher Kaltschnäuzigkeit die Veranstalter ein Peloton über solche Straßen schickt.

In Deutschland wäre so etwas undenkbar - da wird jede kleinste Pflastersteinzone doppelt angekündigt und abgesichert, Straßen komplett neu geteert vor dem Rennen. Hier schicken Sie fünftausend Rennradler in Fullspeed über Straßen, wie ich sie mir nach dem Abzug der U.S. Army aus Afghanistan vorstellen kann.

So setze ich mich an die Spitze unserer kleinen Gruppe, um wenigstens als Erster die Löcher zu sehen.


"Wow, wie viel Wald die hier haben!", ruft Heiko und recht hat er. Wir fahren auf einseitig komplett gesperrten Fahrspuren über (noch) sanfte Wellen und fast ausschließlich durch Wald. Es riecht harzig, in der frischen Morgenluft und außerhalb der Smog-Glocke, die stetig über Manhattan liegt, eine wahre Wohltat.

Das Rennen ist noch immer nicht sonderlich schnell, obwohl sich die Tachonadel stetig bei rund 32 - 34 km/h aufhält.

Neben mir fährt ein Typ in einem roten "Rothaus Tannenzäpfle"-Dress.
"Bist du Deutscher?" frage ich.
"Sorry?"
"Ah, you´re not german?!", hake ich auf englisch nach.
"No, I´m a New Yorker ..."
"Thought so because of your Bib?", erwidere ich.
"Ah, thatswhy ... well, I love german beer so I bought it ..."

Ich muss lächeln. Diese Amis ...


Immer wieder zieht die Strecke nun mächtig an. Kleine, kaum 1.000 Meter lange Rampen lassen die Geschwindigkeit abrupt sinken. Hastig springen Ketten auf die kleinen Blätter, Hände an den Oberlenker und ruhig gekurbelt.

In diesen Steigungen sammeln sich die Fahrer dann zu kleinen, 20 bis 50 Mann starken Trauben, um bei der nächsten kurzen Abfahrt oder Flachpassage wieder auseinander zu stäuben. An geordnetes, rhythmischen Gruppenfahren ist hier nicht zu denken. Irgendwie fahren hier alle ihr eigenes Rennen.


Es wird schnell merklich heiß und so muss ich - Sorry für den Sponsor - mein SunClass-Langarmtrikot ausziehen und mich ins Einheitsschwarz der Gran Fondo-Teilnehmer nun auch optisch einpassen.

Es geht weiterhin auf (noch) vollkommen leeren Straßen durch kleine Vororte New Yorks ins Grüne. An jeder Kreuzung, jeder noch so kleinen Abbiegung stehen hier Sherriffs und Polizei-Wagen mit Blaulicht, die Beamten riegeln die Straße ab.

Ich beobachte, wie vor allem die amerikanischen Rennrad-Fahrer beim Vorbeifahren den Polizisten danken: "Thank you Officer ...." Die nicken cool: "Appreciate."
Ja, das ist die USA.


Wir sind im Palisades Interstate Park, eine berauschende Kulisse aus Grün und Grün und nochmals Grün, sausen auf einer lang gezogenen Abfahrt dahin und ich muss grinsen, als wir durch einen Ort kommen, der Alpine heißt - hatte ich nicht irgendwo mal gelesen, dass die New Yorker Rennradszene diese Gegend als Alpine d´Huez bezeichnet?

Hinten kann ich schon erkennen, wo die Reise hingeht: Wer gedacht hätte, New York sei flach wie Holland, den muss spätestens der Anblick der Berge des Bear Mountain National Parks überzeugt haben, dass hier ohne weiteres mehr als zweitausend Höhenmeter drin sind.

Schrecksekunden.

Nach einem weiteren, sehr langen Anstieg, befinden wir uns in einigen hundert Metern Höhe über Null und gehen in eine Abfahrt. Die Straße ist vierspurig, der Asphalt zur Abwechslung mal hervorragend und wir erreichen Spitzengeschwindigkeiten um die 70 km/h, was in unserer recht großen Gruppe Konzentration erfordert.

Uns entgegen kommen zwei Rennradler in entgegen gesetzter Richtung den Gegenanstieg hinabgeschossen. Einer der Rennradler - ich beobachte es genau - sieht uns heranstürmen und muss sich so wundern oder erschrecken, dass er seinen Lenker verreißt.


Er stürzt genau vor meinen Augen, ein lautes "Whoooaaa!" geht durch unsere Gruppe, ein Auto, dass gerade zum Überholen angesetzt hatte, legt ein Vollbremsung hin, der Rennradler schleift einige Meter auf dem Gesicht. Sein Mitfahrer stoppt.

Als ich vorbeikomme, kann der Mann gottseidank aufstehen, der Autofahrer eilt sogleich zur Hilfe.

Eine Erinnerung, dass wir hier ernsthaften Sport betreiben, der nicht ohne Risiko ist.
Daheim wird an diesem Tag beim Amadé-Radmarathon eine Teilnehmerin sterben, ein weiterer sich schwer verletzen ...

Erste Pause

Als wir wieder auf Bodenniveau sind, kommen wir bei Nyack am idyllischen Rockland Lake zur ersten Verpflegung.


Ein weiteres mal zeigt sich das Organisationstalent und die Hingabe zu dem Gran Fondo der Veranstalter: Hier haben sie eine Ess- und Trinkstation vom Feinsten aufgebaut: PowerBar sponsort die Energie-Drinks, es gibt Coke für den schnellen Kick und Wasser natürlich, eine große Bar hält Bananen und Bagels bereit.

Ich greife zu - nach dem etwas dürftigen und kulinarisch mehr als fragwürdigen Frühstück heute morgen brauche ich unbedingt was Festes zwischen den Zähnen: Immerhin steht in weniger als 5 Kilometern die erste Bergprüfung an.

Leider haben sie die Bagels mit Erdnussbutter und Marmelade bestrichen, und das nicht zu knapp, sodass sich meine Freude ob des üppigen Büffets schnell in Grenzen hält - ungeachtet dessen imponiert mir die Hingabe und die Freude, mit der die Betreuer das hier alles machen.

Wir müssen ein wenig für die Dixi-Klos anstehen (wild urinieren wird sofort mit Disqualifikation und wer weiß was für drakonischen Strafen geahndet) und setzen uns keine 10 Minuten nach Ankunft in Bewegung.

Ich freue mich, als das Schild von der ersten Zeitnahme kündet.

Passo del Daino - Kurz aber heftig

Eigentlich ist dieser Anstieg eine ganz normale Straße die zu einigen Einfamilienhäusern führt und nennt sich Buckberg Road, aber für den Gran Fondo haben sie den einfach etwas italienisch angehaucht. Ich sage Tschö zu Heiko und haue rein - wenn in einem Rennen schonmal nur meine Spezialitäten getimed werden, dann will ich auch das Maximum rausholen!


Ich beschleunige sofort hart und kann einen Mitstreiter, der gerade zum Überholen angesetzt hatte, genau auf meiner Höhe abfangen. Ich weiß, dass dieser erste Anstieg nicht lang sein wird - nicht einmal 2.000 Meter geht es bergan - aber mit 14% wird es der steilste Part sein. Anzunehmenderweise werden hier die Leute am schlechtesten sein, denke ich mir und will unbedingt punkten.

Die ersten paar hundert Meter kurbele ich sehr schnell und im Sitzen, kann fast jede Sekunde einen anderen Rennradler überholen. Der Typ neben mir geht aus dem Sattel und in den Wiegetritt und fährt etwas davon. Im Rider´s Guide steht, dass dieser Anstieg zum Ende hin sehr steil werden würde - und darauf warte ich.

Hinter einer kleinen Kurve kommt dann die Rampe - mein Waseberg lässt grüßen.

Der Typ vor mir kann, wie ich es geahnt hatte, nicht den ganzen Anstieg über sein Höllentempo halten und setzt sich hin. Langsam hole ich auf. Kurz hinter ihm schalte ich einen Gang nach oben und gehe aus dem Sattel. Wie Butter schnurrt die Kette unter mir, kraftvoll schmatzen sich die Contis in den heißen Asphalt, ich werfe das Rennrad von links nach rechts und habe mit wenigen Tritten den Typen überholt.

Schon kommt die Ziellinie in Sicht - ich bleibe draußen, gebe noch einmal alles und fahre schließlich ungeschlagen über die Zeitnahme. Wow. Durchatmen!


Ich kann die Distanz in 5:58 min hinter mich bringen und schaffe es von den 2.491 genommenen Zeiten auf den 213ten Rang - das weiß ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht, aber ich ahne, dass ich eine ziemlich gute Zeit gefahren sein müsste. Unter den besten 10%. Wow.

Glücklich und schwer pumpend warte ich auf Heiko, der wenig später angeschnauft kommt.

Wir stürzen uns in die kleine Abfahrt, wobei ich im Hinabschrauben an eine Passage im Merkzettel des Starter-Sets denken muss: "Absolutes Speed-Limit von 30 mph - Achtung, wir werden die Einhaltung strengstens kontrollieren. Wer zu schnell fährt, wird sofort disqualifiziert!".


Moment mal - wir sind in einem Rennen mit Speed-Limit?
Das können auch nur die Amis.

Letztlich werde ich auf den ganzen 179 Kilometern keine Laserpistole sehen. Ich denke, es handelte sich um einen Pflichtpassus, den sie einfügen mussten. Wer weiß, nacher verklagt ein gestürzter Rennradfahrer die Veranstalter und merkt an, man hätte ihn nicht über hohe Geschwindigkeiten informiert ...

Intermezzo zum Bear Mountain

Wir finden eine kleine Gruppe, mit der wir die nächsten 20 Kilometer zum Dach der Tour, dem Bear Mountain fahren. Hier wird die Strecke nun endgültig zum Natur-Highlight.


Während wir mit relativ starkem Rückenwind die breite Straße entlang fliegen, fällt mir auf, dass Heiko immer wieder sehr schnell zurück fällt. Er kann kaum 32 km/h Schnitt halten, die bei diesen Windverhältnissen nun wirklich kein Problem sind. Wenn ich ihn ansehe, kann ich in ein Pokerface schauen, als ich mich neben ihn setze und frage, wie es ihm geht meint er nur: "Richtig beschissen!"

Es scheint nicht sein Tag zu sein und ich realisiere, dass es bei ihm hier heute nicht um gute Zeiten, sondern um das bloße Ankommen geht. Da wir beschlossen hatten, als Team zusammen zu fahren, zügele ich meinen Vorwärtsdrang und bleibe in seiner Nähe.


Das gibt mir Zeit, einige Leute näher kennen zu lernen. Wir fahren in Zweierreihen, als einer neben mir fährt, der das 2012er Cervélo R3 fährt.

"That is a very nice Bike!", rufe ich ihm zu.
"Oh, yeah, thank you!", antwortet er sichtlich geschmeichelt.
Nach 5 Minuten kommt er wieder vor zu mir: "Oh, you funny bastard! You ride the same!" und kann gar nicht mehr aufhören zu lachen.

Die Straße zieht nun merklich an und wir fahren bei 3 bis 4% Steigung eine lang gezogene, etliche Kilometer lange Linkskurve an einem schroffen Felsen vorbei. Ein atemberaubender Anblick - nur das AKW in der Nähe stört da etwas.


Der Anstieg dauert eine halbe Ewigkeit, zum Glück können wir ihn die meiste Zeit im Schatten verbringen. Heiko schnauft hinter mir und fällt immer wieder zurück. Immer wieder bremse ich, fahre auf die Gegenfahrbahn und suche ihn. Habe ich ihn gefunden, warte ich, lasse mich einholen und trete von neuem meinen Rhythmus.

Heiko hat heute einen sehr schweren Tag: Zunächst die hakelige Tiagra-Schaltung, dann die enormen Temperaturen, die ihm immer zu schaffen machen, und dann die unrthythmische Strecke, das ewige Auf und Ab. Er leidet sichtlich - ist aber, wenn ich in anspreche, ganz guter Dinge.


"That is so beautiful, cannot believe we are in New York!", rufe ich einem weiteren Mitstreiter zu, der nett aussieht.
"Yeah, it is!" antwortet er. "Where are you from?"
"Germany, Hamburg"
"Ah, des isch lustisch - isch komm aus Stu´gart!"

Ich sehe viele Amerikaner, logisch, und sauviele Italiener. Liegt es daran, dass der Gran Fondo Roma die Partnerveranstaltung ist? Wahnsinn, wie viel Italienisch im Peloton gesprochen wird - selbst der Sieger des Gran Fondo New York wird ein Italiener sein.

Frauen, das fällt mir auf, sind Mangelware - keine 400 Damen sind am Start. Aber die, die am Start sind, sind ... oh la la! Wohlgeformte, anbetungswürdige Triathletinnen-Körper, braungebrannte, athletische Leckerfiguren, oft auf Zeitfahrrädern. Nice. So hält es sich in der Steigung aus: Menschen gucken. Popos genießen.

Montagna dell Orso - der zweite Anstieg.

Endlich kündet wieder ein Schild von einem getimeten Anstieg. Heiko und ich beschließen, die Pausenstation am Fuße des Bear Mountain erst nach diesem aufzusuchen und gehen non-stop in die Vertikale. Wie auch beim ersten, setze ich mich schnell von ihm ab.

Diesmal aber lasse ich es langsamer angehen.


Der Bear Mountain ist die höchste Erhebung in diesem Gebiet und für die New Yorker Rennradszene der Hausberg. Eine - zur Abwechslung - wirklich gut asphaltierte, breite Straße schlängelt sich knapp 6 Kilometer bei durchschnittlich 5,5% zur Spitze, die steilsten Abschnitte sind nicht steiler als 10%.

Ein Klacks, könnte man meinen, wenn da nicht der Zeitdruck wäre.

Wieder trete ich in einem der untersten Gänge bei sehr hoher Frequenz. Ich komme sehr gut voran, es werden mich hier am Berg nur 2 Fahrer überholen können, während ich bestimmt 40, 50 Rennradler hinter mir lassen kann.


Die Steigung zieht sich - vor allem die Abschnitte, die ich in der prallen Sonne fahren muss, ziehen das Letzte aus den Waden. Stellenweise fahre ich total allein. Ich fahre so konzentriert, dass ich keine Augen für die Schönheit dieses Nationalparks habe: Unter uns in einigen hundert Metern Tiefe fließt der Hudson träge nach New York City dahin, dichter Mischwald bedeckt runde Kuppen - fast könnte man meinen, hier im Alpenvorland zu fahren.
Kein Wunder, dass sich die Italiener hier so wohl fühlen.

Immer wieder gehe ich aus dem Sattel und schiebe das Rad kraftvoll nach oben. Die Schwierigkeit: Dieser Anstieg ist zu flach, um ihn mit den gewohnt kleinsten Gängen zu fahren, aber auch zu steil, um einen hohen Gang zu wählen. Mit solch einem Mittelding habe ich keine Erfahrungen, muss als oft herum schalten, um die für mich perfekte Übersetzung zu finden.


Ich hole ein Cervélo S3 in Tour de France-Sonderlackierung ein. Ein Schmuckstück, ein Juwel.
"Hi there!", rufe ich atemlos. Er dreht sich zu mir und nickt: "So beautiful, your bike!"
"Yeah ... whish I had yours!", antwortet er und strengt sich weiter wortlos an.

Ja, diese Aerofraktion - sehen mit ihren schicken Bikes hier im Anstieg ganz schön alt aus, was? Und trotzdem - dieses Rad hat was. Ob ich auf sein Tauschangebot eingehen sollte?

Nee, nie im Leben! Nichts trennt mich von meinem R3!


Scheinbar endlos - zum Schluss auf den letzten 2.000 Metern endlich wieder im Schatten - zieht sich die Montagna dell Orso hin. Im Vergleich zu Tourmalet, Alpe d´Huez oder Aubisque, die ich 2011 auf meiner Tour de France gefahren bin, ist das hier eine kleine Welle. Ein Nichts. Ein Test.

Im Vergleich zu eineinhalb, zwei Stunden Aufstieg zum Mont Ventoux sind diese 20 Minuten ein Witz - aber eben einer, der einem beim Lachen im Halse stecken bleibt: Was wir hier machen, sind Bergsprints, und da können selbst kurze 5 Kilometer Anstieg sauhart sein.

Und dieser Bear Mountain ist sauhart!


Oben angekommen spurte ich durch den Zielbogen und atme tief durch. Mir zittern die Beine, als ich rechts ranfahre, um auf Heiko zu warten. Reihenweise kommen sie oben an, klicken entweder sofort aus oder hängen sich in kräftigen Schlucken ziehend an ihre Wasserflaschen.

Einige lassen ihre Köpfe hängen, andere werfen die Rennräder ins Gras und machen erst einmal ein paar Fotos von der fantastischen Aussicht: Von hier oben kann man ganz weit hinten die Skyline von New York erkennen.


Zuhause erfahre ich die Zahlen: Am Bear Mountain kann ich mit 21:39 min von 2.751 gewerteten Fahrern (warum sind das mehr, als beim ersten Anstieg?) den 346ten Rang erreichen. Wieder eine Spitzenzeit die mich sehr stolz macht.

Da Heiko wohl noch etwas länger braucht, beschließe ich, in die Abfahrt zu gehen und unten an der Verpflegung auf ihn zu warten.

Keeping the Speed-Limit

Mir ist immer der Satz mit den 30 mph-Speed-Limit im Kopf, als ich die 6 Kilometer lange Abfahrt hinabrolle. Und tatsächlich sind viele der Jungs hier überraschend langsam unterwegs. Ich kann viele überholen - und muss dabei natürlich höllisch aufpassen, denn in riesigen Trauben kommen uns diejenigen Fahrer entgegen, die noch im Anstieg sind.


Was für ein Unterschied zum Gran Fondo Colnago, als wir die allerletzten Rennfahrer auf der Strecke waren - ein tolles Gefühl, wenn man hinter einem noch den Großteil des Feldes weiß!

Ich genieße die Abfahrt und lasse rollen. Ich schere mich auch nicht um das Speed-Limit. Was sind 30 Meilen? 60? 58 km/h? Das ist doch ein Witz - Leute, wir sind hier in einem Rennen!
Andererseits lasse ich dann doch nicht alles raus. Wer weiß. So eine Nacht im Knast von New Jersey muss ja auch nicht sein ...

Unten an der Verpflegung ist die Hölle los. Es stehen bestimmt 1.000 Rennradler für Wasser und Klo an. Es geht aber alles so schnell, dass das Warten kein Problem ist - im Gegenteil, ich nutze das Stehen, um meine Muskeln zu lockern und den Nacken wieder weich zu bekommen.

Im Gewusel finde ich später dann auch Heiko, der endlich wieder grinsen kann: "War das eine geniale Abfahrt!?!", freut er sich. Jo, war es!


Richtig viel Zeit zum Ausruhen haben wir nicht: Es sind erst 2 der 4 Anstiege geschafft und mithin die Hälfte der Distanz. Im Feld murmeln die Amerikaner immer ihre Meilendistanzen - mir sagt das alles nichts und zum Umrechnen ist es mir schon viel zu heiß unterm Helm.

Zum dritten Anstieg

Bevor wir zur dritten Zeitnahme kommen, haben die Streckenplaner einen höllischen Plan: Sie wollen uns fertig machen! Zuvor lullen sie uns auf der langgezogenen Abfahrt aus dem Bear Mountain National Park ein.


Unablässig strömen uns hunderte Rennradler entgegen - sie sind noch auf dem langen Linkskurvenbergaufstück mit der tollen Aussicht auf Hudson und AKW, Heiko freut sich so, dass wir nicht die Letzten sind, und ich feuere ab und zu die schon arg lädiert aussehenden (wirken wir auch so?) Radrennfahrer mit "Allez, allez!" oder "Go, c´mon folks!" an.
Viele winken.
Die meisten haben nur leere Blicke für mich übrig.

Für sie bin ich "ein Glücklicher, der es schon geschafft hat."

Wenn die wüssten ...


Irgendwie scheint Heiko das Rennfieber gepackt zu haben, denn er stürmt diese Abfahrt herunter, als stünde unten bereits der Zielbogen. Heiko wiegt schon etwas mehr als ich und sitzt obendrein auf einem wohl nicht ganz so leichten Alu-Rad: Schnell zuckelt er mir davon.

Ich mache noch ein paar Fotos und nehme meine Beine in die Hand: Heiko einholen!

Wenn uns auf der Hinfahrt nach Norden ein kräftiger Rückenwind angeschoben hat, so bläst dieser uns nun unaufhörlich ins Gesicht. Als ich Heiko eingeholt habe und wir uns eine kleine Gruppe zusammenstellen können, sind sie alle am Meckern. "Headwind, dammit!", flucht einer. Recht hat er.


Die Streckenplaner führen die Route etwas mehr nach Westen und schicken uns nun in ein ekeliges Auf und Ab, das aus nicht weniger als 5 größeren Anstiegen besteht, die allesamt im zweistelligen Bereich sind. Immer wieder müssen wir 200, 300 und manchmal auch längere Rampen überwinden.

Immer wieder fallen Ketten auf kleine Blätter, gehen die Fahrer in den Wiegertritt und kämpfen gegen die Vertikale an. Die kurzen Abfahrten sind ein Witz, keine Zeit, um auszuruhen, im Gegenteil, des schweren Frontalwinds wegen müssen wir sogar in den Abfahrten mächtig reintreten, um nicht unter 20 km/h zu fallen.

So geht das bestimmt eine Stunde lang - auf und wieder ab. Ich schalte gefühlte zwei Millionen mal, schwer atmen wir, die Beine brennen - und im Zorn, den ich nutze, um mich die Giftrampen hinaufzuprügeln, vergesse ich, dass es doch gar nicht diese Anstiege sind, um die es geht. Wie die meisten um mich herum auch, fahre ich mich an diesem Bergintermezzo leer.

Colle Andrea Pinarello - der dritte Anstieg

Den dritten der getimeten Anstiege haben sie nach dem leider tödlich verünglückten Andrea Pinarello aus der gleichnamigen Rennradschmiede benannt, der die erste Ausgabe des GFNY als Schirmherr begleitet hatte.


Der Anstieg verwirrt uns. Es ist nämlich kaum zu spüren. Anfangs jedenfalls. Ich fahre mit einer kleinen Gruppe von 4, 5 Leuten, Heiko hat sich zurück fallen lassen, und man rätselt, ob die Zeitnahme gerade nur eine Zwischenzeit, eine Kontrolle war, oder ob wir schon im Anstieg sind. Denn es geht nicht nach oben.

Statt dessen fahren wir auf einer topfebenen Straße in prallster Sonne. Mich plagen leichte Magenkrämpfe, die Sonne knallt so unerbittlich, dass ich fast eine ganze Flasche austrinke. Als zwei der Fahrer übereinkommen, dass dies schon der Anstieg sei, treten alle auf einmal dermaßen rein, dass sie mir komplett davon fahren - ich habe dem nichts entgegen zu setzen und kann nur gleichmäßig und langsam weiterkurbeln.

Erst zum Schluss hin, die letzten 1.000 bis 1.500 Meter, zieht die Steigung an und erreicht schließlich bis zu 10%. Als ich oben ankomme weiß ich, dass das hier keine Bestzeit geworden sein kann: Mit 13:27 min brauche ich fast 5 Minuten mehr, als der Sieger und belege nur noch den 982ten Rang bei 2.730 Fahrern.

Ich warte auf Heiko, der nicht weniger destroyed angeschnauft kommt und sehne einfach nur die nächste Verpflegung herbei: "Hier machen wir mal richtig Pause!", schlägt Heiko vor. Recht hat er! Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit die Verpflegung vor dem vierten Anstieg erreichen, muss ich schwer atmen: Wow, das war ein Teufelsritt! Und mir schwant, dass der kommende Anstieg kein so leichtes Spiel mehr sein wird.

Heiko kann nur mit dem Kopf schütteln: "Ankommen zwischen 12 und 13 Uhr kannste vergessen!"
Ja, diese Schätzung halte ich mittlerweile auch für leicht übertrieben.

Sweets for my sweet ...

Wir wollen die Verpflegungsstation plündern, aber irgendwie bleibt uns das reichhaltige Angebot im Halse stecken.


Da haben sie also: Coca Cola (okay, einen Becher nehme ich), PowerBar-Drink (jut, nehm ich auch, aber ich strecke das Zeug mit 1:1 Wasser), Bagel (och nööö, schon wieder Erdnussbutter und Marmelade?), Bananen (ja, komm, zwei esse ich, aber ... das ist alles so pappsüß!) und Energy-Gel (na, welche Geschmacksrichtung? Richtig: Schokolade!)

Also. So sehr ich auch die Logistik hier bewundere und toll finde, wie die Veranstalter das alles hinbekommen haben: Ich würde ein Laufrad geben für ein Bagel mit Salami oder Käse ... oder irgendwas Salziges!

Lustig ist auch wieder die Schlange zum Klo.


Man muss bestimmt 45 Minuten anstehen, um sich erleichtern zu können. Da man sofort disqualifiziert wird, wenn man irgendwohin uriniert, stehen sie auch schön brav an.

Eine Art Qualitätsmanager in GFNY-Outfit spricht mich in der Schlange an: "How long have you been waiting in line here, Sir?"
"´Bout 15 Minutes?"
"Oh, thats way too long! Thanks.", sagt er und macht sich auf dem Klemmbrett eine Notiz.

Auch das habe ich bei noch keinem Rennen erlebt: Live-Umfragen während des Events. So können die Offiziellen Statistiken erheben, um die 2013er-Ausgabe noch besser zu machen. Damn, ich hätte ihm das mit den Salami-Bagels erzählen sollen!


Mir fallen wieder einige schöne Bikes auf, am schönsten finde ich natürlich die ganzen Cervélos, die hier parken. Witzigerweise werde ich erst nach dem Rennen auf dem Nachhauseweg in Manhattan ein S5 sehen, die etwas preiswerteren S2 dagegen begegnen mir fast massenhaft.

Schöne Bikes!

Als ich endlich vom Pinkeln komme ist mir irgendwie schlecht - ich muss essen. Aber bei dem Gedanken an Erdnussbuttermarmelade dreht sich mir der Magen um.


Ich drücke mir zwei Bananen rein, aber bei jedem Bissen meldet mein Verdauungssystem eine akute Überbelastung: Ich will mir den Nahrungsbrei da unten auch gar nicht vorstellen: Mikrowellen Maccharoni´n´Cheese, bereits 3 Power-Gels, bestimmt schon 5 Bananen, dann das Bagel (und ich hasse Erdnussbutter!) und an die 3 Liter pappsüßer Energy-Drink.

"Das wird heute Abend auf Klo ein Massaker!", prophezeit Heiko.
Wenns mal bis heute Abend wartet, denke ich mir so angesichts des Grummelns in meinem Bauch.


In einem Ständer hängt ein altes Cervélo S3 in 2008er-Bemalung, dahinter ein S-Works Venge, die "Wunderwaffe" von Specialized. Ich habe in den Anstiegen bestimmt 4 Venges überholen können: 1,3 Kilo schwere Rahmen, sauteuer. In der Vertikalen absolut nutzlos.

So toll ich den Aerotrend auch finde, hier und heute bewusst diese Räder zu erleben hat mir doch eine ganz praktische Anschauung gegeben, wo die - theoretisch ja schon längst bekannten - Schwächen liegen: Die Dinger sind einfach zu schwer für die Berge!

Wir lassen uns komfortable 20 Minuten Zeit, diese letzte Verpflegungsstation auch wirklich als Pause zu nutzen.


Angesichts der Massen, die sich hier auf der Wiese herumlümmelnd lockern und massieren, haben viele andere auch diese Idee. Es tut gut zu sehen, dass wir nicht die einzigen sind, denen dieser Gran Fondo bis hier her alles abverlangt hat.

Alles andere als Käse.

Den vierten und letzten Anstieg nennt das Roadbook Colle Formaggio. Eine Kombination aus drei Sträßchen mitten in einer Einfamilienhaus-Siedlung. Einer meiner Mitfahrer in dem kleinen Feld, das wir bis zum Fuße des Anstieges gefunden haben, meint, dies sei der schwerste aller Berge.
Ein anderer meint, nein, das wäre der Erste gewesen.
Von hinten meint einer, Bear Mountain sei das Schwerste.

Naja, wir werden sehen.


Tatsächlich wird es der Käseberg in sich haben. Und der Name passt auch: Denn käsig ist das Adjektiv, mit dem man unsere Beinmuskulatur beschreiben könnte. Es tut einfach nur noch weh, es fordert das Letzte an Anstrengung, sich hier hochzudrücken.

Laut Rider´s Guide bietet dieser Anstieg einen Schnitt von 8,1% (der Mont Ventoux hat 6% Schnitt!) auf einer Meile Länge. Und eine Meile ist lang!


Ich beschließe, scheißegal was es kostet, hier nochmal alles zu geben und gehe sofort aus dem Sattel. Schnell habe ich unsere Reisegruppe verlassen und den ersten fernen Mitstreiter überholt. Ich fahre im zweitletzten Gang und ächze mich die Steigung hinauf, die hier im ersten Abschnitt gut und gerne 12% haben mag.

Erst beim Mittelstück kann ich etwas entspannen, es wird fast eben. Links und rechts haben es sich ein paar Zuschauer in der Sonne bequem gemacht. Einigen ist es zu heiß, um uns anzufeuern, die meisten sitzen einfach nur da und gucken.

Das spornt an. Nicht.


Es geht um eine Kurve und das rund 800 Meter lange Endstück liegt vor mir. Ganz oben auf der Kuppe kann ich schon die GFNY-Flaggen, die immer das Ende der Zeitnahme markieren, erkennen. Also schalte ich wieder einen Gang hoch, gehe aus dem Sattel und reiße an dem Lenker.

Es ist immer wieder faszinierend, wie mein Rennrad die Steigung liebt. Das Cervélo R3 scheint für die Vertikale gebaut zu sein und jedes Mal, wenn ich kräftig in die Pedale trete hat es den Anschein, als wolle es unter mir wegfahren, als stöhne es enttäuscht, dass ich da immer noch oben drauf bin. Eine fantastische Bergmaschine, dieses Cervélo und bei jedem der - nunmehr viel weniger sich im Anstieg befindlichen - Rennradfahrer, die ich überhole, kann ich mir einmal mehr zu diesem tollen Rad gratulieren.


Oben angekommen stehen zwei hübsche Blondinen in knapper Bekleidung und Cheerleader-Puschel bewaffnet und feuern jeden der Rennradler an. Eine tolle Szene und ein wunderschöner Anblick.

Zunächst lasse ich mich nicht ablenken und trete noch einmal mit letzter Kraft rein, als die Kuppe flacher wird, setze ich mich hin, schalte ein, zwei Gänge hoch und sprinte über die Induktionsschleife - geschafft! Letzter Anstieg! Nun ist die Zeit im Kasten.

Erst dann hefte ich meinen Blick auf die sexy Hotpants, juble den Mädels meinen Dank zu und warte genüsslich in Po-Sichtweite auf Heiko.


Zuhause wälze ich die Statistiken und bin ganz zufrieden mit dieser vierten Zeit: Von 2.619 gewerteten Fahrern kann ich immerhin den 460sten Rang erreichen und mich damit wieder enorm verbessern. Ich bin nur 2 Minuten langsamer als der Gewinner dieser Bergwertung, obschon ich weiß, dass der Titel des KOM heute nicht nach Deutschland, zumindest nicht an mich gehen wird.

Heiko schnauft heran, grinst kurz und nickt nach vorn - soll heißen: Heim!

50 Kilometer ins Glück

Wir haben es geschafft! Wir haben alle Zeitnahmen dieses Gran Fondo New York absolviert und die Würfel damit fallen lassen. Alles, was jetzt noch kommt, ist Erholung.


Wir planen, nun ganz gemütlich ins Ziel zu gurken, wollen uns keinesfalls mehr verausgaben oder unnötig Energie verschwenden.

Aber irgendwie geht der Plan schief.

Sobald wir nach einigen idyllischen Wald-Kilometern wieder auf die große Straße nach New York kommen, die wir auch schon auf der Hinfahrt genommen hatten, läuft alles aus dem Ruder. Ich finde mich in einer Gruppe aus 15 Mann wieder, neben mir einer in T-Mobile-Klamotten auf einem T-Mobile-Giant-Rad.

Ich komme mit ihm ins Gespräch, er sagt, er sei Händler für diese fast schon als Klassiker zu bezeichnenden Rennräder. Er erzählt mir von Treffen mit Jan Ullrich zu TDF-Zeiten, vom Engagement, dass die Telekom seinerzeit im Radsport hatte und höre einige nette Anekdoten aus der Profilager.
Ich vergesse, auf Heiko zu achten.


Irgendwann löst sich die Gruppe urplötzlich auf und wir sind einzeln verstreute Fahrer. Es geht seicht bergab, Durchschnitte um die 32, 35 km/h sind locker drin. Ich weiß nicht, ob es das nahe Ziel ist, aber ich kann stark anziehen und polke allein durch den Gegenwind, als wäre es nichts. (Diese Kraft hätte ich mal am dritten Anstieg gebrauchen können!)

Immer wieder sehe ich mich um - kein Heiko da!

Ich beschließe, zu warten. Komme im gemütlichen Zuckeltempo dann mit zwei Holländern ins Gespräch, die von mir unbedingt wissen wollen, wer den nun Europameister im Fußball wird. "Kamerun", sage ich. Der Witz kommt nicht gut an.

Endspurt.

Als ich Heiko eingefangen habe, gehen wir gemeinsam die letzten Meilen an. Die Kilometer auf der großen Fernverkehrsstraße schmelzen nur so dahin, bis wir irgendwann wieder auf die (asphalttechnisch schlimme) "Scenic Road" entlang des Hudson geleitet werden, die wir schon von heute morgen kennen.

Es geht wieder ätzend bergauf und bergab, eine fast als Cross zu bezeichnende Schussfahrt die höchste Radbeherrschung und technisches Geschick erfordert, denn die Schlaglöcher scheinen sich seit der Hinfahrt noch einmal verdoppelt und verbreitert zu haben.

Wahnsinn, was Carbon so alles aushält.

Irgendein nicht informierter Parkwächter (oder ein Anit-Bike-Occupy-Bewegter) schließen dann noch zwei Schranken, die eigentlich Autos am Befahren des Parks hindern sollen - ratlos stehen wir an den unbeschilderten Schranken und wissen nicht wohin wir sollen.

Der gesunde Menschenverstand sagt uns - geradeaus.


Irgendwann erreichen wir dann wieder den Kreisel unterhalb der George-Washington-Bridge, der Ort, an dem wir vor siebeneinhalb Stunden aufgebrochen waren. Jubel geht durch die Menge, alle grinsen sich eins unter ihren Helmen, wir kurbeln wieder entspannter und sind allesamt glücklich: Nun scheint dieses Rennen fast endlich geschafft.

Noch wissen wir nicht, was uns auf den letzten Metern blühen wird.


Wir werden auf eine der meist befahrenen Straßen New Jerseys geleitet. Für das Rennen ist nun keine Spur mehr gesperrt, wir müssen ganz normal mit dem dichten Berufsverkehr mitschwimmen. Keine Sperrungen, keine Polizei und - was für weitere Verwirrung sorgt - keine Beschilderung mehr.

Da ich die Strecke meine zu kennen (also: immer geradeaus) setze ich mich an die Spitze des kleinen Feldes und ziehe das Tempo an.


Wie wahnsinnig polken wir durch stehende Autoschlangen (bloß keine Türen öffnen!), drängeln uns an roten Ampeln breit vor die wartenden Autos und ziehen als 30-50 Mann starkes Peloton die letzten 10 Kilometer durch die Stadt.

Welch´ ein "Ohoooo" geht durch die Menge, als wir zwischen zwei Häusern endlich zum ersten mal die nahe Skyline von Midtown Manhattan erblicken - nun kann es wirklich nicht mehr weit sein.


Ah, endlich - eine einsame Polizeibeamtin steht auf einer Kreuzung, wirft eine Neonflagge wild hin und her und brüllt "Cyclists next left!" in die Menge. Ich reiße das Rad herum - bin ja immer noch an der Spitze des Feldes - trete noch einmal richtig rein und zirkle durch die letzten Kurven.

Mir schlagen immer lauter werdend Wogen treibender Beats entgegen, endlich öffnet sich vor mir die Kulisse Manhattans, Zäune halten begeisterte Zuschauer zurück und endlich springe ich über die letzte Zeitnahme, tauche unter dem Zielbogen durch und ... bin einfach nur glücklich.

Geschafft!

Gran Fondo New York - in genau 8 Stunden brutto, 6:34 h netto. Ist das eine Träne, die mir aus einem Auge kullert?


Wow, was für ein Rennen, kann ich nur kopfschüttelnd und enthusiastisch resümmieren. Die Gefühle, die mich durchströmen, sind kaum zu beschreiben. Fast fühlte es sich an, als stünde ich neben mir, besähe mich mir selbst, wie ich über den losen Split durch den Zielschlauch eiere, überwältigt von dieser grandiosen Kulisse, dem wohlwollenden Beifall der Zuschauer und irgendwo höre ich einen Ansager meinen Namen sagen, es klingt, wie weit weg, irgendwie, wie ein entfernter Widerhall.
Es ist geschafft.
Es ist unglaublich.


Ich stelle mein Rad irgendwo an die Seite, ein paar Minuten nach mir kommt auch Heiko rein. Und wie bei mir, verschwinden augenblicklich auch aus seinem Gesicht all die Grübchen, die Falten, der Stress, die das verbissene Klettergesicht uns ein Dutzend mal in die Haut gegraben haben, all die kleinen Narben, die mikroskopischen Muskelrisse, die die Prozente in unseren Waden verursacht haben, all der Schmerz, die brennenden Lungenbläschen - sie sind vergessen. Auf einen Streich.
Wie nach einer Geburt.

Hier und heute - Gran Fondo-Helden sind wir. Newborn. Willkommen im Leben!


Wir genießen die Pasta, die echte Italiener aus einem Küchentruck heraus servieren. Im Riesenzelt sitzen mehrere tausend Rennradler, stolze Söhne und Töchter tragen Papas viel zu großen Helm, liebevolle Ehefrauen und Freundinen küssen ihre schweißnassen Helden.

Wir sitzen da auf Bierbänken, stopfen uns die tomatensaußehaltigen Kohlenhydrate aus Italien rein. Ich geben meinen Apfel Heikos Freundin, die gekommen ist, um ihren Helden abzuholen, lehne mich zurück und genieße die Siegerehrung.


Wahrlich, sie hätten sich keine bessere Kulisse als diese hier aussuchen können: Strahlend blauer Himmel, brennende Sonne, nur lachende, glückliche Gesichter und pinkfarbiger Sekt, den die Altersklassensieger und letztlich der italienische Gesamtsieger versprühen können: Ein so würdevoller, über alle Maßen gelungender Abschluss für diesen zweiten Gran Fondo New York.

Ich könnte, wenn ich dürfte, glatt noch einmal fahren. Es sind diese Momente, für die sich die 8 Stunden Schwerstarbeit gelohnt haben, dieses Glück, diese Freude.

Unbegreiflich, fürchte ich, für den, der noch nie auf einem Rennrad gesessen hat.


Ich selbst kann dieses Rennen auf einem wunderbaren 467ten Platz (von 2.360) beenden - ein Ergebnis, auf das ich sehr stolz bin! Die Zählweise der Anstiege spielt mir in die Hände - wäre dieses Rennen ganz normal gezählt worden, ich wäre bestimmt irgendwo im Mittelfeld versackt.

So aber weiß ich mich in den besten 19% aller Starter - und befinde mich damit innerhalb jener 25%, die, wäre der GFNY noch offizielles UCI WCT-Rennen, eine Starterlaubnis für die Amateur- und Jedermann-Weltmeisterschaft in Pietermaritzburg bekommen hätten.

Aber das ist eine andere Geschichte - hier und heute bin ich einfach nur froh und glücklich, diesen Brocken gemeistert zu haben. Stolz zeige ich meine Medaille, die - praktisch, wie die Amis nunmal sind - gleichzeitig als Bierflaschen-Öffner fungieren könnte.


Sie haben einen kostenlosen Fährservice von Weehawken hinüber nach Manhattan eingerichtet, den ich zusammen mit etwa 200 anderen Rennrad-Enthusiasten auch bald nutzen werde. Die meisten haben sich, so scheint es, schon satt gesehen an der Skyline - für mich sind die Wolkenkratzer immer wieder ein grandioser Anblick: Ich liebe diese Stadt, und heute, so wirkt es fast auf mich, hat sie sich noch mehr herausgeputzt, scheint sie noch mehr zu glitzern, als sie es eh schon tut.

Wir haben es uns verdient, so fühlt es sich an.

Und stolz geschwellter Brust gehen wir denn dann auch von Bord, schwärmen aus in alle Richtungen, nach Hause, in Hotels, zu den Vans und Limousinen - nach Hause, um allen, die es hören möchten, von diesem tollen Rennen zu berichten.


Nach über 8 Stunden, die ich mir lediglich Zucker in meinen Magen geschaufelt habe, mutet der riesige, mit 400 Gramm reinem gegrillten Rindfleisch bepackte Burger, den ich mir gönne, wie das Paradies auf Erden an: Endlich Salz! Endlich ein kaltes Bier!

Endlich die Beine lang machen. Endlich sitzen. Endlich nicht die tickende Zeitmessung im Rücken.
Ich bin nacher im Bett viel zu aufgekratzt, um schlafen zu können.


Das war er also, der Gran Fondo New York.

Ein hartes, ein überraschend hartes Rennen. Großartig organisiert mit so vielen Highlights, die schon bei der Akkreditierung mit der tollen Sporttasche begonnen haben. Die Schwächen - teilweise unzumutbare Straßen, die fehlende Beschilderung und Absperrung am Schluss, der Trikotzwang und das Fehlen salziger Nahrung - werden vielleicht beim Event 2013 ausgebügelt sein.

Man kann es Uli und Lidia Fluhme und dem Organisationsteam nur wünschen - denn eines, das ist der GFNY sicher: Eines der besten Rennen, das ich jemals gefahren bin und für Rennradenthusiasten eine wunderbare Gelegenheit, sich den Stress eines Radtransportes über den großen Teich zuzumuten und einen Urlaub in "The Capital of the World" mit diesem Juwel des Jedermann-Rennkalenders zu krönen.

Thumbs up - das war allererste Sahne!

Und mithin noch Heikos und mein großer Dank an SunClass Solarmodule, die es uns ermöglicht haben, diesen Luxus eines Starts hier in New York City wahr werden zu lassen. Ich hoffe, unsere Ergebniss rechtfertigen den Aufwand.

Hier gehts zum Garmin-Track des Gran Fondo New York.
Und hier zum offiziellen Rennbericht der Equipe SunClass Solarmodule.




Nachtrag (Danke, Harald)

Da vergesse ich im Eifer des Gefechtes doch glatt, das schönste Detail dieses meines Rennens zu erwähnen. Es ist bei der letzten Pause vor dem vierten Anstieg. Als ich mein Cervélo in den Ständer schiebe, rollt es so komisch. Irgendwie schwer. Nun fällt es mir endlich wieder ein - irgendwie kommt mir das die ganze Zeit eh schon spanisch vor - auf den Abfahrten bin ich zwar wegen meines Leichtgewichtes immer etwas langsamer, als die schweren Brocken - heute aber scheint es nochmal einen Zacken schwerer zu sein ...

Als ich den Sattel in die Stange eingehangen habe, bemerke ich es, als ich am Hinterrad drehe: Die Bremse ist fest. Fest! Bin ich mir denn ganz sicher, beim Ausladen heute morgen die Bremse ordentlich eingestellt zu haben? Nee, sicher bin ich mir nicht mehr: Alles musste so schnell gehen, wir hatten die Startblockschließung im Nacken.

"Nee, oder?!", frage ich mich raunend, "Ich bin jetzt nicht 130 Kilometer mit angezogener Hinterradbremse die Berge hoch und runter gestürmt?!?"

Doch, scheint so.

Und siehe da, als ich die Bremsbacken entspanne und justiere, kann ich auf einmal auch wieder mitrollen ...

Nachtrag 2 (Danke, Uli)

Uli Fluhme, Organisator des Rennens, kontaktiert mich gestern. Drei Details sind ihm wichtig, die möchte ich Euch auch nicht vorenthalten.

Zunächst die Straßenqualität: Hier sollte im April die River Road - entlang des Hudson mit den kinderwagengroßen Schlaglöchern - neu geteert werden. Der GFNY hatte sich an der Geldsammelaktion beteiligt und über eine halbe Mio Doller gesammelt. Im Juni wird diese Straße dann nun (für uns leider zu spät - für die 2013er-Ausgabe des GFNY aber sicher) fertig werden.

Dann die süße Verpflegung: Uli fragt, ob ich denn die Chips nicht gesehen hätte. Habe ich leider nicht. Die hätte ich aber sicher gern genommen. Das nächste mal also: Augen auf!

Das Trikot: War tatsächlich eine Polizei-Auflage. Uli bringt noch einen anderen Faktor ins Spiel: Style. Gerade die Amerikaner fahren wohl gern in hässlichen, viel zu großen Schlabbershirts Rennrad. So bekam der Gran Fondo also auch kleidungstechnisch eine ganz neue, besser Klasse.

Und last but not least: Die Straße in New Jersey ohne Schilder und Sperrung - Uli meint, "Amerika ist und bleibt Autoland." Und es hieß - entweder diese Straße (die dann doch wohl eine der ruhigeren war ...) oder kein Gran Fondo.

Anyway - die Veranstaltung war auch trotz meiner kleinen Kritikpunkte ein Hammer.