26. Juni 2013

Race across the Alps 2013 - Schnuppertag beim Ultrasport


Ihr werdet es wohl alle mehr oder weniger bei Twitter oder im Blog meines Teams SunClass Solarmodule mitbekommen haben, dass mein Auftritt beim RATA 2013 leider nicht mit einem Happy End gesegnet war. Ich möchte Euch dennoch einen kleinen Bericht davon geben, was mir zwischen Nauders und Aprica passiert ist.

Eröffnungsphase: Start in Nauders, Abfahrt über den Reschenpass zum Stelvio

Das nur 50 Mann starke Peloton wird – Fahrer für Fahrer und Team für Team – vom Moderator im Ortskern von Nauders vorgestellt. Es herrscht eine tolle Atmosphäre, alle sind gespannt, alles zupft an Trikots herum, macht noch einmal die Helmschnallen fest und überprüft ein letztes Mal den korrekten Zug auf Bremse und Bowdenzug: Ich entdecke in letzter Minute eine lockere Vorderradbremse, die unser Mechaniker-Genie Martin Wiertz denn dann auch gleich wieder sutsche anzieht.


Flow und ich beim Eintragen in die Starterlisten des RATA 2013

Start ist Punkt 12 Uhr, unter dem Applaus der Gemeinde biegen wir auf die Reschenpassstraße ab. Ich kenne diesen Weg bis auf den Stelvio noch sehr genau vom Dreiländergiro 2012, weiß daher, dass es nur sehr seicht mit maximal 4 % bergauf gehen wird, es ab Reschensee eher flach und daher sehr schnell werden kann. Doch zu meiner Überraschung wird sehr gesittet gefahren, Flow und ich können uns inmitten des Feldes gut einordnen.



Aufmerksam beim Fahrer-Briefing am Abend vor dem Start.

Anders aber als beim Dreiländergiro vor einem Jahr, wird hier nicht schon das halbe Feld totgefahren. Ich empfinde die Speed sogar als angenehm. Doch neben mir fällt Flow plötzlich zurück und aus der Gruppe heraus, ich kann gar nicht so schnell reagieren, wie ich an ihm vorbei bin. Er ruft mir noch „Tschüs!“ hinterher, wir sind weg.

Martin und Benji, die meine Betreuercrew sind, verfolgen das Live-Tracking: „Flow war plötzlich kurz nach dem Start hinter dem Feld, wir haben uns schon Sorgen gemacht, ob er vielleicht einen Defekt hatte.“, erzählen sie nach dem Rennen.



Jubelschrei beim Start - endlich geht das Race Across the Alps los!

Mir selbst geht es gut, ich habe keine Probleme, meine Position im Feld zu behaupten – das Cervélo S5 schnurrt wie ein Kätzchen.

Die Abfahrt vom Reschenpass ist schwierig: Hier zieht das Peloton auf einmal an. Flow konnte sich unterdessen im Flachstück bis St. Valentin wieder ans Feld heran arbeiten, schießt in der Abfahrt plötzlich an mir vorbei und setzt sich sogar für einige hundert Meter an die Spitze des Feldes. Das ist er, unser Flow!

Mir selbst macht die Abfahrt etwas Schwierigkeiten: Es geht ein harscher, böiger Wind vom Tale her, der das Rennrad von der Seite trifft. Die Windstöße zerren an den Hochprofilfelgen, treffen mich von der Seite, schieben und ziehen, wenn mir entgegen kommende LKW dann noch ihre eigene Windschleppe um die Ohren hauen, fühlt sich das Rennrad an, wie ein Citröén beim Elchtest …

Ich muss langsam machen, will im dichten Feld kein Unsicherheitsfaktor sein und werde bis Ende Reschenpass bis fast ans Gruppenende durchgereicht.

Unten angekommen, arbeite ich mich wieder durch das Peloton in die Mitte vor. Ich hänge mich an einen Teilnehmer vom Team Strassacker. Ein sympathischer Fahrer, der mir beim Briefing schon aufgefallen war. Dieses Team kenne ich von einigen Veranstaltungen des GCC 2011 und habe sie als professionelle, sichere Fahrer kennen gelernt.
Sicher aber will ich vor einem anderen Teilnehmer sein, der sich bei 45 km/h mitten im Feld und nur 2 cm am Hinterrad seines Vordermannes gern mal auf seine Tria-Aufsätze legt: Kreuzgefährlich, der soll man schön hinter mir fahren!

Durch Spondining, dann Prad und schon sind wir am Stilfser Joch. Endlich: Mein Revier!

Im Silfser Joch: Es läuft wie geschmiert.

Ich schieße am Team SunClass Solarmodule Orange vorbei – Flows Betreuer tragen auffällige orange-gelbe T-Shirts. Die Meinen – Team Blau – sehe ich nicht. Doof, denn eigentlich will ich ja die Anstiege des RATA mit meinem Cervélo R3 fahren – die Kompaktkurbel holt da einfach mehr raus – und die Abfahrten auf dem S5 meistern.

Da ich durch die Hektik am Vorstart noch nicht funkverkabelt bin, kann ich nicht fragen, wo sie sind, also gehe ich auf dem S5 in den Anstieg. Ich hoffe, dass sie schnell aufschließen, denn am Aero-Renner fahre ich nur eine Flasche, die auch schon halb leer ist …

Sobald es steiler wird, startet das Race across the Alps: Und das merkt man! Vorn geben sie jetzt richtig Gas. Oder anders: Vorne fahren sie, wie man beim RATA fahren muss: Wir hinten können da nur staunen. Schnell zieht sich das eben noch sehr kompakte, fast defensiv fahrende Feld auseinander, Flow wird fix wieder nach hinten durchgereicht, ich überhole ihn, ich selbst wiederum werde von fast allen Startern ebenfalls überholt: Hier erkennt man die Klasse der Teilnehmer!

Starter wie Daniel Rubisoier, ein außerordentlich sympathischer, bescheidener Typ, mit dem wir gestern noch für unseren Film ein Interview geführt haben, der vor zwei Wochen noch die Quali für die Mountainbike-Eurpoameisterschaft gefahren ist, ist schnell außer Sichtweite. Ebenso die anderen Favoriten.



Wechsel vom Cervélo S5 Aero-Renner auf das R3, den Bergspezi.

Dann werde ich von meinem Teamfahrzeug überholt, sie fahren einen halben Kilometer vor. Als ich eintreffe, steht das R3 vollgetankt da, sie ziehen mir die neuen Schuhe an, stecken mir ein, zwei Gels ein, ich kann nach nur 2 Minuten wieder losfahren. Flow, der mich beim Wechsel überholt hatte, hole ich schnell wieder ein, frage kurz, wie es ihm geht, dann fahre ich meinen eigenen Stiefel weiter.

Ach herrlich! Das Stilfser Joch ist einer meiner Lieblingsanstiege und da ich beim Dreiländergiro fast den gesamten Anstieg mit einem anderen Rennteilnehmer über geplauscht hatte, waren mir viele Eindrücke nicht mehr so präsent: Heute kann ich mich voll und ganz auf diese grandiosen 25 Kilometer konzentrieren.

Obwohl die Serpentinen nur so unter mir durchgehen, zehrt dieser Anstieg.

Denn es ist heiß. Richtig heiß! Schnell läuft Schweiß in Strömen, ich muss mich nicht einmal zwingen, alle 10 Minuten einen Schluck Wasser zu nehmen. Ich kann zu einem anderen Fahrer aufschließen, wir beide werden nach einigen Minuten von einen weiteren Fahrer - Strassacker - noch eingesammelt. Von hinten nähert sich eine Dame.



Ich hänge mich an 2 Mitstarter. Von hinten kommt eine RATA-Dame noch dazu.

Zu viert fahren wir in einem kleinen Verband zusammen, bis ein italienischer Linienbus sich aggressiv durch uns, die Begleitfahrzeuge und den Gegenverkehr hupt und drängelt – so ergibt sie die unschöne Situation, dass der Bus auf einmal zwischen mir und den drei Anderen ist – und stoppt, um eine Kolonne Entgegenkommer durchzulassen. Keine Chance für mich, ich muss im Dieselruß hinter ihm warten. Von den drei Kollegen werde ich nur noch die Dame später einholen.

Als der Verkehr wieder rollt, komme ich nach 10 Kilometern an der Franzenshöhe vorbei – ab hier wird der Stelvio einfach nur noch geil. Die steile Felswand, die Serpentinen, der Schnee – es geht sogar ein kühler, später kalter, Wind. Es ist herrlich!

Ich kann konstant fahren, habe keine Probleme und schraube mich schnell die Steigung hoch. 48 Kehren sind es bis zum Pass – erst bei Kehre 15 zähle ich bewusst mit. Unterwegs versorgt mich mein Team zweimal mit Essen und Trinken, sie geben mir meine Jacke und warten dann oben am Pass.



Wir wechseln und in der Führungsarbeit ab.

Als ich eintreffe, habe ich 20 Minuten Vorsprung vor Florian – und liege aber schon jetzt Meilen hinter den RATA-Cracks zurück. Das alles interessiert aber noch nicht. Oben ziehe ich mir Beinlinge, Weste und Handschuhe an, esse eine meiner 14 präparierten Schwarzbrot-Salami-Leerdamer-Gurkenscheiben-Stullen, eine Banane, trinke hastig und mache mich in die Abfahrt.

Perfekt: Kürzeste Standzeit, konservierend fahren aber mit ausreichend Druck am Pedal. Ich bin in Hochstimmung. Alles klappt bisher wie am Schnürchen. Besser noch: Ich hatte damit gerechnet, schon am Start vom Peloton abgehängt zu werden.



48 Kehren - geiler Ausblick. Der Stelvio ist Legende.

Den Stelvio fahre ich in 2:20 Stunden - das ist nur 10 Minuten langsamer als beim Dreiländergiro 2012. 

Abfahrt nach Bormio und in den Gavia-Pass

Die Abfahrt auf der italienischen Seite kenne ich noch nicht, da der Dreiländergiro via Umbrail-Pass in die Schweiz abbiegt – Umbrail, das ist der vorletzte der 11 RATA-Pässe. Als ich an der Kreuzung gen Italia lenke, schaue ich kurz in Richtung Schweiz.

Meine RATA-Prognose für mich selbst sieht vor, dass es „irgendwo hinter dem Bernina-Pass knallt.“ Dann würde ich 6 Pässe in den Knochen habe, die Nacht durchgefahren sein. Albula, Flüela – so in diesem Bereich hatte ich für mich mein Ziel gesetzt. Stilfser Joch via Umbrail, das war eine feine Fiktion. Für die Traumnacht vor dem Start.



Von da unten gekommen - andere Seite runter. Abfahrt vom Stilfser Joch!

Die Abfahrt über Bormio ist purer Rausch. Die Straßen sind gut, der Abhang nicht minder beeindruckend wie der Anstieg via Prad, auf halber Höhe schießt ein Karwenzmann von Wasserfall hundert Meter neben der Straße senkrecht in die Tiefe – absolut beeindruckend! 

Die 7 Tunnels, durch die man etwa ab der Häfte des Stelvio schießt, gehen gut zu fahren, keine Schlaglöcher, auch nicht allzu lang, dass man sich wegen der Dunkelheit sorgen müsste.

Im unteren Teil werden die Straßen gerader, ich kann länger rollen lassen und mich entspannen: Bis hier her läuft es super! Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung bis jetzt, sitze sicher auf dem Rennrad und habe auch nach den ersten 2.500 Höhenmetern keinerlei muskuläre Beschwerden.

In Bormio biegen wir sogleich in den Gavia ab. Kurz hinter dem Dorf halte ich an, pelle mich aus den Abfahrts-Klamotten und werde mit Funk verkabelt.

„Erzählt mir was vom Anstieg.“, bitte ich meine Crew. Die informieren mich nun alle paar Kilometer, was die vor mir liegenden Abschnitte bereithalten. Den Gavia bin ich noch nie gefahren, und so kommen mir diese Funk-Infos ganz gelegen.



Im Anstieg zum Gavia-Pass. Noch ist´s schön warm.

Im unteren Teil ist er flüssig zu fahren, meist bis 5 % steil, nur unterbrochen ab dem zweiten Kilometer durch eine 2 Kilometer lange Passge mit Spitzen bis 15 %. Dann 5 Kilometer bei maximal 6 %, erst ab Kilometer 7 bis kurz vor Ende bei km 21 wird es wieder bis zu 15 % steil. Halbwegs entspannt dann die letzten 3 Kilometer bei unter 6 %.

Insgesamt 26 Kilometer lang.
Das macht 1.400 Höhenmeter in Summe.

Der Gavia-Pass steht dem Stilfser Joch in nichts nach.


Schnell, aber ohne ermüdenden Druck - so will ich die Berge des RATA bezwingen.

Es ist nicht mehr übermäßig heiß – ich rolle gut. Im linken Knie kommen nun die – mir schon bekannten und recht gut zu ertragenden – Schmerzen allmählich zum Vorschein. Diese habe ich, seit ich Rennrad fahre. Es ist ein Stechen hinter der Patella, eher lästig denn schmerzhaft, und nichts, um das ich mir Sorgen machen müsste.

Im Gavia-Pass: Was für ein Biest!

So nett, herrlich grün bewaldet und harzig duftend der Gavia sich unten auch präsentiert, so widerspenstig wird er ab der Mitte: Plötzlich ziehen die Prozente an, immer wieder 10, 11, 12 bis 15 % und das geht auch schön in die Waden. Untermalt wird alles von einem dichten Nebel, der die Sonne verdunkelt, die Luft kalt und feucht macht und nur ab und zu die Sicht auf schroffe, graue, abweisende Felsen oder schmutzig-braune Schneefelder freigibt. Menschenfeindlich. Fremder Planet. Es scheint, als hallte ein „Hau ab!“ von den Abhängen …

Noch kann ich das alles ganz gut ab, kein Problem. „Sieht gut aus von hier, Lars.“, lobt Martin – immerhin ein erfahrener C-Lizenzrennfahrer – meine Haltung. „Flüssiger, lockerer Tritt – Du machst alles richtig!“ Das gibt Zuversicht.



Langsam wird der Gavia-Pass ungemütlich.

Irgendwann passiere ich die Baumgrenze, über mir thronen die schroffen Felsgipfel und Schnee bedeckte Abhänge noch drohender, weil immer näher. Es wird empfindlich kalt und so lasse ich mir meine Jacke wieder herausgeben.

Der Gavia wird nach oben hin immer steiler, die fiesen Stücke kommen etwa 6 Kilometer vor der Passspitze - und dann kommts ganz dicke. Hier ist die Straße nass, längst schon fahre ich in kaltem Nebel, dicke Tropfen weichen meine Beinlinge durch, fahre ich in die eine Richtung – Wind von hinten – ist es ganz erträglich, wechseln die Serpentinen in die andere Richtung, zieht es mir klirrekalt unter Trikot und Unterhemd.


Hitze am Stelvio? Gavia ist arktisch kalt!

„Auf dem Pass bitte frische Klamotten, Weste, Überschuhe …“, wünsche ich mir was von meiner Crew, ehe ich in das letzte Stück mit Rampen bis 15 % rausche. Alter Verwalter! Das zieht Körner! Immer wieder muss ich im Wiegetritt fahren, noch dazu im harten Gegenwind. Neben mir Schneewehen und Bäche Schmelzwasser über die Straße. „Es sind 8 Grad laut Anzeige.“, sagt Benji über Funk. Gefühlt ... will ich lieber nicht wissen!
Als ich um die Ecke komme, sehe ich in etwa 400 Metern Entfernung einen RATA-Teilnehmer und sein Fahrzeug. Neue Energie durchströmt mich: „Den haste gleich, locker.“, motiviert mich Martin. Und Recht hat er, nach 10 Minuten hole ich das Team ein – aber nur, weil sie auf dem Pass stoppen, damit sich der Fahrer umziehen kann. Es ist die Dame aus meinem Stelvio-Quartett. Sabine Fernitz heißt sie. Strassacker und der andere Fahrer haben sie wohl abhängen können. 

Ihr Team stoppt etwas unterhalb des Gipfels, sie wechselt Klamotten und auf ein Mountainbike. Mountainbike?, denke ich nur so, wir fahren aber weiter und suchen uns eine Wind geschützte Stelle direkt am Pass.

Da sitze ich nun und friere, esse eine Stulle, während ich mich schnell ausziehe, abtrockne und in frische, trocken Klamotten schlüpfe: Unterhemd lang, Kurzarmtrikot, kurzes Unterhemd, zwei lange Trikot-Jacken (davon eine gefüttert) und die Windweste. Dazu gefütterte Überschuhe und lange Handschuhe – so gehe ich 5 Minuten später in die Abfahrt.


Pause im Windschatten - Essen, Trinken, Anziehen in einem. Saukalt!

Die Dame ist schon längst wieder an uns vorbei. Egal: Das RATA gewinnt man gegen sich selbst, nicht gegen Andere.

Die Abfahrt ist im oberen Teil einfach nur grauenvoll! Ah, deswegen das MTB! Schnee, Eis, Räumfahrzeuge und die extremen Wetterbedingungen auf diesem sehr hohen Pass (dazu wohl der Fakt, dass der Gavia weniger wichtig für den Verkehr ist, als Stilfser Joch) präsentieren „Straßen“, die den Namen nicht verdienen: Schlaglöcher, teils meterlang aufgerissene Fahrbahndecke, Split und loser Belag allenthalben. Dazu stehendes Schmelzwasser auf der Fahrbahn und eine dünne Fahrbahnbreite, die, käme ein LKW, unweigerlich zu Rangierexzessen führen würde.

Durch das Ruckeln und Springen meines Rennrades bekomme ich eine Hundertschaft harter Schläge auf Kopf und Nacken, diese Abfahrt ist einfach nur Scheiße! Die ersten 4, 5 Kilometer fühlen sich eher an, wie eine Geröll-Downhill-MTB-Aktion, das Rennrad hier sonderbar deplatziert.

Weiter unten hingegen, es wird sogar wärmer, wird der Belag viel besser – aber auch viel schmäler. Die Jungs konnten die ganze Abfahrt bisher gut hinter mir bleiben, auch, weil ich die ganze Zeit mit gezogenen Bremsen um die Löcher kurbeln musste – jetzt haben sie hier auf dem Flüsterasphalt vom Feinsten keine Chance gegen das Rennrad.



Die Straße wird besser - und weg ist das Rennrad!

Die Abfahrten sind kurvig, aber gut einsehbar – ich kann laufen lassen.

Wie im Rausch schieße ich herunter, nur einmal kommen mir Motorradfahrer entgegen, kein Problem. Später berichtet mir Benji, der ständig Internet-Verbindung zum Livetracking hat (bis es ausfällt), dass hier irgendwo in der Abfahrt einer der Teilnehmer in einen Motorrad geknallt sei. Ich hoffe, ihm geht es gut!

Ich erreiche Ponte di Legno weit vor meinem Teambus, den Martin, wie sie mir später berichten, unter virtuosem Einsatz der Motorbremse in haarsträubenden Aktionen nach unten zirkelt: Kameramann Timo und Benji waren „kurz vor dem Kotzen“, wie sie später sagen.

Vor der weiteren Abfahrt nach Edolo muss man noch kurz und knackig bergan – und hier tritt es dann auch zum ersten Mal auf. Im rechten Knie, sonst immer beschwerdefrei, verspüre ich bei jeder Kurbelumdrehung einen dumpfen Schmerz. Nun wechselt sich also das Patella-Stechen mit den Hammerschlägen ab. Wunderbar!

Abfahrt nach Edolo – das Ende kündigt sich an

Bei einem Pinkelstopp meint Martin: „Du liegst gut in der Zeit, Lars. Wenn du den Aprica genauso weiter fährst, kommst du gerade noch so im Zeitlimit nach Tirano.“ Na, das klingt doch super!
Tirano - wer hier bis 21 Uhr durchkommt, fährt den Mortirolo, dann noch mal den Aprica, dann wieder Tirano und von dort in den 40 Kilometer langen Bernina-Pass. Ich bin wie elektrisiert: Mein Plan  scheint - gerade so - aufzugehen. Ich will das RATA soweit möglich im Rahmen der Regeln fahren. Also auch innerhalb der Karenz.



Hier ist die Gavia-Abfahrt einfach nur geil. Eng, aber geil!

Dass mir mittlerweile beide Knie Probleme machen, verschweige ich meinem Team vorerst – manchmal muss man Schmerzen einfach kurz ertragen, dann gehen sie auch wieder weg. Wer weiß? Vielleicht ist da einfach nur was verdreht oder so?

Bis Edolo sind es 20 Kilometer, die es mit 2 bis 4 % bergab geht: Fast schon zeitfahrmäßig kann ich hier mit konstant 40 bis 50 km/h herunterbollern. Oft an der Trittfrequenzgrenze meiner Kompaktkurbel des R3. Warum ich nicht auf das schnellere S5 mit Heldenkurbel gewechselt bin, daran rätsele ich heute noch …

In Edolo biegt man schnell zum Aprica ab. Eine kurze Wartezeit an einer roten Ampel (Zeitstrafe, wer bei Rot fährt – DNF, wenn die Polizei beim Veranstalter anruft!) muss ich in Kauf nehmen, dann geht es in den Pass.

Schock im Aprica-Pass

Der Aprica ist der netteste aller Pässe, die man sich denken kann. Das Profil sieht aus, wie die knackige Rundung eines Frauen-Popos, der am Strand auf einem Handtuch in der Sonne glänzt: Nichts steiles, nix scharfes, einfach nur eine sanfte Kurve.

Immer unter 5 %, selbst in den Spitzen wartet der Aprica mit nur 8 % auf. Den kann man flott fahren, die Favoriten, da bin ich mir sicher, werden hier im großen Blatt stehen. Ich aber baue immer mehr ab. Selbst diese seichten Prozente machen dem rechten Knie immer mehr zu schaffen. Aus dem Muckern wird ein Mahlen.

Irgendwann knirscht es nur noch. Ganz so, wie wenn sich Kieselsteine im Gelenk befänden. Es tut bei jeder Umdrehung höllisch weh – über diesen Schmerz fühle ich die Schmerzen im linken Knie schon gar nicht mehr.



Geradeaus zum Aprica-Pass. Noch bin ich ganz guter Dinge.

In einem der Tunnel lasse ich mir noch Gel geben. Irgendwie ein verzweifelter Versuch, der Lage Herr zu werden. Nur wenige hundert Meter später mache ich die Funkdurchsage: „Ich habe extreme Knieschmerzen … Jungs, das wird heute nicht mehr lange gehen …“ Fassungsloses Rauschen im Äther. Erst einige Sekunden später: „Wirklich so schlimm? Pause?“

Ich willige ein. Etwas ratlos stehen wir alle da. Mitten im Anstieg. Haltebucht. Keine Salbe, schon kein Schmerzmittel wird mir helfen können, soviel ist klar. Knieschmerzen kann man nicht weg-betäuben. Knie sind essenziell. Gerade beim Radsport. Was nützt betäuben, wenn dann – schmerzlos zwar – das Ruinieren weiter geht?

Ich falle seit Edolo in ein Loch. Dumpf pocht Aufgabe in meinem Hinterkopf, ohnmächtig, fast nicht in der Lage zu sprechen, sehe ich das Unvermeidliche kommen. Ich fluche. Ich haue auf meinen Lenker. „Scheiße!“ und immer wieder „Scheiße!“. Heiß durchströmt es mich. 

Aufgeben
Wie ich diesen Wort hasse!

Das darf doch nicht wahr sein?! Bis hier her läuft doch alles prima: Ich habe keine Krämpfe, keine Muskelschmerzen, spüre zwar die Anstrengung, fühle mich aber noch fit. Ich habe keine Sitzbeschwerden, keine Seitenstechen – nichts! Wunderbar: Noch könnte ich das Zeitlimit in Tirano einhalten. Und doch weiß ich es längst: Mit diesen Knien. Undenkbar.

10, 15, 20 Minuten stehen wir da. Mein Team ist machtlos. Bleiche Gesichter. Ich stütze meine Helm in die Hände. Kann nur noch den Kopf schütteln. Hinten schaut Martin auf seine Uhr, er versucht das so zu machen, dass ich es nicht sehe. 

Irgendwann spreche ich es dann aus: „Ich muss aufhören.“

Fassungslos.

Ehrensache

Es stehen 3.800 Höhenmeter und 160 Kilometer auf dem Garmin. Ehrensache, dass ich noch zur Passhöhe nach Aprica fahre. Langsam. Martin sagt es durch: „Das Zeitlimit ist in 30 Minuten. Und noch 20 Kilometer.“ Theoretisch wäre das mit der der steilen Abfahrt vielleicht noch zu machen, der Veranstalter meinte, wer 15 Minuten nach dem Limit reinkommt, kann trotzdem noch weitermachen.

Aber ich stoppe hinter der Passmarke.

Klicke aus.

That´s it. Ende. Aus. Selbst beim Ausklicken aus den Cleats durchfährt mich ein stechender Schmerz. Wozu sich noch in die Abfahrt stürzen? Wozu das Zeitlimit einhalten, wenn doch der nächste Berg kein geringerer als der Mortirolo ist? 1.400 Höhenmeter auf 15 Kilometer mit 12 % Steigung im Schnitt. Im Schnitt! In den Spitzen bietet er bis zu 22 %.

Schon mit intakten Knien nach 4.000 Höhenmetern eine Tortur.
Undenkbar in meinem Zustand.

Flow hat mittlerweile über eine Stunde Rückstand. Er ist längst schon aus dem offiziellen Rennen geflogen: Wer bis 21:00 Uhr nicht in Tirano ist, muss den schnellsten Weg via Bernina-Pass nach Nauders nehmen. So das Reglement.

Ich rufe bei der Rennleitung an und gebe mein DNF durch. Gernot Weinig ist hörbar berührt, meint sofort, dass die Knie zu wichtig sind, als den Helden zu spielen. Helfen tut das gegen meine bittere Enttäuschung allerdings nicht.

Dann rufe ich meine Freundin an. Sie hatte sich die ganze Zeit Sorgen gemacht, erwartet meinen Anruf nicht so früh, ihre Stimme zittert, sie denkt, mir sei etwas passiert. Als sie versteht, was los ist, höre ich Tränen in ihrer Stimme. Und unendliche Erleichterung.

Ich fühle mich nur noch leer. Schäme mich für die ganzen tollen Aufkleber am Teamfahrzeug, will nur schnell meine Rennradklamotten ausziehen – Race across the Alps, diese Fragen der interessierten Passanten will ich nicht mehr beantworten. Ich bin raus.

Keine 10 Minuten, nachdem wir rechts ranfahren und aufgeben, passiert uns Daniel Rubisoier. Er ist bereits über den Mortirolo und hat nun die zweite Aprica-Passage beendet. Krass! Zwei Berge Vorsprung. Weltklasse. Er schießt locker tretend an uns vorbei. Ein Wahnsinnstyp! Er wird das diesjährige RATA wieder gewinnen – Herzlichen Glückwunsch, Daniel!

Einige andere Fahrer folgen, unter anderem auch die, die hinter mir waren. Und das sind gar nicht so wenige. Ich lag also noch ganz gut im Rennen, von der Perspektive meiner absoluten sportlichen Unzulänglichkeit für dieses Rennen aus betrachtet.
Nur: Die können weiterfahren. Ich nicht.

Ich bin der vierte, der sein DNF bekannt gibt.

Florian kommt: Out of Race, aber es geht weiter!

Wir fahren noch nicht gleich ab. Ich selbst lasse mich auf den noch warmen Bordstein sinken. Fassungslos, leer und enttäuscht. „Da kann man nichts machen.“, sagen alle. Recht haben sie. Und doch: Ich bin untröstlich. 

Beim Saisonhöhepunkt, für den ich so viel trainiert habe, für den ich so viel in Kauf genommen habe, schon am dritten Berg auszusteigen, das ist keine gute Quote. Alles Herumrechnen bringt nichts: 165 von 534 Kilometern – das ist knapp ein Drittel des RATA. „30 Prozent – ist doch ganz okay.“, sagt Benji. „Und immerhin alles noch im Limit!“ 



Ist es nicht. Vor zwei Wochen noch locker vom Hocker Mailand-Sanremo gefahren, keine Beschwerden, nichts – und jetzt nach der Dreiländergiro-Distanz aufgeben müssen. Schlimm!

3.950 von 14.500 Höhenmetern gefahren – das sind 27 Prozent des RATA. „Auch knapp ein Drittel.“, sagt Martin. Und doch: Nicht einmal die Höhe des Ötztaler Radmarathons geschafft.

Ich bin einfach nur enttäuscht.

Nach knapp 50 Minuten trifft das Begleitfahrzeug von Flow ein und bereitet alles für dessen Passpause vor. Angela steigt aus: „Ich war ganz geschockt, als ich das gelesen habe.“, sagt sie. Auch das tröstet nicht.

Wir shiften einiges Material, das mein Team nun nicht mehr braucht, für Florian um, ich gebe noch eine Runde Koffeintabletten aus, dann, nach 1:20 Stunde kommt Flow rein. Er sieht ganz gut aus – verschwitzt, aber keine Spur mehr von Erkältung und Kopfschmerzen, die ihm noch vor zwei Tagen so zugesetzt hatten, dass seine ganze Teilnahme auf der Kippe stand.

Ich beneide ihn. 
Beneide ihn so dermaßen wahnsinnig! 

Nicht unbedingt darum, dass er jetzt in völliger Dunkelheit die Aprica-Abfahrt und bei 7, 8 Grad Bibberkälte die 40 Kilometer Aufstieg auf den Bernina-Pass machen muss (die Mortirolo-Runde lassen sie aus), sondern dass er weitermachen kann.

Mein Kameramann wird nun beim Flow-Team mitfahren, sie werden die Bilder ihres Lebens bekommen. Flow wird – zwar außerhalb der offiziellen Wertung da weit hinter der Karenz und mit verkürzter Strecke, aber immerhin – den Berninapass fahren, sich den Albula hochkämpfen und auch noch den Flüela schaffen.

Er wird dann das Endstück des Dreiländergiro ab Scuol durchs Engadin zur Norderbertshöhe fahren, um nach 380 Kilometern und wahnsinnigen 9.000 Höhenmetern in Nauders einzureiten.

Ein harter Hund! Hut ab und auch Dir einen Herzlichen Glückwunsch zu dieser Wahnsinnsleistung!

Race across the Alps – was bleibt?

Viele haben geunkt und hatten „tolle“ Tipps für mich, als ich das RATA in meinem Rennkalender veröffentlicht habe. Leute, ich bin nicht doof: Mir war klar, dass ich dieses Rennen nicht schaffen kann. Meine Prognose war "um und bei der Flow-Distanz", außer, dass ich mir erhofft hatte, noch den Mortirolo fahren zu können.

Wir hatten – dank unseres Teamsponsors SunClass Solarmodule – die Chance, am RATA teilzunehmen. Hier mitzumachen. In diese sonderbare, überraschend familiäre Ultrasport-Szene reinzuschnüffeln und uns mit den Besten der Besten vergleichen („messen“ will ich das nicht nennen) zu können. Und wir haben diese Chance genützt.


Im unteren Teil des Aprica - ich versuche, mich zusammenzureißen.

Wie sagte Flow bei der Startervorstellung: „Wir sind hier, um dieses Projekt mit einem Schmunzeln anzugehen.“ Und das trifft es: Als norddeutscher Flachländler mit gerade mal 40.000 Höhenmetern und knapp 3.500 Kilometern in den Beinen war mein Trainingsstand nichts, im Vergleich zu einem Daniel Rubisoier, der mit 130.000 Höhenmetern an den Start gegangen ist. (Über mein RATA-Training werde ich noch gesondert bloggen)

Wenn man aber Kieselsteine im Knie rotieren spürt, dann werden Prioritäten schnell verschoben. Ich habe noch die Haute Route vor mir. Die ist in knapp 7 Wochen – und mit Hinblick auf dieses Etappenrennen mit auch immerhin 870 Kilometern und ca. 21.000 Höhenmetern war die Entscheidung, rational gesehen, sehr schnell und einfach zu treffen.

Emotional? Eine einzige, grandiose Scheiße!

Das RATA ist wirklich das härteste Eintagesrennen der Welt. Bisher bin ich bei so einigen „härtesten“, „schnellsten“, „längsten“ oder „größten“ Events gestartet – und fast alles war immer irgendwie machbar.
Adjektive und Superlative, die gern als Marketing-Beiwerk genutzt werden, um Anmeldungen zu generieren. 

Aber der Beiname des Race across the Alps ist wirklich alles andere als übertrieben.


Frische Flaschen und Gel können das Unvermeidbare nicht aufhalten.

Wenn ich mir – anhand der Leistung von Flow gemessen – noch halbwegs vorstellen könnte, die RATA-Distanz und auch die Höhenmeter irgendwie bewältigen zu können, so sind die vorgegebenen Zeitlimits wiederum dermaßen krass, dass es genau diese Karenzzeiten sind, die das RATA (für die allermeisten Radsportler) zu einem Ding der Unmöglichkeit machen.

Ich war superflott unterwegs, hatte bis zum Aprica alles richtig gemacht: Viel getrunken, immer gegessen, nie kalt geworden und mit weniger als 50 Minuten von 9 Stunden wirklich minimalste Standzeiten gehabt. 

Und doch war ich schon bei der ersten (von drei) Karenzzeiten so knapp dran, dass ich spätestens bei der zweiten Karenzzeit sicher aus der Wertung gefallen wäre. Unglaublich, welche Anforderungen das RATA an die Kletter-Speed stellt!

Dass es möglich ist, Strecke und Höhenmeter zu meistern, hat Flow super bewiesen: Ich denke, er wollte von Anfang an nicht „rennkonform“ fahren, denn sonst hätte er auf dem Gavia keine 40 Minuten-Pause und auf dem Aprica keine 50 Minuten-Pause eingelegt. Ihm ging es um die Strecke und das Machbare. In diesem Sinne hat er sein RATA gemeistert.

Ich wollte wissen, wie es ist, nach den Regeln zu fahren. Und die sind mörderisch.

Am Ende, mit nun einigen Tagen Abstand, bin ich doch eigentlich recht zufrieden. Die Enttäuschung über mein Ausscheiden hat sich etwas gelegt. Ich war für alle möglichen Schmerzen und Wehwehchen gerüstet und willens, diese zu ertragen. Aber beim Knie mit Kieselsteinschmerzen hört der Spaß auf. Und damit arrangiere ich mich langsam.


Mitten im Aprica - die Schmerzen sind unerträglich.

Im Rückblick beginnt meine Freude darüber zu überwiegen, dass alles super lief, als das Knie noch mitgemacht hatte, ich sogar vor einigen Mitfahrern (zwar am Ende der Wertung, aber immerhin nicht als Letzter) gefahren bin und muskulär, konditionell und motivationsmäßig alles im grünen Bereich war. 

Die Stunde Vorsprung muss man auch erst einmal rausfahren. Wer weiß, wenn das nicht gewesen wäre, Bernina, Albula, vielleicht Flüela … erscheinen auch jetzt im Rückblick noch machbar, wenn auch außerhalb der Karenzzeiten.

Ich habe diese Ultrasport-Szene als sympathisch, freundlich, hilfsbereit, familiär erfahren. Alle gehen respektvoll und brüderlich miteinander um, auch auf der Strecke applaudiert und motiviert man andere Mitfahrer, fremde Teamfahrzeuge bieten wie selbstverständlich Hilfe an: Kontrastprogramm zur Jedermannszene, und das im positivsten Sinne.

Es war mir eine absolute Freude, beim Race Across the Alps 2013, bei der 13ten Auflage (ein Omen?) für ewig in den Starterlisten zu stehen, eine besondere Freude, mit RATA-Legenden wie Paul Lindner (leider DNF), Michael Kinberger oder Daniel Rubisoier gesprochen zu haben. Ein Event, das ich nie vergessen werde.


"Aufgabe" - es ist ausgesprochen. Ich könnte heulen.

Im Ziel am nächsten Morgen treffen wir einen Betreuer aus dem Team um Rainer Steinberger. Er war es, der auf der Gavia-Abfahrt mit dem Motorrad kollidierte und stürzte, und wenig später in Edolo in die geöffnete Autotür prallte und noch ein zweites Mal stürzte.

Steinberger belegt mit 22:39 Stunden den zweiten Platz des RATA …

Auch wenn es ein „Unvollendetes“ für mich bleibt, eines, das ist sicher: Das Wiederholungstäter-Virus wird mich nicht infizieren. Das RATA ist nicht nur einige Nummern, sondern ganze Welten zu groß für mich. "Schaffen" kann ich dieses Rennen nie.

Am Ende möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei meinem Betreuerteam Benjamin und Martin bedanken – Ihr seid eine Supercrew! Habt alles immer richtig gemacht, mich motiviert, getragen und versorgt. Wir finden sicher noch Herausforderungen, bei denen Ihr, wenn Ihr Bock habt, wieder Euer Bestes geben, und dann auch mit mir finishen könnt!

Epilog

Paul Lindner, Rekord-Teilnehmer und mehrmaliger RATA-Gewinner muss aufgeben.
Sabine Fernitz, die Dame, mit der ich am Stelvio gefahren bin und die am Gavia aufs Mountainbike gewechselt ist, wird ebenfalls aufgeben.

Von 49 Startern werden beim Race Across the Alps 2013 insgesamt 17 als DNF gewertet.

Ausfallquote 34 %.

Ungewöhnlich hoch, wie mir Organisator Gernot Wenig später im Ziel sagt: "Zu heiß. Zu windig."

Der letzte Finisher kommt nach exakt 33 Stunden ins Ziel.


Ich bin einfach nur todtraurig.

Florian wird - vollkommen elektrisiert aber bis auf die Knochen fertig - das RATA nach Bernina, Albula und Flüela über das Engadin und Norbertshöhe kommend nach 28 Stunden Brutto beenden. Ausnahmsweise darf er auch durchs Ziel fahren: Sein Lohn für diesen außergewöhnlichen 9.000 Höhenmeter-Trip.

Ich beglückwünsche ihn. Kann mich für ihn und sein Team freuen. 
Und doch: Ich bin so neidisch. So enttäuscht. So untröstlich!

Am Montag sitze ich beim Orthopäden. Meine Knieschmerzen rühren von einer Sehnen-Prellung her, die von einem "eingekapselten Bluterguss" unter der Haut verschlimmert wurde (drückte auf Nerven). "Anscheinend haben Sie sich irgendwo gestoßen.", sagt der Arzt.  Tatsächlich haben wir uns in der engen Ferienwohnung zu Hauf irgendwo gerammelt ... Es wird einige Tage brauchen, bis das vollständig verheilt ist. Gottseidank ohne Folgeschäden.

Das RATA  ich leider abhaken.

Doch schon lockt die Haute Route.

Diesmal ohne Tischkanten.

Dafür mit Finish.

Nachtrag, 3.7.2013

Hochmut komm vor dem Fall, und so erreicht uns eine schlimme Nachricht aus Nauders, sodass unser Team leider reagieren musste. Hier geht es zur Erklärung. Ich persönlich kann gar nicht sagen, wie sehr mich das wütend und sprachlos macht, wie enttäuscht ich bin, über so viel Schamlosigkeit.



Hier geht es zu meinen Garmin-Daten des RATA 2013 bis DNF.
Hier die Rangliste der Finisher und alle DNF

6 Kommentare:

  1. Sehr schöner Bericht und richtige Entscheidung zur Aufgabe.

    Die Teilnahme war aus meiner Sicht allerdings sinnlos. Zitat "Als norddeutscher Flachländler mit gerade mal 40.000 Höhenmetern und knapp 3.500 Kilometern in den Beinen war mein Trainingsstand nichts".

    Für eine solche Veranstaltung wären z.B. Brevets 400 oder 600er als Vorbereitung schon das Mindeste gewesen um überhaupt mal die Distanz gefahren zu sein. Wenn auch erst mal "entschärft" also ohne die vielen Höhenmeter. Nur so kannst Du oder deine Kollegen ein Gefühl für die Belastung entwickeln.

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    1. moin und danke für deinen comment.

      "sinnlos" sind kriege und das sterben von hungernden kindern. nicht aber, sich dieser herausforderung gestellt zu haben. wie schon geschrieben: wir hatten die chance, dort teilzunehmen und wir haben sie genutzt.

      zudem: brevets, ob 400 oder 600 km sind keine vorbereitung für das rata, denn langstrecke treten zu können bereitet nicht auf 290 km bergauffahren vor.

      sinnvoll wäre massives hm training und lange jahre hm-festigkeit gewesen.

      wie gesagt: ein finish durch uns war nie realistisch. es war ein experiment.

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  2. Ein 400 oder 600er Brevet ist im dem Sinne auch kein Training, das fährt man nicht jede Woche! Sondern mehr ein Test. Dabei kannst Du schauen, wie es ist 20-30h am Stück zu fahren und testen, wie der Sattel, Verpflegung, Pauseneinteilung sind. Manche Probleme treten auch erst nach 10h Fahrt auf. Dabei ist es zunächst auch nicht so entscheident, ob da nun Höhenmeter, Gegen- oder Fahrtwind für den Wiederstand sorgen.

    Gut, dieses mal bist Du nicht soweit gekommen, als das Du von so einer Vorbereitung profitiert hättest. Aber beim nächsten mal würde ich mal einen solchen Brevet probieren. Falls Du dort aufgeben musst tut es nicht so weh, weil ja nur ein Test!

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  3. Hi Lars,
    ich bin dieses Jahr auch das RATA gefahren (war der mit den 33 h). Dein Bericht ist sehr schön geschrieben. Beim Lesen kam so einiges wieder hoch bei mir.
    Ich bin auch ein Flachländer aus Frankfurt, bin dieses Jahr keinen einzigen Alpenpass gefahren und habe es auch mit meinen 83 kg geschafft, auch wenn es teilweise absolut grenzwertig war.
    Was ich Dir sagen möchte: Denk nochmal darüber nach, nie wieder an den Start zu gehen. Ich bin mir sicher, dass Du das Biest packen kannst.
    Vor allem, weil Du einen großen "Denkfehler" machst. Die Karenzzeiten sind so schlimm gar nicht, bis auf die erste in Tirano, da musste ich mich dieses Jahr auch beeilen. Danach werden sie deutlich einfacher und Du hast 32 h offiziell Zeit zum Finish. Wenn es ein paar mehr werden, macht das nix. Ich wurde auch nach 33 h noch im Festzelt gefeiert und als offizieller Finisher gewertet.
    Außerdem hast Du nicht wirklich daran geglaubt, es zu schaffen, das kann man Deinem Bericht entnehmen. Und das RATA schaffst Du nur, wenn Du immer (egal wie Scheisse es Dir geht) daran glaubst und ins Ziel willst.
    Ich war jetzt 4 Mal dabei und bin auch nur zweimal ins Ziel gekommen. Bei den beiden Fehlversuchen war ich mental nicht gut genug auf das Leiden vorbereitet und habe dann jeweils am Bernina aufgegeben.
    Denk auf jeden Fall noch einmal darüber nach, da erneut zu starten, denn eines kann ich Dir sagen: Wenn Du das Teil geschafft hast, löst das etwas in Dir aus und Du fühlst Dich danach unheimlich gut.
    Wir sind am Anfang eine zeitlang in Reichweite am Stelvio zusammen gefahren und Du machtest den Eindruck auf mich, da recht locker hochzukurbeln.
    Also, pack das Ding nochmal an:-)

    Beste Grüße, Jan-Frederik Blank

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    1. hallo jan-frederik,

      danke erstmal für deinen kommentar und deine schönen worte. das geht auch runter wie öl :)

      du hast natürlich recht - wenn man nicht an etwas glaubt, wird es nicht kommen und sicher ist das auch die quintessenz dessen. die mentale stärke ist das, was beim RATA massiv gefordert ist.

      nochmal werde ich sicher nicht 2014 und auch nicht 2015 teilnehmen, da ich vater werde und da erstmal andere prios setzen muss (das ist auch der grund, warum die vorbereitung insgesamt sehr "unfokossiert" ablief - es gibt da einfach wichtigere dinge).

      aber vielleicht reitet es mich noch mal, wer weiß?

      wenn wir einen teil zusamen gefahren sind - welches trikot hattest du denn an? im stelvio bin ich im prinzip ja nur mit dem strassacker-starter und einem zweiten herren (du?) und einer dame gefahren ... wäre ja witzig.

      jo, da gings auch noch ganz locker. bis zum aprica. da war das knie leider völlig außer rand und band... :(

      danke für den comment: und alles gute für dich.

      ride safe,
      L

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    2. Hey Lars,

      ich habe mich am Fusse des Stelvios ans Ende des Feldes fallen lassen, weil ich für die steilen Pässe immer auf meine Bergziege gewechselt habe. Danach bin ich den ganz langsam mit Puls 120-130 hoch, weil es recht heiß war und ich mir vorgenommen hatte, die ersten beiden Pässe piano zu machen. Unten hat mich dann die Frau (Sabine Fernitz) überholt und ich bin dann immer knapp hinter Euch gewesen. Die Sabine habe ich auf der Abfahrt überholt und auch noch so 2 Italiener, die sich extra einen Tempomacher dafür besorgt hatten, der das aber so richtig nicht drauf hatte...
      Ich kann mich nicht erinnern, Dich überholt zu haben, vielleicht hattest Du eine kurze Pause auf dem Stelvio?
      Ich bin dann bis auf den Mortirolo durchgefahren, wo ich gegen 23 Uhr war und ne kurze Pause brauchte.
      Ich weiß, dass eine "Aufgabe" (bei Dir war es ja keine richtige, sondern körperlich bedingt) immer extrem bitter ist, vor allem, wenn man noch was in den Beinen hatte. Aber das gehört bei solchen Sachen ganz einfach dazu und Du hast die einzig richtige Entscheidung getroffen. Einem guten guten Drittel gings ja nicht anders. Und wenn es um die Knie geht, gibt es keine Kompromisse, sehe ich ganz genauso.
      Bei aller Liebe geht die Gesundheit vor!
      Naja, ich habe mich vor 10 TAgen auf einer Sonntagstour mal so richtig gemault und wurde per Heli ins Krnkenhaus geflogen. Es ist zum Glück nur ein Trümmerbruch des Schlüsselbeins gewesen. Aber das zeigt einem, wie schnell es gehen kann, ich bin ehrlich froh, dass nicht mehr passiert ist, ich war immerhin ca. 60 km/h schnell in diesem Moment.
      Dir wünsche ich alles Gute und hoffe, dass der Nachwuchs gesund auf die Welt kommt und Dich bzw. Euch dann ordentlich auf Trab hält:-)
      Ich werde nächstes Jahr definitiv auch nicht beim RATA starten, aber genauso sicher ist, dass mich dieses Rennen nochmal sehen wird......

      HAu rein,

      JAn-Frederik

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