Am Wochenende ist es wieder soweit: 4 Fahrer der Equipe besteigen den Bus. Es geht nach Leipzig zu den Neuseenclassics.

Tjaha, die Nationale Raumfahrtbehörde, sie nämlich hat sich nämlich - wenn man dem Hersteller unserer neuen Bekleidungslinie glauben darf - maßgeblich an der Entwicklung der Arschpolster beteiligt. Na, wenn das mal nicht die beste Voraussetzung für ein schnelles, tolles Rennen ist?

Wir erreichen Zwenkau kurz vor 15 Uhr, genauer gesagt, das Kraftwerk Lippendorf, wo wir die Startunterlagen abgeben und die Beutel abholen werden. Wir nähern uns mächtigen Kühltürmen, fahren unter funkelnden Starkstromleitungen daher und auf den Parkplatz des riesigen Kohlekraftwerkes, das Vattenfall - Hauptsponsor des Rennens - betreibt.

Odlo bietet Bekleidung zu Sonderkonditionen an, Multipower kann man auch billiger kaufen und es knattert Beat zu sächischem DJ-Akzent aus bassigen Boxen.
Klein und süß hier alles, fast familiär.


In Leipzig spazieren Swantje und ich noch durch die Gruftis, die während des Wave Gotik-Treffens die Stadt fest in ihrer Hand haben. Und nachdem spät am Abend mit der Ankunft Flows und Heikos das Team endlich komplett ist, lassen wir uns von den tollen Damen des Hauses "Weißes Ross" in Groitzsch mit deftiger Hausmannskost versorgen. Perfekt.
Die Nacht ist so ruhig, wie sie es nur auf dem Lande sein kann: Unter meinem Fenster mauzt eine kleine Katze, das war es aber auch schon.
Renntag! Sonntag, wir stehen auf. Die neuen Klamotten passen perfekt und schon beim reichhaltigen Frühstüclk schnattern wir angeregt über die zu erwartenden Stunden auf dem Rennrad.
Die 15 Kilometer vom Teamhotel nach Zwenkau bestreiten wir im Teambus - nobel, nobel, so muss das sein!


Und so spornen wir sie an, heute alles zu geben.
Mit Erfolg, wie sich heraus stellen wird.

Auf dem Weg zum Start ist es Flow, der für die Scherze zuständig ist. Da ich mit ihm die Tour de France in vier Tagen fahren werde, wird auch er heute nach eigener Auskunft kaum um den Sieg mitfahren. Aber gut drauf ist er - kann man anders auch gar nicht, bei diesem Wetter.

Da eine Dependence dieser Druckerei ebenfalls in Norderstedt bei unserem Sponsor SunClass angesiedelt ist, freue ich mich jedes Mal, einen von denen überholen zu können. Umso mehr, wenn ich mir deren hochkarätige Ausstattung und vor allem die dicken Waden anschaue.
Punkt 9 Uhr starten wir. Unerwartet irgendwie.
Und der Warpflug beginnt.

Warp 1.

Die Brücke über die Autobahn die uns auf die B2 bringt, eigentlich nur eine unbedeutende Welle, sorgt für die erste Selektion: Oben staut es sich kurz, wir müssen hart in die Eisen, von 50 runter auf 25 - wahrscheinlich hat es vorn einige Schwache an der zarten Steigung zerlegt. Es regen sich alle um mich herum auf. Ich aber bin ganz froh, dass dieses irrwitzige Gebolze eine kleine Pause hat. Wie wollen wir das 135 Kilometer lang durchhalten?

Vor Markkleeberg verlassen wir die Bundesstraße, es wird gefährlich.

Nachdem wir in höchster Geschwindigkeit es geschafft haben, uns in Zweierreien auf die dürren Asphaltwege einzufädeln, steigert sich das Tempo sofort wieder. Es geht in schärfsten Kurven auf und ab, kaum Zeit zum Gucken, ich muss extrem aufpassen, zwei, drei neben mir, Bremsen, reintreten, Spur halten!
Sehr gute Fahrkunst ist angesagt. Abreißen lassen geht hier nicht: Zum Rechtsranfahren wäre kein Platz! Sie bolzen auch hier die engen Wege entlang, es knallt mir der Wind in den Ohren, links, rechts, rechts und wieder links - hart herunter, scharf bergauf, wir schlängeln uns durch die Neuseen, und ich bekomme vor Action kaum etwwas mit.
Warp 2.


Das Wetter ist wunderbar - es scheint die Sonne, kein einziges Wölkchen am Himmel, nur ein scharfer Wind, der ab und zu zum Gegenwind wird, scheint die Laune zu trügen. Aber anders als sonst ist der Gegenwind heute kein Thema: Ich weiß nicht, wie sie es machen, aber ich registriere keinerlei Verlangsamung, wenn wir in ihn drehen.
Oder hat bei Warp-Speed der Wind keinen Einfluss mehr?

Sie bolzen durch die Heide, das einem Angst und Bange werden kann. Vor allem die Passagen auf den sehr engen Wanderwegen fordern höchste Konzentration, zumal sie alle 2, 3 Kilometer riesige Schilder in Neon aufgestellt haben: "Gefahrenstelle!". Nur leicht wird dann abgebremst, dann rufen wir alle "Liiiiinks!" oder "Aaaaachtung!". Widerwillig wird sich in Kurven hinein gebremst - wie Wikinger nach dem Angriffsbefehl beschleunigen wir wütend. Es scheint, alles unter 40 km/h ist unter ihrer Würde.
Irgendwann - ich kann meine Kamera nicht mehr herausholen - warnt ein Schild vor der anstehenden "Bergwertung". 2.000 Meter soll die Rampe lang sein, und siehe da: Wir biegen um die Ecke, von Warp 2 auf 15 km/h gebremst bleibt das Peloton im vertikalen Asphalt stecken. Ich rufe noch "Ach du Scheiße!" und dann brauche auch ich meine Lunge für etwas anderes.
Selbst Heiko, neben dem ich wie ein Adjutant fahre, muss aufs kleine Blatt. An der Steigung stehen sie und feuerrn uns an - sowieso, wenn wir durch Dörfer kommen, herrscht immer ausgelassene Feierstimmung - ich pruste mich die Steigung hoch. Wieder kann ich viele Plätze gut machen, irgendwann an Position 3, irgendwann, ganz oben, bin ich an 1. Na hossa!
Dann geht es in die rasante Abfahrt. Na, dabei bleibe ich lieber vorn, denn es geht mit 69 km/h und Gegenwind auf einem nicht einmal 3 Meter breiten Weg durch ... Weinberge.

Bergab meistere ich super, fühle mich gut. Neben mir schließt einer von Merkur-Druck, der Feind, auf. Mir ist der lieber, als hinten im Pulk zu fahren. Bei fast 70 Sachen möchte ich nicht in Dreierreihe fahren!
Bergrunter, bergauf, bergab, bergoch - ich führe das Feld durch das Geschlängel einige Kilometer an, dann habe ich meine Pflicht erfüllt, meinen Windschatten bezahlt, den Kräfteobulus erbracht und lasse mich ins Feld zurück sacken, an 10ter Position lässt es sich besser mitschwimmen.

Neben mir ab und zu der Merkur-Mann, auch er hat nun genug Luft zum Plaudern über.
"Besser als Münsterland-Giro", sage ich zu Heiko. Er neben mir: "Da haste Recht! Sehr geil - aber sehr schnell!"

Ich sehe zwei Fahrer des Deutsche Post-Nationalteams, zwei sehr starke Rennfahrer vom Chariteam München, einer in Rot, auf dessen Hintern "Tölutex" steht (der immer an der Spitze zu finden ist) und eine saustarke Dame, klein, kompakt, sehr muskulöse Schenkel, vom Sparkasse Leipzig-Team, die sich nicht zu schade ist, auch selbst mal zu führen.

Die Straße wird wieder eng, ich halte mich eher hinten, Position 15. Dann ein Schild: "Buffett 1.000 m" - na, da werden also gleich einige Fahrer anhalten, denke ich mir. Noch immer Abfahrt. 55 km/h. Schneller immer schneller. Irgendwas stimmt doch hier nicht, frage ich mich - normalerweise machen sie Verpflegung doch in der Steigung?
Dann der Moment. Helfer von der Feuerwehr stehen am Wegesrand und versuchen, uns Flaschen zu reichen. Vollkommen chancenlos - wer es dennoch versucht, bei 55 km/h eine Flasche zu erwischen, knallt sie dem Helfer meist nur aus der Hand und uns in die Räder. Ein Wasser-Massaker. Bekloppt! Und gefährlich obendrein - diese Verpflegung bietet allerbeste Chancen zum Abflug!

Da wir fast alle drei Flaschen dabei haben, hat niemand unserer Gruppe angehalten. Das Feld konnte sich also auch nicht neu formieren. Also mit der alten Garde weiter. Wir schießen aus dem Wald, zwei drei Kurven, dann wieder Felder und Kulturlandschaft - und Wind.

Irgendwann sind wir ganz vorn - aber nach meinem Führungsritt vor der Verpflegungsstelle, der mir noch immer in den Waden brennt, verspüre ich wenig Lust, hier noch weiter im Wind zu bolzen. Ich lasse ihn ziehen und halte mich vornehm an einer hinteren Position.

Wir erreichen jedcoh nicht mehr die hohen Anfangsgeschwindigkeiten: Von hinten kommt kein frisches Blut nach vorne, jedes mal, wenn einer aus dem Wind geht, schlängelt sich alles hinter ihm her, keiner geht nach vorn. Ärgerlich - aber ich ziehe ja selbst auch nicht.
Irgendwann sind es nur noch 20, dann nur noch 15 Kilometer und wir beginnen, die letzten Hörnchenlenker der 80er-Runde einzusammeln. Wilde Gruppen in 5er-Reihen versperren uns den Weg, man kommt kaum vorbei, Pöbeln und Meckern an der Tagesordnung, ich schüttle nur meinen Kopf, aber hey, wer erwartet von den Muttis, dass sie sich mit Rennrad-Etikette auskennen? Ich genieße die Sonne und schwimme mit.

Vor mir versammeln sich die Merkur-Druck-Leute, bilden eine geschlossene Reihe über die ganze Straßenbreite, ein Fotofinish, bestimmt sehr schön anzusehen, nur, dass ich nicht vorbeikomme. So kann Heiko noch rechts an ihnen vorbeischlüpfen. Ihm sei´s gegönnt.

Die Neuseen Classics sind eines der schönsten Rennen bisher, resümmieren wir: Eine wundervolle Strecke, durch die Neuseen-Landschaft, die Rampen und Steigungen, vorbei am idyllischen Schloss Colditz, einfach perfekt!

Heiko meint, Flow vor uns gesehen zu haben. Umso wunderlicher, dass er nicht ans Telefon geht. Laut Heiko hat sich das Peloton, der Startblock A, bei der ersten Autobahnüberführung, auseinander gezogen. Und ich erinnere mich: Es gab diese Bremsorgie, ja, klar, im Anstieg ganz am Anfang, als wir uns lautstark aufgeregt hatten, warum es nicht weiter gehe: Hier haben die Bremsenden vorne dafür gesorgt, dass sich die andere Hälfte absetzen konnte.
Und laut Heiko war Flow in eben jener ersten Hälfte.

Pro Gel-Tütchen werden 20 Gramm konsumiert: Sie müsste also 3 Tütchen pro Stunde essen. Ekel erregend für uns andere, aber sie hat ihr Experiment wohl durchgezogen.
"6 Gels!", trötet sie über den Bratwurststand.
Und niemand wundert sich, dass sie keine der leckeren Würste ordert. (Abgesehen davon, dass sie Vegetarierin ist).

"5 Kilometer nach dem Start, kurz hinter dem ersten Anstieg, hatte ich einen Platten!" flucht er und schmeißt die Radhandschuhe in die Ecke. Wer kanns ihm verübeln? All seine Ambitionen durch eine erzwungene Pause zerstört: Nachdem er seinen neuen Schlauch drauf hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als im sehr viel langsameren C-Block zu versuchen, das beste herauszuholen. Was natürlich nicht geht. Bierbauchfraktion. Kuchenblock.

Leipzig Neuseen Classics? Ein feines, kleines, familiäres, ganz großes, super spannendes, tolles, extrem schnelles Superrennen und mithin der Tipp für alle Jedermänner, die noch was Schickes für 2012 suchen - Ab nach Leipzig, es lohnt sich!
Gefahren: 132,07 km in 3:32 h und einem Schnitt von 37,8 km/h
Den Garmin Track gibts hier.
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Hi Larsi,
AntwortenLöschenich dachte schon, ich müsste mal eine Bank ausrauben, um in deinem Blog erwähnt zu werden ;-)
Schöner Bericht! Für mich war es ja das erste Rennen (vom EZF abgesehen). Überraschend, dass auch 30 km derart spannend sein können. Mir hat es jedenfalls viel Spaß gemacht.
Auch schön war, dass wir uns mal wieder getroffen haben, auch wenn es etwas kurz war. Wenn ich im Oktober nach HH komme, dann ziehen wir zusammen um die Häuser. Und am nächsten Morgen rocken wir HH-B ;-)
Viele Grüße
Lars