12. September 2012

Lehrstunde in Renntaktik: Beim Elbinselrennen 2012

Es war 2010 das aller erste Rennen auf meinem Cervélo R3, das ich jemals bestritten hatte. Hier machte ich - gerade einmal ein paar hundert Rennrad-Kilometer auf dem Tacho - meine ersten Gehversuche in Rennhärte. Hier lernte ich Flow kennen. Hier leckte ich Blut: Beim Elbinselrennen der RG Uni.

Elbinselrennen: Flacher Kurs, Sprinter-Revier

2011 kann ich aufgrund eines konkurrierenden Termines nicht teinehmen, in diesem Jahr ist dieses kleine, aber sehr feine Event wieder Teil meines Rennkalenders - zumal ich als einziger Fahrer der Equipe SunClass noch das Trikot unseres Sponsors im Peloton hoch halte.

Im Mittelfeld des Pelotons: In der Spitzengruppe bleiben, lautet die Devise.
Nachdem die U17- und U19-Wettbewerbe, das Zeitfahren und die Deutschen Meisterschaften der Ärzte und Apotheker (der Moderator meinte noch: "Die wissen ja, wie es geht ...") ausgetragen wurden, gehen etwa 100 Jedermänner an den Start.

Das Wetter ist perfekt, die Stimmung auch: Ich habe mit dem Ötztaler Radmarathon vor 2 Wochen und dem 24-Stunden-Rennen vor einer Woche noch ziemlich "dicke Beine" und beschließe - nicht nur allein aus diesem Grund allerdings - es heute eher gemächlich angehen zu lassen.

Der andere Grund liegt in der Natur des Kurses: Noch 2010 führt er zur Hälfte durch den Stadtteil Wilhelmsburg (enge Kurven, viele Beschleunigungsarien) sowie hinaus auf die Elbinsel, rund herum um die Spitze und wieder zurück (flache, lange, gerade Strecken - Highspeed).

Es gab sehr viele böse Stürze, auch im letzten Jahr berichtet Angela, die als Helfer vor Ort ist, von einigen Crashes. 2012 verläuft der Kurs nur noch auf der Elbinsel-Spitze: Ein Dreieck aus zwei langen, kurvenlosen Geraden am Deich, einer kleinen, technischen Passage mit 3, 4 Kurvenkombinationen und drei 90-Grad, sowie einer 320-Grad-Kurve vor dem langen Zielstück.

Sprinter-Revier. Eindeutig. Und Sprints bedeuten immer, dass man Mannschaften hat, die ein Rennen kontrollieren wollen (müssen) und am Ende ein Gerangel um die beste Ausgangsposition.

Beste Garantie für Stürze.

Die Strecke auf der Elbinsel - einfacher Kurs, schwer gemacht

Wir müssen 13 Runden auf diesem Kurs absolvieren, eine Runde misst 5,5 Kilometer. Toll für die Zuschauer: Sie bekommen jedes Mal einen schönen, kleinen Zwischensprint geboten.

Anfangs, die ersten 5 Runden, passiert wenig: RG Uni - als Veranstalterteam natürlich bestrebt, hier heute den Sieg davon zu tragen und mit 7, 8 Fahrern die stärkste Fraktion im Feld - bildet gleich vom Start weg vorn eine Front und fährt das Rennen kontrolliert.

Direkt nach Start/Ziel geht es in eine 90-Grad Linkskurve, dann wird hart beschleunigt, das Feld zieht sich. Es folgen nicht sehr anspruchsvolle - aufgrund der engen Wirtschaftswege aber schwer zu fahrende - Kurvenkombinationen, die nach 1.000 Metern in einer weiteren Linkskurve (wieder 90 Grad) auf dem langen, etwa 2 Kilometer messenden, Gegenwind-Stück münden.

Durchfahrt Start/Ziel
Hier wird die ersten 5 Runden im massiven Gegenwind das Feld durch die RG Uni zusammen gehalten: Teilweise mit nur 26 km/h komme ich mir im Pulk vor wie auf einer RTF. Umso unverständlicher daher der Fakt, dass auf diesem Stück innerhalb von wenigern Runden hinter mir zwei Stürze passieren.

Aufheulende Bremsen.
Schreiende Typen.
Rrrrrrrrrrrrr-Puchh!
Carbon kracht auf Asphalt. Die Haspa wird demnächst eine höhere Summe bereit stellen ...


Kurz vor der 320-Grad-Kurve, die auf das ebenfalls rund 2 Kilometer lange, durch Rückenwind extrem schnelle Start/Ziel-Stück mündet, zieht die RG das Tempo an, das Feld sofort auseinander: Wer hier nicht mitgeht, ist abgehangen - und wird im Wind verhungern.

Auf der engen, letzten Kurve knallt mir in der zweiten Runde mein Nebenmann fast ins Rad: Sehr nervös hier alles. Dann und wann pöbeln sich die Jungs an. Rauhe Töne ...

Bei der RG Uni in der ersten Reihe sitzen

Was mir bei den Eurosport-Übertragungen immer so gefällt: Hier bekomme ich es aus erster Hand geboten, es passiert hier, genau vor mir. Ich bin Zeuge, wie ein starkes Team aufgrund der Anzahl seiner Fahrer aber auch aufgrund einer klaren Taktik das Rennen kontrolliert, gestaltet und zu seinen Gunsten entscheidet.

Die RG Uni-Fahrer ziehen nach Belieben das Tempo an, bremsen das Feld aus - gerade so, um immer wieder hinten das Feld zu selektieren und für genug Verwirrung im Mittelfeld zu sorgen, sodass die Konkurrenz eher mit sich selbst (Hinterrad der RG halten!) beschäftigt ist, als dass jemand auf die Idee käme, es hier selbst zu versuchen.

Erste Kurve nach Start/Ziel: Heiße Ecke!
Ausreißer haben auf diesem Kurs keine Chance: Die langen Geradeausstücke fressen die Watt nur so weg. Spätestens im Gegenwind-Stück würde ein Flüchtling gnadenlos im Wind verhungern.

Faszinierend, die Teamdynamik und die Renngestaltung mitzuerleben.
Eine Radsport-Lehrstunde aus der besten Perspektive.

Leider plagen mich ab der vierten Runde immer wieder Krämpfe im linken Unterschenkel. Mir kommt es ganz gelegen - ich will mich gen Rennende sowieso eher hinten aufhalten - in einem Sprint möchte ich nicht mitmischen, das Rennrad soll schließlich ganz bleiben.

Letzte Runde: Finale zum Mitfiebern

Auf der Rundenanzeige prangt eine 1 - letzte Runde!

Sofort merke ich die Nervosität im Feld. Ich sehe es voraus und beginne schon auf den letzten hunderten Metern bevor es nach Start/Ziel in die finale Runde geht, mich nach ganz rechts außen und im hinteren Drittel der Gruppe einzuordnen: Die erste Kurve wird eine Linkskurve sein, da möchte ich nicht auf der heiß umkämpften Ideallinie sitzen.

Meine Annahme wird bestätigt: Kaum bremsen wir uns in die Kurve rein, pöbeln und rufen sie neben mir. Ich verliere auf der Außenbahn sofort vier, fünf Plätze - aber das war der Plan. Beim Rausbeschleunigen hänge ich am Ende unserer nur noch knapp 30 Mann großen Gruppe. Hauptsache dranbleiben!

Das Kurvengeschlängel meistere ich ohne Probleme, das Anbremsen in den Gegenwind-Teil ebenfalls. RG Uni hält das Feld auf den ersten hundert Metern kompakt beieinander, dann geben sie kurz Gas. Sofort reihen wir uns in Zweierreihen wie an einer Perlenkette auf: Gegenwind peitscht uns entgegen, es ist erheblich schwerer, dem hohen Tempo zu folgen.

Etwa bei der Hälfte der Gegenwindpassage nehmen sie plötzlich raus - wir müssen teilweise bremsen. Sofort zieht sich die Zieharmonika wieder zusammen. Ein gewollter Effekt: Vorn verhindert die breite Phalanx der RG-Fahrer ein Durchbrechen anderer Teams und provoziert damit ein Gerangel um die beste Hinterradposition im Mittelfeld.

Sofort geht das Lückengespringe los, das ich mir - jetzt umso mehr - von ganz hinten ansehe. Jeder will nun möglichst weit links und möglichst weit vorn sein: Die letzte Kurve wird das Tempo noch einmal bis auf 15, 20 km/h verringern, wie ein Nadelör. Wer da nicht den richtigen Gang rauf hat, nicht in der Innenseite und am richtigen Hinterrad ist, wird beim Sprint nicht mitreden können.

Positionskämpfe auch im Mittelstück
Immer näher kommt die letzte Kurve.
Reinbremsen. Ich ganz außen.
Vorne rufen sie.
Ich schaue.

Vier, fünf Positionen vor mir verliert einer die Kontrolle, bremst in Schräglage zu hart, das Hinterrad bricht aus, kracht in den Nebenmann, beide fallen, verkeilen sich, die Hintermänner - zwei, drei Mann - können nicht ausweichen, fahren in das Menschen-Carbon-Knäuel, stürzen auch, zwei, drei Weitere weichen aus, fallen um.

Ich rufe AAACHTUNG! nach hinten, obwohl da keiner mehr sein dürfte, bremse ebenfalls hart, kann das Hinterrad kontrolliert ausbrechen lassen und kurz vor den Gestürzten (schmerzverzerrte Gesichter!) zum Stehen kommen.

Flüche und Schreie. Vom Deich her eilen Helfer.

Ganz vorn stürmt das Feld weg: Uneinholbar.
Ich fahre an - auf dem großen Blatt dauert das gefühlte Minuten.
Bis ich auf Speed bin, hat das Feld 500, 600 Meter Vorsprung.

Allein im Wind.
Ziellinie naht.
Ich kann noch ein, zwei Abgehangene einholen. Fahre allein über die Linie.

Und bin ganz froh: Richtige Entscheidung getroffen!

Was bleibt

Das Elbinselrennen war wie immer eine tolle Veranstaltung. Kein Rennen, das mit landschaftlichen Highlights aufwarten würde, kein Rennen, das besonders anspruchsvoll oder packend wäre - aber ein Rennen, das den Radsport, vielmehr das kurze Kriterium als Sportart par excellence geboten hat.

Alles richtig gemacht: Nicht gestürzt!
Packend vor allem für die Zuschauer, die leider viel zu wenig anwesend waren.

Und interessant für mich: Teamarbeit und Kontrolle eines Peloton aus dieser Nähe selbst miterleben zu dürfen, das hat etwas.

Nächstes Jahr gerne wieder, und gerne wieder von hinten.



Vielen Dank für die Fotos, Frauke, Burkhard Sielaff & Bruno

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