14. Juli 2012

Herzstillstand. Schmerzstillstand. Bei der Val d´Aran Cycling Tour

Die Sonne hat Mühe, zwischen den scharf geschnittenen Abhängen der Berge des Aran-Tals aufzugehen. Ich stehe an meinem Hotelzimmerfenster, es ist kurz vor 7 Uhr in der Frühe und blicke auf das zarte Rosa, das sich da hinten aus östlicher Richtung versucht, durch den kleinen V-Ausschnitt zu zwängen.

Ich bin in Vielha. Spanien. Hoch-Pyrenäen. Heute ist Renntag. 


Gestern kommen Heiko, Flow und ich hier an. Es ist ein diesiger, ein frischer Tag. Satte Wolken, aufgebläht und schwerfällig von der Feuchtigkeit, die sie transportieren, hüllen die Gipfel der Berge ein, als wir eintreffen.

Die Anreise ins Aran-Tal: Herr der Ringe lässt grüßen

Vielha liegt im Conselh d´Aran, einer unabhängigen Region innerhalb der unabhängigen Region Catalunya innerhalb Spaniens. Aran wirbt mit dem Claim "A Country" und das trifft auf diesen, keine 35 km langen Staat im Staat auch wirklich zu: Eigene Polizei, eigenes Gesundheitssystem, eigenes Schulsystem. Sie lernen hier 5 Sprachen als kleine Kinder: Aranesisch, Katalan, Spanisch, Englisch und Französisch.

Kein Wunder: Bis in die 70er Jahre kam man nur im Sommer halbwegs bequem in diese Enklave. Im Winter gab es nur den einen einzigen Zugang über Frankreich.


Als wir unterwegs sind, mache ich noch Witze: "Hihi, irgendwie kommt mir das Rennen so ... klein ... vor. Passt auf, das wird so sein: Wir kommen an, der Veranstalter wird uns mit Handschlag begrüßen, wird sagen: ´Ah, da sind ja unsere drei Teilnehmer!´ Wird uns Startnummern 1, 2 und 3 geben und uns auf die Reise schicken ..."

Wir sind bis Barcelona geflogen, übernehmen da einen Mietwagen und machen die knapp 300 Kilometer lange Reise durch Catalunya in ein bisschen mehr als dreieinhalb Stunden. Endlich erreichen wir das Aran-Tal, nachdem wir einige beeindruckende Stunden Serpentinengeschlängel umgeben von brachial-schönen Pyrenäengipfeln hinter uns haben.

Es ist 20:30 Uhr als wir ankommen - die Akkreditierung hat wohl nur bis um 8 geöffnet. Auf dem kleinen Marktplatz wehen noch Flaggen, also gehen wir hin: Sie haben noch offen. Genial!
Als wir vor dem Zelt stehen, schauen mich große Augen an: "Ah, los Allemanjos!", ruft einer. Es ist der Veranstalter.

Er sprintet um den Tisch und begrüßt uns mit Handschlag.

Dann schreibe ich mich ein: Ich bekomme Startnummer 1.


Flow bekommt die 2. Heiko darf sich eine 3 an den Rennrad-Lenker montieren. Sie sind so herzlich hier, dass es mir fast die Sprache verschlägt. Fragen, wie es uns geht, wie unsere Reise war. Sehr familiär, sehr klein - aber so herzlich, dass der Gegensatz zum anonymen Kommerz eines Dreiländergiro von vor 2 Wochen kaum größer sein kann.

Der Start - geben die kein Gas?

Die Sonne steht schon höher, als wir eine Viertelstunde vor dem Start hinter dem Startbogen stehen. Aus den Boxen hallt zum dritten mal David Guettas "Titanium" und langsam finden sich auch die 60 anderen Starter ein.
Zu dieser ersten Ausgabe der Val d´Aran Cycling Tour sind 64 Rennradfahrer gemeldet.
Davon 6 Nicht-Spanier. Wir drei SunClass-Fahrer, ein Neuseeländer und zwei Amis.


Drahtig sehen sie hier alle aus. Und klein. Vorhin, bei der kleinen Aufwärmrunde, fahre ich neben einem, der aussieht wie Alberto Contador. Ich muss drei mal genau hinschauen, um zu erkennen, dass er es nicht ist. Aber wäre es verwunderlich? Der Mann ist gesperrt, muss sich aber fit halten - wo, wenn nicht bei einem solchen "kleinen" Rennen könnte man das besser machen?

Es liegen 3.200 Höhenmeter in den Pyrenäen vor uns. Den Portilhon kenne ich schon - den Port de Balés noch nicht. Ein Berg der Hors Categorie, den die Tour de France bei ihrer 17ten Etappe überfahren wird. Ich darf das schon heute ...

Und auf ein mal geht es los ... langsam kurven wir aus der wunderschönen Innenstadt des 8.000-Seelenortes heraus, dann beschleunigen sie.


Das Feld bleibt kompakt zusammen. Es geht merklich bergab - 3 bis 4% - und wir kurbeln um die 45 bis 50 km/h. Könnten viel schneller sein. Und doch, sie fahren ruhig hier. Sehr eng, sehr sicher. Flow und Heiko hinter mir. Wir befinden uns in der Mitte des Feldes.

Vorneweg das Pacecar - Flaggen wackeln an dem Jeep, Rundumleuchten. Hinter uns ein weiteres Auto. Tour de France-Feeling: Bei den Riesenrennen starte ich immer so weit hinten, dass ich das so nie mitbekomme. Hier und heute umso genialer, sie pusten für uns die Straße frei.

Die Speed ist angenehm, dass wir uns etwas weiter nach vorne arbeiten können. Flow überholt mich auf einmal und setzt sich - so ist er halt - ganz vorn an die Spitze des Feldes. Ich muss grinsen: Was hat er nur vor? Ah, klar: Ausreißversuch! Wer, wenn nicht Flow?

Er geht kurz aus dem Sattel und tritt rein - schon setzt er sich vorne von uns ab und jagt dem Pacecar hinterher. Leider schlängeln wir uns jetzt durch ein immer enger werdendes Tal, sodass ich kein Foto von der Aktion machen kann. Oh man, dann merke ich, dass ich vor lauter Aufregung auch noch das Garmin vergessen habe anzuschalten ...


Irgendwann geht Flow die Puste aus (oder vielmehr, er erinnert sich, was da noch alles auf uns wartet) und er lässt sich einholen. Ein paar Minuten später ist er wieder bei uns. Atmet schwer - und grinst.

Mein Garmin läuft auch mittlerweile: 6 Kilometer fehlen in meinen Aufzeichnungen.

Das Feld ist noch immer recht kompakt beieinander. Vorne gab es den nächsten Ausreißversuch, aber auch den kleinen Spanier haben wir nach einigen Minuten wieder im Sack. Was mich wundert: Warum geben die nicht mehr Stoff? Ich war mich so sicher gewesen, dass die Anwärter auf den Sieg gerade in diesem schnellen Stück umso mehr aufs Pedal treten würden. Wer mit Vorsprung schon in den ersten Berg geht, sollte Vorteile haben, diesen ausbauen zu können. Aber nichts dergleichen passiert.


Statt dessen sind wir zwar schnell unterwegs, aber ich sehe keinerlei Aktivitäten des einen oder anderen Fahrers, das Rennen zu kontrollieren. Kein Team - und hier sind einige größere Teams am Start, den Klamotten nach zu urteilen - das versuchen würde, die morgendliche Speed-Idylle etwas durcheinander zu bringen.

Noch immer gibt mir die Fahrweise Rätsel auf. Aber ich sollte in weniger als 2.000 Metern sehen, dass die Jungs so untaktisch gar nicht fahren ...

Eine Lehrstunde in Sachen Bergfahren. Auf Spanisch.

"Noch ein Kilometer ... dann kommt der erste Zacken im Profil!", ruft mir Heiko zu, der das heutige Rennen auswendig gelernt hat. Nach dem Dreiländergiro, bei dem er mit dem Stilfser Joch seinen ersten richtigen hochalpinen Pass gefahren ist, stecken ihm die Höhenmeter noch sehr lebendig in den Knochen. Es ist nicht so, dass er Angst hätte - aber Respekt ist es wohl, der ihn gespannt auf die Senkrechte warten lässt.


Schon geht es links durch den Kreisverkehr, ich habe kaum Zeit, ein, zwei, drei Gänge nach unten zu schalten, als es nach oben geht. Wir fliegen durch einen kleinen Ort, die Straße zieht schon mächtig an. Dann bleibt das letzte Haus zurück und wir sind im Anstieg.

Bei Rennkilometer 14 geht es los: Col du Portilhon, Südauffahrt.

Da wir im vorderen Drittel des Feldes sind, hinter mir also eine Menge Fahrer auffahren, kann ich nicht ausrollen lassen um aufs kleine Blatt zu wechseln, wie ich es sonst tun würde. Neben mir jedenfalls klackt es nicht bei einem Mitstreiter: Die lassen einfach die großen Blätter drauf! Mit 25 km/h stemmen wir uns in die Vertikale. Äh, okay ... denke ich mir uns versuche, dran zu bleiben.


Ich kann das Tempo nicht einmal eine einzige Minute lang halten.
Die Spitzengruppe, in der ich mich noch befinde, fliegt hier nur so die Bergflanke hinauf. Mir steht der Mund offen, unten blinkt wie verrückt eine 180 bei bei meinem Herzfrequenzmesser und mir schießt brennend Laktat in die Waden - noch immer fahren die auf dem großen Blatt. Sitzen auf ihren Böcken.

Ich hample im Wiegetritt herum.

Als ich merke, dass ich hier die Wahl habe zwischen eigenem Tempo und spontanem Herztod, nehme ich raus. Rechte Fahrbahnseite, kleines Blatt (Ahhhh, Wohltat!) und Kopf senken. Denn das Schauspiel ist beschämend: Die Spanier ziehen an mir vorbei, als stünde ich still. Einige noch immer auf dem großen Blatt, alle im Sitzen. Keine hechelt oder prustet - mir steht dagegen der Mund weit offen, Flammen züngeln aus brennenden Lungen, Atembläschen kollabieren. Kleiner Drache, gut gebrüllt, Löwenbaby ...

Keine Chance, dieses Tempo mitgehen zu wollen.


Die Lehrstunde ist noch nicht beendet: Der Anstieg zum Gipfel ist von hier aus noch 7 Kilometer entfernt und ich habe vielleicht erst mal einen läppischen Kilometer geschafft. Umgedreht: Heiko und Flow sind außer Sichtweite. Naja, wenigstens diesen Vorsprung kann ich halten.

Aber noch immer ziehen sie an mir vorbei. Erst größere Grüppchen, 5, 7 Fahrer. Sie hauchen ein "Hóla" in die Vertikale. Ich hechle zurück. Konzentration! Puls runter kriegen! Wie war das am Stelvio? 153 im Schnitt? Ich kreple hier gerade an der 160er-Grenze herum. Was immer das heißt, aber es ist eindeutig zu viel!

Dann kommen die Einzelfahrer. Ein Euskatel-Mann zieht an mir vorbei. Drahtige Waden kurbeln gleichmäßig die Prozente weg. Ich reiße mich zusammen, versuche, meinen eigenen Rhythmus zu finden. Das ging ja sonst auch immer - die Spanier hier sind einfach eine ganz eigene Liga. Und die ist Welten von dem Weg, was ich "Bergfloh" zu leisten im Stande bin.


Irgendwann hat mich dann auch der letzte überholt. Ein Kamerawagen fährt an mir vorbei. In einer der Kurven stehen spanische Polizisten, die mich fotografieren. Ein Spanier, komplett in Grün gekleidet, überholt mich. Aber nicht so schnell, wie die Verrückten da vorn (sind die schon oben?!) und so erhöhe ich etwas meine Pace, um an ihm dran zu bleiben.

Zum Pass des Col du Portilhon - langsam wirds heiß

Der Portilhon ist der meist befahrene Pyrenäenpass in diesem Teil des Gebirges: Er ist mit 1.293 Metern über Null nicht sehr hoch und im Vergleich zu den Pässen, die wir gestern mit dem Mietwagen meistern mussten, auch kaum komplex. Nur wenige Serpentinen, keine wirklich haarigen oder engen Stellen - und auf der Südauffahrt, in der ich gerade stecke, auch nicht besonders steil.


Im Schnitt 6,8% - das ist nicht wenig, aber auch nicht viel. Die ersten 3 Kilometer geht es mit 6% nach oben. Dann folgen 5 Kilometer bei um die 7% und die letzten 1.000 Meter wird es dann wieder etwas flacher. Ein seichter Einstieg.

Und dennoch: Obwohl es erst 9 Uhr ist, knallt die Sonne schon unverblümt herab. Wenn es gestern noch diesig-feucht war, so lässt diese Morgensonne (wie auch schon die digitale Wettervorhersage am Frühstückstisch bestätigt hat) auf eine Hitzeschlacht schließen. Mir läuft der Schweiß unterm Helm zusammen. Das Langsarmtrikot ist längst schon kurz nach dem Start in der Trikottasche verschwunden.

Ich drehe mich mehrmals um, versuche auch, durch die Bäume einen Blick auf die Straßen unter mir zu erhaschen: Wo sind Flow und Heiko? Wenn sie wenig hinter mir wären, würde ich mich zurück fallen lassen. Aber ich kann nichts erkennen. Also orientiere ich mich nach vorn: Da kurbeln noch immer der "grüne" und der "blaue" Spanier, sie gehen fast mein Tempo. An die halte ich mich.


Wir kommen langsam aus dem dichten Wald am Fuß des Portilhon heraus. Die Markierungsschilder an den Seiten künden immer wieder von einem Durchschnitt, der hier um die 7 bis 7,9% liegt - und weisen auf Rampen von bis zu 11% hin.

Mich kann das hier erstmal nicht erschüttern: Nachdem sich mein Puls wieder einigermaßen beruhigt hat, kurbele ich diese Steigung ziemlich locker hoch - obschon ich die Durchschnittswerte vom Stelvio nicht hinbekomme: 165, 170 bpm zeigt das Garmin immer an, das sind einige Schläge im Schnitt mehr, als noch am zweithöchsten Pass Europas vor 2 Wochen.


Ich erkenne die letzten Kurven wieder. Letztes Jahr bin ich den Portilhon - damals auch zusammen mit Flow - auf unserer Tour de France ebenfalls hier hinauf gefahren. Damals total durchnässt, kamen wir vom französischen Lannemezan aus durch Vielha und fuhren den Portilhon auf genau dieser Strecke. Geregnet hatte es, sonderbar nebelig empfing uns der Anstieg.

Heute ist es heiß: Im Schatten zeit das Garmin Edge zwar nur 18 Grad an, aber sobald die Sonne auf uns herab scheint, heizen sich Trikot und Helm dermaßen auf, dass sofort Schweißperlen unter dem Helm hervor kullern.

Endlich biege ich auf die etwas flacheren letzten 1.000 Meter ein: Von nun ab geht es bis zur Passhöhe mit unter 6% hinauf: Eine Chance, anzugreifen!


Den grünen und den blauen Spanier kann ich mit einer kleinen Tempoforcierung einholen. Immer wieder faszinierend, wie viel schneller man am Berg ist, wenn man nur etwas mehr investiert. Umso erstaunlicher, mit welcher Irrsinnsspeed die Jungs am Anfang da auf dem großen Blatt diesen Anstieg hinauf gestürmt sind.

Wann sind die hier durchgekommen? Vor 25 Minuten? 30 Minuten?
Ich erreiche den Gipfel des Portilhon und lasse die Verpflegung, die sie hier aufgebaut haben, rechts liegen: Meine zweite Flasche ist noch ganz, die erste bis zur Hälfte gefüllt. Ich bin noch gut satt, die zwei Gels, die ich bisher gegessen habe, sorgen noch für genug Brennstoff.

Abfahrt!

Schwein gehabt.

Ich fahre nicht allzu gern alpin bergab. Klar, dem Rausch der Geschwindigkeit zu erliegen, ist faszinierend. Aber ich weiß um die Gefahr - und zu oft schon haben kleine Verbremser, Huckel oder andere Dinge annähernd haarsträubende Situationen in Abfahrten erzeugt: Ich fahre lieber auf Sicherheit.

Gerade im oberen Abschnitt ist die Abfahrt sehr steil - bis zu 14% geht es teilweise bergab. Ich muss hart bremsen und dabei auf die beste Kurvenlinie (Gegenverkehr!) sowie die richtige Dosierung achten. Die Nordabfahrt ist sehr verwinkelt, die Kurven teilweise bei 180 Grad.

Als ich den Großteil geschafft habe - von hinten können der Grüne und der Blaue aufholen - erwische aus Unaufmerksamkeit ich bei 65 km/h einen kindskopfgroßen Stein. Mir hebelt es das Vorderrad aus, ich verreiße das Rad nach rechts, es ist nur den stabilisierenden Kreiselkräften der sich schnell drehenden Laufräder zu verdanken, dass ich nicht stürze. "Wow!", fluche ich in den knallenden Fahrtwind und atme erleichtert aus, als ich die letzte Rampe hinab nach Bagneres de Luchon schieße. Geschafft!


Auch dieses traditionsreiche kleine Örtchen kenne ich schon. 2011 war hier meine Etappe zu Ende. Heute hier an dieser Stelle geht das Rennen gerade mal in eine weitere - frühe - Phase. Ich schieße in den Ort hinein, aber bevor ich auf die Hauptstraße, die mich noch sehr im Gedächtnis ist, abbiegen kann, winkt ein Streckenposten mich auf eine Seitenstraße.

Being Jens Voigt

Es ist sehr hubbelig, auf dieser Nebenstraße. Zwei, drei kleinere Kreuzungen und schon liegt Bagneres hinter mir. Ich lasse den Grünen und den Blauen zu mir aufschließen, setze mich an die Spitze der Dreiergruppe und beschließe, bei den beiden Jungs zu bleiben.

Ich führe die beiden Radrennfahrer durch den Ort, dann verlassen wir Bagneres auf einer sehr gut ausgebauten Straße und ich lasse mich nach hinten fallen: Gebt Ihr mal nun bitte Gas!


Zunächst setzt sich der Blaue an die Spitze. Es geht wieder mit 3 bis 4% bergab und so verwundert es kaum, dass wir mit knapp unter 50 km/h durch die wunderschöne Natur ballern. Ich bleibe knapp am Hinterrad meines Vordermannes, denn selbst im Windschatten ist es hoch anstrengend, diese Speed zu halten. Nur zwei Fotos leiste ich mir in diesem Stück, das wir durchfegen, als gäbe es keine physikalischen Beschränkungen hier.

Als Dreiergruppe mit kapp 50 km/h? Wahnsinn, dieses Gebolze. Es lässt sich nur noch vergleichen mit dem Stint durch das Engadin beim Dreiländergiro - nur da waren wir 15, 20 Fahrer und auch "nur" 45 km/h schnell.

Wenn der Grüne vorn ist, wird es meist 1, 2 km/h schneller.
Geht der Blaue in den Wind, etwas gemächlicher.
Bin ich im Wind, muss ich öfter auf die beiden Jungs warten. Moment mal ... ich und im Flachen schneller als die anderen? Jens Vogt wäre stolz auf mich.


Obwohl uns vom Portilhon noch die Prozente ganz schön in den Knochen stecken, kann sich trotz des Gebolzes mein Puls etwas erholen - auf 155 bis 158 sinkt er hinab. Es tut gut, mal tief durchzuatmen, auch mal rollen zu lassen und tiefe, satte Schlücke aus der Flasche zu nehmen.

Und kommen einige Rennradfahrer entgegen. Sie grüßen.
Aus einigen Autos, die uns überholen, recken sich die Beifahrer und brüllen uns ein "Allez, allez!" in die Seite. Wir grüßen zurück und winken. Toll, hier in Frankreich Rennrad zu fahren - in Deutschland hätte uns irgend so ein Dosenschieber bestimmt schon zugehupt oder auf den Radweg verwiesen.


Beim 50gsten Kilometer nehmen die beiden auf einmal raus. Der Grüne schaut sich mehrmals um. Als auch ich mich umdrehe, ruft mich eine bekannte Stimme: "Ey, Digger, da biste ja!" Flow klatscht mir von Hinten auf die Schulter.

Eine größere Gruppe, in der auch meine Teamkollegen Heiko und Flow fahren, hat uns eingeholt. Interessant: Am Berg hatte ich bestimmt 5, 6 Minuten Vorsprung auf die beiden. Entweder haben sie auf der Abfahrt (Flow ist ein großartiger Abfahrer!) oder eben auf diesem Bergabstück aufgeholt. Aha, denke ich mir - so schnell ist das wieder abgeschmolzen ...

Insgeheim aber bin ich froh, denn alleine die noch vor uns liegenden 90 Kilometer zu machen, darauf habe ich heute herzlich wenig Lust. Irgendwie schwant mir schon, dass das heute eine krasse Angelegenheit werden wird.

Im Anstieg zum Port de Balés

Ich lasse die beiden Jungs vor mich, freue mich über den Windschatten und mache ein Foto. Hinter mir zwei Männer, die vielleicht in ihren 60ern oder 70ern sind. Sie grüßen freundlich.


Startnummer 74, Jean Bernard, wird diese Val d´Aran Cycling Tour in 6:43 Stunden beenden. 20 Minuten schneller als ich. Startnummer 71, der wesentlich älter aussehende Jose, wird das Rennen nach 6:20 Stunden finishen - mit fast eine Dreiviertelstunde schneller als ich.

Hut ab vor diesen Leistungen!

Angesichts dieser tollen Typen freue ich mich aufs Alter, auch wenn mit die "böse 35" langsam Angst macht. Wenn ich diese Sportler sehe und sehe, wie die sich hier und heute schlagen (wie sie MICH schlagen!), dann muss mir nicht Bange sein: Mit diesem wunderbaren Sport als Freund, lässt es sich ansehnlich alt werden.


In unserem kleinen Feld herrscht Hochstimmung. Flow, in seiner unnachahmlichen Art, hat schon wieder die Kunde vom FC St. Pauli (er spielt 5te Herren) ins Peloton getragen, sich mit allen FC Barcelona-Fans im Feld angefreundet und besonders zwei Brüder lieb gewonnen, mit denen er zum Spaß ein paar Beschleunigungsrennen fährt.

Ich lasse mich nicht so recht vom Geschnatter anstecken - verharre ich noch etwas 20 Kilometer hinter uns, auf dem Col du Portilhon, oder schon 20 Kilometer voraus, auf dem Dach dieses Rennens, dem Port de Balés? Schnacken, da ist mir jetzt gar nicht zumute. Ich bin meist vorn.


Ziemlich schnell allerdings ändert sich die Stimmung: Ich nutze einen kleinen Abhang, um mich aus der Gruppe zu lösen und gewinne schnell 400, 500 Meter Vorsprung. Hinten machen sie keine Anstalten, mich einzufangen. Schnell kommen wir durch ein kleines Dorf, dort haben sie wieder eine Erfrischungsstation aufgebaut. Die Hälfte der Gruppe scheint dort anzuhalten, die andere Hälfte geht sogleich in den Anstieg: Wir sind am Balés angekommen!

Ich fahre recht langsam, denn die folgenden 19 Kilometer Anstieg möchte ich nicht wieder allein meistern. Bald haben mich die Jungs ein: Team SunClass Solarmodule und der FC Barcelona-Radrennfahrer (um die 65 Jahre alt) setzen sich an die Spitze.

Ich betätige den Lap-Knopf. Will wissen, was mich dieser Anstieg hier an Zeit kostet: Immerhin fahren sie exakt den gleichen Berg bei der diesjährigen Tour de France. Da will man ja wissen, wo man steht ...


Am Fuß des Anstieges geht es noch vergleichsweise harmlos zu: Nach einer ersten Rampe mit bis zu 8% folgen 7,5 Kilometer lang recht flache Stücke, die selten über 7% bieten, meist um die 4%. Wir kommen sehr schnell voran, jetzt lasse auch ich mich auf RTF-Geplapper ein.

Flow meint, er müsse mal Pinkeln. Wir stimmen alle zu. Aber anhalten? Jetzt?
"Dann mache ich das wie die Profis bei der Tour ...", kündigt Flow an und krempelt das rechte Hosenbein hoch.
"Für meinen müsste ich nicht krempeln", scherze ich, "Aber ich kann nicht, wenn einer zuguckt."

Flow wird natürlich nicht pinkeln.
Aber auch sein Hosenbein bis hinunter nach Bagneres de Luchon nicht wieder herunter klappen ...


Das Tal, durch das wir fahren, ist seltsam entrückt. Noch geht es kaum steil bergauf, noch schützt uns komfortabler Schatten in vergleichsweise kühlem Wald vor allzu starker Sonne. Und doch: Diese Pyrenäen sind so anders, als die Alpen: Entfernter, wilder, unerschlossener. Grüner auch, wie es mir scheint. Die Berge bewachsen, wie durch einen Urwald kurbeln wir uns durchs überwältigend schöne Phytonirwana.


Mittlerweile ist das Thermometer schon auf 28 Grad geklettert - Flow ist der erste von uns, der seinen Helm abnimmt. Meine Pulswerte klettern wieder schnurstracks an die 160er-Grenze und langsam geht meine erste Flasche zur Neige.

Auch Heiko saugt begierig am gar nicht mehr so kühlen Nass. Ich werfe mir, so lange es noch so schön "flach" ist mein drittes Gel ein. Immer steiler fallen neben uns die Wände ab, langsam legt der Berggott auch ein paar Prozente mehr in die Rampen: Immer öfter zeigt das Garmin nun 8, 9, 10 und immer mal wieder 12% Steigung an.


Der ältere Herr mit der Barcelona-Klamotte erklärt Flow gerade, dass er das hier heute als Übungsfahrt nutzt, denn er wolle in der nächsten Woche eine "kleine Tour" von seiner Heimatstadt nach Vielha unternehmen. Er schaue sich jetzt hier schon mal die Gegend an. Sprach´s, sagte "Adios" zu Flow, kurbelte an Heiko und mir vorbei und entschwand hinter der nächsten Kurve.

Weiter als Zweier

Kilometer 8 bis 15 werden die reine Tortur. Immer wieder müssen wir lange Abschnitte in der prallen Sonne fahren - Flow bleibt langsam hinter uns zurück, Heiko und ich bleiben über. Ich drehe mich um und nicke unserem Fußballer zu - in gewohnt kraftvoll-langsamem Tritt schraubt er sich bergan. Ich kenne Flow nun schon länger und habe deshalb keine Zweifel, dass er nicht oben ankommen würde. Also kann ich weiter mein Tempo gehen.


Die Sonnenabschnitte fangen an, uns richtig zuzusetzen. Ein Hoch auf unsere Teamklamotten: Noch 2011 haben wir aus Kostengründen die Trikots ohne durchgehenden Reißverschluss nehmen müssen - heute kann ich das Hemd ganz nach belieben öffnen oder schließen.

Wir holen einen Fahrer ein, der sich eine Verschnaufpause gönnt. "You okay?", rufen wir im zu. Er schaut: "Si, si!" Okay, dann weiter.

Heiko kann dank Kompaktkurbel einen leichteren gang wählen, als ich. Und doch fällt er immer wieder kurz zurück - nur, um dann noch schneller an mir vorbei zu kurbeln. Manchmal habe ich Probleme, an ihm dranbleiben zu können. Manchmal wechselt Fortuna die Seiten, und Heiko hechelt, um Anschluss zu bekommen.


Immer höher kommen wir. Immer öfter gehen meine Wasserstandsmeldungen über den aktuellen Gradienten ins Zweistellige: "Das sind jetzt ... 14 Prozent!"
Heiko schüttelt den Kopf.

Neben uns strahlen blanke Felsen, die schon seit Stunden in der prallen Sonne stehen, die Hitze ab wie geöffnete Backöfen: "220 Grad Umluft, die Capriciosa ist fertig!" Mein Hirn ist Matsch wie Pizzabelag.


Noch ist es nicht zu anstrengend: Noch habe ich einen Mordsspaß. Vor allem, als wir die Baumgrenze langsam unter uns lassen und der Berg von idyllischen, tiefen Urwald auf Tiefe-Schlucht-Modus umschaltet: Dann geht es fast senkrecht wilde Felsspalten hinunter, überwältigend sattgrüne Wiesen, sonderbar weich und moosig aussehend, kommen mir irgendwie lecker vor. Ich sauge das Wasser aus meinen Flaschen, will mich auf den Anstieg konzentrieren und kann doch die Augen nicht lassen von dieser tollen Natur.


"Los, das kann uns doch nix anhaben!", feuere ich Heiko an. Und meine uns beide. "Der Stelvio war nochmal ne ganze Ecke höher!"
"Ja, aber da sind wir nicht punkt Mittag hochgekurbelt!", stöhnt er zurück. Und recht hat er. Immer öfter muss ich mir mit meinen Handschuhen Schweißperlen unter der Brille hervorfingern, immer öfter hänge ich an meiner Wasserflasche.  Besonders die Haarnadelkurven, wenn es kurzeitig - aber eben schmerzvoll - an die 20% geht, fangen die Knochen an zu ächzen.

Mein linkes Knie beginnt, sich mit stetigem Stechen zu melden.


Interessiert beobachte ich, wie unterschiedlich Heiko und ich die Steigungen meistern: Ich selbst wechsle immer wieder gern in den Wiegetritt. Dann schalte ich einen Gang nach oben, gehe aus dem Sattel und trete einige Umdrehungen locker aus dem Becken heraus.
Dabei werfe ich das Rad unter mir von links nach rechts, von rechts nach links.
Das ziehe ich durch, bis ich knapp über der 160-Grenze beim Puls bin. Zurückschalten. Hinsetzen. Langsam weiterkurbeln.

Heiko ist da ganz anders: Er fährt nur im Sitzen. Variiert kaum Tempo oder Trittfrequenz und scheint durch schiere Kraft sich und das Rennrad nach oben zu bringen. Nur selten - eben in jenen extrasteilen kurzen Harrnadelstücken - geht auch er aus dem Sattel. Aber nur kurz. Heiko ist ein Sitzfahrer.


Kurbeln wir nicht an kahlen Abhängen entlang, halten wir in abenteuerlich angelegten Schleifen auf enge Schluchten zu, die die Natur hier in den Granit geschlagen hat. Hier sammelt sich - je nach Ausrichtung der Bergfalte - entweder Hitze, Kühle oder Wind.

Der weht mitunter sehr stark in unsere Gesichter. Mir solls willkommen sein: Alles, was mich kühlt, nehme ich gern an. Und auch wenn ich dafür den Preis des Gegenwinds bezahlen muss.


Ich halte das Garmin jetzt fester denn je im Blick - die sich immer wieder ändernden Digits geben mir Halt und sorgen für Abwechslung. Hinter mir bleibt Heiko jetzt immer öfter zurück. Ich habe auch meine Steigungsdurchsagen beendet.

Ich verliere Heiko

Wir kurbeln mal wieder nebeneinander her, als er beim Trinken durch eine unglückliche Bewegung seine Sonnenbrille verliert. Heiko hält an. Ich will nicht aus dem Tritt fallen und kurble - im Stehen - so langsam weiter, wie ich kann. Noch habe ich Hoffnung, dass wir es gemeinsam zum Gipfel machen.


Doch er kniet weiter neben seinem Rad. Irgendwann muss ich einer Kurve folgen. Noch ein paar Dutzend Meter fahre ich auf Sparflamme, als Heiko dann noch immer nicht kommt, beschleunige ich wieder auf Normalniveau: Später wird er mir auf dem Gipfel erzählen, dass er den unfreiwilligen Stopp für eine Pinkelpause genutzt hat.

Nun also alleine weiter.


Ich muss einige hundert Meter an einem kahlen Abhang entlang kurbeln - etwas moderater geht es jetzt bergan. Wenn das Garmin direkten Westkurs anzeigt, pfeift es mir dermaßen hart ins Gesicht, dass ich das Gefühl habe, kaum voran zu kommen.

Kaum noch Bäume, kaum noch Schatten. Puls konstant um die 160 Schläge. Gradient kaum unter 7%. Dafür ist es auf dieser Seite des Berges etwas kühler - 23 Grad "nur" noch. Ah, welch eine Wohltat.
Als ich auf die Gegengerade komme, kann ich einen gelben Fleck erkennen: Heiko!

Ich pfeife und winke. Er hört mich wohl nicht.
Zum Jodeln reicht meine Puste nicht mehr.


Langsam geht mir der Berg auch in die Beine. Noch tut nichts weh. Kein Krampf, nichts. Aber ich merke, wie mir der Anstieg immer mehr Saft aus den Waden zieht.
Und doch: Es ist so atemberaubend schön hier.
Wie immer: Klappstuhl nehmen, ein kühles Bier in die Hand und einfach nur gucken.

(Oh man, ein kühles Bier!)

Durch die Porte

Irgendwann fahre ich knapp am Abhang eine lang gezogene Rechtskurve. Es geht recht steil bergan, ich muss richtig viel Kraft in meine Beine legen, mache die Fersen ganz schwer, um voran zu kommen. Auf einmal türmt sich vor mir, so, als sei ich ein kleiner Zwerg und stünde vor der Garageneinfahrt meiner Eltern, eine Pforte aus Stein.


Es sieht aus, als müsste ich sie nur passieren, und dahinter läge der Gipfel. Es scheint, als bewachten diese steinernen Riesen den Eingang zum Gipfel - sie lassen nur den durch, der sich auch das Recht dazu erarbeitet hätte. Wie ein Torbogen, 10, 15 Meter zu beiden Seiten türmt sich der Fels auf. Dahinter, dahinter muss der Gipfel sein. Da ich mein Garmin wer weiß wie viel Kilometer später angeschaltet habe, weiß ich nicht genau, wann dieser Gipfel hier kommt und so halte ich mich am Gedanken fest, dass hinter dem Torbogen der ersehnte Pass, die lang herbei gewünschte Verpflegung und ein paar Minuten kurbelfreie Zeit auf mich warten ... ich passiere die Steine ... schaue gegenüber auf Wiese ... naaaaa ... links ist Berg ... aber rechts, rechts müsste doch der Gipfel kommen ... bin durch: Oh Backe!


Ich komme aus der Pforte und vollende die Rechtskurve: Vor mir, nein - über mir türmt sich das Endstück dieses Port de Balés auf. Eine Wand von einem Berg, eine unbewaldete Kuppe, sattes Gras vor blauem Himmel.

3 Kilometer - Beaufort 9 bis 10

Die Sonne knallt mir ins Gesicht und trocknet augenblicklich den Schweißfilm auf meiner Nase. Als ich die Kuppe umrundet habe, gesellt sich ein Wind dazu, der vom Gipfel den Hang hinab schießt, dass es mir fast die letzten 6 km/h, die ich in dieser Steigung noch imstande bin zu treten, gen Null reduziert. Ich muss den Lenker festhalten, denn die Böen reißen am Geröhr. "Na hossa!", denke ich mir und mache mich bereit.


Es wird wieder etwas flachen - kaum 8 bis 9% Steigung - dafür aber ist der Wind kaum erträglich. Er muss sich hinten, am anderen Hang aufstauen, über die Kuppe quellen, um dann, einer unsichtbaren Tsunamiwand aus Sauerstoff gleich, bergab zu rollen. Zum Glück ist man bergauf eh keine hohen Geschwindigkeiten gewohnt - würde ich jetzt im Flachen unterwegs sein, ich bekäme keine 20 km/h zustande.

So gleicht der Wind erschwerend aus, was die Steigung mir gerade erlassen hat.


Es kommt mir fast vor, als fahre ich den Col d´Aubisque, den ich im letzten Jahr als letzten Berg vor den Flachetappen meiner Tour de France gefahren bin. Sonderbar entrückt hier oben, einsam: Nicht einmal Baumsamen scheinen die Pforte vorhin passieren zu dürfen. Der Sturm und die Geräusche hier verstärken das Gefühl, der Welt entschwunden zu sein. Hier oben, in einer ganz anderen Sphäre, wir Rennradfahrer, als Forscher des Außerweltlichen unterwegs.

In den Berg gekerbt die Straße - vor mir schlängelt sie sich, mitunter Furcht erregend steil - die Hänge hinauf. Ich schaffe, wenn ich gut bin, 8 km/h. Wenn der Wind mich frontal erwischt, stehe ich still.


Wahnsinn, diese Ausblicke! Mondlandschaft auf einem Wiesenplaneten. Am Aubisque hatten sie wenigstens noch Kühe. Wenigstens noch Motorradfahrer, Holländer und Rennrad-Jünger. Hier? Nicht ein Lebenszeichen, nicht ein Kondensstreifen am Himmel. Letzter Zipfel vor der kleinen spanischen Enklave, die unabhängig ist vom unabhängigen Staat im Staat. Seltsam. Allein.

Wo ist Heiko? Ich halte Ausschau.


Schier endlos hängt das Asphaltband am Hang. Mal links herum, mal rechts herum. Ich fahre auf den Berg zu, kurble Minuten lang auf Fels und Gras, dann biege ich scharf ab, in die eine oder andere Richtung, nur, um dann mit noch fieserem Seitenwind hinaus an die Kante zum Hang getrieben zu werden.

Genial sieht das hier aus! Wie in "Herr der Ringe". Oben wartet Sauron?


Der Blick zurück - wie immer - macht stolz. Da hinten, da ganz hinten, da ging das los. Da unten, dort, wo noch Bäume wachsen und Menschen leben, da scherzten wir uns in die ersten harten Höhenmeter. Stunde verging. Noch eine Stunde drauf. Und nun. Dünne Luft in meinen Ohren. 8,5 Bar in Reifen und Lunge.

Die Zunge hängt mir fast bis zum Boden. Esse ich noch ein Gel? Aber ich müsste doch gleich oben sein ...


Irgendwann sehe ich dann den Pass. Vor mir, links. Und doch, mein Blick bleibt am Abhang unter mir geheftet: Ich die Vergangenheit sehen. Ich sehe das "Von-vor-20-Minuten". Da! Heiko? Gelb, ja, das müsste Heiko sein! Er hat noch verdammt viele Schlangenlinien vor sich! Ich rufe, ich pfeife (Seitenstechen!) und winke.

Er sieht mich und winkt zurück. Ich lächle.

Auf dem Dach der Tour

Und dann. Wie immer in diesen Bergen. Geht alles viel zu schnell. Die letzte Rampe (wow, ist das ein Wind!), die letzte Kurve. Sie steigt an. Oben stehen drei, vier, fünf Leute. Ein Caravan (ah, die Holländer!) und irgendwo sitzt ein Wandererpärchen, das mich hochklatscht.

Ich gehe aus dem Sattel und werfe alles in diese letzten Kurbelumdrehungen. Port de Balés? Geschafft!


Als ich oben die Zwischenzeit abnehme, wird auf meinem Garmin ein Anstieg von 19 Kilometern und 240 Metern zu finden sein. Ich habe diesen Port de Balés, die 1.151 Höhenmeter in 1:29 Stunde gemeistert und dabei einen Durchschnitt von 13 km/h halten können.

Als mein Herz sich wieder vom Schlussspurt erholt hat (ich friere sofort, denn hier oben müssen sie das Verpflegungszelt mit Betonblöcken vor dem Wegfliegen sichern, so sehr zerrt harter, eisiger Wind an uns, werde ich mit einem 159er Puls im Schnitt diese Steigung gemeistert haben.

Später, zu Hause, darf ich stolz auf diese Leistung sein: Quäldich.de gibt für die Nordauffahrt des Port de Balés eine Bestzeit von 1:14 Stunden aus. Ich bin nur 15 min langsamer als der beste Quäldich-Fahrer. Und das, obwohl ich diesen Anstieg innerhalb eines Rennens meistern musste.


Alle Statistiken interessieren mich jetzt jedoch herzlich wenig. Mein Magen knurrt, als habe sich dort ein aggressiver Terrier in meiner Bauchhöhle versteckt. Sie kümmern sich hier so rührend um uns. Einer der Helfer beglückwünscht mich und versichert mir spanisch-wortreich, wie toll wir alle seien.

Ein Zweiter nimmt mir meine Trinkflaschen ab, spült sie gleich aus und füllt nach. Ein Dritter kommt, klopft mir auf die Schulter und gratuliert mir - denke ich.

Erst jetzt stelle ich mein Cervélo an eines der parkenden Autos und kann den Ausblick genießen.


Von hier oben, immerhin 1.700 Meter über Null, habe ich einen fantastischen Ausblick. Spanien liegt in der einen, FFrankreich in der anderen Richtung. Wow, der Wind hier oben - schade, dass mein Garmin keinen Windstärkemesser hat. Schon fröstelt mir, schnell schnalle ich mir die Jacke um.

Am Büffet haben sie Wurststullen, Nüsse, herrlich süße Orangen, Bananen und jede Menge verschiedener Drinks. Dazu einen süßen Kuchen - und sehr viel Lächeln. Tolle Organisation!

Hier oben ist wenig los: Ein paar Österreicher haben auf der anderen Seite des kleinen Parkplatzes eine Station aufgebaut, zwei Rennradler kommen gerade an. Anscheinend fahren die auch ein kleines Rennen oder Bergzeitfahren.
Apropos Rennen: Ein Schild kündet die Tour de France an. Wie witzig: Vor einem Jahr kam ich auch durch Gebiete, die eine Woche später von der Grand Boucle besucht wurden. Heute also wieder.


Ein paar Minuten nach mir trifft Heiko oben ein. Wie immer verzerrt er kaum eine Miene: Aber ich kenne ihn schon zu gut, als dass mich sein Pokerface täuschen könnte. Auch Heiko stellt das Rad an eines der Autos, auch Heiko wird fast überschwänglich von den Spaniern begrüßt, die alles dafür tun, ihm seine Flaschen aufzufüllen und es ihm so angenehm wie möglich zu machen. Schnell die Jacke angezogen!

Dann kommt auch Flow irgendwann an, ich habe derweile zu tun, mich beim Pinkeln in diesem Sturm nicht selbst nass zu machen.
Dafür aber kann ich beim Wasserlassen eine der besten Aussichten genießen, die ich je hatte, während ich ... pinkelte.


Ich schaue auf die Streckenkarte, die sie hier angepinnt haben: Wir haben jetzt mit 76 Kilometern etwas mehr als die Hälfte im Sack. Ich bin seit 8 Uhr, mit Startschuss, genau dreieinhalb Stunden unterwegs. Heiko kommt zu mir und blickt in den Abgrund: "Dann geht es genau mit der Mittagshitze in den Portilhon ...", sprichts, und geht zum Trinkstand zurück.

Noch nehme ich seinen Satz nur zur Kenntnis, unklar darüber, was das nachher bedeuten wird: Vielleicht ist es auch die trügerische Frische hier oben, die mich ablenkt.

"Wie auch immer", denke ich mir: "Erstmal den Lohn der Arbeit genießen."
Ich schwinge mich aufs Rennrad.
Abfahrt!


Genau 20 Kilometer liegen vor mir, als ich mein Rennrad mit einem lauten "Adios!" und einem freundlichen Winken an die super Streckenposten gerichtet, anschiebe und mich in die Senkrechte stürze. 20 Kilometer - ohne Treten, ohne Anstrengung. Genial!

In der Abfahrt: Flow macht Tempo!

Allerdings bleibt mir die unbeschwerte Freude schnell im Halse stecken: Die Harten Winde und Böen zerren an meinem Rennrad, reißen mich mal hier hin, mal dort hin. Ich muss mich konzentrieren - in shcnellen Abfahrten sowieso Vorraussetzung, um die engen, schnellen Schussfahrten in den Serpentinen zu meistern, jetzt aber überlebenswichtig: Mit 60 eine Straße herunter zu brettern, die 50 Meter vor einem in einer abrupten 180 Grad-Kurve wegknickt, dahinter 1.000 Meter Abgrund ... "WHOOOOOOO!!!!!" brüllt es mir auf ein mal ins Ohr, ich erschrecke derart, dass ich beinahe das Rad verreiße und stürze - Flow schießt jauchzend an mir vorbei und ballert um die Kurve, dass mir Angst und Bange wird. Der Typ ist dermaßen schmerzbefreit, entweder ein ultratalentierter Abfahrer oder einfach nur vollkommen irre.

Wahrscheinlich beides.

Ich fahre 15 Kilometer bei vollster Konzentration - und das nicht gerade langsam - bis es mal endlich so flach wird, dass ich wieder Fotos machen kann.


Heiko ist kurz hinter mir. Wir halten noch eine kleine Nach-Pinkelpause ab und genießen dann die letzten Bergabkilometer vom Port de Balés. Ein toller Berg, Ein harter Berg - inmitten einer wunderbaren, beeindruckenden Natur. Ein Erlebnis für alle Sinne - und so verschieden zu dem, was ich aus den Alpen oder auch den Rockies kenne. Geheimtipp.

Langsam wird es flacher.
Unten im Tal angekommen dann auch wärmer.
Endlich bekomme ich auch meinen Puls etwas nach unten - um die 130 bis 140 bpm in der Abfahrt. Erholung vor dem, was noch vor uns liegt.


Die letzten verwinkelten Abfahrten, ein, zwei Bergbauenhöfe, ein Kreisverkehr, zwei Streckenposten, die uns zu winken - und wir sind, wo wiir vor einigen Stunden schon einmal durchgekommen waren. "Jetzt wirds krass ..." ruft Heiko mir zu. Wie Recht er behalten wird.

High Noon in Bagneres de Luchon

Wir reiten in das kleine Städtchen ein und ich sehe nicht einen Menschen auf den Straßen. Es ist exakt 12 Uhr mittags, die Sonne brennt herab wie nichts und wir kämpfen uns hier atemlos wie zwei Flüchtlinge durch eine Geisterstadt. Heiko bleibt immer wieder kurz zurück: Massiver Gegenwind demotiviert zusätzlich.


"Wahnsinn, diese Strecke!", fange ich ein Gespräch an.
"Jo!" kommt es von schräg hintern: "Und der Spaß geht jetzt erst richtig los ..."

Ich weiß, was er meint: Die Südauffahrt des Portilhon ist Welten schwerer, als die, die wir am Anfang dieser Val d´Aran Cycling Tour zu meistern hatten: Mit 10 Kilometern und durchschnittlich 6,3% Steigung scheint dieser Pass nicht sehr schwierig zu sein, zieht man aber die ersten beiden Kilometer, die gerade einmal mit 2 bis 3% zu Buche schlagen, ab, dann ergibt sich schon ein ganz anderes Bild. Allein 5 Kilometer bei 9% Durchschnittsgradient - mit bis zu 14% Rampen.

"Stell Dir mal vor, die hätten die lange Strecke ...", beginne ich einen Satz.
"Dann wäre ich jetzt raus!", beendet ihn Heiko.


"Da ist die Scheiße ...", meine ich nach einigen hundert Metern. Der Portilhon liegt vor uns. Eigentlich unfassbar, nach der Tortur auf dem Port de Balés jetzt noch hier rüber zu müssen. Und dann NOCH einen Berg vor sich zu haben ... nicht umsonst hatte Heiko vor diesem Rennen den meisten Respekt. Und ich immer so: "Aaaach, komm, das wird lustig ...!"

Jo. Lustig wird das jetzt, keine Sorge.


Als wir in die Steigung gehen, kurbeln wir zunächst schön langsam. Konnte ich in der Abfahrt vom Balés und hier nach Bagneres meinen Puls noch schön bei unter 150 halten, schnellt dieser wieder hoch: Aber ich beobachte, dass er kaum noch über die 160 kommt.

"Ich bekomme meinen Puls nicht mehr hoch.", sage ich.
"Du bist breit. Sichere Zeichen." Na siehste.

"AH FUCK!", brülle ich auf ein mal, als mich ein hässlicher, stechender Schmerz durchfährt. Ich zucke zusammen, verreiße fast das Rennrad und kann nur mit Mühe das Bein Strecken: Krampf!


Na bitte! Da geht es also los. Schon so lange keine Kämpfe mehr gehabt: Weder in Saint Tropez, noch in New York oder beim Dreiländergiro - bestimmt einige Monate konnte ich immer genug trinken, meinen Körper mit genug Vitalstoffen versorgen, dass es nie zu diesen schmerzhaften Muskelspasmen kommen musste. Heute ist es also soweit.

Na toll. Und noch 2 Berge plus Endanstieg vor mir. Helm ab zum Gebet!

Das Leid der Equipe

Auch Heiko hat nun sehr zu kämpfen. Immer mehr schnauft er, prustet sich die ersten härteren Rampen hoch und atmet schwer. Mein Garmin kündet vom 100sten Kilometer - nur noch 40 Kilometer!

"... davon wie viel bergab?", frage ich, um ihn aufzumuntern. Es schauen nur leere Augen über einem trrocken-heiß geöffnetem Mund stur auf die graue Asphaltwand vor uns. Heiko hat grad eine andere Schlacht zu schlagen.


Es ist die Hölle! So heiß hier, dass sogar meine Antirutsch-Beschichtung der Rennradhandschuhe vom Lenkerband abrutschen. Immer häufiger muss ich nun aus dem Sattel gehen, um im Wiegetritt das Cervélo die Vertikale hinauf zu treten. Dabei geht mir der Krampf nicht aus dem Kopf: Genug trinken! Immer mehr trinken! Zwar soll das gar nicht so helfen, aber es ist das einzige Mittel, das ich hier im Anstieg habe, um überhaupt etwas ausrichten zu können.

Heiko kämpft und müht sich ab. Er atmet schwer und brüllt auch mal "Scheiße!" in den tiefen Wald.
Ab jetzt wird das hart.
Und der nächste Berg - das weiß ich jetzt schon - wird RICHTIG hart!


Ich achte gar nicht mehr auf die Prozentangaben auf dem Garmin. Vielmehr konzentriere ich mich auf die Schilder, die sie nach jeder Kurve aufgestellt haben: "Col Du Portillon - Moyenne 9,8% - Maximal 17,4% á 55 m" steht da zum Beispiel.

SCHEISSE! Schon wieder zuckt es schmerzhaft von der Wade ausgehend den Schenkel hinauf. Ich könnte brüllen - und tue es auch - und muss sofort rausnehmen. Ich versuche, mit dem linken Bein weiter zu treten, was natürlich nicht geht. Anhalten? Keine Chance: Dünne Straße, wieder mehr Verkehr (leider) und wenn ich jetzt anhalte, wird auch Heiko anhalten - und anhalten, das ist klar, geht gar nicht!

Ach, fuck, tut das weh! Ich trinke fast die halbe Flasche leer.
Drücke mir noch ein Gel in den Mund (fast muss ich brechen: wie immer, zu viel Süßes heute!) und hoffe, dass ich die verbleibenden 4 Kilometer zum Gipfel aushalte.


"FUCK YOU ALL!", hallt es auf einmal durch den Wald. Florians Stimme. Wir müssen grinsen, absurd! Der Bastard ist da oben, freue ich mich. Ein, zwei Serpentinen über uns kämpft er den gleichen Kampf wie wir: 30, 32 Grad im Schatten, 10% Rampen und schon 100 Kilometer und einen HC-Berg in den Knochen.

Wenig später haben wir ihn. Er hat den Helm abgenommen, das Hemd weit geöffnet, durch den Mund hechelt er brandheißes CO2 aus. Hier fehlt nur ein Feuerzeug und wir explodieren. Schweiß läuft in Strömen. Mir brennen die Waden, wie lange schon nicht mehr.

"Na, alles klar?" Flow hat immer gute Laune, wie es scheint.
"Jo. Krämpfe.", das war meine Info.
"Ich überlege ... ob ich oben aussteige ..." Das war Heiko.

Niemals! Schiebe ich in Gedanken hinterher.


"Oben machen wir erstmal ne kleine Pause. 15, 20 Minuten.", gebe ich die Devise aus. Sie sind schon viel zu sehr mit der nächsten Rammpe beschäftigt, als dass sie antworten könnten.

Heiko quält sein Rennrad derart, dass das Knarzen und Quietschen des Tretlagers vor lauter Watt nicht zu überhören ist. Flow haben wir schon wieder passiert - er fährt wie immer sehr langsam. Aber dabei so kraftvoll und rund, dass ich fast neidisch werde.

Ich bleibe bei Heiko: Mehr noch als mein nächster Krampf beschäftigt mich seine Ankündigung, auszusteigen. Das darf nicht passieren. Um keinen Preis!


Wir überholen einen Wanderer. "Noch eintausend Meter!", rufe ich Heiko zu, der hinter mir nur noch gebückt auf dem Rennrad sitzt und stupide die Kurbel tritt. Kein Enthusiasmus mehr, kein Spaß - nichts, außer eine kognitive, scheinbar vegetative Funktion seines unbewussten Ich hält ihn auf dem Rennrad. Mir geht es genauso: In Gedanken stehe ich unter der Dusche. Liege ich in der Wanne. Trinke ich ein kaltes Bier. Nach dem anderen.

Im Hier und Jetzt: 32 Grad im Schatten, ich kann vor lauter verwischtem Schweiß durch meine Gläser nichts mehr erkennen. 1.000 Meter noch? F***t Euch! Das geht gar nicht hier. Mir explodieren bald die Fasern.

Und dann. Dann endlich. Ich höre Klatschen. Da stehen sie wieder: Drei Helfer der Cycling Tour. Sie applaudieren. Rufen was auf Spanisch. Wie in Trance klicke ich aus (ich kann noch ausklicken? Dachte, ich hätte das verlernt!), hinter mir stöhnt Heiko was von "Scheiße" und "Leckt mich am Arsch!" in den Rastplatz und dann trifft auch Flow ein.

Reisende vom Totenschiff.


Ich ziehe mir bestimmt 6 frisch aufgeschnittene, unfassbar erfrischende Orangenviertel rein, trinke hastig Wasser und was sie hier alles haben, schon steht ein Becher mit Cola bereit, die durch ihren Zuckeranteil kurzzeitig wachen machen wird. Heiko und Flow schmeißen ihre Räder einfach in den Schotter des Parkplatzes. Wir machen uns über das Büffet her - fantastisch! Apfelkuchen! Stullen mit Wurst und Käse! Nüsse ... ein Paradies!

Aufgeben? Niemals!

Schon durchströmt wieder Leben unsere Körper. Wir setzen uns an einen der Rasttische. Sprechen kaum. Ich massiere mein Krampfbein. Flow fallen sofort die Augen zu. Heiko sitzt da und schaut weg.


"Alter ..." fängt Florian an: "Ehrlich: Das ist das krasseste, was wir je gemacht haben!"
"Und es kommt noch ein Berg.", meine ich.
Heiko dreht sich um: "Und das ist der Schlimmste!"

Mirador d´Arres heißt der Bastard. Wir werden ihn gleich kennenlernen.

Wir? Was ist mit Heiko? "Na, wird schon: Es sind nur noch 30 Kilometer bis ins Ziel. Und dann gibts jetzt eh erstmal 10 Kilometer Abfahrt. Und dann noch 10 Kilometer vom Arres ... ist doch gar nicht sooo ..."
Heiko schaut nur leer. Der wird doch nicht?


Eigentlich undenkbar, wie uns dieser, eigentlich kurze Kurs so dermaßen fertig machen kann. Der Dreiländergiro führte über Stelvio, Ofenpass (genauso heiß!) und Norbertshöhe, wird am Ende sogar viel mehr Höhenmeter gehabt haben und dazu noch 40 Kilometer länger sein.

New York war wesentlich länger, und schneller im Durchschnitt - und Saint Tropez am Anfang der Saison hatte auch seine mehr als 3.000 Höhenmeter bei knapp 190 Kilometern! Warum nur tritt uns dieses Rennen denn so gewaltig in den Hintern? Das hohe Anfangstempo? Die Hitze?

Eines ist klar: So destroyed waren wir noch nie. Und wenn ich mir Flow ansehe - der, der sonst immer gern für die letzten 60 Kilometer eines Rennens vorschlägt, ob wir "jetzt mal nicht einfach durchpolken wollen", dann wird mir Angst und Bange.

Aber alles hilft nichts - wir müssen weiter!


Keine 15 Minuten gönnen wir uns eine Pause, als wir am Eingangsschild ins schöne Aran-Tal vorbei wieder auf spanischen Boden rollen und in die Abfahrt gehen. Wie immer wird uns Flow rasant überholen - der Teufel schneidet wieder die Kurven, als existiere das Wort "Gegenverkehr" nur als Theorem, ich bleibe bei Heiko, der knapp hinter mir durch die Kurven fliegt.

Sorgen macht mir noch immer mein Bein - 2 Krämpfe, und die im nicht so steilen Abschnitt.
Sorgen macht mir auch, dass ich meinen Puls noch weniger hoch bekomme: Bei der Pause auf dem port de Bales sinkt der Pausenpuls auf 122 bpm. Gerade eben war er auf 107.
Und so richtig hoch bekomme ich den jetzt auch nicht.

Wie soll das nur nacher in der Steigung sein?


Genug Zeit zum Überlegen haben wir nicht: Genau am Fuße der Abfahrt biegen wir sofort auf einen kleinen Wirtschaftsweg ein. Es geht sofort mit 5% bergan. Heiko nimmt dein Helm ab. Ich tue es ihm gleich: Dann steht, halb verwachsen hinter einem Busch, ein verwittertes Schild: "Mirador d´Arres - Altitut 1.320 m - Desnivel 611 m - 8,1% medio - 14 % Máximo".

Na bitte!

Ich nehme noch schnell ein, zwei, neun Schluck aus der Flasche mit frischem, kaltem Wasser: Wissen die vom Münsterland.Giro eigentlich, dass ihre Flaschen die geilsten sind, die ich jemals in Starterbeuteln hatte? Die vom Rennen 2010 nutze ich immer noch - im dritten Jahr!


Wir holen sogar noch einen anderen Mitstreiter ein. Ein dünner, kleiner Spanier. Ich erschrecke fast, als ich ihn beim Überholen grüßend angucke: Abgemagert, fast ausgemergelt, tief in den Höhlen sitzende Augen, vollkommen durchnässt, schlaffe Bewegungen. Ein müdes Lächeln. Alter, sehen wir auch so Scheiße aus?

WTF?

Um es kurz zu machen: Der Arres ist die Hölle! Ein Steigungsdurchschnitt von 6 bis 7% ist bei einem Pass schon recht hart. 7% im Schnitt, da kann man sich durchaus auch auf 10, 11, 14%ige Rampen einstellen - immer mal wieder mit einigen 4, 5%igen Flachpassagen aufgelockert.

8% im Duchschnitt: Das hatte ich bei keinem einzigen Alpen- oder Pyrenäenpass meiner Tour de France im letzten Jahr. 8% Durchschnitt, das sind auch gern mal (anders, als das Schild es sagte) 22%ige kurze Stücke - gern in den Haarnadelkurven - bei denen man mit voller Kraft in die Pedale steigen muss.


Unfassbar, dieser Berg. Heiko ist nur noch am Fluchen. Ich bin vollkommen am Boden und atme so laut, dass man das ins Tal hören können müsste.

Meine alte Bergfahrmethode: Lange Zeit im Sitzen, dann kurz im Wiegetritt, bis 160 bpm - dann wieder Sitzen, funktioniert hier nicht mehr. Je nach Abschnitt fahren wir 1, 2 Kilometer lang bei Durchschnittswerten von 9,1%, 8,1% oder auch gern mal 11%.

Es ist die Hölle. Steiler, als alles, was ich jemals an Berg gefahren bin. Und immer mal wieder ein Waseberg mittenmang. Ich stehe jetzt mehr, als ich sitze. Hinten findet nach 5 Kilometern (erst die Hälfte?!) selbst Heiko keine Luft mehr, wenigstens noch zu fluchen.


Es geht hier so steil bergan, dass ich kaum noch vernüftige Fotos hinbekomme: Bei 5 km/h Maximalgeschwindigkeit kann ich das Rennrad gerade noch so balancieren. Wir holen Flow ein, der kampflos und müde wirkt. Seine Geschmeidigkeit ist dahin, auch er ächzt nur noch den Berg hoch, schwitzt wie ein Eber und weder ein Spruch, noch ein Fluch kommt über seine Lippen, als wir ihn einholen und hinter uns lassen.

Ausgebrannt. Auch er. Auch er? Flow ist der stärkste von uns. Flow hat mich nach 900 Kilometern durch Alpen und Pyrenäen 180 Kilometer lang an der Loire bei 40 km/h im Windschatten geschleppt. Flow "polkt mal eben noch die letzten 60 Kilometer" durch - und heute? Flasche leer.


Während ich am Portilhon noch in der Lage war, Schmerz zu empfinden, quittiere ich meinen dritten Krampf nur mit einem trockenen "Shit!". Alles weitere wäre zu sehr Energieverschwendung. Dann eben im Stehen weiter. Mitunter bleibe ich nun minutenlang im Wiegetritt - so geht es noch halbwegs rund.

Wir schmiegen uns in den Schatten, wo immer wir ihn bekommen können. Meist auf der Gegenfahrbahn: Aber dieser Berg hier ist so einsam, dass wir sowohl im Anstieg als auch in der Abfahrt nachher nicht ein einziges Auto sehen werden.

Abfahrt. Was für ein Wort! Unvorstellbar, angesichts dieser Senkrechten, dass es noch so etwas wie "bergab" geben würde. Oder "aufs große Blatt schalten". Ich quäle mich so richtig. So RICHTIG. Kein Vergleich zu 25 mal Waseberg. Kein Vergleich.

Das hier ist Hölle. Wirklich.


Schade, denn nur allzu selten nehmen wir deshalb wahr, was uns umgibt: Eine wunderschöne Landschaft. Dieses kleine, nur 40 Kilometer lange Aran-Tal, so abgeschieden, so bescheiden und doch so groß. Berge und Täle über und über mit dichtem Wald bewachsen, keine Industrie, keine Landwirtschaft  - pure, scheinbar unberührte Natur.

Und von hier oben - ein Genuss.
Wenn man nicht schon 110 Kilometer und einige tausend Höhenmeter in den Beinen hätte.

Höhenmeter ...


"Wann ist der Puff den endlich zu Ende?!", pöbelt Heiko die nächste Rampe an.
Ich weiß es. Aber ich sage es nicht. Zu lange noch. Zu lange noch nach oben. "14,7%" steht da auf einem Schild. Ungläubig fahren wir um die nächste Kurve. Ah, da sind die. Nette Rampe. Irgendwann wird Verzweiflung zu Galgenhumor. So muss das sein, wenn man keine Alternativen mehr hat, und es immer nur noch schlimmer kommt.

Ein Glück, dass hier keine Menschen sind.
Oder Infrastruktur.
Oder sonst etwas, das auf Zivilisation schließen würde: Der Reiz, auszusteigen, wäre jetzt einfach zu groß.

Wo wir gerade bei "Zivilisation" sind: Plötzlich hört die Straße auf.


"Was zur Hölle ...?!",m fluche ich noch so, als mein Rennrad plötzlich auf Rollsplit fährt. Dicke, runde Steine, immer wieder springt das Rad zur Seite, immer wieder müssen tief ausgewaschene Schlaglöcher umfahren werden. Alter! Was soll das denn?

12% bei Rollsplit? Bei jedem tritt - und mag er noch so kraftlos sein - dreht mein Hinterrad jetzt durch. Und dazu noch Gegenwind. Jetzt reichts aber, Leute! Jetzt reichts aber wirklich! "FUUUUUCKKKKK!!!!", brüllt Heiko - beleidigt setzt er sich wieder hin und tritt rein. Was sollen wir auch machen?

Der Split beschäftigt uns dermaßen, dass die Minuten vergehen wie im Fluge. Die letzten 2 Kilometer - 8,7% im Schnitt mit zwei schönen 12 und 13%-Rampen, schmelzen vor uns. Wir sind zu sehr beschäftigt, auf dem miesen Weg unsere Bahn zu fahren. Zu sehr darauf zu achten, nicht umzukippen.
Und irgendwann steht da ein Partyzelt im Wind, wo sie uns wieder die Flaschen auffüllen wollen und es diese unfassbaren Orangen gibt.

Gipfel! What the fuck, was war das für ein Scheißberg?
Geil!


Irgendwie ging das jetzt schnell, denke ich mir, und ertappe mich im gleichen Moment dabei, mich für meine Kurzstreckenamnesie selbst zu ohrfeigen. Schnell? Das war die Hölle hier hoch!

Und doch: ich halte nicht an. Warte nur auf Heiko, der sich eine Flasche Wasser über dem Kopf auskippt. Dann schnallen wir unsere Helme auf: Noch 17 Kilometer. Na los jetzt, den Scheiß rocken wir!

Gesiegt. Fast.

Die Abfahrt, in die wir uns stürzen, ist atemberaubend. Unter uns schwappt dichter, grüner Wald in einem Tal, jeder Seitenblick wir eine BBC-Doku.


Schnell fahren können wir freilich nicht: Noch immer besteht die Straße nur aus Rollsplit, entsprechend vorsichtig gehe ich in die Vertikale. Jetzt noch einen Platten haben, kurz vor dem Ziel ... nee, nicht dran denken! Nachher passiert das wirklich noch ...


Irgendwann ist der Schotterweg endlich zu ende. Die Straße taucht vor uns ab und wir schießen auf ein Dorf zu. Ich überhole Heiko in einer leichten Rechtskurve, Dorfeingang: Ich brülle "KOPFSTEIN!" und gehe sofort in die Eisen. Mit 60 km/h ballere ich auf das Pflaster, um eine Kurve und stehe - BOOM! - vor einer mindestens 40% steilen Rampe. Alter! Ich kann gar nicht so schnell vom großen Blatt runterschalten, hinter mir flucht Heiko. Damit hätte nun keiner gerechnet.

Wir kämpfen uns die 15 Meter hinauf, schlängeln uns durch die engen holprigen Gassen, dann, endlich, Ortsausgang: Unter uns liegen majestätisch wunderbare Serpentinen.


Ich gönne es mir und halte ein, zwei Mal an: Diesen Ausblick, den muss ich einfach einfangen! Ein so tolles Tal bekommt man selten zu sehen: Nicht zersiedelt, keine Ski-Schneisen und nur zwei kleine dünne Straßen. Urwald hier im Aran-Tal.

Die Serpentinen fahren sich göttlich: Bester Asphalt, kein Verkehr. Wir können von oben die Gegenserpentine einsehen und daher - es kommt kein Gegenverkehr - zum ersten Mal die Kurven so richtig schön schneiden. Ideallinie. Runterschießen, anbremsen, einlenken, beschleunigen, hochschalten - runterschießen.

So geht das Kurve um Kurve.
Noch 10 Kilometer wird das so sein.
Der Lohn des Bergfahrers. Göttlich!


Und doch, das Risiko fährt immer mit. Ich erinnere mich an den großen Stein, den ich bei der ersten Portilhon-Abfahrt heute morgen mitgenommen habe. Nur haarscharf hat mich die Physik - und nicht mein fahrerisches Können - vor dem sicheren Sturz bewahrt.

Würde ich hier stürzen und erwischte ich die falsche Seite - man würde meinen zerbrochenen Leib einige hundert Meter tiefer erst finden können. So schön der Ausblick auch ist - hier möchte ich nicht senkrecht in die Tiefe abfliegen!


So könnte das ewig weitergehen! Ein Traum von einer Abfahrt. So fies der Arres auch im Anstieg immer sein mag - so toll sind die geschlängelten Sträßchen, die wir nach unten ballern.
Doch wie bei allen schönen Dingen - irgendwann sind auch die einmal vorbei.

Und so dauert der Spaß keine 7 Minuten und wir erreichen einen Vorort von Vielha. Durch meine kurzen Fotostopps hat Heiko an Vorsprung gewonnen, langsam kurbelt er nur, er wartet auf mich. Zwei Streckenposten winken uns durch einen Kreisverkehr, dann hole ich Heiko ein - und wir sind auf Spur.


Endspurt!

Es war der Anstrengung noch nicht genug, nein, es muss noch einen drauf geben. Und so bläst uns eben jener Gegenwind unerbittlich ins Gesicht, der mich schon am Port de Balés beinahe vom Rennrad geholt hätte. Wir kommen kaum voran. Noch halte ich mich hinter Heiko. Aber ich erkenne - der ist leer. Fährt auf dem kleinen Blatt. Noch 6 Kilometer.

Ich gehe an die Spitze.

Optische Täuschungen

So spanne ich mich vor meinen Kameraden und gehe in Untenlenkerhaltung. 6 Kilometer. Das sind 6.000 Meter. Und jetzt schon nur noch 5.850 Meter. So zimmere ich mir meine Heile Rennradwelt zurecht.


Zum Kotzen, dieser Wind! Alter Schwede, ich muss auch aufs kleine Blatt. Wo ist nur dieser Gegenanstieg? Da stand doch was im Profil davon, dass es nach Vielha hin hoch geht? Nichts zu spüren.
So spanne ich mich ein und bolze los. Neben mir fließt der Fluss. Die Wellen sind mit mir. Ich folge dem Wasser. Es scheint schneller zu schäumen, als ich treten kann.

Ich bringe das Rad kaum über 20 km/h. Das darf doch nicht wahr sein! Scheiß Gegenwind!


Wir überholen zwei Radtouristen. Eine süße Dame aus Schottland, wenn man ihrem Trikot glauben darf. Ich rufe ihr Mut zu "Go, Scotland!"
"Yeah, thanks!", ruft sie zurück.

Und dann Heiko: "Wir sehen uns dann im Ziel!", er lässt abreißen.
Wasn los? Denke ich mir und bremse. Nee, mein Lieber, das machen wir schön zusammen! So spanne ich mich wieder vor ihn und gebe ihm Windschatten. Und doch: Dieser Scheiß Wind! Ich komme nicht über 20 km/h!

Aber alles denken, alles grübeln, alles fluchen hat ein Ende, als wir endlich die lange, große Einkaufsstraße erreichen. Ich juble, als ein Schild das Finish in 1.000 Metern ankündigt. Jetzt tritt es sich wie befreit: Zwar noch immer nicht mehr als 20, aber hey, noch eintausend Meter! Nur noch ein einziger, verdammter Kilometer!

Heiko ist lange hinter mir zurück geblieben. Aber jetzt, jetzt ist auch er fast da. Jetzt brauche ich nicht mehr zu warten. Ich nehme den letzten Kreisel. Musik polkt in meinen Ohren. Ein letztes mal aus dem Sattel. Ein letztes mal beschleunigen, Rechtskurve und dann ... dann ... da ist er, der Zielbogen! Mir kommen fast die Tränen, als ich das Piepen meines Transponders höre und über die Induktionsmatte fahre.


Bremsen. Ausrollen. Ausklicken.
Val d´Aran Cycling Tour 2012. Geschafft.

Da stehen sie, die Zuschauer - nicht viele - aber die, die da stehen, klatschen aufrichtig. Rufen mir Mut zu, jubeln fast. "I am Titanium", dröhnt es aus den Boxen. Keith, der amerikanische Moderator, fängt mich ab: "And here he comes, our german finisher ... congratulations, well done, Lars ... tell us about your feelings ..."

Mikro vor der Nase.


"Uhm...", beginne ich, noch immer ganz außer Atem: "Very hard race ... so hard ... nice ascents and wild deescents as well ... congrats to all finishers and thanks to all who made this work ... it´s great to be here ..." und noch mehr solcher Floskeln blubbern aus mir raus.

Dann rollt Heiko hinter mir ein. Wir klatschen ab. Wir schlagen uns auf die Schultern. Wir stellen die Räder ab. Und wieder: Helfer sind sofort zur Stelle, bieten uns kalte Coke, Saft und diesen unfassbar leckeren Apfelkuchen an. Ich kann es gar nicht fassen. Meine Knie zittern. Es ist wie im Traum.

Finishing Val d´Aran Cycling Tour

Sie nehmen mir mein Handy aus der Hand, machen Fottos von uns.
"50 are already in", sagt Keith.

Oha. 50 von 64 sind da. Na denn ...


Ich hocke mich an die Brüstung und warte. Flow kommt einige Minuten später rein. Auch ihm steht das erlösende Grinsen im Gesicht. Auch bei ihm verdientermaßen. Auch ihm steht es sehr gut.

Er reißt die Arme in die Luft so, als interessiere die (fast) vorletzte Platz nicht. Und Recht hat er! Der interessiert hier auch nicht. Niemanden interessiert das jetzt: Alle, die dieses Martyrium gemeistert haben, sind heute Sieger. Na hey, 3.600 Höhenmeter auf 140 Kilometer, bei dem Wind, bei dieser Sonne - das war eine ausgewachsene Bergetappe der Tour de France!


Als wir alle drei zusammen sind, hängen wir in der Sonne herum. Sprechen kaum. Trinken uns den Durst aus dem Magen, stopfen ihn voll mit Bananen, Sandwiches und Apfelkuchen. Wir applaudieren jedem, der nach uns rein kommt. Wir jubeln und freuen uns mit allen, die das hier heute schaffen.

Was für ein fantastisches Rennen!


Flow ist stolz wie Oskar, und das kann er auch sein. 93 Kilo, wie viel davon runter müssen, verrät er uns nicht. Und dann so eine Etappe! Kaum Training in den Beinen und dann mal schnell 4 Berge und davon einen HC-Riesen.
Alle Achtung!

"Respekt, wie Du mich zum Schluss gezogen hast!", meint Heiko anerkennend und nickt mir zu: "Und das bergauf!" Wie, bergauf? Ach so, wo war denn nun der Anstieg? "Anstieg? Bist Du doof? Das ging doch dermaßen bergauf nach dem Arres! Haste das nicht bemerkt?"


Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Ich bildete mir die ganze Zeit ein, dass der Fluss neben mir mit mir bergab fließen würde. Das Gehirn hat daraufhin den Anstieg - 3, 4%, für mich glatt gebügelt. Das war ja genau der Stich, den wir kurz nach dem Start aus Vielha rausgefahren sind - und da gings ja schon fett bergab.

Wahnsinn, was so eine optische Täuschung alles machen kann ...

So sitzen wir da und genießen noch ein wenig die Sonne. Unseren Ruhm. Und das Glück, dass wir heute wieder hatten: Bestes Wetter (naja, wir tragen ja auch ein Solar-Trikot!), keine Panne und keinen Sturz. Alles gut über die Bühne gegangen. Alle gefinished.

Und dazu noch ich: Mit Startnummer 1 beim ersten Rennen hier überhaupt. Perfekter Tag!


"Also, vom Fertigkeitsfaktor her war bisher noch nichts so krass, wie das hier!", zieht Heiko das Resümee. Naja, denke ich mir, das sagen wir aber auch nach jedem Rennen. Aber vielleicht ist das der Charakter dieser Saison: Jedes Rennen führt uns noch mehr an die Grenzen und vielleicht auch darüber hinaus. Wie heißt es beim Team SunClass Solarmodule für die Saison 2012 so schön? "With full force!". Und genau das bekommen wir hier heute.

Wieder was gelernt.

Also wieder was gelernt hier. Zum Einen, dass die spanischen Lokalmatadore hier das Rennen nach Belieben kontrolliert haben. Der Sieger, Oscar Sanchis, wird das Rennen mit einem unglaublichen 29er-Schnitt in 4:56 Stunden beendet haben. Der Zweitplatzierte, so erzählt mir Keith bei der Siegerehrung, ist ein 17-jähriger aus seiner Sprachschulklasse, der noch vor dem Rennen meinte, er können nicht so schnell fahren, weil er verletzt sei. Der Junge ist "verletzt" nur 3 Minuten langsamer, als der Gewinner.


Ich lerne auch, das Bergfahren nicht gleich Bergfahren ist: Habe ich den Stelvio vor 2 Wochen noch so sicher und so locker-schmocker mit einem 145er Puls nehmen können, hat mich der Port de Balés heute so kaputt gefahren, dass ich die beiden folgenden Steigungen nur mit Mühe und Not geschafft habe.

Den Dreiländergiro konnte ich noch mit 23,9 km/h Durchschnitt beendet - hier in Vielha steht am Ende eine glatte 20 unterm Strich. Sehr viel härter also heute. Das bestätigen auch die Herzwerte: Beim Giro schlägt mein Herz im Schnitt mit 147 Schlägen und kommt über die 168 maximale bpm nicht hinaus: Die Val d´Aran Cycling Tour bringt mich nahe an den Herzstillstand: 180er Puls maximal und im Schnitt bei 153 bpm sprechen eine deutliche Sprache.


So süß, als die 34-jährige Eva mit ihrer süßen Tochter die Qualifikationsurkunde für die UCI WCT Weltmeisterschaften in Südafrika entgegen nimmt. Die junge Dame kam mit 8:18 Stunden zwar weit nach uns ins Ziel, schlägt mit ihrem Charme und ihrem Lächeln uns drei aber allemal.

Die beste Dame (es gingen nur 2 an den Start) ist eine Amerikanerin. Sie fährt auf den 51gsten Platz und kommt damit genau einen Platz vor mir an. Vanessa Cooney finished nach 6:55 Stunden - 13 Minuten vor mir.

Das zum Thema ...


Na, was soll alles Reflektieren und Zahlengedrehe. Am Ende, so versichern wir uns, nachdem wir geduscht und eine Runde geruht haben (im TV wird gerade die Tour de France-Etappe zu Ende gefahren), wir haben eine Superleistung abgeliefert und sind ein Klasse Rennen gefahren.

Was ich von hier mitnehme

Was ich aus Spanien mitnehmen werde, ist vor allem diese herzerwärmende Gastfreundschaft. Dieses Lächeln in den Gesichtern, dieses unfassbar leckere Essen, dieses wunderschöne Pyrenäental - keine Spur von Krise - eine ganz besondere Erinnerung an ein ganz besonderes Wochenende. Einen vom Dreiländergiro noch einmal nachgebräunten Sonnenbrand - und viele, viele wunderbare Bilder in meinem Kopf.


Ah ja, natürlich, darf ja nicht fehlen: Heiko gönnt sich nach seinem Abschneiden am unteren Ende der Siegesliste des Rennens das einzig Richtige: Ein original Spanisches Rindersteak. Man hörte, es enthalte magische Kräfte ...


Und so kann ich nur jedem raten: Leute, fliegt nach Spanien!
Schaut Euch das Val d´Aran an, genießt diese tolle Athmosphäre, schaut Euch Frankreich an auf der anderen Seite, nehmt Euer Rennrad mit und fahrt einige der krassesten Tour-Pässe, die es gibt.

Es ist traumhaft hier!



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