14. August 2012

HU Sunrace 2012 - Krampf gegen die Uhr

Krasser Tag! Und zwar mit allem, was dazu gehört. Wie schon so oft in dieser Saison trete ich im Solar-Trikot der Equipe SunClass Solarmodule an - zusammen mit Flow sind wir beim Omnium-Wettbewerb des HU SUNRACE gemeldet.


Wir haben uns für das Paarzeitfahren und das 75 km-Straßenrennen akkreditiert und sind guter Dinge, als wir bei strahlendem Sonnenschein auf dem Gelände des HU SUNGATE, einer Solar-Genossenschaft, die als Hauptsponsor des Rennens auftritt, ankommen.

Sehr familiär hier alles, der RSC Kattenberg organisiert hier heuten einen Rennrad-Tag der Superlative: Neben dem Omnium gibt es noch die U15 und U10-Lizenzrennen sowie einen "Fette Reifen"-Wettbewerb für alle Knirpse.


Süß, die kleinen Radrennfahrer, wie sie auf ihren viel zu großen Maschinen alles geben. Und noch süßer, wie die kleinen Heringe dann stolz wie Oskar auf dem Treppchen stehen. "Los, Frosch!", feuern Flow und ich den Kleinsten an auf einem quakigrünen Rennrad.

Waffenschau - Zeitmaschinen mit Staun-Effekt

Immer mehr Zeitfahrer treffen ein: Und die Gartenpartyatmosphäre switcht schnell angesichts der Zeitfahrmaschinen, die sie hier auspacken, um zu einer stattlichen Waffenschau. Zwei, drei Scott Plasma, ein Canyon Speedmax, ein richtig schniekes Ridley und natürlich die wunderschönen Cervélo P3 in 2, 3 Farbvarianten, auch einige nicht gebrandete, extreme TT-Konstruktionen werden da aufgereiht.

Flow bekommt das alles nicht mit: Pre-Race-Chillout.


Sie montieren Cosmic Carbones (mindestens), HEDs oder Tri-max, allenthalben glänzen auch mal Vollcarbonscheiben, gerne die eine oder andere Leightweight in der Sonne auf. Schlauch-Slicks werden auf über 9 bar getrieben: Aerosuits stretchen sich auf muskulöse Schenkel ... Flow und ich schauen uns nur an.

"Noch ne Banane?", fragt er.
"Nee." Ich gehe und hole mir die zweite Bratwurst.

Ich kenne das ja schon: Beim Zeitfahren der ersten Etappe des Rothaus Riderman 2011 hatte ich zum ersten mal das Vergnügen, mit meinem Cervélo R3 gegen diese hochgezüchteten Aero-Boliden anzutreten. Und dass diese mich in Grund und Boden fahren, weiß ich schon.

Eigentlich liegen zu Hause ja auch Zeitfahraufsätze im Ersatzteillager, die bei meinen Testausfahrten schon eine Menge gebracht haben, aber ich habe diese nicht mit: Ich halte den Kurs hier heute für zu kurvig, als dass ich die Tria-Aufsätze sinnvoll würde einsetzen können. Was sich als Trugschluss herausstellen wird.

12:39 Uhr ist unsere Startzeit. Kurz vorher fahre ich den 4,7 km langen Kurs noch einmal zum Warmwerden ab: Tatsächlich - super windig ist es heute, sehr viele 90-Grad-Kurven, teilweise mit Verkehrsinseln, einige Stellen mit Glas und Zuckersand garniert. Vollgasstrecke? Geht so ... denke ich mir.

Verwirrung am Start

Als wir und einreihen schauen wir den Durchkommenden, die schon auf der Strecke sind, zu. Wahnsinn, dieses Geräusch, wenn eine Carbonscheibe mit 50 km/h an einem vorbeigebollert kommt!

Ein Zeitfahr-Pärchen kommt gerade vom Einrollen zurück und will die Rennstrecke überqueren - einer sieht die Heranrauschenden nicht: Notbremsung! Gerade so kann Einer dem Anderen ausweichen. Alles brüllt, die Veranstalter toben: "Disqualifizieren!", rufen ein paar.
Der Verursacher deutet auf seinen Zeitfahrhelm: Nix gehört.

Phuh! Schrecksekunde!


Hinter uns reiht sich ein weiteres Pärchen ein: "Sagt mal, wie viele Runden sind denn das nun?"
Ich antworte: "Das sind 3 Runden."
Er grinst mich an. "Nee, bestimmt nicht!"
Von der Seite einer der Betreuer: "Sieben Runden, Jungs, es sind sieben."


Flow und ich gucken uns an - äh - sieben Runden? SIEBEN? Mir war die ganze Zeit wie drei. Also 15 km Zeitfahren - 75 km Straßenrennen. Ich schüttle den Kopf. Nee, im Ernst? 7 Runden? Flow, der sich grundsätzlich nicht vor den Rennen informiert, steht mit offenem Mund da. Vor uns schicken sie die Gruppe auf den Kurs.


Oh man! Ich spurte los zu unseren Rucksäcken und hole die Wasserflaschen: Wir hatten die glorreiche Idee, ohne Flüssigkeit auf die 15 km zu gehen. Bei 35 km sieht das aber schon ganz anders aus. Dann klicken wir ein. Hinten halten sie unsere Räder. "Scheiße!", denke ich nur! Scheiße, 35 Kilometer ... dann bekomme ich auch schon einen Schubser und bin auf der Strecke.

Zeitfahren beim HU SUNRACE

Ursprünglich wollten wir die erste Runde bei 60% angehen, dann etwas aufdrehen und die dritte und letzte Runde Vollgas. Nun ist diese Strategie natürlich dahin. Ich bin an der Spitze und trete rein: 45 km/h, Puls 180. Scheiße! Am Anschlag, keine 500 Meter gefahren.

Die erste Kurve nach Start/Ziel genommen, dann eine weitere Linkskurve und es folgt das erste längere Geradeausstück. Flow setzt sich vor mir und zieht weiter an. Vor uns zwei Paare - geduckt auf ihren Zeitfahrmaschinen - keine Chance, da ranzukommen!



Sie sausen vor uns in die 90-Grad-Kurve, nehmen nicht mal die Hände vom Zeitfahrlenker. Wow! Das ist Radbeherrschung pur. Nun sind wir auch durch die Kurve, Flow zieht an, noch immer Rückenwind, wieder ein Kilometer geradeaus: 43 km/h.

Dann kommt das Geschlängel: Linkskurve. Gegenwind! Luft steckt in meinem Mund, wir werden sofort von 40 auf 24 km/h abgebremst. Es geht leicht bergan. "Links!", brüllt einer neben mir. Schon sausen zwei TT-Bikes an mir vorbei. Ich kann kurz die Tropfenhelme von hinten sehen. Schon ziehen sie davon. Flow versucht, in ihren Windschatten zu kommen - keine Chance!

Ich gehe vor ihn, ziehe die zweite Hälfte des Gegenwind-Stücks. Kurz vor der Start/Zielgeraden geht Flow wieder nach vorn. 7:21 min steht auf dem Garmin für die erste Runde.

Mein Puls hämmert bei 178 weiter im tiefroten Bereich. Gleich werde ich Blut spucken ...

Krampf gegen die Uhr

"... lange ... halte ... ich ... das ... nicht ...", geht es mir so durch den Kopf, da fliegen wir schon zum zweiten Mal über die Ziellinie. Wieder setze ich mich an die Spitze und ziehe Flow durch die beiden Linkskurven, dann 80 % des ersten langen Geradeausstückes. Kurz vor der Kuve geht er wieder nach vorn, um das zweite lange Geradeausstück zu machen.

LodlodlodldolLODLODLODL! - bollern wieder zwei, drei Paare an uns vorbei. Unglaublich, wie extrem die auf diesen Rahmen hocken, krass, wie wenig sich der Körper bewegt - nur die Beine wirbeln und sehen dabei so viel entspannter aus, als wir.


Vorne eiert Flow im Wind wilde Schlangenlinien herum. Während sie an uns wie präzise Fernlenkwaffen vorbeizischen.

Dritte Runde - ich bin am Arsch!
Vierte Runde - was war das denn? Gar nichts mitbekommen?
Fünfte Runde - hier werde ich heute nicht heil rauskommen ...
Sechste Runde - Krampf! Meine rechte Wade krampft, sofort geht Flow nach vorn, ich kann mich etwas ausruhen.

Die Sechste Runde wird unser Meisterstück.

... die kriegen wir!
 
Vor uns, 400, 500 Meter entfernt, zieht ein Paar seine Bahn. Er und sie. Wahrscheinlich deshalb so "langsam". Flow und ich arbeiten uns Meter für Meter an sie heran: "... holen wir uns ... auf der ... Zielgerade!", rufe ich ihm zu, als ich an die Spitze gehe.

Langsam saugen wir uns an die beiden heran. Hinten fährt sie - normales Rennrad ohne Aufsätze, wie wir - vorn ihr Freund, Zeitfahrmaschine, Zeitfahrhelm. Er wartet immer mal, gibt ihr Windschatten.
Durch das Geschlängel halten wir gebührend Abstand. Dann, eine Kurve vor der Zielgerade, setze ich zum Überholvorgang an, wir ziehen an ihnen vorbei.


Ihr "Freund" entpuppt sich beim Seitenblick als Dame. Ooops, Sorry.

Als wir vorbei sind, geht Flow nach vorn, letzte Linkskurve, Zielgerade.

"Letzte Runde ...!", ruft er. Ich gehe neben ihn, atme schwer, es steht eine 179 auf dem Pulsmesser, egal, die Ziellinie rück näher. Ich höre auf zu treten, sie klatschen, ich reiße meine Hände hoch, endlich! Was für eine Pein, ausrollen.

Zischhhhh - das Pärchen schießt an uns vorbei, zieht davon.

Ich gucke auf das Garmin.

Scheiße!

Wir müssen noch eine Runde!

Wieder in Untenlenkerhaltung. Wieder runterschalten. Flow kommt aus dem Lachen nicht heraus. Ich kann nur meinen Kopf schütteln. Man man man, einfach mal nur bis sieben zählen!

Wieder erreichen wir Höchstspeed - vor uns das Pärchen ist entschwunden. Wieder krampft es alle paar hundert Meter. Flow zieht geduldig. Die Geradeausstücke reiten wir ab, im Geschlängel nervt der Gegenwind so sehr, dass ich ausnahmsweise Flow auch hier ziehen lasse. Der scheint heute irgendwie wieder am Zaubertrunk genippt zu haben.


Letzte Kurven. Nach siebeneinhalb Minuten wieder auf Start/Ziel - nun kann ich auch das Letzte rausholen. Gehe an die Spitze, trete rein. Gebe alles. Krampf! Egal, Schnauze! Und dann ... endlich ... rausnehmen. Und nun aber wirklich!

Das Cooldown fährt Flow auf dem Parkplatz, ich lasse locker ausrollen.
Mein Puls braucht ein paar Minuten, um auf unter 170 zu kommen.

Am Ende werden wir mit 52:05 min den dreißgsten Rang von 56 Start-Paaren geschafft haben. Ein überraschend gutes Ergebnis. Aber angesichts der Tatsache, dass wir ganze 10 Minuten langsamer als die Gewinner sind - und damit pro Runde fast 1:30 min verlieren, führt mir mal wieder sehr plastisch vor Augen, welchen Vorteil wirklich gute Aerodynamik und das richtige Material beim Zeitfahren wirklich bringen. (Und Training, natürlich)

Omnium? Oh, no!

Klar, die Zeitfahr-Cracks, die hier am Start sind, trainieren auch ganz anders und angesichts der Schenkelumfänge fahren die mich sicherlich auch mit meiner Mutters Ömmelrad in Grund und Boden, aber einmal mehr habe ich Blut geleckt an dieser spannenden, sehr anspruchsvollen und genialen Disziplin.

Tja, Cervélo ... Ihr habt da doch so ein tolles P5 im Programm? Man darf ja noch träumen ...

Nachdem ich mich - unter Krämpfen - dann endlich wieder ins Gras habe fallen lassen können, steht nach diesem 35-Kilometer-Zeitfahren für mich allerdings fest, dass ich das Straßenrennen (selber Kurs, 16 Runden) nicht mehr würde fahren können.


Für heute bin ich leer gebrannt.

In 2 Wochen steht der Ötztaler an. Und da muss ich mich nicht vorher komplett dicht fahren.
Die 32 km nach Hamburg zurück radeln wir gemütlich bei - na klar - Gegenwind. Schnackend schwärmen wir vom Carbonbollern der Zeitfahrboliden ...



 P.S. - Frosch ist Vierter seiner AK geworden.




Hier gibts die Garmin-Daten.
Und hier der offizielle Rennbericht des Teams SunClass Solarmodule.
Einige Fotos mit freundlicher Genehmigung des HU-SUNRACE.

Habt Ihr schon an Timetrials teilngenommen? Was denkt Ihr über die Vorteile einer Zeitfahrmaschine bei diesen Wettbewerben? Ich freue mich auf Eure Comments.

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