3. Mai 2012

Waseberg, 22587 Hamburg

Es gibt viele legendäre Orte des Radrennsportes, deren Image ein mythisches ist: Da wäre der Mont Ventoux, der Tourmalet, da sind die Pavés von Paris-Roubaix, ein Stelvio nicht zu vergessen und noch unzählige weitere mehr.

Orte, die Qualen und Leiden bedeuten, Schauplätze großartiger Kämpfe großer Sportler, Steigungen und Abfahrten, an denen über Siege und Niederlagen entschieden wurde - Verortungen einer Sportart, die wie kaum eine zweite von der Verbindung aus Mythos und der Chance des Erfahrens dieser für den Jedermann lebt.

Mythos im Kleinen - der Waseberg in Hamburg

Nun, auch wenn ich Tourmalet und Co schon kenne und den Stelvio später in diesem Jahr noch kennenlernen werde, zieht es mich immer wieder an einen Ort gleich hier bei uns in Hamburgs guter Stube: Zum Waseberg in Blankenese.



Es ist das (korrigiert mich, wenn ich falsch liebe) steilste Stück Asphalt, das sich in bequemer Reichweite befindet und nicht zuletzt seiner Rolle beim Profirennen der Cyclassics wegen - die Jungs müssen hier drei mal rüber - eine Straße, die zumindest einen Hauch von Radrennsportmythos bietet.

Wie gesagt: Erfahrbar für Jedermann.

Die Muur von Hamburg - eine kleine Analyse

Ich liebe Strecken- und Steigungsprofile. Vor jedem meiner Rennen studiere ich diese genau, versuche Schlüsselstellen zu identifizieren, bereite mich auf diese vor und schütze mich vor Überraschungen. So ein Profil verrät eine Menge, wie man sich die Kräfte einzuteilen hat, wo man Attacken zu erwarten hätte und - gegebenenfalls sogar - selbst angreifen könnte.

Der Waseberg ist da anders.


Das Profil des Wasebergs scheint einfach erklärt: Es geht einfach nur geradeaus geradewegs ganz schön steil nach oben.

Es sind 600 Meter bei 16%. (Ich glaube, es sind mehr Prozent, aber das könnte ja mal jemand genau ausmessen). Steht man unten am Fuße der Steigung, so türmt sich vor einem im wahrsten Sinne des Wortes eine Rampe in den Himmel auf: Umringt von dichtem, dunklen Laubwald, der nur jetzt, im Frühling durch das frisch sprießende Grün einigermaßen verlockend und gnädig aussieht, klafft am Ende eines schwarzen Tunnels, ganz weit weg, fern oben, einem Himmelstore gleich, das Ziel.

Dazwischen liegt pure Anstrengung

Die Technik

Den Waseberg zu bezwingen heißt zunächst, keine Angst vor ihm zu haben. Dennoch respektvoll begibt sich der Sportler auf einem vorzugsweise 27 Zähne großen Ritzel locker kurbelnd in die Vertikale. Eines muss ihm klar sein: Ist er erst einmal unterwegs, muss er auch oben ankommen.

Ausklicken, anhalten und verschnaufen - um dann weiterzufahren - sind hier unmöglich!


Es geht sofort mit 16% los. Der extrem schlechte, löchrige und huckelige Asphalt erschweren das Steuern. Die Vertikale martert das Hirn, Venen an Waden und Armen treten sogleich hervor. Bisweilen quittiert das Rennrad allzu ambitionierte Antritte mit einem Heber: Beste Chancen um ins Schlenkern zu geraten. Locker bleiben!

Bei Nässe droht - vor allem auf den Streckenteilen, bei denen der Asphalt vollkommen erodiert ist und die darunter liegenden Pflastersteine den Belag bilden - ein Durchdrehen des Hinterrades. Oft schon ist mir dabei vollkommen überraschend die Kurbel durchgegangen: Beste Chancen, um ins Schlenkern zu geraten. Also die Pflasterstellen meiden!

Nach dem ersten Drittel unterquert man eine Fußgängerbrücke - für zwei, drei Meter wird es "flacher". In homöopathischer Dosis. Nicht einlullen lassen! Sogleich zieht der Gradient wieder erbarmungslos an.


Nach der Brücke beginnt das Leiden: Der sichere Fixpunkt liegt hinter einem und doch liegt das helle Ziel da oben noch so weit weg. Der geneigte Radsportler mag versucht sein, in den Wiegetritt zu gehen und sich hochzustemmen. Sicher, das kann man machen - wenn man nur ein mal diese Steigung bezwingen möchte.

Wer den Waseberg mehrmals fahren will, dem sei geraten, bis zum Laternenpfahl zu warten. Denn dort zieht auf den letzten 30, 40 Metern die Steigung noch einmal mächtig an.

Endlich oben?!

Ich schätze auf dem Endstück den Gradienten auf 17, vielleicht sogar 18%. Man kann hier im Sitzen hochfahren. Sicher. Das aber sehr langsam und auch nur, wenn kein Gegen- oder schlimmer noch, Rückenverkehr stören. Wer sich hier hochstehen will, sollte das Rad fest im Griff haben und weit vorne übergebeugt den Wiegetritt beherrschen. Ausklicken ist hier gefährlich!


Apropos Verkehr: Der Waseberg ist eine Busstrecke. Generell nehmen die Busfahrer Rücksicht, aber es hat etwas Beängstigendes, bei 6,6 km/h in der Vertikalen einen 300 PS-Bus nur einen Meter hinter einen zu wissen: Dreht man sich kurz um, kann man einem grimmigen Busfahrer und genervten Fahrgästen direkt ins Gesicht blicken.

Schlimmer aber ist es, wenn der Bus vor einem ist: Von stickig-fettem Dieselqualm mal abgesehen, befindet sich genau oben auf dem Waseberg eine Haltestelle. Wenn der Bus dort wartet, bis die Fahrgäste ein- oder ausgestiegen sind, kann man nur links an ihm vorbei - direkt in den Gegenverkehr. Denn wichtig: Ausklicken ist hier nicht!

Höhenmetersammeln und Bergtraining

Ich schätze den Waseberg ob seiner simplen, brutalen Ehrlichkeit: Fahre hoch! - das ist das Motto. "Schau mal, ob Du es schaffst" oder "Naja, wird schon" ist hier nicht. Wer sich in diese Wand begibt, der muss sie unweigerlich bis oben hin durchziehen.


Leider haben wir in Hamburg keine alpinen Anstiege oder Steigungen, die eine Simulation dieser zuließen. Mein Rennkalender, vor allem der dieses Jahres, zwingt mich aber zum Sammeln von Höhenmetern und dem Trainieren von Rennhärte im oberen zweistelligen 10er-Bereich.


Also habe ich Elb d´Huez erfunden (naja, erfunden ...).

Ich fahre den Waseberg, anschließend den auch sehr steilen Anstieg über die Richard-Dehmel-Straße hinab zur Shell-Tanke und dann den Kösterberg hinauf (vorbei an Teamwagen von NetApp) bis zur Falkensteiner Schlucht. Hier geht es rasant bergab auf fast Null. Das sind etwas mehr als 90 Höhenmeter pro Runde.

Und dann wieder den Waseberg hoch.

Das ganze 13 mal - und man hat etwas mehr als 1.000 Höhenmeter in den Carbonsohlen.

Am Tag der Arbeit, dem ersten Mai, wage ich das Double: Ich setze mir das Ziel, zwei Elb d´Huez-Runden zu drehen und, wenn es "ganz gut laufen würde", vielleicht sogar noch etwas mehr, nämlich die 2.000 Höhenmeter zu schaffen.

Zwanzig mal Waseberg

Es läuft hervorragend: Ich lasse mich nur drei mal zu einem Waseberg-Sprint hinreißen. Ich hasse es, überholt zu werden und auch wenn die Waden brennen, als erster oben anzukommen ist nunmal ein tolles Gefühl ...

Die ersten 10 mal Waseberg fahre ich ausschließlich im Sitzen. Ich kurble sehr sehr langsam (zur Freude aller Blankeneser Cayenne-Fahrer) mit 6, 7 km/h die Steigung hinan und trete mich den Kösterberg sogar auf dem großen Blatt hoch.


Die 10 Minuten Bockwurstpause an der Tanke nutze ich zum Entspannen. Dann folgen die nächsten 10 mal. Es wird schwerer, allerdings schwanken die Rundenzeiten eher wegen der sich immer weiter verschärfenden Verkehrssituation an Waseberg und Falkenstein. Das Wetter ist so herrlich, dass sich unten am Strand wohl an die geschätzte dreitausend Menschen vergnügen: Entsprechend chaotisch die Spaziergängerkinderhundefahrradskater-Situation und umso gefährlicher die Abfahrt über den Falkenstein.

Nachdem ich nur 3 mal knapp einem Frontalaufprall (jeweils auf SUV, Hund und Spaziergänger) entgehen konnte und endlich die 20ste Runde schaffe, beschließe ich, dass 1.600 Höhenmeter am Waseberg auch schonmal aller Ehren wert sind und vertage die 2.000 auf ein anderes mal.

Kleiner Mythos Waseberg: Für mich bist du ein ganz Großer!



.
Die Garmin-Daten des Elb d´Huez-Doubles.

Die Fotos sind während des Drehs zur Rad am Ring-Doku PUNCHLINE entstanden - hier gehts zum Trailer.

Kennt Ihr in Hamburg ähnlich steile Anstiege? Wie trainiert Ihr Höhenhärte im Flachland? Ich freue mich auf Eure Comments. P.S. - Vielleicht mag der Eine oder Andere hier auch mal mitkommen?

3 Kommentare:

  1. Schöner Bericht. :) Trailer Link geht nicht :(

    AntwortenLöschen
  2. Ah, ich wollte schon fragen, wie du / wer für dich die Fotos gemacht hast.

    So richtig hart wird eine 20er Runde wohl dann, wenn man die Bockwurst bei jedee Runde isst. ;-)

    All you can eat. Bereitet auch auf die ganzen Würstelhändler am Stilfserjochvor. ;-)

    AntwortenLöschen
  3. hi meerblickzimmer & torsten.

    der trailer-link geht wieder. sry.

    sone bockwurst-session wäre wirklich mal ne idee :o)

    AntwortenLöschen