Tief "Cooper" hat Europa fest im Griff und so ächzt auch Hamburg unter nächtlichen Tiefsttemperaturen von bis zu minus 17 Grad - tagsüber wird es trotz strahleblauem Himmel und einer fantastischen Strahlesonne nicht wärmer als minus 4, 5 Grad.
Zeit für Helden. Oder für Verrückte - je nachdem, wie man es sehen mag.
Da ich meinen ursprünglichen Trainingsplan für den Barcelona Marathon nicht wirklich so umsetzen kann, wie ich wollte (ich laufe nur noch am Wochenende und auch nicht mehr zwischendurch die Kurzstrecken), bin ich auf diesen einen einzigen Lauf pro Woche angewiesen.
Und heute wieder raus???
Das Training bisher
In den letzten 10 Wochen habe ich in schöner Regelmäßigkeit 10 Halbmarathons absolviert. Mehr oder weniger. Mal waren es nur 19 Kilometer, mal über 22 Kilometer - aber immer so um den Dreh herum.
Komm ich heim nach den Läufen, kann ich meist nur einen Satz sagen: "Ich weiß nicht, wie ich 42 Kilometer schafen soll!" ... und plumpse in die heiße Wanne, um geschundene Waden und Knie einzuweichen.
Besonders spaßig wird es jetzt, da Winter ist. Die tiefen Temperaturen sind ein zusätzlich erschwerender Faktor und wirken bisweilen auch demotivierend. Und doch: Der letzte Halbmarathon war mein schnellster. Bei minus 3 Grad.
Vergleiche ich die 10 Läufe stelle ich fest, dass ich in und um die 6er Pace laufe, mal mehr, mal weniger. Das finde ich okay: Ich bin kein Läufer und will auch keiner werden, mit einer 6er Pace im Ziel anzukommen beim großen Lauf, wäre Klasse.
Viel interessanter finde ich, dass ich es über die 10 Läufe gelernt habe, mich besser einzuteilen: Flachen bei den ersten Läufen die Pace-Kurven noch stark zum Ende hin ab, kann ich jetzt relativ ausgeglichen das Tempo halten. Früher war ich anfangs zu schnell unterwegs, musste zum Schluss hin viel rausnehmen.
Heute laufe ich viel konstanter. Anfangs bewusst langsamer, wenn ich noch frisch bin und konserviere mir Kräfte für den Schluss.
Am Ende heißt das mittlerweile, dass ich weniger abgekämpft und fertig nach Hause komme. Mich besser fühle, frischer. Auch sind die Rekonvaleszenzperioden kürzer. Brauchte ich bei den ersten Läufen noch 2, 3 Tage, um wieder normal gehen zu können, erhole ich mich jetzt fast komplett über Nacht und bin am nächsten Morgen beschwerdefrei.
Meine Trainingsmethodik, nur einen Lauf pro Woche zu haben, funktioniert also.
Der Sprung von 20 auf 30 kmHeute steht er also an, der Sprung von Halb- auf Dreiviertelmarathon. "Verrückt" nennen mich einige, die von diesem Plan wissen. Auch ohne Kälte ein riskantes Vorhaben: Trainingsumfänge sollten im Allgemeinen um nicht mehr als 10% auf einmal gesteigert werden.
Ich packe heute 30% drauf.
Als ich mich fertig mache, scheint die Sonne wie wild und klirrekalte Eiskristalle verschönern die Fenster. Der Schnee auf meinem Balkon knirscht unter den Sohlen meiner Turnschuhe, als ich meine Klamotten teste: Nicht weniger als 7 Schichten oben und 2 Schichten unten sollen die Kälte fernhalten.
"Brrrrrr..." ist das kalt!
Aussetzen kann ich nicht. Würde ich heute nicht laufen, verlör ich wertvolle Trainingszeit: Immerhin steht in 6 Wochenenden schon Barcelona an! Nur noch 6 mal probieren, bis es ernst wird!
Ich trage eine dicke Schicht Melkfett auf mein Gesicht auf - das Fett soll die Kälte fern halten. Ebenso halte ich es mit meinen Beinen (Knie vor allem). In meinen Taschen warten 2 EnergyGels auf ihren Einsatz, das Garmin Edge wird hoffentlich nicht einfrieren, was ebenso für meine Trinkflasche gilt.
Erst in den letzten Läufen habe ich gelernt, mich durch die Mitnahme von Musik und vor allem einer prall mit EnergyDrink gefüllten Flasche zu motivieren: Die MP3-Jogger waren mir immer zuwider. Als ich dann aber meinen ersten Lauf bei einem angenehmen House-Set von Nick Warren ausprobiert hatte, merkte ich schnell, wie sehr mir die Musik hilft, abzuschalten, die (negativen) Gedanken durch positives Denken und Schwelgen in Rhythmus zu verdrängen.
Dass ich nun auch unterwegs trinke, dankt mir mein Körper sofort - die Zeiten der beiden letzten Halbmarathons (die ich mit Trinkflasche gelaufen bin) sprechen für sich.
Und so bin ich guter Dinge, als ich mich anziehe - die Sonne tut ihr übriges.
Ich trete raus.
Alles in mir schreit "Umkehren!".
Und laufe los.
Der 3Quartherthon
Heute sollen es also 30 Kilometer werden. Na hossa, denke ich, als mir vor der Haustür sogleich beißend kalte Klirrekälte zwischen die atmungsaktiven Maschen der beiden Laufhosen fährt. Schnell bewegen! Reibungshitze produzieren! Und vor allem: Raus aus dem Schatten!
Ich laufe bewusst sehr viel langsamer, als beim Halbmarathon. Mein Garmin Edge zeigt 7,6 bis 7 km/h an - sonst sinds 9 bis 10 km/h.
Nach wenigen Metern bin ich warm gelaufen. Das erste Teilstück von Eimsbüttel zur Alster laufe ich locker. Ich fühle mich prächtig! Die Außenalster ist - Überraschung! - voller Läufer, was mich freut, denn allein macht das hier nun wirklich nicht Spaß. Witzig, wie wir dürre eingekleideten Hobbyläufer uns um die dick eingepackten Spaziergänger schlängeln - dabei staunende Blicke und manch Kopfschütteln ernten.
Die erste und die zweite Alsterrunde laufe ich ohne Probleme.
Hart wirds auf der dritten Runde ab Fernsicht - jetzt heißt es beißen! Und ich beiße mich durch, rettende Gedanken an die heiße Wanne, die daheim auf mich wartet, hämmere ich mir gegen die Waden- und Knieschmerzen immer wieder ins Bewusstsein. Dann endlich! Die dritte Runde ist vollbracht - da hinten, zum Fernsehturm. Dann nur noch bis Schlump und dann, dann sehe ich das Atelco-Hochhaus. Und bin schon wieder daheim.
3:11 Stunden brauche ich für nicht ganz 30 Kilometer.
6:52er Pace.
Ich bin zufrieden.
Vergleiche ich die Zwischenzeiten dieses ersten 3Quarterthon mit meinem letzten Halbmarathon vor einer Woche, so sehe ich, wie sehr konservierend ich gelaufen bin: Schon auf dem Run an die Alster bin ich 3 Minuten langsamer, als beim Halben. Die Alsterrunden - sonst niedrige 40er-Zeiten, bin ich heute 6 bis 7 Minuten langsamer gelaufen.
Aber hey: Ankommen war das Ziel. Und obwohl es mich schon etwas wurmt, dass ich "nur" 28,4 km anstelle der magischen 30 auf dem Display des Edge zu stehen habe, ziehe ich eine positive Bilanz.
Die Grundlage mit den Halbmarathons ist bestens. Kein Krampf trotz niedrigster Temperaturen, kein Seitenstechen oder sonstige Probleme. Und schon wenige Stunden nach dem Lauf sind Waden und Knie bis auf das wohlige Pumpen des warmen Blutes in den Adern beschwerefrei.
Barcelona, ich komme. 13,8 km muss ich noch draufpacken, dann knacke ich dich!
Als ich nach dem Lauf in den Spiegel blicke, verstehe ich dann auch endlich, warum mich die ganzen Laute an der Alster so angeglotzt hatten ... es war nicht mein heldenhafter Einsatz, meine athletische Figur oder die modische Brille. Nein.
Der Rotz hängt mir gefroren im Bart, die Schweiß vom Kopf hat außen an der Mütze einen ansehnlichen Eispanzer gebildet. Ich sehe aus wie Arved Fuchs nach einer Arktis-Expedition.
Held oder Verrückt? Ich glaube, das eine geht ohne das andere sowieso nicht.
Hier gehts zum Garmin-Track
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen