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19. Juli 2011

Cervelo S5 - Carbonwaffe mit Suchtfaktor

Ich hatte schon länger spekuliert, na, sagen wir, gehofft, das sich Cervélo des genialen - aber dann doch schon etwas in die Jahre gekommenen - Aero-Klassikers S3 annehmen möge.

Warum? Das S3 galt und gilt nachwievor als Benchmark für alle Hersteller, die den Aero-Zug 2010 nicht verpassen wollten. Kaum ein White-Paper, kaum ein Test und kaum eine Website, die keine Referenz zum großen Vorbild S3 hergestellt hätte.

"Es war immer Cervélos Politik," so einer der beiden Gründer in einem Interview, "dass wir Dinge umsetzen, weil sie notwendig und sinnvoll sind und nicht, weil Marketingstrategen größeren Absatz prognotizieren." Dem mag man glauben oder nicht - Kritiker der Marke Cervélo halten ja von jeher dagegen, dass das Unternehmen keine eigene Produktion hätte und sowieso nur aus Entwicklern und Marketing bestünde.

Andererseits: Was will man als Kunde lieber? Ein Unternehmen, dessen Fokus auf Forschung und Entwicklung liegt oder eines, das viel Erfahrung in der Produktion hat?

Um mit einem, sehr deutschen, Vorurteil mal aufzuräumen: "Made in Taiwan" ist, was Carbon-Rahmen angeht, mittlerweile ein Qualitätsmerkmal. Die dort ansässige Industrie ist weit mehr, als Billigfertigung. Wenn also Cervélo mit einem guten Qualitätsmanagement sicher stellen kann, dass ein Kontraktor hochwertiges Material liefert, habe ich kein Problem damit.

Im Gegenteil - so kann sich Cervélo, laut eigenen Aussagen ja eine "Engeneering Company", auf das Entwickeln und Testen neuer Bikes konzentrieren. So wie aktuell beim S5. Echte Windkanaltests - keine 2-Stunden-Shootings. Echte Kooperationen, wie aktuell mit 3T oder Mavic, keine Komponenten-Deals.

Sicher, der Termin der Vorstellung des Bikes zur Tour de France ist clever gewählt, wann, wenn nicht zur TDF schauen die Leute zu? Die Erfolge von Thor Hushovd auf dem S5 tun ihr Übriges. Aber Cervélo hier "böse Marketingstrategien" zu unterstellen ... Leute, dieser Termin liegt so nahe, dass das im ABC beim Marketing-Grundstudium schon vorausgesetzt wird.

Was aber unterscheidet das S5 von einem S-Works Venge oder dem viel gerühmten Scott Foil?


Ehrlich Meinung von mir?

Es ist mir egal!

Darüber, ob Aero wirklich signifikante oder spürbare Vorteile bringt, lässt sich trefflich streiten. Da gibt es ja auch jede Menge Plattformen und Foren, wo dies leidenschaftlich und ausführlich getan wird. Da will und kann ich mich gar nicht einschalten.

Für mich als Cervelover sind diese Diskussionen zweitrangig: Ich werde den Rahmen nie auch nur ansatzweise an den Rand der Steifigkeitsgrenze bekommen, ich werde nie eine Soloflucht über 60 Kilometer mit einem 45er Schnitt antreten und ob ich bei einer RTF 1 Minute auf 40 Kilometer schneller bin als der Rest ... mal ehrlich, bei den RTFs bin ich eh schneller als die meisten Bierbauch-Daddies, und an den Boliden der RG Uni oder St. Pauli komme ich eh nicht vorbei. Ob mit oder ohne Aero.

Das entscheidet nicht über einen Kauf.

Das S5 ist für mich schlichtweg ... ein geiles Teil!

Es macht süchtig beim ersten Ansehen. Das Rahmendesign ist modern, ohne klassische Elemente zu verleugnen. Alle Entwicklungen (vor allem die Cervélo-eigenen wie BBRight oder Squoval) sind integriert, das Unterrohr, dessen scharfe Tropfenform, die beim Soloist schon super aussah, geht in ein Kamm-Profil über. Allein das Unterrohr hat einen Red Dot Design Award verdient!

Großartige Detaillösungen, wie der in das Unterrohr integrierte Gabelschaft-Ansatz, die Sitzstreben, die den Luftstrom um die Hinterradbremse leiten (sollen) und die Sattelstütze lassen mein Herz höher schlagen.

Der Paintjob ist bei Cervélo seit jeher ein Punkt, an dem sich die erhitzten Gemüter entzünden: Wer bunt will, soll sich ein Wilier oder ein Bianchi kaufen. Ich persönlich mag die einfachen Streifen und musste schmunzeln, als ich das S5 zum ersten mal sah: Die bei meinem R3 noch eckigen Stripes einfach etwas abgerundet, einfach etwas organischer auf den Rahmen aufzubringen, ist ebenso schlicht wie genial. Genau mein Ding.

Stellt sich mir jetzt nur noch die eine Frage: Wie zur Hölle kann ich nur der Versuchung widerstehen, mir ein Cervélo S5 zu kaufen?!?

Oder muss ich das gar nicht?


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11. Juli 2011

Nachdenken.

Ein Anruf heute macht mich nachdenklich.

"Swantje hatte einen Unfall. Beim Rannrad-Training." sagt mein Teamkollege Steven. Ich bin sprachlos. Rauschen im Handy. "Irgendwas mit der Wirbelsäule. Sie liegt in St. Georg."

Gestern habe ich mir nach der RTF, noch vollkommen im Endorfinrausch, die Tour de France-Etappe angesehen. Schwere Stürze. Winokurov mit Beckenbruch, wird von seinen Teamkollegen aus der Böschung zurück auf die Straße gehievt. Viele stürzen. Müssen aufgeben. Johnny Hoogerland fliegt im Salto in einen Stacheldrahtzaun.

Abgeschossen von einem Auto.

Nachdem ich aufgelegt habe, beschließe ich, sie zu besuchen. Ich laufe nur wenige Minuten ins Krankenhaus. Die sterilen Gerüche empfinde ich als beklemmend. Swanjee - Punktesammlerin beim German Cycling Cup in unserem SunClass-Team, immer witzig drauf, immer am Grinsen und feixen - sie liegt im Unterhemd im Bett. Leere Augen starren mich an. Sie versucht zu grinsen.

Abgeschossen von einem Auto.

Es war eine Trainingsausfahrt. "Knacke die 200 Kilometer" war das Motto. Einhundert Kilometer hatten sie schon. Eine rote Ampel trennt das Hauptfeld von Swanjee. Als sie wieder auf die Straße fährt, sieht sie weit entfernt ein Auto. Wenig später wird sie überfahren.

Helm.
Rechtsfahren.
Aufpassen.

Hat alles nichts geholfen.

Und jetzt liegt sie da. Wirbel gebrochen.
Um 1 mm am Rollstuhl vorbei.
Mir wird schlecht, als sie erzählt. Es bricht mir das Herz, sie so zu sehen.

Gestern, als Eurosport die Übertragung beendet und die selbsternannten Radsportexperten anfangen, auf SPON ihren halbgaren Saft über "Sicherheit" und Radsport abzulassen, unterhalte ich mich noch mit meiner Freundin.

Sage ihr, dass das Risiko zum Rennradfahren dazu gehört.
Sage Dinge wie: "Sie bekommen Geld dafür. Sie leben ihren Traum."
Und rege mich auf über unqualifiziert aufpoppende Rufe nach mehr Sicherheit bei Radrennen. Wie soll das gehen? Langsamer fahren?

Winokurov wurde gestern das Becken genagelt.
Wahrscheinlich zur selben Zeit haben sie Swanje den Wirbelknochen zusammen geflickt.

Ich fahre nach Hause.
Auf meinem Rennrad.

Langsamer als sonst. Stiller. Denke nach. Über Swanjee. Über den Scheiß, den sie noch vor sich hat. Wunden, die suppen. Schmerzen. Operationen. Reha. Vom Psychokram ganz abgesehen.

Und denke an all die roten Ampeln, die ich selbst missachte. Ans Vorbeischlängeln wenn Autos stehen und warten. An zu schnelles Treten. Daran, wie oft ich gedankenversunken im eigenen Speed schwelge, wo ich mich doch konzentrieren sollte. Daran, wie gefährlich und risikoreich ich fahre. Wie scheißegal mir mein Körper ist - sorge ich mich doch nur um den teuren Carbonrahmen.

Stelle das Rad ab.
Grübelnd.
Hänge den Helm an den Lenker.

Und wie scheiße: Wenn nicht morgen, dann doch übermorgen, oder selbst erst in einer Woche. Ich werde weiterhin rote Ampeln missachten. Autos schneiden. Risikoreich fahren. Egal, wie viele Becken bei Eurosport noch genagelt werden. Und wie viele Schläuche aus Swantje hängen.

Wie bescheuert, oder?



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Alpe d´Seevetal - mehr Höhe geht nicht?

Lange Rede - kurzer Sinn: Am Sonntag gab es wieder eine RTF zu bestreiten. Dieses Mal vom TV Meckelfeld ganz im Süden Hamburgs organisiert: Die Alpe d´Seevetal.

Das Motto ist ebenso attraktiv wie spannend: "Mehr Höhe geht nicht!" verkünden Sie lauthals in ihrem Logo. Ich bin gespannt.

Pünktlich kurz vor 8 Uhr - dass das Aufstehen eine Qual ist, muss ich nicht extra betonen - finden sich Jan und ich in beschaulichen Meckelfeld ein. Da stehen sie schon und klönen, an die 1.000 Rennradler mögen es schon sein, die sich hier heute eingefunden haben.

Wir akkreditieren uns, heften uns die Startnummern an und rollen gemütlich zum Start: Jan möchte heute 87 Kilometer fahren, ich nehme mir die 158 vor. Die Radmarathon-Strecke mit 201 Kilometer muss es dann doch nicht sein ...

Wieder einmal wundert mich das dann doch recht hohe Durchschnittsalter der Teilnehmer: Auffällig viele Grauhaarige - fit und durchtrainiert - finden sich im Startbereich am Rande eines Fußballfeldes ein.

Natürlich ist auch Waffenschau angesagt: Die neuesten Mavic Cosmic Carbon SLR-Systemlaufräder bei dem einen, ein niegelnagelneues Scott Addict RC und einige andere Highlights der verbundwerkstoffverarbeitenden Industrie rollen an die Startlinie.

Um 9 geben sie die Strecke frei - immer rund 30 Fahrer verlassen den Startbereich. Da sie bei mir alle recht langsam dahinrollen, gebe ich etwas Gas und kann schon nach den ersten Kurven einen komfortablen Vorsprung heraus fahren.

Dass ich diesen allein nicht werde halten können, ist mir klar - als ich aber vor mir die ersten Rennradler des vorhergehenden Startblockes anfange zu überholen, rechne ich mir berechtigte Chancen aus, den schnellen Kern vielleicht doch noch zu erreichen.

Was ich nicht schaffe: Etwa 5 der schnellsten meines Blockes holen mich ein. Dankbar ob des 38er-Schnittes integriere ich mich ins Gruppetto.

Als ich mit Führen dran bin, kann ich unsere Gruppe konstant bei 40 km/h halten. Stolz trete ich gegen den Wind an und bolze in Untenlenkerhaltung durch die Heide: Noch 150 Kilometer vor mir, aber ich gebe Vollgas. Egal!

"Reeechts!", brüllen sie hinter mir.
Ich aber schieße geradeaus. Als ich endlich abbremse und umdrehen kann (Schild übersehen), rollt schon das Peloton um die Kurve.

Mühsam arbeite ich mich von hinten das Feld nach vorn. Komme an Jan vorbei, der es ruhig im Mittelfeld angehen lässt.

"Na? Verfahren?", ruft er etwas schelmisch.
Ich nicke nur, beschleunige wieder und bin einige Minuten später wieder in der Führungsgruppe.

Als ich das nächste mal führe, brüllen sie "Liiinks!" und ich schieße wieder geradeaus. Verdammt, bin ich bescheuert?!?

Nach einigen Minuten kann ich mich wieder bei der Führungsgruppe einordnen, halte mich aber erstmal zurück. Allerdings: mir juckt es in den Beinen! Heute scheint einer guter Tag zu sein.
Ist es Übermut oder bin ich nach meiner Tour de France tatsächlich so fit?

Ich mache mir jetzt erst einmal keinen Kopf um Kilometer und Kondition und hänge mich an eine Gruppe St. Paulianer, die mit enormem Geschwindigkeitsüberschuss an unserem Feld vorbei ziehen.

RG St. Pauli und RG Uni sind bekannt für extrem hohes Tempo und hartes Fahren. Aber auch für Radbeherrschung und Disziplin. Heute fahre ich mal mit, denke ich mir und reihe mich ein ins Camouflage der Altonaer.

Es geht ab Meckelfeld stringent nach Süden. Angeblich haben sie hier alle Steigungen eingebaut, die das flache Norddeutschland so zu bieten hat und so reiten wir eine Welle nach der anderen ab. Harte Anstiege oder fiese Rampen sind das nicht - heute sammeln wir die Höhenmeter durchs Auf und Ab, nicht durch Berge, das ist mir klar.

Mitten im Pauli-Pulk fährt ein Herr auf einem alten Stahlross. Sein antiquierter Kopfschutz macht mich neugierig. Ich fahre neben ihn und frage: "Von wann ist denn dein ... Helm?"

"Ach", macht er und winkt lächelnd ab: "Das weiß ich gar nicht. Ich weiß nur noch, dass ich ihn 1978 mal zur Überholung hatte."

Stramme Waden und ein Wetter gegerbtes Gesicht sprechen für ihn - dieser Herr hier hat bestimmt noch die Epoche Merckx und Anquetil mitbekommen ... Chapeau! Er fährt den hohen Schnitt locker mit.

Irgendwann nach der ersten Verpflegung fahre ich wieder allein auf die Strecke: St. Pauli scheint auf Teamkollegen zu warten und da ich heute gute Beine habe, gehe ich halt solo on track.

Schnell sammle ich einen weiteren Stahlveteranen ein, zu erst gehen wir als 2er-Team in den Wind, nach einigen Kilometern sammeln wir einen mid-40er ein, der die Helmpflicht ignoriert, keine Startnummer hat und trotzdem die RTF mitnutzt. Was ihn auszeichnet: Waden, die so dick sind, wie ich.

Führt der ältere Herr, fahren wir mit 31 km/h.
Führe ich, bringen wir es auf immerhin 34 km/h.
Wenn der weiße Megamann vorn ist, fahren wir 40.

Wir bleiben zu dritt. Ob im Wind oder mit Rückenwind. Ob im Wald oder durch die schöne Heide bei Lüneburg - erst die einzige ernstzunehmende Rampe, ich schätze, sie hat 9 Prozent, kann unser Grupetto aus einander reißen.

Bis zur nächsten Verpflegung fahre ich mit dem weißen Megamann zusammen. Als er nach nur 1 Minute Wasserauffüllen weiterfährt, muss ich mir wieder neue Kameraden suchen.


Die ich auch finde: In Form meiner "alten" St. Pauli-Kollegen, mit denen ich den dritten und schließlich auch den vierten Abschnitt bis zur letzten Verpflegungsstation fahre. Das Tempo ist, da wir eine größere Gruppe sind, zunächst im angenehmen Bereich. Selten mehr als 33 km/h kurbeln wir durch den Wind.

Irgendwann bin ich dann nach einer Straßenquerung mit 5 Fahrern allein. Eine tolle Gruppe, denn so können wir in 2er-Reihe neben einander an drei Positionen fahren. Das Kreiseln funktioniert wie am Schnürchen und so bleibe auch ich mit einem sehr sympathischen mid-50er 3, 4 mal vorn im Wind, bis wir wieder von der großen Gruppe, angeführt von den bolzenden Paulianern, nach einer knappen Stunde eingeholt werden.

Schlagartig wird das Tempo verschärft: Die Gruppe wird aus einander gerissen und nur etwa 15 Mann können den Tarnjägern vorn folgen. Ich mit ihnen, denn mir fängt mein noch von der Tour de France arg lädierter Hintern wieder an zu schmerzen. Ich denke mir: "Lieber ein schnelles Ende als noch 2 Stunden herum kurbeln".

Was schade ist, denn sie haben die Strecke durch wirklich sehr feine Landschaften gelegt: Tiefe Wälder, sumpfige Heide, Felder in vollem Korn, dichte Maisfelder und saftig-frische Weidewiesen.

Irgendwann nach 4:20 Stunden komme ich mit den Jungs wieder nach Meckelfeld hereingebolzt. Nicht, ohne dass mir noch einer von denen an einer roten Ampel in mein vorderes Laufrad kippt: Erst bolzen und dann nicht aus den Pedalen kommen?

Achso, Ihr seid mit den Cleats verschweißt?!

Eine tolle RTF war das - schnell am Anfang, lazy in der Mitte und hammerhart am Ende. Was den Speed angeht.

"Mehr Höhe geht nicht!" - übertrieben.
983 Höhenmeter stehen auf meinem Garmin. Das ist ein bisschen mehr als die Hälfte von
Alpe d´Huez.

Da geht noch was!



Gefahren: 157 km in 4 h 34 min mit 983 Höhenmetern



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