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5. Juni 2012

"Wie Sex mit vorher aufhören" - meine RTF Nortorf 2012


Tja, das ging wohl gehörig in die Hose - kaum ein Event seit meinem schäbigen Scheitern beim Zeitfahren Hamburg-Berlin 2010 hat mich so unbefriedigt zurück gelassen, wie die diesjährige Ausgabe der RTF "Rund am Mittelpunkt" in Nortorf. Dabei fing alles so gut an ...

Vorspiel

Heiko ist heute Teamkollege und Mannschaftschef in einem und holt mich pünktlich 8 Uhr morgens mit dem Auto ab. Dass das heute ein nicht so geiler Tag werden würde, hätte ich spätestens nach dem Aufstehen eigentlich wissen müssen - aus unerfindlichen Gründen weckt mich mein Tablet um 6 Uhr - statt um 7. Naja.



Die RSG Nortorf organisiert eine der besten RTFs hier in der Hamburger Umgebung - das konnte ich im letzten Jahr schon erfahren, als ich die schon fast als episch zu bezeichnende 150-km-Runde absolviert habe: Bei allerfeinsten Sturmverhältnissen.

Heute weht es auch, aber längst nicht so stark. Auch angenehm: Es ist keine gefühlte 40 Grad heiß - eher etwas zu frisch. Dennoch haben alle gute Laune und so gehen wir zusammen mit etwa 400 weiteren Rennrad-Jüngern pünktlich um 9 Uhr auf die Strecke.

Langsam anfangen ...

Heiko laboriert noch an einer Erkältung herum und warnt mich vor, bei ihm würden es heute sicher keine 150 km werden. Er deutet aber an, dass er auf mich warten würde, falls ich länger als 110 km fahren möchte. Genial! So bin ich guter Laune und wir beschließen, uns zunächst in einer Gruppe aufzuhalten - nun man nicht gleich überdrehen!



Als es losgeht, zuckelt unsere etwa 30 Mann starke Gruppe mit 28 km/h durch die Gegend. Oha. 27 km/h. Selbst Heiko, der ab und zu immer mal hustet, wird nun ungeduldig. Als wir konstant 26 km/h erreichen, schaue ich nach vorn: "Ähm, Heiko - also das hier wird nix mehr", vor uns erkenne ich in etwa 700 Metern Entfernung eine weitere große Gruppe, die sich langsam entfernt: "Wenn wir jetzt losmachen, können wir die noch erreichen."



Also los! Ich stürme voran - schnell zeigt das Garmin 42, 43, 44 km/h - super Gefühl! Heiko an meinem Hinterrad und ich polke durch den leichten Gegenwind. Es schmerzt, es brennt in den Beinen - aber es ist so saugeil. Mal die Schlagzahl erhöhen, das da hinten war echt nicht zu ertragen. RTF hin oder her - mit 26 km/h Rennrad fahren?

Wechsel, Heiko übernimmt. Ich kann kaum im Windschatten aufatmen, kraftvoll haut er rein, ich bewege mich nur wenige Zentimeter hinter seinem Laufrad. Supergeil! Endlich mit Power mal die Sache hier angehen - das Rennrad will es doch auch!



Nun wieder ich - zum greifen nah nun die Leute vor uns. Ich ziehe an, gehe in Sprinterhaltung und aus dem Sattel, ziehe, trete, habe den Mund weit offen, das Pochen meines Herzens kann ich in den Ohren hören. Längst schon tiefroter Bereich, aber egal - rausnehmen - die Gruppe ist erreicht. 700 Meter Loch gebridged - geiles Gefühl!

Ich drehe mich um und blicke zu Heiko: Wir müssen beide grinsen.

... nee, ich will aber nicht vorne sein!

Leider ist diese Gruppe auch nicht viel besser: Obwohl wir uns vornehmen, nach diesem Parforceritt erst mal die Laktat gefüllten Waden locker zirkulierend auf Normalzustand runterzukühlen, reichen sie uns ziemlich schnell nach vorn durch.

Denn dort will keiner Führungsarbeit leisten. Es ist ein Witz: Zwei Fahrer - offensichtlich sehr durchtrainiert und mit immensen Waden gesegnet, treiben uns mit immerhin nun schon mal 29 km/h voran. Als die beiden zur Seite gehen und die nächsten zum Führen auffordern, verstecken sich Reihen 2 und 3 hinter den beiden, bremsen, unsicheres Hin- und Hergekurve, die Gruppe verliert ihre Struktur, alles bröselt, alle schütteln den Kopf, niemand will die Verantwortung übernehmen, weitere Fahrer bremsen sich verstohlen dreinblickend nach hinten.



Heiko und ich an Positon 2.
Die beiden Megawaden übernehmen noch mal die Führung.

Wenig später sind wir dran.

Du bist zu schnell!

Wir fahren locker und halten uns wirklich zurück. Heiko links, ich rechts. Wir pendeln uns bei gemäßigten 30 bis 32 km/h ein, auf den kleinen Abfahrten kann es dann schon mal in die 36, bis 40 km/h gehen, aber ich merke, dass ich immer wieder rausnehmen muss: Hinter uns entstehen bis zu 10 Meter lange Löcher.
Oh man! Ihr müsst doch nur im Windschatten bleiben?

Dann fährt einer in einem sehr schnieken, nagelneuen, weißen Canyon Speedmax an uns vorbei.
Ich schaue Heiko an, verziehe meinen Mund und schüttle den Kopf: "Mountainbike-Visier!"
Leute, echt, Ihr müsst Euch wirklich von mir aus nicht die Beine rasieren, wenn Ihr das nicht möchtet - aber bitte, um Himmels Willen - NEHMT DIESE SCHLIMMEN MTB-VISIERE AB! Das sieht doch furchtbar aus!



Der MTB-Zeitfahrer fährt zunächst neben Heiko, dann überholt er uns und - merkt wahrscheinlich, dass Gegenwind keine so tolle Sache ist - bald haben wir ihn wieder ein. Er heftet sich an mein Hinterrad. So geht das nun mehrere male. Komischer Typ.




Wir erreichen die erste Verpflegung: Traditionell bei der Nortorfer RTF ist diese vom Feinsten. Super leckere Wurst- und Käsestullen auf frischem Brot, Gurken, Bananen, Schaumküsse, Gummitiere, Nüsse, alle möglichen Getränke - und eine Superlaune bei den Helfern. Toll! RSG Mittelpunkt Nortorf - Ihr seid die Kings!



Weiter geht es.
"Komm, wir fahren mit dieser Gruppe da!", ruft Heiko und hechtet aufs Rennrad. Ich kann mir noch die Banane ins Gesicht drücken und schon kurbeln wir wieder.

Im Stehen kann ichs nicht.

Wieder finden wir uns im Mittelfeld einer etwa 20 Mann starken Gruppe. Erschreckend viele Visier-Träger auch hier. Ich versuche, alle zu überholen. Nach vorn setzen. Außerhalb des Sichtfeldes - der Anblick frustriert mich.

Richtig schnell geht es hier aber auch nicht voran, aber sie fahren sehr diszipliniert und vorn scheint es sogar mit dem Ablösen zu klappen. Wir haben genug Puste, um uns noch zu unterhalten. Ich genieße mit dem einen oder anderen Seitenblick die fantastische Natur, die hier rund um den Mittelpunkt Schleswig Holsteins zu finden ist - seichte Hügel mit frischen Feldfrüchten oder tiefen Wäldern - es riecht wunderbar nach Landluft, gesund hier. Gut für unsere Lungen allemal.


Weniger geil ists für unsere Waden - nach all den harten Rennen und durchaus auch harten RTFs, die ich bisher gefahren bin, fühlt sich das hier heute irgendwie falsch an. Kein Gebolze, kein Laktat. Wir sind doch extra so früh mit den Ersten gestartet ... warum wird hier nicht Stoff gegeben?



Na egal, geben wir halt Stoff ...

Als Heiko und ich führen, können wir den Schnitt von 30 auf immerhin 32 km/h steigern - immer wieder schaue ich mich um, immer wieder müssen wir etwas rausnehmen. Als vor uns eine längere Rampe auftaucht - nicht steil und mit vielleicht 1.500 Metern auch nicht die Welt - kann ich einfach nicht anders: Ich gehe aus dem Sattel, Heiko neben mir zieht mit, und wir polken uns im Stehen mit 28 km/h die Schräge hinauf.
Der Puls jagt wieder nach oben, die Waden brennen wieder, die Lunge rasselt: Herrlich!



Als wir oben sind und ich mich umdrehe, ist da nur der MTB-Tria-Canyon-Mann (mit Camelbak-Rucksack ...) und sonst ... keiner. Auf kleinen Blättern kriechen sie diese "Steigung" hoch. Ich lasse meinen Kopf hängen: Irgendwie kommen wir hier heute nicht zusammen, diese RTF und ich.

Du denkst immer nur an Dich!

Irgendwann gibt dann auch der Speedmax-Fahrer auf und versteckt sich im Feld, ein Mid-40er auf einem schicken Supersix evo überholt Heiko und mich (wir krepeln mit 25 km/h herum, um die Gruppe herankommen zu lassen) und beschleunigt. Da die Strecke nun in Ostrichtung - und damit in den Rückenwind - dreht, zucken wir mit den Schultern und gehen mit.



Schnell bleiben sie hinter uns zurück. Einer pfeift noch aus der Gruppe. Aber wir ignorieren das. Wenn Rennblut in Wallung ist, kann man es halt nicht herunter kochen ...

Ahhh, welch´ Wohltat! Mit 34, 35, 38 km/h können wir als Dreier durch die Heide ballern. Die Wechsel klappen perfekt, Heiko führt, dann der Susi-Fahrer und dann wieder ich, fast eben geht es zu, fast schnurgerade - und fast ohne Kurven stürmen wir die letzten 10 Kilometer zur zweiten Verpflegung. Ein perfektes Teamzeitfahren legen wir hin, treten, reinkloppen, rausgehen, rausnehmen, Wechsel, einordnen, langsam mitkurbeln, wieder im Wind und reingehauen.



Die Zeit verfliegt förmlich, ich könnte jauchzen, endlich tut es wieder mal weh, endlich Rennfeeling. Und dann sind wir auch schon wieder in Hohenwestedt. Stullen fassen.

Oh je ... Sorry, das wars schon ...

Auf der Weiterfahrt zum Depot 3 erwischen wir zum ersten Mal bei dieser RTF eine richtig gute Gruppe. Dachte ich. Es geht gleich zu Beginn mit 34 km/h im Schnitt los und soweit ich das sehen kann, fahren hier auch keine Visier-Typen mit. Wir halten uns im Mittelfeld auf, kurbeln ruhig im Feld und freuen uns, dass es endlich mal etwas schneller voran geht.

Dann ist wieder Wechsel-Time. Und ich kann es wieder nicht fassen! Schon wieder verkriechen sich Reihen 2 und 3 hinter den Windarbeitern - ich schüttle den Kopf und fluche ein "Lutscher!" in den Fahrtwind. Und setze mich mit Heiko mal wieder an die Spitze.



Wir ziehen das Feld mit gleichbleibender Geschwindigkeit. Wir lassen uns auswechseln. Sind aber - oh Wunder! - schon nach wenigen Minuten wieder an der Spitze. Was ist hier heute los?

Und dann passiert es: Ich wundere mich schon, warum hier immer Nortorf ausgeschildert ist ... zum Depot 3 kommen wir doch gar nicht durch Nortorf?!? Und plötzlich leuchtet gelb vor dem Helm das Ortsschild. Erst jetzt schmeiße ich mein Navi an - "Scheiße, falsch abgebogen?"
"Was´n los da vorn?", rufen sie.
"Wir haben den Track verloren!"
"Scheiße!"

Ja, Scheiße! Schon reiten wir in Nortorf ein. Ich fingere am Gerät herum und entdecke den Track - 25 Kilometer entfernt! Wir sind anscheinend schon vor 15 Kilometern nicht abgebogen, wo wir hätten nach rechts fliegen sollen.

"Habt Ihr ´nen Pfeil übersehen?"  - okay, die Frage ist wirklich blöd (Was soll man da antworten? "Ja, den Pfeil da ander Kreuzung, kannste dich erinnern? DEN haben wir übeersehen!") - aber sie steht nun im Raum. Alles rätselt, wo wir die RTF versaut haben. Ich berichte den Vorfall einer RSG-Offiziellen, immer mehr Irrgeleitete treffen ein.

Es hat wohl jemand bei Aukrug einen der Pfeile demontiert. Occupy Mittelpunkt oder ein witziger Holsteiner. Jedenfalls, wenn nur einer fehlt ...

Gib mir 15 Minuten Zeit ...

Einige beschließen, wieder zum Track zurück zu fahren. Andere fahren mit uns zu Start/Ziel - sie nutzen den unfreiwilligen Halt für eine außerplanmäßige Wurst am Grillstand, der eigentlich für die Finisher vorgesehen war. "In 15 Minuten gehts weiter ... versprochen."

Heiko winkt ab - angesichts seines Hustens ... und wo wir schon mal da sind ... brechen wir eben ab. Für seine Lungen und die noch nicht ganz auskurierte Erkältung sicher die beste Entscheidung - ich für meinen Teil bin auch etwas zu frisch angezogen. Noch ein Trikot oben und lange Handschuhe wären perfekt gewesen.


 
Und doch - ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Den spülen wir gleich mal mit lecker Grillgut hinweg - man muss ja auch noch Mensch sein zwischendrin, nicht wahr?

Wie Sex mit vorher aufhören ...

... genau so fühle ich mich, als wir wieder im warmen Kombi gen Hamburg düsen. 80 Kilometer Anfahrt für gerade mal 81 km Rennrad - kein besonders gelungener Tag. Irgendwie konnte heute nicht der Funke überspringen, wenig Rennfeeling, wenig Hochleistung. Eher gemütliche ADFC-Ausfahrt.



Nee, das war heute nicht unser Tag. Keine Helden geboren. Nicht mal die 100 geknackt. Wenig verausgabt. Schade - dabei ist die Nortorfer RTF meine Lieblingsstrecke.

Vielleicht 2013? Sicher 2013! Ich werde wieder am Start sein. Und dann Visier ab zum Gebet!


Hier geht es zum Garmin-Track

7 Kommentare:

  1. Geiler Bericht! Einer der lustigsten seit langem (was nicht heißen soll, dass die anderen langweilig sind). Das mit dem Gap schließen kenne ich von den NSC letztes Jahr. Da war auch so eine lange Lücke, die ich allein schließen musste, weil keiner aus meiner Gruppe mitwollte (ich dachte das wäre ein Rennen...). Auf den letzten Metern dachte ich, dass ich sterben muss. Aber als ich dann doch dran war, das war der Höhepunkt des Rennens für mich :-)

    Kopf hoch, es kommen auch wieder bessere RTFs.

    LG Lars

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  2. Mensch Du Armer, wärst Du mal nach Neu-Wulmstorf gekommen. Schnelle Gruppen (inkl. St. Pauli Lokomotive), Zweierreihen, beste Verpflegung und am Ende eine einzige Steigung wo man noch mal alles geben konnte. Und, die Beschilderung war perfekt, ähnlich den selbstgemachten "Müsliriegeln"...

    Gruß Christian

    PS. Habe den Bericht von Deinem Marathon gesehen: Tapfer. Das nächste Mal aber bitte nur leicht bekleidet (singlet, weil auch optisch ansprechender!)

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  3. hi larsi,

    danke für deinen comment - jo, das löcher zufahren ist mit das geilste an den rennen. so wie "kleiner held für tausend meter".

    hallo christian,

    danke für den tipp: aber die RTFs südlich von HH muss ich erst mal lassen, ich trainiere da so viel, dass ich das da unten langsam nicht mehr sehen kann ... :o)

    wobei sone pauli-lok natürlich genial ist.

    LG L

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  4. Ach, das war damals also ernst gemeint, als du meintest, ich solle doch bitte mein MTB-Visier abnehmen... nein, das bleibt dran. Ich fahre ja auch das entsprechende Rad. ;)

    Dass mit dem falsch Abbiegen ist irgendwie bitter... aber auch irgendwie lustig. :)

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  5. nee, benji, MTBler sollen die dinger ja dran lassen. deswegen heißen die ja auch "Mountainbike-Visier" ...

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  6. Hallo Lars,
    Schade, Schade.
    Ich hätte euch gerne zu etwas mehr Schnitt verholfen, aber ich habe die RTF irgendwie verpasst, obwohl ich an der Strecke wohne.

    ich starte immer möglichst weit vorne und versuche mich an die schnellen Hirsche zu hängen. Wenns nicht mehr geht, hat man immer noch genug Leute hinter sich, mit denen man einen zweiten Versuch für eine nette Gruppe starten kann.

    In Bad Oldesloe hat das mal prima geklappt. 35ger Schnitt über 150 km und richtig schön fertig.

    netter Blog

    Gruss Jochen

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  7. hi jochen,

    danke für deinen comment & das lob.

    die nortorfer RTF ist superklasse! vielleicht sieht man sich dort 2013?

    ansonsten jetzt am WE - die RG Hamburg lädt zu 153 km.

    viele grüße

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