Nun, das Wetter - zumindest hier im Norden - lädt seit einigen Wochen nun wirklich nicht zu sportlichen Höchstleistungen ein. Kalt. Nass. Kein Rennradwetter. Und da ich nicht die ganze Zeit über an meinem Tour de France-Blog schreiben kann, habe ich es mir mit einem schönen Radsport-Buch unter der Kuscheldecke gemütlich gemacht.
Wir lesen: "Des Radsports letzter Kaiser" vom renommierten Sport-Journalisten Klaus Blume.
Eines vorweg: Wer einen Enthüllungsroman erwarten würde (was mir zuwider gewesen wäre) oder eine epische Heldensaga, der wird enttäuscht sein. Blumes Buch ist ein sehr sachlich und so objektiv wie möglich daherkommendes Buch über die "Causa Ullrich".
Ruhig, ohne Superlative, dabei verständlich mit vielen erklärenden Anleihen garniert nimmt Blume den Leser zunächst mit in die Welt des Profi-Radsports. Erste "Aha"-Effekte: Eine abgeschlossene, bisweilen dunkle Welt, fernab jeglicher staatlicher Gesetzgebung, fast mafiös organisiert, autark mit eigenen Regeln und Gesetzen. Eine Welt, in der Jan Ullrich - ebenso wie alle anderen - zu funktionieren hatte.
Der Leser bekommt Einblicke in die DDR-Sportkaderschmieden, in der auch Jan groß geworden ist: Hier wurde sein Charakter geformt. Der "Beta-Wolf" Ullrich, wie Blume es beschreibt, definiert.
Schockierend, bisweilen aufrührend, beschreibt Blume die Zustände und Abläufe einer immer mehr ins Maßlose abdriftenden Radsportwelt der Neunzigerjahre - inklusive der kühlen, menschenverachtend anmutenden Marketingmaschinerie, mit der der Telekom-Konzern das Team zu seiner mächtigsten Werbewaffe geführt hat. Und auch hier hatte Ullrich, wie jeder andere auch, zu funktionieren.
Wiee die Medien, allen voran BILD und BUNTE, den Supermenschen aufgebaut haben, wie sich Promis und Politiker dem überforderten Rostocker anbiedernd zur Seite genommen haben, wie Ullrich stilisiert wurde zum Heilsbringer, zum Größten aller Großen - zum deutschen Miguel Indurain.
An einen instabilen Charakter, an einen Ausnahmesportler, der nie gelernt hat, für sich selbst zu sprechen, über ein Jahrtausendtalent, das an allzu großen Erwartungen an ihn, den "Radsportübermenschen" zerbrochen ist, über Werbung, Anwälte, ein verzwicktes Doping-Recht und all die geschichtlichen, tradierten (Un-)verhältnisse versucht Blume, ein wenig Luft zu lassen.
Nie beschönigend, nie mit dem Schleier verklärenden Mythos verzerrt, stets so objektiv wie es geht und immer versuchend, hinter kalten Fakten die Menschen zu erkennen, ist "Des Radsports letzter Kaiser" ein Buch, das man wegliest, wie man noch warmes Schwarzbrot mit Quark und frischem Schnittlauch isst: An einem Tag habe ich es durch.
Ich muss zugeben, es zieht mich runter.
Macht sehr nachdenklich.
Bisweilen traurig.
Und doch: Bei all der Scheiße, die Jan Ullrich zu ertragen hatte und hat, bei all den Fehlern, die Jan Ullrich gemacht hatte und macht, verliert Blume nie diesen wundervollen Aspekt, diese Faszination und die Begeisterung für einen Sport, den wir alle mit so viel Hingabe und Liebe ausüben.
Aufgewühlt und desillusioniert. Und doch versöhnlich. Schließe ich den Umschlag und stelle Ulle zu den anderen Radsportbüchern.
Ein tolles Buch.
Lesetipp!
Hi, der Autor heißt Klaus Blume nicht Hans. Grüße
AntwortenLöschenstimmt! merci.
AntwortenLöschenhabs geändert ... sorry klaus.
LG L